Mass Effect 2 - Vorschau, Rollenspiel, 360, PlayStation3, PC

Mass Effect 2
17.12.2009, Jörg Luibl

Vorschau: Mass Effect 2

Kaum hat BioWare die Rollenspielwelt mit Dragon Age: Origins erobert, könnte am 28. Januar der zweite Streich folgen: Mass Effect 2 (ab 8,25€ bei kaufen) setzt ein futuristisches Abenteuer fort, das vor zwei Jahren hinsichtlich Mimik, Gestik, Dialogführung und Dramaturgie Zeichen setzte. Allerdings litt die Space Opera unter einigen Schönheitsfehlern, die Platin ganz knapp verwehrten: Es gab in den Weiten des Alls letztlich zu viel für Sammler, zu wenig für Entdecker. Außerdem wirkten weder die Fahrzeugsteuerung noch die Technik ganz ausgereift. Können die Kanadier ihre Science-Fiction perfektionieren?

Wiedersehen mit Shepard: Der Held der Allianz kehrt zurück, um sich einer heiklen Mission zu widmen.
Was ist da los im Weltraum? Warum werden die entfernten Kolonien der Menschen überrannt? Sind es etwa die Geth oder die Reaper? Und was stellen sie mit den Hunderttausenden von Verschleppten an? Obwohl diese Fragen brennen, scheint sich die Allianz der galaktischen Völker nicht wirklich darum zu kümmern - sie hat mehr damit zu tun, die Citadel und ihre Macht nach dem letzten Krieg in Mass Effect wieder zu festigen. Anstatt sofort einen Teil der aktiven Flotte in die Außenbezirke zu schicken, um die Lage zu erkunden und die Motive des Feindes zu ergründen, gibt man sich hinsichtlich des Schicksals der Außenwelten zunächst uninteressiert. Immerhin kommt es zu einer kleinen passiven Erkundung, bei der trotz aktiviertem Tarnmodus alles schief geht...

Angst vor den Menschenjägern

...das aus dem Vorgänger bekannte Raumschiff Normandy wird aus dem Nichts überfallen, regelrecht zusammen geschossen und die komplette Besatzung zur Shuttle-Evakuierung gezwungen - Shepard schwebt daraufhin dem Tod entgegen. Allerdings scheint ein politischer Flügel der Menschen die Brisanz der Vorfälle zu erkennen und offensiver reagieren zu wollen: Ein von der fundamentalistischen Cerberus-Fraktion finanziertes Projekt rettet Shephard das Leben, weil er der einzige sei, der jemals einen der mysteriösen Reaper töten konnte. Sie flicken seinen Körper zusammen und beauftragen den "Retter der Citadel", mit einigen alten Bekannten in die dunklen Bereiche des Weltalls vorzudringen. Wollen sie den Kriegshelden nur instrumentalisieren? Was geschah bei der Operation?

Aktiveres Deckungssystem, krachende Waffen und clevere Gegner. Ein Rollenspiel im Shooterpelz?
Mit diesen Fragen beginnt das Abenteuer erzählerisch. Und es macht richtig neugierig. Ab diesem Zeitpunkt kann man zwischen sieben Klassen, vom Frontkämpfer über den Wächter bis zum Biotiker, diversen persönlichen Hintergrundgeschichten wie Kolonist oder Erdgeborener sowie psychologischen Profilen wie Rücksichtsloser oder Überlebender wählen - falls man diese nicht aus dem Vorgänger übernimmt. Sehr geschickt wird zu Beginn eine Diskussionsrunde platziert, in der Shepard nach seiner Operation zu seiner Vergangenheit und seinen politischen Reaktionen befragt wird: Eine clevere Idee, um die individuellen Erfahrungen aus dem Vorgänger noch mal Revue passieren zu lassen. Übrigens: Wer seine Spielstände übernimmt, soll sich laut BioWare auf einige mehr oder weniger erfreuliche Überraschungen gefasst machen, die sich darauf beziehen, welche Entscheidungen man im Vorgänger getroffen hat - wir sind gespannt.

Vor dem Spielen weihte Producer Adrien Cho die anwesenden Journalisten allerdings erstmal in die Designphilosophie ein: Im Herzen sei Mass Effect 2 zwar ein Rollenspiel, aber man wolle die Erfahrung in den Gefechten so intensivieren, dass die Spieler an Shooter der Marke Gears of War 2 , Killzone 2  & Co erinnert werden. Ziel der Entwicklung sei es gewesen, den etwas steifen

Viele bekannte Rassen wie Geth, Kroganer & Co sind dabei, aber auch neue Völker wie die Shisk tauchen auf.
Actionbereich packender und fordernder zu gestalten, indem man deutlich unterschiedliche und dickere Waffen, komfortablere und taktischere Manöver sowie clevere Gegner einbaut. Bin ich bei der falschen Präsentation? Oder hab ich zu viel Dragon Age gespielt?

