Enslaved: Odyssey to the West - Vorschau, Action-Adventure, 360, PC, PlayStation3

Enslaved: Odyssey to the West
22.09.2010, Benjamin Schmädig

Vorschau: Enslaved: Odyssey to the West

»Wie können die so was machen?« fragt sie. Ich kann Trip nicht sehen, aber ihre Worte zittern so fassungslos, dass ich das Grauen beinahe greifen kann. Ihr Dorf wurde dem Erdboden gleich gemacht, doch anstatt zu schreien oder um sich zu schlagen, rührt mich ihre leise, gebrochene Stimme fast zu Tränen. Oberflächlich gesehen ist Enslaved ein ganz normales Action-Adventure. Vor allem aber ist es eine Liebeserklärung an seine sympathischen Protagonisten.

Dabei kenne ich Trip gar nicht. Auch diesen Monkey nicht, in dessen Haut ich geschlüpft bin. Ich kenne aber ihre Welt: ein einzigartig idyllischer Dschungel, der sich 150 Jahre lang über den Ruinen eines völlig zerstörten Amerikas ausgebreitet hat. Unser Abenteuer begann an Bord eines Luftschiffs. Trip schaffte es irgendwie, aus ihrer Gefängniszelle auszubrechen und den abstürzenden Sklaventransporter in einer Rettungskapsel zu verlassen - mit dem ebenfalls ausgebüchsten Monkey an Bord. Nach der Bruchlandung hatte die Dame schließlich genug Zeit, ihrem bewusstlosen Begleiter ein Sklaven-Stirnband aufzusetzen. So sichert sie sich die Dienste des bulligen Akrobaten. »Wenn ich sterbe, stirbst du«, erklärt sie die Funktionsweise des Bandes. Hübsches Mistding!

Das zwingende Band

Der wortkarge Kämpfer soll sie nach Hause bringen, denn alleine traut sich das technisch versierte aber verletzliche Fräulein nicht durch die verlassene, von feindseligen Robotern beherrschte Einöde.

Video: Der TGS-Trailer unterstreicht die brachialen Kampfszenen.An diesen Metallgerippen soll ich, soll Monkey, sie vorbei schleusen. Trip modifiziert dafür eine mechanische »Libelle«, die über ein weites Areal fliegen und mir wichtige Informationen geben kann. Ich sehe dann, dass manche der Roboter wie Wachposten auf und ab laufen, manchmal auch so lange »schlafen« wie wir keinen Alarm auslösen. So bleiben mir oft zwei Möglichkeiten: Ich könnte unsere Feinde umgehen oder sie einfach attackieren.

Im Nahkampf fährt Monkey einen Kampfstab aus, der aus manchen Gegnern schon nach wenigen Schlägen Altmetall macht. Zweimal leichter, einmal schwerer Schlag - Monkeys Techniken sind nicht ansatzweise so einfallsreich wie die Narikos, Bayonettas oder Kratos'. Dafür bekommt er es mit Robotern zu tun, die mal einen Schild tragen, mal im gefährlichen Rudel angreifen und von denen einige gar Verstärkung rufen, falls er sie nicht binnen weniger Sekunden ausschaltet. So entbrennen zwar selten fordernde taktische Scharmützel; es kommt aber zu einem angenehm brachialen Schlagabtausch, der so ganz ohne Köpfchen denn auch schwer zu knacken ist. Nicht zuletzt muss sich Monkey einigen Feinden aus der Entfernung annehmen, denn unter Beschuss wird er schnell verletzt: Je nach Gegner feuert er mit seinem Kampfstab deshalb auch Betäubungsmunition oder scharfes Kaliber. Richtig auftrumpfen kann er aber erst dann, wenn er einen Roboter genug beschädigt hat, dass ich ihm mit einem mächtigen Finisher den Rest geben darf. Meist verschafft er sich so zudem wichtige Vorteile - etwa wenn er einen explodierenden Wächter auf einen anderen wirft oder einen Geschützturm kapert.

