Grand Theft Auto 4 - Vorschau, Action-Adventure, 360, PC, PlayStation3
Es spricht für das Selbstvertrauen der Entwickler, wenn sie die Präsentation mit einem Blick auf eine gigantische Werbetafel beginnen lassen, auf der groß das Wort »Pißwasser« [sic!] prangt - offenbar ein in Liberty City sehr erfolgreiches Erfrischungsgetränk. Niko Bellic tummelt sich am Strand, auf dem Wasser schaukeln Blätter, eine Coladose sowie eine leere Zigarettenschachtel, ein paar Meter weiter macht ein forscher Zeitgenosse ein wenig
Tai-Chi. Ich bin allerdings nicht hier, um inneren Frieden zu finden, ganz im Gegenteil, meine Mission beinhaltet äußeren Krieg! Das 360-Pad wandert in meine Hände, ein frisch polierter Sportwagen steht am Straßenrand - also nix wie rein: Ich drücke den rechten Trigger voll durch, einen Donut später wird mir nicht nur klar, dass die Karre Heckantrieb hat, sondern auch, dass das Fahrmodell gründlich überarbeitet wurde. Klar, aus GTA wird nicht mal eben GTR, aber die Vehikel steuern sich nicht mehr ganz so arcadig wie bisher: Wagen mit dicken Stoßdämpfern schaukeln wie ein Gummiboot inmitten eines Hurricanes, Motorräder haben einen verdammt langen Bremsweg, und mal eben mit Vollgas durch die individuell benannten Straßen Liberty Citys zu düsen, ist jetzt nicht ohne Weiteres möglich.Her mit diesem Pad!
Das ist mir zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht völlig bewusst, weswegen ich gut 300 Meter weiter eine wichtige Lektion lerne: Eine stabile Wand ist eine stabile Wand ist eine stabile Wand. Wer FlatOut kennt, der weiß, was mit dem Insassen eines Autos passiert, das mal eben gegen ein solides Hindernis rast - er fliegt in hohem Bogen durch die Windschutzscheibe. So auch Niko Bellic, der, Euphoria-Physikengine sei Dank, nach einer interessanten Flugbahn zappelnd, rotierend und ausgesprochen schmerzhaft wieder auf dem asphaltierten Boden der Tatsachen ankommt. Autsch! Dieser Ausdruck wird vom erheblich gesunkenen Lebensenergiebalken verstärkt, der gleich noch weiter schrumpft, als ich mir ein wenig zu lange die Wunden lecke: In früheren GTAs war es die Ausnahme, dass man mal von einem vorbeirauschenden Wagen erfasst wurde - in GTA 4 ist das die Regel: Wer sich »Jahaaaa, kommt ihr nur!«-pranzend auf die Straße stellt, ist schneller platt als ein Faultier auf der Autobahn. Die »zivilen« Fahrer nehmen nur gelegentlich Rücksicht auf Niko; zack, schon wieder kann das Physiksystem seine Muskeln spielen lassen, indem es mein polygonales Ich nach forschem Blechkontakt ein paar Meter durch die Luft schleudert - die Straßen hier sind wahrhaftig gefährliche Pflaster!
