Mass Effect 2 - Vorschau, Rollenspiel, 360, PlayStation3, PC
Angst vor den Menschenjägern
...das aus dem Vorgänger bekannte Raumschiff Normandy wird aus dem Nichts überfallen, regelrecht zusammen geschossen und die komplette Besatzung zur Shuttle-Evakuierung gezwungen - Shepard schwebt daraufhin dem Tod entgegen. Allerdings scheint ein politischer Flügel der Menschen die Brisanz der Vorfälle zu erkennen und offensiver reagieren zu wollen: Ein von der fundamentalistischen Cerberus-Fraktion finanziertes Projekt rettet Shephard das Leben, weil er der einzige sei, der jemals einen der mysteriösen Reaper töten konnte. Sie flicken seinen Körper zusammen und beauftragen den "Retter der Citadel", mit einigen alten Bekannten in die dunklen Bereiche des Weltalls vorzudringen. Wollen sie den Kriegshelden nur instrumentalisieren? Was geschah bei der Operation?
Vor dem Spielen weihte Producer Adrien Cho die anwesenden Journalisten allerdings erstmal in die Designphilosophie ein: Im Herzen sei Mass Effect 2 zwar ein Rollenspiel, aber man wolle die Erfahrung in den Gefechten so intensivieren, dass die Spieler an Shooter der Marke Gears of War 2 , Killzone 2 & Co erinnert werden. Ziel der Entwicklung sei es gewesen, den etwas steifen
Actionbereich packender und fordernder zu gestalten, indem man deutlich unterschiedliche und dickere Waffen, komfortablere und taktischere Manöver sowie clevere Gegner einbaut. Bin ich bei der falschen Präsentation? Oder hab ich zu viel Dragon Age gespielt?"Wir wollen eine intensive Shooter-Erfahrung"
Mit diesem Fokus wurde ich zunächst etwas ernüchtert und irritiert. Denn diese Strategie hört sich für einen Rollenspieler verdächtig nach Actionverwässerung an. Die Verbesserungen sind ja lobenswert: Ein Colt soll wie ein Colt klingen und durchschlagen; Waffen überhitzen weiterhin, aber es gibt auch eine Beschränkung der Munition, man muss also sparsamer sein. Aber war nicht gerade das Rollenspiel im Weltall das Interessante an Mass Effect? Fehlte es nicht eher an Erkundungsreizen als an Explosionsorgien? Was interessiert mich, dass es jetzt auch Granatwerfer gibt? Oder dass Munition beschränkt ist, damit man nicht endlos mit den dicken Kalibern ballern kann? Wie auch immer: Ich mag auch gute Shooter - vor allem mit Deckungssystem. Letztlich wird es darauf ankommen, welchen Stellenwert die Gefechte innerhalb des Spielerlebnisses einnehmen werden.
Die Macht der Pause
Je nachdem welche Klasse man zu Beginn gewählt hat, hat man Zugriff auf diverse Spezialfähigkeiten: Der Söldner aktiviert über den Y-Knopf z.B. seinen Adrenalinrausch, der Infiltrator die taktische Tarnung und der Techniker eine Kampfdrohne - mit dem Stufenaufstieg kommen je nach Punktevergabe weitere wie Singularität, das Werfen, das Verbrennen oder das Hacken in vier Stufen hinzu. Wer den Spielfluss nicht unterbrechen will, legt sich die futuristische Magie einfach auf das Steuerkreuz und löst sie während der Schusswechsel quasi fließend aus. Sehr schön ist auch, dass man seine beiden Gefährten vor den Gefechten gezielt über das Steuerkreuz an bestimmte Orte schicken kann, um z.B. eine Tür beidseitig zu flankieren oder die Deckung optimal zu nutzen - diese taktische Aufteilung gab es im Vorgänger nicht.
Wirklich packende Gefechte?
Was schon nach wenigen Minuten positiv auffällt, egal ob auf PC oder Xbox 360: BioWare hat die Unreal Engine 3 endlich im Griff. Wurde der Vorgänger noch von plötzlich auftauchenden Objekten, einigen schwachen Texturen sowie leichten Rucklern geplagt, fließen die Hintergründe hier sanft ins Blickfeld und die Bildwiederholrate gibt sich selbst in hitzigen Gefechten keine Blöße. Aber die Kanadier haben nicht nur an der Technik im Hintergrund geschraubt, auch das Offensichtliche hat einen qualitativen Sprung nach vorne gemacht: Egal ob Oberflächen, Animationen oder Mimik - dieses Abenteuer dürfte zu den schönsten des kommenden Spielejahres gehören. Zudem wirken die Schauplätze wie Bars und Flure belebter.
Futuristischer Fotorealismus
Das bisher Gesehene ist jedenfalls nicht nur zwei Klassen ansehnlicher als Dragon Age: Origins, sondern grafisch nah dran an dem, was die letzten großen Actionfeuerwerke auf Xbox 360 oder PlayStation 3 abgefackelt haben. Und auch was die Lokalisierung angeht, braucht man sich nach dieser kürzlich veröffentlichten Sprecherriege vermutlich keine Sorgen machen. Hoffentlich kann das Spiel auf lange Sicht auch mit genug Abwechslung hinsichtlich der futuristischen Schauplätze punkten - die Planeten des Vorgängers enttäuschten als karge Abgrashimmelskörper und letztlich gab es nur eine Stadt.
