Drakensang - Vorschau, Rollenspiel, PC
"Wir wollen kein Hack'n Slay machen. Wir wollen kein Action-Rollenspiel machen. Wir wollen echtes Party-Rollenspiel mit guten Dialogen und taktischen, pausierbaren Kämpfen anbieten." Die Freude an der Arbeit steht Creative Director Bernd Beyreuther ins Gesicht geschrieben: Seine Augen leuchten, wenn es um Aventurien geht. Kein Wunder, denn er hat in den 80ern selbst Das Schwarze Auge (DSA) am Brett gespielt, sich mit Stift und Papier durch Dungeons gewühlt.
Baldur aus Berlin
Das sind alles lobenswerte Vorsätze in einer Zeit, in der Rollenspiele meist nicht mehr sind als kitschiger Kloppmist in Leveltretmühlen. Momentan arbeiten etwa 50 Leute bei Radon Labs an Beyreuthers "Traumtitel", der schon seit 2003 konzeptionell und seit 2005 praktisch in Vorbereitung ist; schon im Juli soll es dann endlich so weit sein - zwar ohne Onlinevariante, aber dafür mit epischer Story für Solisten. Angesichts der Firmenvita ist die Euphorie im Team verständlich: Das letzte große Projekt liegt fast fünf Jahre zurück, hieß Project Nomads und landete bei CDV schnell im Ramschregal. Die Zeit bis heute hat man mit spielerisch wenig gehaltvollen Auftragsarbeiten à la Riding Star, Verliebt in Berlin, Sport Fishing Pro oder CrazyChicken Approaching verbracht.
Hoffnungsträger: Kampfsystem
Beyreuther betont, dass man "kein The Witcher" sein will, dass auch sein "zwölfjähriger Sohn" dieses Spiel ohne Bedenken entdecken soll. Wer auf ein erwachsenes Abenteuer hofft, könnte also enttäuscht werden? Das kommt natürlich auf die Interpretation an. Dass man statt Gewalt und Sex lieber auf Epos und Humor setzt, ist theoretisch vollkommen in Ordnung. Aber dann muss der Stil auch passen, wenn man nicht ins Kindische abrutschen will. Bisher wirkten die lustigen Szenen und humoristisch gefärbten Dialoge noch reichlich aufgesetzt. Und wenn es ernst werden sollte, fehlte es an Brisanz. Wenn man einen Hinweis von "Feldwebel Erland" bekommt, der sich Sorgen um "Mordbuben" macht oder wenn man erfährt, dass im "Dunkelwald ein verhextes Wolfsrudel" herumstromert, dann sorgte das nicht gerade für Spannung.
Die Charaktererschaffung
Einen ausgewachsenen Editor gibt es also nicht, aber Kenner werden sich abseits der Lebens- und Astralenergie über die vielen Charakterwerte freuen: Es gibt nicht nur Körperkraft, Gewandtheit und Konstitution, sondern auch Mut, Klugheit, Intuition, Charisma, Fingerfertigkeit & Co. Und das ist nicht nur Staffage: Eure kommunikativen Talente haben z.B. Einfluss auf die Dialogmöglichkeiten wie das Einschmeicheln oder Einschüchtern. Nur, wer seinen Charakter dahingehend schult, bekommt auch diese Optionen.
Das Kampfsystem erinnert jedenfalls angenehm an Baldur's Gate. Eure Gruppe besteht maximal aus sechs Figuren - vier Charaktere plus z.B. ein beschworenes Wesen sowie ein Tierbegleiter sind möglich; Formationen wie im BioWare-Klassiker gibt es allerdings nicht. Sobald ihr einen Feind seht, könnt ihr das Spiel pausieren und in aller Ruhe Waffen oder Zauber ausrüsten, wechseln, anwenden.
Das Kampfsystem
Egal, was im Kampf passiert - nicht der schnelle Klick, sondern der Wert entscheidet: Im Hintergrund ist immer das Regelwerk von DSA aktiv, und zwar in einer für das Spiel angepassten Mischung aus der dritten und vierten Edition. Das heißt, dass Angriffserfolge immer auch auf Statistik beruhen. Die je nach Würfelergebnis unterschiedlich animierten Kämpfe sind auch das optische Highlight: Die Schlag- und Ausweichbewegungen können sich sehen lassen; man erkennt ganz genau, wie eine Klinge nach erfolgreicher Verteidigung auf den Schild kracht oder eine Axt mit voller Wucht einschlägt - sehr schön!
Gruppe & Partyinteraktion
Richtig langweilig gestaltete sich das Aufeinandertreffen mit einer der mächtigsten Gestalten Aventuriens: Seine Magnifizienz und Erzmagier Rakorium Muntagonus. Nach einem kurzen Trip durch eine Höhle und ein paar Textzeilen begleitet der Gandalfverschnitt die Gruppe, versprüht herzlich wenig arkanes Charisma und beteiligt sich noch nicht mal am Kampf.
