BioShock 2 - Vorschau, Shooter, 360, PC, PlayStation3

BioShock 2
29.10.2009, Benjamin Schmädig

Vorschau: BioShock 2

Selbst als ich Rapture zum zweiten Mal betreten habe, zog ein Schauer der Ehrfurcht in meine Haarspitzen: Würde ich der letzte Überlebende sein, der die wuchernde Dekadenz je zu Gesicht bekommt? Immerhin hatte der faulige Moder längst den Kampf gegen die prunkvollen Marmorsäulen für sich entschieden, der Ozean bahnte sich über tausend kleine Brüche seinen Weg in das Kunstwerk. Aber Rapture hat überlebt. Und während dieser zweite Besuch in dem überwältigenden Retropolis nichts weiter war als das Auffrischen meiner Erinnerung an das erste BioShock, bin ich inzwischen auch ein drittes Mal nach Rapture abgetaucht - diesmal in einen frühen Abschnitt aus BioShock 2 (ab 5,99€ bei kaufen). Und als hätte jemand die Faust geöffnet, die einst geheimnisvolle Wunder umschloss, war der Zauber plötzlich verflogen...

Ich muss den Ozean erst überqueren, bevor ich abtauchen darf, denn 2K Games hat ein großes Aufgebot an Redakteuren nach San Francisco geladen. Das Büro von Entwickler 2K Marin liegt ganz in der Nähe und so bietet sich die Bucht geradezu an, um einen ersten Level vollständig zu präsentieren. Das Drumherum - der große Raum, in dem auf geschätzten einhundert Monitoren bereits der vertraute Schriftzug auf einer korrodierten Metalltafel prangt - interessiert natürlich nur am Rande. Aber noch müssen wir unsre Ungeduld im Zaum halten. Denn ehe wir Rapture auf eigene Faust erkunden, führen uns die Entwickler in die Welt des Nachfolgers ein. Licht aus, Spot an!

Der Prototyp eines guten Abenteuers?

Zehn Jahre ist es her, dass der Kampf um die Vorherrschaft in Rapture eine überraschende Wendung nahm. Zehn Jahre, seit der damalige "Held" entmenschlichten Wesen begegnete, die ihr entstelltes Antlitz hinter Furcht erregenden Masken verstecken mussten.

Neue Big Daddys, neue Sisters - doch was hat sich inhaltlich geändert seit Jacks Besuch in Rapture?Zehn Jahre, seit er sich gegen in  Taucherglocken verpackte Big Daddys wehren musste, seit er die zu Blut saugenden Mädchen mutierten Little Sisters entweder gerettet oder zerstört hatte. Zehn Jahre, die diesen Jack einfach vergessen ließen. Denn wer in BioShock 2 die Maus oder das Gamepad in die Hand nimmt, schlüpft in die Rolle eines neuen Protagonisten. Und der ist vielleicht ein noch größeres Mysterium als Jack es war. Denn der "Neue" ist kein Geringerer als der "ursprüngliche Big Daddy", ihr Prototyp. Was es mit ihm auf sich hat? Die Antwort wird erst das endgültige Abenteuer liefern.

Doch so viel sich in Ryans Wirklich gewordenem (Alb-)Traum auch geändert hat, so sehr sieht man jedem Raum, jedem Gang und jedem Winkel seine Herkunft an. Noch immer staunt man über edle Kacheln und teuren Marmor. Man ist entsetzt über die auseinanderfallende Fassade, fürchtet bei jedem Riss in der Wand die Macht des tiefblauen Ozeans, der lauernd um die turmhohen Fenster schleicht. Nur Kleinigkeiten verraten zunächst, dass es einen Machtwechsel gegeben hat. So waren die Wände auch vor zehn Jahren schon mit Blut beschmiert. Und auch jetzt gibt es ähnliche Krakeleien. "Wir werden wiedergeboren. Sie ist unser Erlöser.", steht z.B. auf den Wänden des "Dionysus Park". Wer ist diese Sofia Lamb, um die es sich dabei dreht? Und wer sind die Big Sisters, von deren Existenz man bereits weiß?