"Wir wollen eine intensive Shooter-Erfahrung"

Mit diesem Fokus wurde ich zunächst etwas ernüchtert und irritiert. Denn diese Strategie hört sich für einen Rollenspieler verdächtig nach Actionverwässerung an. Die Verbesserungen sind ja lobenswert: Ein Colt soll wie ein Colt klingen und durchschlagen; Waffen überhitzen weiterhin, aber es gibt auch eine Beschränkung der Munition, man muss also sparsamer sein. Aber war nicht gerade das Rollenspiel im Weltall das Interessante an Mass Effect? Fehlte es nicht eher an Erkundungsreizen als an Explosionsorgien? Was interessiert mich, dass es jetzt auch Granatwerfer gibt? Oder dass Munition beschränkt ist, damit man nicht endlos mit den dicken Kalibern ballern kann? Wie auch immer: Ich mag auch gute Shooter - vor allem mit Deckungssystem. Letztlich wird es darauf ankommen, welchen Stellenwert die Gefechte innerhalb des Spielerlebnisses einnehmen werden.

            

Explosive Argumente: Action und Partikelpower stehen zunächst im Vordergrund.
Wenn sie die Spannungskurve mit ihrer Actionkraft straffen und das Rollenspiel hinsichtlich der Dialoge, der Missionen und Entscheidungen eher aufwerten als überlagern, dann ist alles okay. Das lässt sich aber leider noch nicht abschätzen, denn ich konnte Shepard nur eine Stunde begleiten. In dieser Zeit wurde ich etwas beruhigt: Erstens wirkt das Deckungssystem komfortabler, denn jetzt entscheide ich auf Knopfdruck wo und wann ich den Schutz nutze und kann gleichzeitig strafen. Zweitens ist die Pause noch da. Man kann per Schultertaste alles einfrieren und über ein komfortables Kreismenü eine Waffe, Granate, den Munitionstyp oder eine der Mächte wählen, um Gegner in die Luft zu befördern, Schilde zu deaktivieren oder Stromleitungen zu überhitzen, damit Schaden im ganzen Raum entsteht oder explosive Fässer detonieren.

Die Macht der Pause

Je nachdem welche Klasse man zu Beginn gewählt hat, hat man Zugriff auf diverse Spezialfähigkeiten: Der Söldner aktiviert über den Y-Knopf z.B. seinen Adrenalinrausch, der Infiltrator die taktische Tarnung und der Techniker eine Kampfdrohne - mit dem Stufenaufstieg kommen je nach Punktevergabe weitere wie Singularität, das Werfen, das Verbrennen oder das Hacken in vier Stufen hinzu. Wer den Spielfluss nicht unterbrechen will, legt sich die futuristische Magie einfach auf das Steuerkreuz und löst sie während der Schusswechsel quasi fließend aus. Sehr schön ist auch, dass man seine beiden Gefährten vor den Gefechten gezielt über das Steuerkreuz an bestimmte Orte schicken kann, um z.B. eine Tür beidseitig zu flankieren oder die Deckung optimal zu nutzen - diese taktische Aufteilung gab es im Vorgänger nicht.

Egal ob Animationen, Gestik oder Mimik: Die Kulisse ist hervorragend.
Allerdings kam die Action trotz aller Lippenbekenntnisse, dass man das Spiel im Sinne eines Demon's Souls "fordernder" gestalten möchte, noch nicht an die Intensität eines Killzone 2 heran, selbst wenn man mit den Blutspritzern im Sichtfeld ein ähnliches Schadens- und automatisches Heilsystem simuliert wie mittlerweile jeder Waldundwiesenshooter - nur dass hier Gesundheit und Panzerung die kombinierte Lebensenergie ausmachen. Obwohl es klasse anzusehen war, dass man auch die Gliedmaßen der Roboterfeinde abschießen und diese so zu Fall bringen oder entwaffnen konnte, ließen sie sich gerade aufgrund der Pausierung und Spezialfähigkeiten noch viel zu leicht besiegen. BioWare hat die Ladezeiten der Spezialkräfte ja deutlich verringert, so dass man öfter und schneller Feinde schweben, einfrieren oder detonieren lassen kann. Das Gefühl der Leichtigkeit mag daher rühren, dass das wirklich nur der Einstieg für Shepard war. Aber hier muss sich BioWare hinsichtlich der KI und des Anspruchs noch beweisen, wenn man sich selbst in einem Atemzug mit projektilgewaltigen Shootern nennt. Es wird übrigens fünf Schwierigkeitsgrade und eine 16er-Einstufung ohne Schnitte für Deutschland geben.