Dass das neue Liberty City nicht viel mit dem alten Liberty City zu tun hat, sondern vielmehr im Großen und Ganzen eine vereinfachte Variante von New York darstellt, ist kein großes Geheimnis. Wer das Ganze visualisiert haben möchte, lege einfach eine Karte von NY über die von
LC und freue sich: Die Ähnlichkeiten sind frappierend. Aber natürlich bleibt Liberty City Liberty City, daher tragen alle Straßen, Plätze und Sehenswürdigkeiten eigene Namen: Aus dem Times Square wird »Star Junction«, statt im Central Park trifft man sich im »Middle Park« - und selbst die Freiheitsstatue tummelt sich als »Statue of Happiness« im Spielgebiet, allerdings nicht auf Liberty Island, sondern auf »Happiness Island«. Und wie es sich für NY/LC gehört, sind die Straßen voll: Massig Autos, LKWs, Busse und Motorräder sorgen für knifflige Verfolgungsjagden, hin und wieder müsst ihr sogar damit leben, in einem Stau zu stehen. Dann könnt ihr natürlich immer noch aussteigen und ein Stück des Weges zu Fuß gehen. Oder einfach auf Teufel komm raus das Gaspedal mit dem Bodenblech bekannt machen und euren Weg gewaltsam durchdrücken. Das sorgt zum einen für die interessante Erkenntnis, dass die Entwickler das Schadensmodell erheblich verfeinert haben: Nicht nur fast schon Burnout'sche Crashes, sondern auch »normale« Stupser verbeulen das teilweise schön metallisch glänzende Blech realistisch, die obligatorisch wegflatternde Motorhaube offenbart den detailliert modellierten Motorraum.Die glücklichste Statue der Welt
Zum anderen erweckt man mit solchen Aktionen natürlich die Aufmerksamkeit der Freunde und Helfer, die, schlechte Nachrichten für Haudruffs, erheblich dazu gelernt haben: Es wird scharf geschossen, es wird gedrängelt, es wird eingekeilt! Das Fahndungssystem haben wir ja schon in unserer ersten Vorschau besprochen, jetzt habe ich am eigenen Leib erfahren,
was es heißt, wenn man ein Vier-Sterne-Verbrecher ist: Mit lediglich einem »Gesucht«-Stern braucht man im Grunde nur um die nächste Ecke zu fahren, um aus dem Schneider zu sein - mit vieren ist ein großer Teil von »Algonquin« (das hiesige Manhattan) rot und blau, mit sechsen (dem Maximum) dürfte endgültig bewiesen sein, dass sich Verbrechen nicht lohnen. Dann hat man nicht nur unzählige Autos, sondern auch schwer gepanzerte SUVs, Helikopter und auch Boote im Nacken. Letztere spielen deswegen eine wichtige Rolle, weil Niko zwar schwimmen, aber nicht tauchen kann - ein schnelles Verschwinden im See, was bei San Andreas noch wunderbar funktionierte, endet also bei einem hohen Fahndungslevel fast immer mit einer Niko-förmigen Wasserleiche.Die GTA-Serie stand seit dem ersten Teil unter dem Stern grimmigen, überzeichneten Comic-Humors; eine Eigenschaft, die hiesigen Jugendschützern das eine oder andere Mal die Zensurröte ins Gesicht steigen ließ. Resultat: Hierzulande musste man auf Rampages oder Enthauptungen verzichten. Das ist auch in GTA 4 so, betrifft allerdings zur Abwechslung mal nicht nur die leidensfähigen Deutschen, denn Rockstar Games hat das Spiel absichtlich von Anfang an weniger auf Comic, sondern mehr in Richtung Realismus designt. Konsequenz: Es gibt noch Blut, aber deutlich weniger als gehabt, keine Rampages, kein Splatter, keine explodierenden Köpfe, keine »Töte in zwei Minuten soundso viele Mitglieder einer ethnischen Minderheit«-Missionen mehr. Klar, diese übertriebene Gewalt gehörte immer zur Serie, ein mittelernst gemeinter Aufschrei ob des Verlustes ist durchaus akzeptabel. Aber nicht nötig: Es gibt immer noch genug Pistolen, Scharfschützengewehre, Raketenwerfer, Uzis und Granaten, um für die eine oder andere Kontroverse zu sorgen. Auch wenn wir uns dieses Mal keine Gedanken um etwaige Schnitte zu machen brauchen; die USK hat dem Spiel bereits ein rotes Siegel für Erwachsene bescheinigt.