Die großen Schwestern spielen zunächst allerdings keine Rolle, denn während die ersten bewegten Live-Bilder der Präsentation auf einer großen Leinwand flimmern, begegnen die Entwickler einem Big Daddy, dem sie sich schnell entledigen. Natürlich beherrschen einige der wuchtigen Antagonisten neue Angriffe, sind agiler, teilen mehr aus und zeigen sich in anderen Taucheranzügen. Dem Gesehenen nach unterscheiden sie sich aber nur im Detail von ihren Vorgängern. Genau wie ihre Ahnen haben deshalb auch diese Bewacher vor allem eine Aufgabe: Sie schützen die Little Sisters, während die Mädchen den Toten das so genannte Adam entziehen. Adam ist die Substanz, welche die Menschen einst genetisch stärker machen sollte - und sie als entstellte Splicer zurückließ. Und genau wie Jack kann auch der Prototyp aller Big Daddys die Little Sisters entweder töten oder befreien, indem er den Parasiten aus ihrem Organismus entfernt, der das gesammelte Adam verarbeitet. Er trifft diese Entscheidung aber nicht an Ort und Stelle. Vielmehr klettert die Little Sister auf seine Schulter

Erneut entscheidet jeder für sich, ob er die Little Sisters retten oder vernichten will.
und weist ihm den Weg zu einem Toten, dessen Adam sie auf Anweisung des Big Daddys erntet.

Die Geisel des Adam

So lange das Mädchen bei der Arbeit ist, muss sie beschützt werden, und weil Adam nicht nur Stammzellen für die genetische Manipulation liefert, sondern auch eine hoch wirksame Droge ist, stürzen sich sofort etliche Splicer auf die "Schwester". Wie ihr Bewacher dem Ansturm standhält, ob er z.B. Fallen platziert, bevor er die Anweisung zum Ernten gibt, bleibt ihm überlassen. So oder so bekommt er es aber mit einer Menge verschiedener Kreaturen zu tun, die ihn ähnlich aggressiv schlagen und beschießen wie ihre zehn Jahre älteren Vorfahren. Selbstverständlich erhält dabei auch das Fußvolk Verstärkung, u.a. in Form eines bulligen Schlägers, der so verbissen prügelt wie sein Rückgrat in die Breite geht. Irgendwann ist aber auch diese Hürde geschafft, genug Adam geerntet und die Little Sister bereit, die vollen Taschen abzuliefern. Also springt sie erneut auf die Schultern des Big Daddys, bis sie vor einem Loch Halt machen, das kaum breiter ist als sie selbst. Erst jetzt hat der Entwickler die Wahl: Soll er das gesamte Adam an sich reißen, um seine eigenen Fähigkeiten zu steigern? Oder lässt er das Mädchen laufen - für weniger Adam, aber immerhin eine kleine Belohnung. Wo sich BioShock dabei  um eine Erklärung für das Auftauchen der Dankbarkeits-Bekundungen bemühte, stehen die Extras hier plötzlich auf dem Tisch nebenan - schade. Und wo die visuelle und akustische Darstellung dieser Entscheidung der des Vorgängers gleicht, konnte man der schon damals einen gewissen Gewöhnungseffekt nicht absprechen...                     

Überhaupt kommt mir trotz der zusätzlichen Ideen alles sehr vertraut vor: von der Architektur über die Gegner bis hin zur Little Sister. So sind die skurrilen Splicer noch immer leblose Stafetten, die das Programm zum Selbstzweck generiert, und ein Gespräch unter vier Augen findet in den bisher gezeigten Episoden nicht statt. Wenn Rapture doch nicht nur als Mahnmal in den Tonbändern verblichener Erinnerungen existiert, sondern ganze zehn Jahre später noch auf seine eigene absurde Art und Weise lebt, dann sollten die Entwickler diesen Schauplatz auch durch emotionale Facetten seiner Gegenwart greifbar machen. Stattdessen sammelt man weiter

Übrigens

Rückkehr des Ozeans

Designer sollten daher mit Spielen vertraut sein - Künstler müssen hingegen nicht so tief in der Materie stecken.Tonbänder - man folgt erneut einem Lautsprecher, durch den diesmal u.a. Sofia Lamb die Richtung angibt.

