HTC Vive - Vorschau, Hardware, VirtualReality, HTCVive, OculusRift, PC

HTC Vive
11.12.2015, Jan Wöbbeking

Vorschau: HTC Vive

Ausflug aufs Holodeck

Eigentlich wollten HTC und Valve schon 2015 ins VR-Zeitalter starten, nach einer Verschiebung müssen sich Endkunden aber noch bis zum April gedulden. Wenn man das präzise Lighthouse-System erst einmal in Aktion erlebt hat, fällt das Warten allerdings gar nicht so leicht! Wir berichten von unseren ersten Ausflügen auf dem „Holodeck“.

Um komplett in der virtuellen Welt abzutauchen, wurden wir in einen vier mal vier Meter großes Holodeck geführt, das man sich wie einen Würfel mit pechschwarzen Wänden vorstellen kann. Das Highlight des System war das erfreulich präzise arbeitende Tracking-System „Lighthouse“: In den gegenüberliegenden Ecken zwischen Wand und Decke waren zwei Würfel angebracht, welche den Raum jeweils mit zwei flackenden Lasern abscannten. Sie benötigen lediglich eine Steckdose und müssen nicht mit dem PC verbunden sein, denn die Sensoren sitzen auf der VR-Brille und den zwei stielförmigen Controllern, welche jederzeit ihre Position im Raum erfassen.

Wo bin ich?

Für die Lasererfassung musste es dunkel sein.
Der Tragekomfort des Headsets mit seinen zwei Gummibändern ähnelt dem von Oculus Rift (DK2). Die VR-Brille sitzt also eine Spur weniger komfortabel als das sachte auf dem Kopf liegende PlayStation VR. Neben den Positions-Sensoren für die Laserstrahlen sind auch ein Gyrosensor (für Drehbewegungen) sowie ein Accelerometer (Beschleunigungssensor) im Headset eingebaut. Nach dem Aufsetzen gab es kein Zurück mehr: Ein Entwickler gab mir die zwei bizarren Bewegungs-Controller in die Hand, die an Move-Controller mit eckigen Pilzköpfen erinnern und wenige Sekunden später befand ich mich schon unter Wasser. TheBlu Encounter von Wevr Labs diente primär dazu, mich erst einmal an die ungewohnte Situation des VR-Holodecks zu gewöhnen.

Die zwei Kästchen des Trackings-Systems Lighthouse senden Laserstrahlen aus, die von Sensoren auf der Brille und den Controllern erfasst werden - eine Fläche von bis zu 4,6 mal 4,6 Metern wird abgedeckt.
Am Boden des Meeresgrundes schritt ich auf dem Deck eines Schiffswracks umher, während ich von Meerestieren wie einem Rochen und einem fetten Wal umkreist wurde. Ein beeindruckender Anblick - wenn auch spielerisch natürlich nicht besonders gehaltvoll. Während ich mir nur ein wenig umsah und kleine Fischschwärme verscheuchte, wurde Alice später deutlich mehr mitgerissen: Als sie die Demo ausprobierte, hüpfte sie wie ein Flummi durch den Raum, winkte Fischen zu und erfreute sich ganz allgemein an ihrer virtuellen Welt.

Bei derart schnellen Bewegungen muss man übrigens aufpassen, um nicht über das auf dem Boden liegende Kabel zu stolpern, das die „Brille“ mit dem Rechner verbindet. Nachdem ich einmal dagegen getreten war, schlurfte ich nur noch mit vorsichtigen Schritten voran. Für kommende Vorführungen überlegen die Ingenieure, das Kabel mit einer elastischen Spule zur Decke zu führen, damit es nicht ständig im Weg liegt. In fernerer Zukunft könnte die Übertragung per Funk ablaufen – momentan brauche man für die hohen Übertragungsraten aber zwingend ein Kabel. Pro Auge müssen schließlich 1080 x 1200 Pixel übertragen werden, bei einer Frequenz von 90 Herz, damit das Gehirn die Bewegung als möglichst flüssig und natürlich empfindet. Insgesamt liegt die Auflösung also bei 2160x1200 Pixeln. In einigen Jahren könnten Nachfolgermodelle auch einen 2K-Screen bekommen - bisher ist das aber noch Zukunftsmusik.