Köpfchen gegen Kugellager

Und Trip schaut nicht nur untätig zu: Auch wenn sie sich meist versteckt hält, muss sie manchmal die Aufmerksamkeit der mechanischen Wächter auf sich ziehen, damit Monkey unbeschadet ein weites Areal ohne Deckung überwinden kann. Im Gegenzug kann auch Monkey Wachen ablenken und seine Gefährtin zu sich rufen, während ihn die Roboter aufs Korn nehmen. Im Fall der Fälle verpasst sie ihm außerdem eine lebensrettende Spritze. Viele Herausforderungen entpuppen sich so als akrobatische actionreiche Puzzles, über die ich zunächst einen Überblick erhalte und durch die ich anschließend einen Weg erknobeln muss.

Trip kennt sich mit Computern aus, Monkey ist der Kerl fürs Grobe. Gut, dass sie ihn per Sklavenstirnband im Zaum hält, oder?
Schließlich kann ich die junge Dame sogar bitten, Monkeys Waffen und Fähigkeiten aufzubessern. Als Währung dienen leuchtende Kugeln, die ich von erschlagenen Gegnern auflese oder in versteckten Ecken finde.

Obwohl sich Monkey nämlich stets auf geraden Bahnen durch die verlassene Postapokalypse bewegt - von den teils sehr umfangreichen »Puzzle-Arenen« abgesehen - findet er z.B. auf versteckten Plattformen zusätzliche Kugeln. Werden Kletterkünste und Erkunden also belohnt? Bislang leider kaum. Denn obwohl Klettern ein wichtiger Teil des Abenteuers ist, sind alle Vorsprünge deutlich markiert, sämtliche Sprünge werden automatisch ausgeführt, Fehltritte gibt es nicht. Nur manchmal spielt die Schnelligkeit meines Knopfdrucks eine Rolle. In den ersten Stunden hat mich Enslaved deshalb leider kaum gefordert. Das Klettern und die abwechslungsreichen Kämpfe sind vielversprechend - in der zweiten Hälfte will ich aber, dass meine erlernten Fähigkeiten auch auf die Probe gestellt werden. Monkey muss auch mal in die Tiefe fallen, auch mal einen Kampf verlieren, sich auch mal vor Trip blamieren.

Eine Blamage?

Fasziniert haben mich bislang besonders jene Momente, in denen das Team um Designchef Tameem Antoniades geschickt Spiel und filmische Inszenierung verbindet. Spätestens dann, wenn die beiden Protagonisten eine zerfallene Brücke empor klettern, ist ihr Abenteuer ein ganz starkes: Ganz langsam baut sich die Musik auf; der leise Begleiter schwillt fast unbemerkt zum drohenden Mahnen an, während immer mehr Plattformen unter den Füßen von Trip und Monkey in die Tiefe fallen. Es gibt keine künstlich aufgebauschte Panik - die rhythmische Dynamik der Bilder alleine spricht Bände. Plötzlich ist mir egal, dass Monkey stets den richtigen Vorsprung greift. Immer wieder setze ich Trip auf die Schultern des Hünen, damit wir schnell genug voran kommen. Über manche Abgründe kann sie ohnehin nicht springen, also hieve ich sie kurzerhand hinüber. Als sie einmal fast in die Tiefe stürzt, muss ich schnell zu ihr springen und sie nach oben ziehen... 

Ausblick

Trip und Monkey erleben zahlreiche Szenen, in denen das Spiel - ihr Zusammenspiel - im Vordergrund eines packenden Films steht. Darin liegt die große Stärke des Abenteuers: Antoniades will laut eigener Aussage eine bewegende Geschichte erzählen, in der der Handlung eine untergeordnete Rolle zukommt. Dem Regisseur geht es um glaubwürdige Charaktere, um deren Gefühle und um ihre Beziehung zueinander. Und wenn sich die beiden leise »Bitte« und »Danke« sagen, wenn Trip verlegen lächelt oder Monkey ihr die Hand reicht, erschafft er tatsächlich außergewöhnlich lebendige Figuren. Im zweiten Teil muss Antoniades jetzt mit ihnen arbeiten, ihre Beziehung zueinander vertiefen. Und auch ihr spielerisches Abenteuer muss er weiter entwickeln: Es muss vom interaktiven Film zur fordernden Achterbahnfahrt werden. Wenn ihm diese wichtigen Schritte so gut wie die Einführung gelingen, könnte Enslaved ein außergewöhnlicher emotionaler Krimi werden! Falls nicht, könnte es allerdings auch ein hübsches Abenteuer mit vielen guten, aber letztlich nicht konsequent zu Ende gedachten Ideen bleiben.

Ersteindruck: sehr gut