Lead Artist Hogarth Delaplante erklärte uns, wie die Unterwasserwelt Rapture aus dem digitalen Boden wächst.

Künstler und Level-Designer arbeiten dafür eng zusammen: Während die Künstler den Stil vorgeben, müssen Designer dafür sorgen, dass sich Spieler in den dreidimensionalen Räumen zurecht finden.

Und dann knallt es! Auf einmal entwickelt sich Lamb vom weit entfernten Lautsprecher zur unmittelbaren Antagonistin. Nein, die Dame tritt nicht persönlich auf. Sie sorgt allerdings dafür, dass etliche Rohre wie von Geisterhand platzen, dass kleine Risse zu großen Brüchen aufgehen, dass selbst Metall der Gewalt des Ozeans weichen muss. Schier unendliche Wasserfälle stürzen von allen Seiten herein. Big Daddy flüchtet unter den wallenden Drohungen Lambs. Ein Entrinnen scheint es aber nicht zu geben. Einen Raum nach dem nächsten lässt er hinter sich, aber immer ist ihm das Wasser nicht nur auf den Fersen, sondern drei Schritte voraus. Die Wucht der Szene, die ohne einen einzigen Bleiwechsel auskommt, ist kaum zu beschreiben. Und auf einmal ist es vorbei: Noch eine Tür bringt der Big Daddy schnaufend hinter sich - dann holt sich das Meer den Platz zurück, den ihm die Stadt entriss. Plötzlich ist es still. Big Daddy atmet, seine Taucherglocke ist intakt. Einsam und ruhig schwimmt er in einem lautlosen Friedhof auf dem Grund des Meeres. Die Leinwand wird schwarz. Wow!

Es ist an der Zeit, dass wir endlich selbst Hand anlegen dürfen. Und tatsächlich gibt 2K den Startschuss; Dutzende Xbox 360-Konsolen tauchen in das finstere Rapture ab - und am Meeresboden wieder auf, als ein Wagon des Metro-Systems in einem kleinen Bahnhof zum Stehen kommt. Wie und warum ich dorthin komme, erfahre ich noch nicht. Ich erkunde zwar einen sehr frühen Abschnitt, doch die erzählerische Einleitung fehlt in dieser Fassung ebenso wie große Hallen, die dem Abenteuer laut Lead Artist Hogarth Delaplante einen beeindruckenden visuellen Rahmen verleihen sollen. Stattdessen steige ich aus dem Wagon, um erneut einer Stimme aus dem Radio zu folgen, die mich in ein Gebiet namens "Ryan Amusements" schickt. Ist es symptomatisch, dass ich zwar den Namen der Umgebung behalten habe, aber nicht mehr weiß, was ich dort eigentlich tun musste? Das Radio, die Erzählweise, die Kulissen: So sehr ich die Rückkehr genieße, so bitter schmeckt der Aufguss des scheinbar ewig Gleichen. Vielleicht entwickeln sich Figuren und Geschichte noch, und mir ist natürlich bewusst, dass die leitende Stimme aus dem Off seit System Shock Tradition hat. Dennoch hinterließ das, was wir bisher gesehen haben, den Eindruck eines Abziehbildes. An Stelle von Andrew Ryan begrüßt mich zunächst nur ein Niemand. Hier schwelgt mir kein Visionär von ideologischem Reichtum vor - hier erklärt mir ein Niemand

Das Mysterium Rapture: Wer bin ich und wieso bin ich hier?
GPS-Anweisungen. Liegt es daran, dass Ken Levine längst nicht mehr hauptberuflich an BioShock beteiligt ist?