Wirklich packende Gefechte?

Was schon nach wenigen Minuten positiv auffällt, egal ob auf PC oder Xbox 360: BioWare hat die Unreal Engine 3 endlich im Griff. Wurde der Vorgänger noch von plötzlich auftauchenden Objekten, einigen schwachen Texturen sowie leichten Rucklern geplagt, fließen die Hintergründe hier sanft ins Blickfeld und die Bildwiederholrate gibt sich selbst in hitzigen Gefechten keine Blöße. Aber die Kanadier haben nicht nur an der Technik im Hintergrund geschraubt, auch das Offensichtliche hat einen qualitativen Sprung nach vorne gemacht: Egal ob Oberflächen, Animationen oder Mimik - dieses Abenteuer dürfte zu den schönsten des kommenden Spielejahres gehören. Zudem wirken die Schauplätze wie Bars und Flure belebter.

           

Wie im Vorgänger ist man in einem Dreierteam unterwegs, wobei man gezielt Befehle geben kann.
Vor allem wenn die Kamera die Gesichtszüge mit ihren feinen Muskel- und Augenbewegungen in der Frontale zeigt, scheint Fotorealismus plötzlich nicht mehr weit weg zu sein. Auch im Bereich des Interieurs und Waffendesigns darf man sich auf mehr Plastizität freuen. Noch viel interessanter für das Artdesign und die Atmosphäre ist aber, dass die Spielwelt düsterer und bedrohlicher wirkt - als Mensch ist Shepard zudem vielen Anfeindungen ausgesetzt, so dass ein Drink an der Bar schon mal zum Giftcocktail wird. Die Raumstation Omega verströmte im Vergleich zur ebenso sterilen wie heiteren Citadel eher ein mysteriöses und schauriges Flair. Dazu trugen auch die Quarantäne und die Seuchengefahr bei, die zu vielen abgeriegelten Arealen führte. Ob das Abenteuer sogar einen Hauch von Survival-Horror wehen lässt? Abwarten.

Futuristischer Fotorealismus

Das bisher Gesehene ist jedenfalls nicht nur zwei Klassen ansehnlicher als Dragon Age: Origins, sondern grafisch nah dran an dem, was die letzten großen Actionfeuerwerke auf Xbox 360 oder PlayStation 3 abgefackelt haben. Und auch was die Lokalisierung angeht, braucht man sich nach dieser kürzlich veröffentlichten Sprecherriege vermutlich keine Sorgen machen. Hoffentlich kann das Spiel auf lange Sicht auch mit genug Abwechslung hinsichtlich der futuristischen Schauplätze punkten - die Planeten des Vorgängers enttäuschten als karge Abgrashimmelskörper und letztlich gab es nur eine Stadt.

Wird Mass Effect 2 mehr und vor allem interessantere Planeten und Städte anbieten? Man konnte weder die Galaxiekarte öffnen noch selbst mit der Normandy fliegen. Und hier druckste Producer Adrien Cho etwas herum, weil man ja nicht zu viel

Wer steckt hinter den Entführungen der menschlichen Kolonisten?
spoilern wolle. Aber wir blieben hartnäckig und wollten wissen, ob und wie BioWare die fehlenden Erkundungsreize des Vorgängers kompensieren will. Leider gab es keine konkreten Antworten, sondern nur vage Hinweise darauf, dass alles abwechslungsreicher und je nach Auftrag auf den Planeten lebendiger zugehen soll. Es werde mehr und neue Völker wie die insektenähnlichen Shisk oder die mysteriösen Collectors geben; auch ein neues Fahrzeug sei dabei, zu dem man sich aber noch nicht äußern wollte.

Die Frage der Erkundungsreize

Genau so theoretisch bleibt es hinsichtlich der Dialoge, die um ein "Interrupt-System" bereichert werden sollen: Man kann seine Gesprächspartner mitten im Satz unterbrechen, um ihnen z.B. ins Gesicht zu schlagen oder direkt zur Waffe zu greifen - hört sich gut an, nur leider konnten wir das in der Spielzeit noch nicht ausprobieren.