Vorsicht, Kabel!

Ein Blick auf die Linsen. Auch Brillenträger sollen das Gerät benutzen können.
Manchmal erreichte ich auch das kleine Computer-Pult des Vorführers, der mich noch rechtzeitig vorm Aufprall warnte. Gegen solche Zusammenstöße halfen auch die transparent leuchtenden Gitter am Rande des Wrack-Szenarios. Sie zeigten mir an, dass mich ein paar Zentimeter hinter ihnen die reale Wand erwartete. Solche Vorsichtsmaßnahmen sind auch dringend nötig, denn wer erst einmal die Brille übergestülpt hat, vergisst erstaunlich schnell, wo genau er sich eigentlich gerade in der realen Welt befindet. Ich kann mir gut vorstellen, dass sich die Wahrnehmung in großen Räumen oder Sporthallen noch besser täuschen lässt - so dass der Spieler in einem Bogen durch den Saal geführt wird und nie an einem der Wände ankommt.

Aber zurück zu meiner Test-Session mit der Vive. Als nächstes beamte mich der Job Simulator: The 2050 Archives von OwlchemyLabs in eine Küche (zum Spielszenen-Video). Dort konnten die beiden Bewegungs-Controller mit ihrer Genauigkeit protzen: Eigentlich sollte ich diverse Zutaten in einen Kochtopf schmeißen. Ich konnte die gegriffenen Tomaten allerdings derart präzise bewegen, dass ich sie mehrmals in die Luft schmiss, um sie mit der anderen Hand wieder aufzufangen. Von winzigen Clippingfehlern abgesehen bewegten sich die virtuellen Controller in meiner Hand exakt so wie die realen, was sich fast schon gruselig anfühlte. Anders als früher bei PlayStation Move spürte ich auch keinerlei Latenz. Obwohl die Küche nur aus stilisierten Comic-Polygonen bestand, fühlte ich mich dank der präzisen Interaktion mit diversen Gegenständen wie in dem fremden Raum. Ein Schlag gegen die Pfanne hier, ein paar Jonglage-Tricks dort – das eigentliche Zubereiten von Sandwiches und Suppen wurde schnell zur Nebensache. Die Geschichte des Job-Simulators versetzt den Spieler übrigens in Jahr 2015, in dem Roboter alle unsere Aufgaben erledigen. Damit die gelangweilten Menschen nicht auf dumme Gedanken kommen, dürfen sie aber immerhin in der Simulation einigen Jobs wie dem eines Kochs nachgehen. Im aktuellen Spielszenen-Video sieht man übrigens das Büro-Szenario.

Fast schon unheimlich präzise

An der Spitze des Controllers sieht man die Laser-Sensoren, am Griff finden sich ein seitlicher Knopf, ein Trigger sowie ein Touchpad, dessen Richtungen sich auch als Knopfeingaben belegen lassen. Da der Griff Druck registriert, sollen sich Objekte ähnlich wie in der realen Welt greifen lassen.
Auch das dreidimensionale Zeichnen mit „Tilt Brush Painting“ von Skillman & Hackett war für ein Malprogramm erstaunlich unterhaltsam. Einfach ein paarmal mit gedrücktem Knopf durch die Luft rudern und schon schweben ein paar Neon-Linien vor mir im Raum, deren Form, Farbe und Beschaffenheit sich mit einem eingeblendeten Menü manipulieren ließen. Die ideale Technik für ein technoides Rhythmusspiel im Stil von Dineys Fantasia?