Tauchgang ins Nichts

Und noch etwas fällt mir ins Auge, obwohl ich erzählerische und spielerische Feinheiten jederzeit über technische Details stelle: Grafisch ist Rapture deutlich gealtert. Das macht sich vor allem dort bemerkbar, wo die Oberflächen vieler Türen, Wände oder Säulen arg verschwommen wirken. Architektonisch sieht es hingegen noch immer grandios aus - jedenfalls dann, wenn man einigen Szenen der vorherigen Präsentation sowie den Versprechungen des Lead Artists glauben darf, denn BioShock 2 will mit großen Hallen und weitläufigen Arealen beeindrucken. Dass ich in den Ryan Amusements nur eine leichte Variation des Bekannten zu sehen bekomme, hat mich hingegen ernüchtert. Als ich Delaplante darauf anspreche, wie sich das "neue" Rapture von dem zehn Jahre älteren unterscheiden wird, führt er neben "Überraschungen" lediglich an, dass einige Räume von Wasser geflutet sein werden. Und selbst wenn sich die Stadt noch öffnet: Ausgerechnet die wichtige Einführung ist ein monotoner Schlauch, in dem nur eine Hand voll Statuen visuelle Akzente setzen. Immerhin stehen die Statuen nicht zum Selbstzweck dort, sondern beschreiben den Besuchern mit kruden mechanischen Bewegungen das Wesen und die Regeln der Tiefsee-Metropole. Mit einem Knopfdruck versetze ich die Exponate in Bewegung, ein Tonband beschreibt die Darstellung. Und die Idee ist klasse! Trotzdem werde ich das Gefühl nicht los, dass die Statuen in den engen Gassen fehl am Platz wirken. Hätte Andrew Ryan seine Vision nicht mit Gigantonomie inszeniert, anstatt sie unter engen Räumen zu erdrücken?

Und wie fühlt es sich an? Wie ist es, im schweren Anzug eines Big Daddy zu stecken? Schließlich behindert der Helm die Sicht, rennen ist unmöglich - doch so drastisch wie erwartet wirkt sich mein neues Alter Ego zum Glück nicht aus. Der Helm ist in den äußersten Ecken des Bildschirms kaum zu erkennen, nur wenn ich getroffen werde, führt mir ein kurzer Schwenk eindringlich vor Augen, dass ich in einer engen Taucherglocke eingesperrt bin. Die Schwierigkeit darf ich übrigens jederzeit meinen Vorlieben anpassen - für den Fall, dass ich zu oft oder zu selten in einer Vita-Kammer "wiedergeboren" werde. Mit einem breiten Grinsen habe ich übrigens registriert, dass ich als Big Daddy sogar den mächtigen Vorstoß mit dem massiven Bohrer ausführen darf!           

Beengende Macht

Die Einführung fasst mich selbstverständlich mit Seidenhandschuhen an. Nur als auch ich eine Little Sister beschützen muss, wirkt der Ansturm bösartiger Splicer überwältigend. Taktik ist gefragt, wenn man eine solche Situation unbeschadet überstehen will, nicht zuletzt deshalb, weil meine Gegner diesmal geschickter hinter Barrikaden Schutz suchen. Vielleicht sollte ich schon vor dem Kampf die neuen Minen auslegen und wahlweise mit einem fiesen Effekt versehen, indem ich ein Plasmid in die Mine schieße. Schon während der Präsentation zeigten die Entwickler, wie sie einen Wirbelsturm mit einer Mine kombinierten. Die anstürmenden Gestalten nahmen so nicht nur Schaden, sondern wurden außerdem in die Luft gerissen. Alles in allem scheinen die versprochenen Möglichkeiten zum Kombinieren von Waffen und Plasmiden bislang jedoch begrenzt, denn sowohl in dem vorgeführten Abschnitt als auch in unserer Einführung glichen die Kämpfe denen vor zehn Rapture-Jahren. Der Einsatz von Plasmiden vereist die maskierten Kreaturen, setzt sie in Brand oder wirft ihre eigenen Granaten auf sie zurück. Auch die meisten Waffen sind bekannt, selbst wenn ich als Big Daddy beide Hände gleichzeitig benutzen darf und so schneller auf verschiedene Situationen reagieren kann. Von einigen der neuen Waffen war ich zumindest äußerlich angetan; die Schrotflinte wirkt z.B. deutlich martialischer als ihr Vorgängermodell. Überhaupt sehen die Instrumente diesmal viel mehr danach aus, als hätte sie ein ideenreicher Erfinder aus dutzenden Einzelteilen zusammengeschraubt.