Dafür zeigte sich das duale Moralsystem schon in Aktion: Je nachdem, welche Antworten Shephard gibt und welche Befehle er erteilt, gibt es entweder Plus- oder Minuspunkte für seine Vorbildfunktion: +1 Vorbild, +2 Abtrünniger. Das erinnert in den Grundzügen an die Loyalität in Dragon Age. Allerdings bleibt abzuwarten, inwiefern sich die Handlungen auch unterschiedlich auf die Gefährten auswirken. Ist Shepard ein Vorbild, wenn er Gutes tut oder ist er ein Vorbild, wenn er sich so verhält wie es die Moral des Partners erwarten würde? Dann würde er mit einer gnadenlosen Exekution bei einem militärischen Fanatiker Punkte sammeln und bei einem gesetzestreuen Soldaten welche verlieren. Besonders brisant soll es in Sachen Liebe und Loyalität abgehen: Wer sich nicht entscheidet, welche Romanze oder welchen Kameraden er beruflich bevorzugt

Im Gefecht mit Kampfrobotern und Androiden kann man gezielt Körperteile zerstören, um den Feind bewegungs- oder kampfunfähig zu machen.
und lange zwischen den Fronten hin und her laviert, muss mit Konflikten bis hin zu offenen Duellen rechnen. Im Gegensatz zu den sechs Crewmitgliedern aus dem Vorgänger kann man hier bis zu zehn anheuern.

Das heroische Vorbild

Ein großes Fragezeichen steht auch noch hinter der angekündigten Interaktion auf der Normandy, die wir nicht ausprobieren konnten: Das Raumschiff soll sich ja aktiv steuern lassen, man sammelt Rohstoffe über neue Minigames und man muss nicht nur auf den Treibstoff, sondern auch auf die Bewaffnung achten - je nachdem, welche Technologien man kauft oder im wissenschaftlichen Labor erforscht, laufen die Weltraumschlachten anders ab. Dabei soll es auch auf das Personal ankommen, das auf dem eigenen Schiff aktiv ist. Aber auch sonst soll es mehr Leben an Bord geben: Assistenten melden Vorkommnisse im All, man kann E-Mails bekannter NPCs abrufen und das Interieur farblich oder mit gekauften Accessoires wie z.B. einem Aquarium anpassen - auch die Fische soll man füttern können. Shephard selbst darf sein Outfit von leger bis soldatisch ändern.

Überaus neugierig macht zudem die Veränderung des Aussehens: Ähnlich wie in inFamous soll Shepard je nach Spielweise eher wie ein strahlender Held oder teuflischer Abtrünniger wirken - das hört sich gut an. Die beiden Hacking-Minispiele haben mir ebenfalls gefallen, obwohl sie noch zu einfach wirkten: Entweder muss man aus schnell von oben nach unten scrollenden Texten genau jenen treffen, der oberhalb angezeigt wird - und das mehrmals hintereinander. Oder man muss einen Schaltkreis aus jeweils zwei gleichen Symbolen aufbauen, indem man wie beim Memory danach sucht.      

Ausblick

Es ist düsterer, es ist schöner, es ist flüssiger: Nach einer Stunde Spielzeit hinterlässt Mass Effect 2 einen guten Eindruck. Allerdings ist es für Euphorie noch zu früh, denn mehr als sechzig Minuten mit Shepard wollte BioWare nicht gewähren. Mir ist nicht ganz klar, warum man Redakteure gerade in ein Rollenspiel, das seine Faszination ja erst über ein paar Stunden entfalten muss, nur so kurz in die Spielwelt reinschnuppern lässt - für einen Shooter mag das reichen, aber für ein Epos ist das als Grundlage für eine Einschätzung zu wenig. Zumal sich all das, was die Kanadier an Verbesserungen versprechen, verdammt gut anhört: Alles soll packender, vielfältiger und dramatischer werden. Das Raumschiff soll als interaktive Basis mit Aufrüstfunktion fungieren, das Weltall soll weitaus mehr Abwechslung sowie Erkundungsreize bieten und die Konflikte innerhalb der Besatzung sollen auf die Spitze getrieben werden. Hey, das wird auf dem Papier ein Hit! Aber warum versteckt man sich hinter der Spoilerangst und zeigt nix davon in der Praxis? So gerne ich gerade diesem Entwickler abnehmen würde, dass er seine faszinierende Theorie auch umsetzen kann, halte ich mich nach diesem Reinschnuppern lieber zurück. Denn nach dem bisher Gespielten wirkt Shephards Rückkehr eher wie ein technisch brillanter Ausflug für Actionfans. Die epischen Ausmaße dahinter konnte man bisher nur erahnen. Und ich hoffe, dass Mass Effect 2 letztlich nicht nur ein Shooter im Rollenspielpelz ist.

Ersteindruck: gut