Wird Mass Effect 2 mehr und vor allem interessantere Planeten und Städte anbieten? Man konnte weder die Galaxiekarte öffnen noch selbst mit der Normandy fliegen. Und hier druckste Producer Adrien Cho etwas herum, weil man ja nicht zu viel
spoilern wolle. Aber wir blieben hartnäckig und wollten wissen, ob und wie BioWare die fehlenden Erkundungsreize des Vorgängers kompensieren will. Leider gab es keine konkreten Antworten, sondern nur vage Hinweise darauf, dass alles abwechslungsreicher und je nach Auftrag auf den Planeten lebendiger zugehen soll. Es werde mehr und neue Völker wie die insektenähnlichen Shisk oder die mysteriösen Collectors geben; auch ein neues Fahrzeug sei dabei, zu dem man sich aber noch nicht äußern wollte.Die Frage der Erkundungsreize
Genau so theoretisch bleibt es hinsichtlich der Dialoge, die um ein "Interrupt-System" bereichert werden sollen: Man kann seine Gesprächspartner mitten im Satz unterbrechen, um ihnen z.B. ins Gesicht zu schlagen oder direkt zur Waffe zu greifen - hört sich gut an, nur leider konnten wir das in der Spielzeit noch nicht ausprobieren.
Dafür zeigte sich das duale Moralsystem schon in Aktion: Je nachdem, welche Antworten Shephard gibt und welche Befehle er erteilt, gibt es entweder Plus- oder Minuspunkte für seine Vorbildfunktion: +1 Vorbild, +2 Abtrünniger. Das erinnert in den Grundzügen an die Loyalität in Dragon Age. Allerdings bleibt abzuwarten, inwiefern sich die Handlungen auch unterschiedlich auf die Gefährten auswirken. Ist Shepard ein Vorbild, wenn er Gutes tut oder ist er ein Vorbild, wenn er sich so verhält wie es die Moral des Partners erwarten würde? Dann würde er mit einer gnadenlosen Exekution bei einem militärischen Fanatiker Punkte sammeln und bei einem gesetzestreuen Soldaten welche verlieren. Besonders brisant soll es in Sachen Liebe und Loyalität abgehen: Wer sich nicht entscheidet, welche Romanze oder welchen Kameraden er beruflich bevorzugt
und lange zwischen den Fronten hin und her laviert, muss mit Konflikten bis hin zu offenen Duellen rechnen. Im Gegensatz zu den sechs Crewmitgliedern aus dem Vorgänger kann man hier bis zu zehn anheuern.Das heroische Vorbild
Ein großes Fragezeichen steht auch noch hinter der angekündigten Interaktion auf der Normandy, die wir nicht ausprobieren konnten: Das Raumschiff soll sich ja aktiv steuern lassen, man sammelt Rohstoffe über neue Minigames und man muss nicht nur auf den Treibstoff, sondern auch auf die Bewaffnung achten - je nachdem, welche Technologien man kauft oder im wissenschaftlichen Labor erforscht, laufen die Weltraumschlachten anders ab. Dabei soll es auch auf das Personal ankommen, das auf dem eigenen Schiff aktiv ist. Aber auch sonst soll es mehr Leben an Bord geben: Assistenten melden Vorkommnisse im All, man kann E-Mails bekannter NPCs abrufen und das Interieur farblich oder mit gekauften Accessoires wie z.B. einem Aquarium anpassen - auch die Fische soll man füttern können. Shephard selbst darf sein Outfit von leger bis soldatisch ändern.
Überaus neugierig macht zudem die Veränderung des Aussehens: Ähnlich wie in inFamous soll Shepard je nach Spielweise eher wie ein strahlender Held oder teuflischer Abtrünniger wirken - das hört sich gut an. Die beiden Hacking-Minispiele haben mir ebenfalls gefallen, obwohl sie noch zu einfach wirkten: Entweder muss man aus schnell von oben nach unten scrollenden Texten genau jenen treffen, der oberhalb angezeigt wird - und das mehrmals hintereinander. Oder man muss einen Schaltkreis aus jeweils zwei gleichen Symbolen aufbauen, indem man wie beim Memory danach sucht.
Ausblick
Es ist düsterer, es ist schöner, es ist flüssiger: Nach einer Stunde Spielzeit hinterlässt Mass Effect 2 einen guten Eindruck. Allerdings ist es für Euphorie noch zu früh, denn mehr als sechzig Minuten mit Shepard wollte BioWare nicht gewähren. Mir ist nicht ganz klar, warum man Redakteure gerade in ein Rollenspiel, das seine Faszination ja erst über ein paar Stunden entfalten muss, nur so kurz in die Spielwelt reinschnuppern lässt - für einen Shooter mag das reichen, aber für ein Epos ist das als Grundlage für eine Einschätzung zu wenig. Zumal sich all das, was die Kanadier an Verbesserungen versprechen, verdammt gut anhört: Alles soll packender, vielfältiger und dramatischer werden. Das Raumschiff soll als interaktive Basis mit Aufrüstfunktion fungieren, das Weltall soll weitaus mehr Abwechslung sowie Erkundungsreize bieten und die Konflikte innerhalb der Besatzung sollen auf die Spitze getrieben werden. Hey, das wird auf dem Papier ein Hit! Aber warum versteckt man sich hinter der Spoilerangst und zeigt nix davon in der Praxis? So gerne ich gerade diesem Entwickler abnehmen würde, dass er seine faszinierende Theorie auch umsetzen kann, halte ich mich nach diesem Reinschnuppern lieber zurück. Denn nach dem bisher Gespielten wirkt Shephards Rückkehr eher wie ein technisch brillanter Ausflug für Actionfans. Die epischen Ausmaße dahinter konnte man bisher nur erahnen. Und ich hoffe, dass Mass Effect 2 letztlich nicht nur ein Shooter im Rollenspielpelz ist.
Ersteindruck: gut