Ähnlich wie als Jack kann ich zudem Geschütztürme, Sicherheitskameras sowie fliegende Geschütze hacken, damit sie fortan für mich arbeiten. Nachdem mich eine Kamera entdeckt und Alarm ausgelöst hat, mache ich mir deshalb zwei fliegende Bots zu Eigen, die mich einige Minuten lang bleikräftig unterstützen - per Knopfdruck kann ich die Helfer sogar reparieren. Das Hacken fällt mir dabei bedeutend leichter, denn es lässt das auf Dauer arg monotone Zusammenlegen von Rohrsystemen fallen und führt ein brandneues System ein. Vielleicht klingt es nicht aufregend, dass man lediglich eine nach links und rechts fahrende Nadel im richtigen Moment anhalten muss: Lande ich dabei auf einem grünen Feld, gelingt der Hack, lande ich auf einem roten, misslingt er und ich stecke eine Stromschlag ein. Weil das Hacken aber in Echtzeit stattfindet, kann ich nicht mehr mitten im Gefecht seelenruhig an einem Geschützturm herumfummeln - tu ich es doch, komme ich gehörig ins Schwitzen! Das Hacken könnte einfallsreicher sein; es passt sich inzwischen aber besser ins Spiel ein, dürfte weniger Nerven sowie Zeit beanspruchen, und mithilfe eines neuen Werkzeugs kann ich sogar über eine Entfernung von mehreren Metern hacken. Der unbeholfene Sprung an die Überwachungskamera unter der Decke fällt damit flach.

Wenn Geschwister beißen

Und dann steht sie plötzlich vor mir. Ich hatte schon von ihr gelesen, ich habe sie auf Bildern gesehen: ihre dürre Erscheinung, ihr enger, sehr mechanischer Taucheranzug - die Big Sister ist der Gegenentwurf zu den schwerfälligen Big Daddys. Trotzdem denke ich mir: "Was kann schon dran sein?". Und wie als Antwort schmeißt mir die grazile Lady einen Feuerball entgegen, wirft einen Stuhl, dann eine Dose hinterher. Verdammt, Big Sister geht mindestens ebenso clever mit den Plasmiden um wie ich selbst! Jetzt heißt es umdenken, denn auf einmal sollte ich Ölpfützen nicht nur als Falle nutzen, sondern muss ihnen tunlichst aus dem Weg gehen. Das gilt viel mehr noch für das überall präsente Wasser. Die Dame beherrscht sogar die Kletterkünste einiger Splicer, so dass ich einen unerwartet heißen Tanz in allen Richtungen erlebe. Es hat sich nicht viel getan in Rapture, aber die

Es gibt zwar neue Plasmide, aber im Großen und Ganzen wirkt BioShock 2 sehr vertraut.
Big Sister sorgen für etwas mehr Abwechslung in der maroden Stadt.

Irgendwann habe ich das Plasmid besorgt, mit dem ich zugefrorene Zugänge enteisen kann und brenne mich mit seiner Hilfe durch den Ausgang aus Ryan Amusements. Die charakterlose Stimme aus dem Off meldet sich noch einmal, dann schaltet die Vorschau-Version zurück zum Titelbild. Ich setze die Kopfhörer ab, lege das Notizheft beiseite. Um mich herum sind Kollegen bereits fertig oder haben den Abschnitt fast beendet - und keiner redet über das Erlebte. Einem miesen Eindruck macht man für gewöhnlich umgehend Luft, über spannende Erlebnisse wird hitzig geschwärmt. Neues wird hervorgehoben, Einzigartiges gelobt. Doch als die Metros aus Rapture wieder in San Francisco auftauchen, ist BioShock 2 kaum ein Thema. Es geht nicht nur mir so: Mit dem Nachfolger stellt 2K Marin ein verdammt gutes Spiel vor. Nach allem, was die Entwickler bislang zeigen wollen, gerät ihr Nachfolger jedoch allzu vorhersehbar. Die Schienen hat der Vorgänger gelegt - BioShock 2 scheint sie lediglich mit einem neuen Modell derselben Lokomotive noch einmal abzufahren.