Ein Schnitt zurück
Unabhängig davon, was eine große deutsche Spielezeitschrift nach wie vor hartnäckig behauptet - GTA 4 ist bislang nicht für den PC angekündigt, und sieht demzufolge auf dem PC auch nicht super aus. Auf 360 hingegen ist es ein Schmuckstück, auch wenn ich nach wie vor kein großer Freund der krümeligen Schatten-Interferenzen (siehe zweite Vorschau) bin. Der Rest jedoch ist klasse: Die Stadtdschungel ist irre groß und detailreich, die Sonne, die beschleunigt
über den Himmel wandert (eine Stunde im Spiel = zwei Minuten vor dem Fernseher, also halb so schnell wie bislang in GTA üblich), sorgt für stimmungsvoll ausgeleuchtete Szenarien. Das Wetter ist wie üblich dynamisch, wenn man mal ein wenig faulenzt, kann man z.B. der Wolkenbildung zusehen, was schlussendlich für durchweichte Klamotten und fieseres Fahrverhalten sorgt - der Regen sorgt für eine dichte Tropfenwand und eine glänzende, pladdernde Straße. Nicht nur in diesem Zusammenhang stellen die Designer ihre Liebe fürs Detail unter Beweis: Bei Regen packen manche Passanten den Schirm aus, bekommt man im Auto einen Anruf, ertönen die berüchtigten »dit-didit-didit-didit«-Rückkopplungen und die Musik wird leiser, muss man eine Mission wiederholen, bekommt man teilweise andere Fahrdialoge zu hören, um Wiederholungen zu vermeiden. Okay, das ist alles nur Kleinkram, der sorgt in der Summe aber dafür, dass Liberty City mehr ist, als nur eine Polygonkulisse, in der man eine Mission nach der anderen vor den Latz geknallt bekommt.Vorsicht, Schliddergefahr!
Von denen durfte ich vier spielen, die dem Design bisheriger GTA-Einsätze folgten: In »Jamaican Heat« musste ich Little Jacob unter die Arme greifen, einem Klischee-Jamaikaner, der während der Fahrten das Auto von innen zur Räucherkammer machte (wer sich an die Szene aus Scary Movie erinnert, in der Shorty samt Freunden auf der Straße anhält, der weiß, wie die Karre in GTA 4 aussieht, wenn Little Jacob mitfährt) - und der schusskräftige Unterstützung bei einem Drogengeschäft brauchte. »Harbouring A Grudge« gesellt Packie an Nikos Seite,
eine Labertasche mit Alkoholproblemen, der eine große Drogenlieferung klauen will. Zuerst wird der Deal überwacht, dann werden die Wachen ausgeschaltet, danach der vollbeladene LKW geklaut - und schließlich liefert sich Niko noch eine wilde Verfolgungsjagd mit dem sauren Rest der anwesenden Drogenmafia. Bei dieser Gelegenheit hatte ich großen Spaß an der neuen Funktion, den Blick nach hinten zu wenden und Granaten aus dem Seitenfenster zu schnipsen - optimal, um nervende Drängler auf ihre Fehler aufmerksam zu machen. Diese und die weiteren Missionen werden wie üblich von Echtzeit-Zwischensequenzen ein- und ausgeleitet, die, so und nicht anders ist man es von Rockstar gewöhnt, fantastisch inszeniert sind. Die Animationen, die Mimik, die Gestik und vor allem die englische Sprachausgabe, die mit herrlich vielen Akzenten durchsetzt (und optional mit deutschen Untertiteln versehen) ist - geil! In diesen zeigt der sonst so schroff wirkende Niko sogar das eine oder andere Gefühl, hier wird mal gelächelt, das wird mal etwas tapsig geflirtet. Und hier gibt es auch die meisten Hinweise auf die mysteriöse Vergangenheit des Osteuropäers: Ein aufmerksames spitzen meiner Ohren ergab die Erkenntnis, dass er mal in einem Krieg gekämpft hat und auch schon im Knast saß - da bleiben noch viele, viele Fragen offen. Und das ist auch gut so.Ausblick
Die Entwickler wären schön blöd, wenn sie das bewährte Spielprinzip komplett umkrempeln, es finden auch so schon genug Neuerungen statt, die Fans der Vorgänger erstmal schlucken lassen: Weniger Comic-Gewalt, mehr Realismus. Weniger Arcade-Rasen, mehr glaubwürdiges Fahrmodell. Weniger Augen-zu-und-durch-Gefechte, mehr taktisches Nutzen von Deckung. Jup, GTA wird erwachsen - und es fühlt sich dabei so gut an! Das Gamepad in der Hand mag ein neues sein, das Spiel wirkt vertraut; Jünger der Serie brauchen keine Angst vor tiefschürfenden Veränderungen zu haben. Die anderthalb Stunden, in denen ich frei durch Liberty City cruisen konnte, hinterließen einen wunderbaren, intelligenten, spannenden, aufregenden Eindruck; das Pad zurück zu geben fiel mir verdammt schwer. 60 Tage noch. Zählt mit!
Ersteindruck: sehr gut