Während der kompletten Vorführung mit dem Headset  hatte ich übrigens keinerlei Probleme mit Motion-Sickness, wie ich sie anderswo durchaus schon erlebt habe. Als ich das Tabletop-Strategiespiel Quar VR von Steel Wool Games startete, stellte sich allerdings ein seltsames Bauchgefühl ein: Plötzlich stand ich mitten in einem Tisch, auf dem allerlei Panzer, Soldaten und andere Einheiten herumwuselten. Da ich die Umgebung unterbewusst als glaubwürdig empfand, war es schon ein komisches Gefühl, vom Bauch abwärts von einem Tisch durchtrennt zu werden. Also ging ich zwei Schritte vorwärts und betrachtete das bunte Treiben auf dem Tisch von der Seite aus. Ich konnte zwar keinen Einfluss darauf nehmen, doch das Prinzip ist eine schöne Idee: Ähnliche Strategiespiele in einer Art virtuellem Diorama wirken gerade für kleine Holodecks sinnvoll. Laut Valve reicht für das Lighthouse-Tracking ein Zimmer mit einer freien Fläche von zwei mal zwei Metern. Deutlich besser eignet sich natürlich eine Fläche von vier mal vier Metern (wie bei meiner Demo) oder gar acht mal acht Metern.

Neue Heimat für „Wuselspiele“?

Der "Job Simulator" war zunächst eine experimentelle Jonglage-Simulation. Das Werfen und Auffangen diverser Objekte funktioniert erstaunlich präzise.
Zum krönenden Abschluss erwartete mich noch das grafische Highlight der Probe-Session: Die DotA-2-Demo hatte spielerisch nur wenig mit dem MOBA-Vorbild zu tun. Stattdessen versetzte sie mich als Besucher in die urige Holzhütte des Secret Shops. Nachdem mich der sympathische Händler mit einer magischen Lampe ausgestattet hatte, konnte ich jeden Winkel des detailverliebt eingerichteten Häuschens beleuchten und durchstöbern. In einer Ecke stieß ich ein baumelndes Schwert an, anderswo erwartete mich ein putziger kleiner Octopus, der jede meiner Bewegungen aufmerksam verfolgte. Hier wurde mir erneut klar, wie wichtig feine Spiegelungen für die Glaubwürdigkeit einer VR-Welt sein können. Auf den aufgerissenen Glubschaugen des Kraken brachen sich die Lichtstrahlen meiner Funzel in realistischen kleinen Fragmenten.

- Unterstützte Controller: SteamVR-Controller, gewöhnliche PC-ControllerAuch anderswo sorgte die schummrige Beleuchtung für Räumlichkeit: Meine Funzel ließ die Holzhütte und all ihre speckig glänzenden Details richtig schön urig aussehen. Mit Hilfe eines Tricks ließ ich mich schrumpfen und fand mich in geheimen Ecken des Häuschens wieder – z.B. im Regal oder auf einem Balken unter der Decke. Dort entdeckte ich diverse Gegenstände aus dem DotA-Universum wie das in die Höhe flatternde Buch Necronomicon. Auch andere dynamische Dinge wie Vorhänge, ein Glockenspiel oder ein zurückweichender Mini-Drache reagierten ein wenig auf meine Bewegungen. Spielerisch gab es auch hier wenig zu tun, trotzdem tickerten sofort die Ideen durch meine Kopf, wie cool Adventures in solch einer Kulisse funktionieren könnten. The Room oder Black Sails wären z.B. ideale Kandidaten für explorative VR-Puzzles auf kleinem Raum. Auch The Assembly nutzt bewusst überschaubare Räume für seine Rätsel. Für angemessen stimmungsvolle Beschallung muss der Spieler übrigens selbst sorgen: An der Seite des Headsets kann man einen Kopfhörer seiner Wahl einstöpseln.