Auf Schienen verdammt?

Oder kommt da noch mehr? Können die Entwickler ihr Versprechen einer packenden Geschichte später einlösen? Oder ist es gar der neue Mehrspieler-Modus, mit dem die Fortsetzung punkten kann? Fehlende Online-Scharmützel waren schließlich für viele Spieler einer der größten Mängel des Vorgängers? Und immerhin wurde die Entwicklung des brandneuen Mehrspieler-Teils in die Hände von Digital Extremes gelegt - jene Entwickler, die gemeinsam mit Epic Games für Unreal und Unreal Tournament verantwortlich zeichnen.           

Und sie leisten gute, wenn auch vorhersehbare Arbeit, wenn sie es mir erlauben, Waffen nach erfolgreichen Kämpfen aufzurüsten. Das dürfte der Langzeitmotivation gut tun, weitere Individualisierungen sind allerdings nicht erlaubt. Auch die Wahl des Charakters hat nur äußerliche Auswirkungen. Digital Extremes nennt zwar unterschiedliche Hintergrundgeschichten sowie unterschiedliche Kommentare aller Figuren zu den Geschehnissen im Spiel als individuelles Merkmal der virtuellen Kämpfer - ich bezweifle allerdings, dass sie aufgrund solcher fast schon selbstverständlicher Feinheiten als glaubwürdige Personen greifbar werden. Die Frage bleibt ohnehin: Warum treten die Splicer überhaupt in Arena-Gefechten an?

Ungewöhnlich erzählstark

Die Scharmützel sind nichts weiter als Versuchsreihen, an denen eine Hand voll Einwohner teilnehmen. Und womit experimentieren die Ärzte auf dem Meeresboden? Mit Adam natürlich! Noch bevor Jack vor zehn Jahren die pompösen Hallen betrat, fanden brutale Versuche statt, deren Erfolg an den Abschüssen pro Gefecht gemessen wurde. Eine Geschichte für einen Mehrspieler-Modus? Eine gute Idee!

Neu in Rapture: Jetzt werden auch Mehrspieler-Gefechte in dem maroden Retropolis ausgetragen.Zumal auf diese Weise Tagebücher und andere Aufzeichnungen ein wenig Licht in die Historie um Andrew Ryans Vermächtnis bringen sollen.

Im Mittelpunkt steht aber natürlich der Kampf, und so gibt es insgesamt sieben Spielmodi, in denen sich bis zu zehn Spieler in einer von zehn Arenen begegnen. U.a. gehen sie dabei frei aufeinander los, machen in Teams Jagd auf Adam oder müssen eine Little Sister sicher ans Ziel bringen, während das andere Team genau das verhindern soll. Unter den Beschützern befindet sich dabei genau ein Big Daddy - wer in die Taucherglocke schlüpft, wird vom Zufall bestimmt. Big Daddys dürfen zwar nur eine Schusswaffe mit geringer Feuerrate nutzen, richten bei Treffern sowie im Nahkampf allerdings enormen Schaden an und stecken selbst viel ein. In anderen Spielvarianten gibt es die Big Daddys übrigens auch. Dann wird die Rollenverteilung allerdings nicht dem Zufall überlassen; vielmehr taucht irgendwann irgendwo ein unbenutzter Taucheranzug auf und wer am schnellsten ist, schnappt sich das kampfstarke Kostüm. Man muss aber nicht Big Daddy sein, um sich einen Vorteil zu verschaffen: Man kann auch die Leiche eines Mitspielers fotografieren, um die Effizienz der eigenen Waffen gegen diesen einen Spieler zu erhöhen. Das und die Möglichkeit, Geschütztürme zu hacken (das Halten eines Knopfes reicht im Online-Kampf), die Widersacher automatisch unter Beschuss nehmen, verleihen den Gefechten eine angenehme taktische Note! Nur der Verlust jedes fotografierten Bonus nach jedem Ableben hat mich bald davon abgehalten, die Fotos überhaupt erst zu schießen. So gut der Einfall auch ist; ich fürchte, dass starke Spieler dadurch nur stärker werden, schwache Spieler aber umso leidensfähiger sein müssen.