Natürlich handelt es sich noch nicht um die finale Szene, aber bis zum Juli hat das Team wirklich noch viel zu tun, wenn man gleich in den ersten Stunden gepackt werden soll. Insgesamt soll es übrigens etwa zehn Nicht-Spieler-Charaktere (NSC) geben, denen ihr begegnen könnt. Ich bin gespannt, inwiefern die Party-Interaktion, die noch nicht erkennbare Story sowie die Questkultur hier auf lange Sicht noch punkten können. Letztere zeigte sich in der Anfangsphase noch von der einfallslosen Seite: Man trifft einen Jäger und muss ihm tatsächlich bei seinem "Wolfsproblem" oder "Bärenproblem" helfen - World of WarCraft lässt grüßen.Wie lebendig, wie reaktiv ist die Spielwelt? Da muss man sich noch große Sorgen machen. Es gibt nämlich weder ein Moralsystem noch eine Exekutive wie eine Stadtwache. Sprich: Ihr könnt nicht gezielt Gutes oder Böses tun oder im Knast landen wie etwa in den handelsüblichen D&D-Spielen oder Oblivion. Das Fehlen dieser ethischen Instanz muss nicht schlecht sein, wenn man auch so das Gefühl von Freiheit während der Quests hat. Bisher gab es zwar angenehme Alternativen auf dem Weg zum Ziel, aber noch wenig Entscheidungsmöglichkeiten innerhalb der Dialoge: Man konnte quasi niemandem vor den Kopf stoßen, kein Gezänk oder gar einen Angriff vom Zaun brechen.
Wo sind Konsequenzen?
Wir haben natürlich nachgefragt, warum es keine Konsequenzen, warum es keinen Kerker oder Angstreaktionen gibt: Einerseits wolle man den Spieler nicht unnötig über Strafen frustrieren, andererseits hätte die Implementierung von Polizei & Co noch mehr Zeit und Ressourcen verlangt. Das sind natürlich unbefriedigende Antworten, wenn man sich Baldur's Gate zum Vorbild wählt. Entsteht Nervenkitzel nicht erst dann, wenn ich mit schlimmen Konsequenzen rechnen muss? Und habe ich als Spieler eines Taschendiebs nicht etwas mehr Rollenspiel verdient?
Die Technik
Man verzichtet auf eine Open World à la Oblivion oder Two Worlds und serviert Regionen in kleinen Häppchen von etwa einem Quadratkilometer, die von Bergen oder Flüssen begrenzt werden. Wie in den Vorgängern kann man entfernte Regionen per Überlandreise erreichen: Sobald man einen Ort auf seiner Weltkarte verzeichnet hat, kann man diesen über einen Klick erreichen - aber Vorsicht: Zufallsbegegnungen inklusive. Dafür braucht man sich um Hunger, Durst und Schlaf keine Gedanken machen. Es gibt auch keinen dynamischen Tag- & Nachtwechsel, sondern je nach Abschnitt fest vorgeschriebene Licht- und Wetterverhältnisse. Die sorgen hier und da bereits für angenehme Waldstimmungen, aber liegen eine Klasse unter der Pracht eines Oblivion. Wer sich näher an Böden, Hügel & Co begibt, wird zudem viel Schwammiges statt Profiliertes entdecken: Die scharfen Konturen von Felsen wird man vergeblich suchen. Außerdem enttäuscht die Kulisse auf technischer Seite noch mit vielen Pop-Ups sowie ausgerollten Texturen in der mittleren Distanz - das Gras läuft quasi mit.
Ausblick
Ich freue mich, dass wieder ein echtes Party-Rollenspiel entwickelt wird. Und ich freue mich, dass wieder rundenbasierte Kämpfe statt Kloppmist im Vordergrund stehen sollen. Das Konzept ist lobenswert, die Richtung stimmt. Aber das, was ich bisher spielen konnte, hat mich trotz üppiger Talente und großer Charakterauswahl nicht begeistert. Dass die Nebula Engine technische Defizite zeigt und mit Pop-Ups sowie faden Texturen zu kämpfen hat, dass es weder eine Open World noch Tag- & Nachtwechsel gibt, kann man angesichts der gut eingefangenen Atmosphäre verschmerzen: Dank authentischer Architektur und idyllischer Landschaft wird Aventurien hier durchaus lebendig. Fans wird es zudem freuen, dass viele Figuren und Schauplätze der Pen&Paper-Vorlage 1:1 virtualisiert wurden. Aber dafür, dass Radon Labs betont, dass man echtes Rollenspiel anbieten will, fehlen mir in der Spielwelt noch Spannung, Erkundungsreize und Konsequenzen. Warum muss man 08/15-Quests der Marke "Ich habe ein Wolfsproblem" anbieten? Warum wird jeder Questort à la World of WarCraft gleich auf der Karte angezeigt? Warum ist die Party-Interaktion so schwachbrüstig? Warum sorgen weder das Zücken von Waffen noch Taschendiebstahl für Reaktionen? Warum gibt es weder Stadtwachen noch ein Moralsystem? Die Spielwelt ist noch viel zu passiv! In den ersten beiden Stunden gab es keinen einzigen packenden Moment, sondern eine Abklapperroutine, die fast an den Trott gewöhnlicher Online-Rollenspiele erinnerte. Und man muss in Sachen Humor und Questkultur aufpassen, dass man nicht im Fantasykitsch mit Klischeesoße versinkt. Ich mag das edle Flair der Charaktermenüs, ich mag die Konsequenz der Statistiken und vor allem die ansehnlichen Schlag- und Blockbewegungen, aber ich fühle mich als erwachsener Rollenspieler teilweise wie in einer Harry Potter-Welt. Täuscht der Einstieg? Bin ich zu alt, zu anspruchsvoll für Drakensang? Wie auch immer: Dieses Spiel lässt dafür, dass es im Juli erscheinen soll, noch viele verdammt wichtige Fragen offen. Noch habe ich lediglich einen Bruchteil gesehen und ich lasse mich gerne positiv überraschen. Aber ich würde derzeit sogar eine Verschiebung empfehlen, um das in seinem Ansatz lobenswerte Abenteuer noch qualitativ stark auszubauen.
Ersteindruck: befriedigend