Die Macht der Beleuchtung



Technische Eckdaten HTC Vive (ab 798,00€ bei kaufen)

- Screens: 2 x OLED mit je 1080 x 1200 Pixeln

- Refresh-Rate: 90 Bilder pro Sekunde

- Sichtfeld: 110 Grad

- Anschlüsse: HDMI, USB 2.0, USB 3.0

- Tracking: Gyrosensor, Accelerometer + Laser-Positions-Sensor

- Kopfbewegungen werden auf 2 Achsen mit bis zu 1/10 Grad erfasst

Fly wie ein Adler: Bis zu sechs Spieler düsen in Ubisofts Eagle Flight über die Dächer einer postapokalyptischen Welt.
Neben Spielern will Valve natürlich auch das Interesse anderer Nutzergruppen wecken. So sollen z.B. der Kabelsender HBO,  Lionsgate und Google Inhalte entwickeln, die per Steam VR vertrieben werden. Im Spiele-Bereich geplant sind z.B. die Adventures Adr1ft und The Assembly, der Zombie-Shooter Arizona Sunshine , Ubisofts Adler-Simulation Eagle Flight (zum aktuellen Trailer) sowie die Weltraum-Simulationen Star Citizen und Elite Dangerous. Letzteres ist vor kurzem übrigens in die VR-Beta für die Horizons-Erweiterung gestartet. Die minimalen Systemanforderungen geben bereits einen Vorgeschmack auf den Hardware-Hunger der Virtual Reality: Als Grafikkarte wird mindestens eine Nvidia GTX 980 mit 4GB RAM vorausgesetzt. Außerdem erwarten die Entwickler 16 Gigabyte Arbeitsspeicher sowie einen Prozessor ab Intel Core i7-3770K oder ab einem AMD FX 4350. Einen ersten Einblick in frühe Vive-Spiele gibt übrigens dieser Trailer.

Ausblick

Es mag wie eine abgedroschene PR-Flosskel klingen, aber die Probe-Session mit HTC Vive und dem Lighthouse-Tracking war für mich wie ein Schritt in eine andere Welt. Seit dem Start des HD-Zeitalters hat mich kein Stück Technik mehr derart ins Staunen versetzt! Sicher - VR ist schon im Sitzen eine coole Sache. Aber nachdem ich durchs Holodeck gelaufen bin, kann ich mir plötzlich auch vorstellen, im Stehen zu spielen und mich nicht mehr nur auf Cockpit-Spiele zu beschränken. Das Tracking mit dem Lighthouse-System funktioniert derart präzise, dass ich mit Hilfe der stielförmigen Controller sogar mit Tomaten und anderen Objekten jonglieren konnte! Das Gefühl, plötzlich durch eine andere Welt zu gehen, lässt sich nur schwer beschreiben – ich kann jedem nur empfehlen, es selbst einmal auszuprobieren, wenn sich die Gelegenheit bietet. Zu Hause dürften die meisten Spieler natürlich Probleme bekommen, überhaupt den nötigen Platz fürs Tracking-System freizuräumen, ohne die halbe Wohnzimmereinrichtung zu zerlegen. Auch spielerisch muss sich das so genannte "Room-Scale VR" noch beweisen - bislang konnte ich nur einfach gestrickte Demos ausprobieren. Andererseits könnte die Technik für eine Rückkehr von Arcade-Hallen sorgen. Für Betreiber von Paintball-Feldern, Freizeitparks oder Schwarzlicht-Minigolf wäre ein geräumiges VR-Holodeck doch eine schöne Attraktion. Laut HTC gibt es tatsächlich bereits eine Menge Anfragen in diesem Bereich. Bevor Missverständnisse aufkommen: Valves Entwickler Yasser Malaika erklärte, dass sich das Vive auch im Sitzen betreiben und sehr präzise tracken lässt, was sich vor allem für Cockpit-Spiele wie Eve: Valkyrie oder Elite: Dangerous anbietet. Während man weiter fleißig Dev-Kits an interessierte Entwickler ausliefert, sollen Konsumenten erst ab April 2016 die Gelegenheit bekommen, das Gerät zu erwerben. Zum Preis schweigen sich die Hersteller weiter aus, doch seitens HTC wurde bereits klargestellt, dass man mit Vive eine "Premium-VR-Erfahrung" anstrebt, für die man wahrscheinlich etwas tiefer in die Tasche greifen muss. Ich bin gespannt darauf, wie sich das System im Kampf gegen die große Konkurrenten Facebook und Sony schlägt.

Einschätzung: sehr gut