Dennoch bleiben die Arena-Kämpfe auch Einsteigern zugänglich, denn jeder Teilnehmer darf nur zwei Waffen sowie zwei Plasmide pro Kampf verwenden. Selbstverständlich darf man die Zusammenstellung jederzeit ändern. Das ist aber nur im Menü möglich und kostet Zeit. Der Vorteil: Man behält stets die Übersicht über seine Möglichkeiten und kann exklusive Plasmide in Ruhe ausprobieren. So kann man mit einem kurzen Boost binnen einer Sekunde mehrere Meter überwinden oder sich unsichtbar machen - die fiesen Houdini Splicer lassen grüßen! Es ist ein interessantes Experimentieren, das durchaus Erinnerungen an das weckt, was ich als Solist in Rapture erlebt habe. Es ist aber auch ein sehr schnelles und entsprechend wirres Herumrennen in einer Welt, die nie für rasante Multiplayer-Gefechte konzipiert war. Sie wirken aufgesetzt und bis auf das Verbessern der Waffen fehlt es ihnen an Tiefe. Ich bezweifele außerdem, dass Gefechte mit höchstens zehn Spielern und in engen Räumen heute zeitgemäß genug sind, um auf lange Sicht zu motivieren.

Du siehst mich nicht!

So oder so: Mir hat das Herz geblutet, als ich mir mit fünf weiteren Spielern wie ein Irrer Blei und Plasmide um die Ohren geschmissen habe. Natürlich betont Digital Extremes im Interview, dass sie auf die Kritik der Fans gehört haben - oder vielmehr auf jene Spieler, die ohne Mehrspieler-Teil keine Fans werden wollten. Es spielt für meine Einschätzung keine Rolle: Aber muss man ein so grandioses Szenario dem Kommerz zum Fraß vorwerfen, nur weil einige Spieler Kritik an einem erfolgreichen Vorgänger äußern? Muss man der Mona Lisa einen Hut aufmalen, weil ich und zehn meiner Kumpels ihr eine Kopfbedeckung wünschen?        

Ausblick

Ich halte BioShock für eins der erzählerisch wertvollsten Spiele aller Zeiten! Warum raubt mir die Fortsetzung des virtuellen Kunstwerks dann nicht den Atem? Wo ist plötzlich meine Begeisterung für den bezaubernden Schauplatz? Hat sich Rapture abgenutzt? Mitnichten! Doch was 2K bisher gezeigt hat, war alles andere als außergewöhnlich; es war vorhersehbar. Der einzige aufregende Moment war eine Szene, die wir leider nicht selbst spielen durften. Doch während die wuchtige Inszenierung dieser Flucht vor den Wassermassen einen bleibenden Eindruck hinterließ, waren meine ersten eigenen Schritte umso ernüchternder. BioShock 2 spielt sich wie BioShock, es sieht aus wie BioShock, es klingt wie BioShock und es recycelt dessen stilistische Mittel. Das ist gut. Es ist aber nicht gut genug. Vielleicht haben sich die Entwickler mit dem gewählten Abschnitt ja selbst ein Bein gestellt. Wenn man ein erzählerisches Meisterwerk fortführen will, muss man das Konzept des Vorläufers jedenfalls weiterentwickeln. Man braucht Mut zur Veränderung, muss andere Wege einschlagen, neue Ideen einbringen. Und genau davon war bisher nichts zu sehen. Wo bleibt z.B. eine Erweiterung des moralischen Dilemmas um die Little Sisters, das in BioShock angedeutet wurde? Nicht zuletzt zeigen sich technische Alterserscheinungen, und die neuen Multiplayer-Gefechte wirken trotz des erzählerischen Rahmens sowie interessanter taktischer Aspekte nicht nur unnötig hektisch, sondern auch spielerisch gewöhnlich. Das, was bisher von BioShock 2 gezeigt wurde, wirkt wie die risikoarme Fortsetzung eines erfolgreichen Ego-Shooters - nicht wie die Fortführung einer kreativen Vision.

Ersteindruck: gut