Kingdom Come: Deliverance - Vorschau, Rollenspiel, PC, PlayStation4, XboxOne, Switch, XboxOneX, PlayStation4Pro
Wer brandschatzt so skrupellos, dass selbst Pferde nicht verschont werden? Wer nagelt denn Leute an Türen? Sind es brutale Banditen? Oder diese eingefallenen Ungarn? Ich mache mich im Auftrag des Burgherrn Sir Robard auf die Suche. Der einzige Hinweis: Ein Kerl namens "Reeky" soll etwas damit zu tun haben. Kaum schließt sich das Fallgatter hinter mir, zeigt der Blick vor mir sanfte Hügel, idyllische Wälder und einen kleinen Bach - dieser Landstrich existiert genau so im heuten Tschechien. Mit Pferd, Schwert und vielen Fragen reite ich gemächlich den Hang hinunter nach Talmberg. Trotz der Egosicht erinnert das zunächst an einen Ausritt mit dem Hexer auf Plötze in The Witcher 3. Ich kann auch eine hübsch illustrierte regionale Karte öffnen und muss viele verborgene Orte erstmal entdecken. Die Ähnlichkeiten werden aber nicht all zu lange währen - nicht nur, weil die Farben dezenter ausfallen und keine Monster in Büschen lauern, sondern weil sich Kampf und Charakterentwicklung sehr stark unterscheiden und vor allem der Rhythmus hier wesentlich gemächlicher ist. Man hat fast das Gefühl, ein spazierendes Rollenspiel zu erleben.
Mord und Totschlag im Jahr 1403
Machtkonflikt zwischen Königen
Kaum erreicht man das erste Dorf, kann man den Alltag beobachten, der alles andere als turbulent, sondern eher verschlafen anmutet. Hier mal ein Angler, da mal ein Bauer, dort ein Reiter. Es fehlen lebendigere Szenen, spielende Kinder oder laufende Debatten. Ob das in späteren Siedlungen noch kommt? Schön ist: Leute tauchen nicht einfach irgendwo aus dem Nichts auf, sondern folgen ihrem Tagesablauf - man kann also jeden irgendwo finden, ohne dass Skripte ausgelöst werden müssen. Theoretisch könnte ich also den Gesuchten durch Zufall irgendwo im Wald treffen. Aber die Spielwelt ist so groß, dass man Hinweise über Gespräche sammeln sollte, die dann kleine Zielfähnchen auf der Karte
erscheinen lassen. Selbst dieser Weg zum Ziel ist angenehm offen, denn man kann Reeky auf mehrere Arten ausfindig machen. Und nicht nur das: Je nach Spielart kommt es zu einer anderen Auflösung - wenn ich bei meiner Recherche mit dafür sorge, dass z.B. eine Farm letztlich niedergebrannt wird, wirkt sich das auch auf die Anzahl der späteren Feinde in einem großen Gefecht aus.Gemächliches Mittelalter
Es ist zwar beeindruckend, wie authentisch Warhorse die böhmische Landschaft mit der CryEngine abbildet: In der Beta sind knapp drei Quadratkilometer an Tälern, Dörfern und Wäldern erkundbar - die finale Spielwelt soll fünfmal so groß sein. Aber in den vielen Gesprächen mit den Dorfbewohnern lässt die Faszination merklich nach, nicht nur weil man kaum reges Leben beobachten kann. Obwohl die Gesichter inklusive Mimik ganz gut aussehen, werden die Szenen hinsichtlich der Gestik und Körpersprache einfach zu steif und auf Dauer zu ähnlich ausgespielt - im Vergleich zu den lebendigen Dialogen in The Witcher 3 wirkt das hier manchmal wie eine Art Laientheater. Selbst heikle Situationen werden so ihrer Brisanz sowie Emotionalität beraubt.
Fähigkeiten steigen mit Gebrauch
Die Charakterentwicklung bietet aber nicht nur automatische Erhöhungen beim Aufstieg, sondern auch manuelle Freischaltungen für nahezu alle Fähigkeiten von der Alchemie über den Schwertkampf bis zur Reitkunst. Wer sich auf die Rhetorik spezialisieren oder bei Händlern gute Preise aushandeln will, kann z.B. "Trustworthy Middlesman", "Negotiator" oder "Final Offer" aktivieren.
Der böse Weg und Diebstahl
Wer auf Diebestour geht, muss Schlösser übrigens in einem interessanten Minispiel mit seinem Dietrich knacken, indem er die neuralgischen Punkte findet und den linken sowie rechten Stick entsprechend rotiert - ein angenehm aktives System. Immerhin wirkt im Hintergrund jetzt schon ein Reputationssystem sowohl direkt als Beziehungswert zu einzelnen Leuten als auch zu einem Ort. Ich kann es mir also nicht nur mit dem einen Händler verscherzen, sondern auch mit der gesamten Bevölkerung. Das bedeutet, dass manche gar nicht mehr mit mir reden, Quests nicht auftauchen und ich schließlich ein gesuchter Krimineller bin - hier ist Kingdom Come deutlich fortschrittlicher als etwa The Witcher 3. Wenn ich hingegen Aufträge erledige, wächst mein Ansehen und im Alltag werde ich gegrüßt und freundlicher behandelt.
Gleich vorweg: Man zückt sein Schwert in Kingdom Come nicht mal ansatzweise so häufig wie in sonstigen Action-Rollenspielen. Das Kampfsystem wirkt zwar noch etwas steif, wenn man zum ersten Mal auf den Übungsplatz geht, aber verfolgt lobenswerte Ziele: Immerhin will man so nah an reale Gefechte wie möglich. Dafür werden die physischen Kollisionen zwischen Klingen und Rüstung bei der Ermittlung des Schadens ebenso einbezogen werden wie die Art der Attacke etwa über stumpfe, scharfe oder spitze Waffenteile. Wie läuft das genau ab? In Echtzeit über ein Zielsystem, symbolisiert durch einen fünfzackigen Stern.
Authentischer Schwertkampf?
Kombinationen über die Charakterentwicklung
Leisetreter können übrigens von hinten angreifen: Man kann seine Opfer sowohl per Stealth-Kill sofort töten als auch bewusstlos schlagen. Man hat auch die Wahl, ob man z.B. ein Lager infiltriert und sabotiert. Wer sich schützen will, hat vom Kopf über den Körper bis hin zu den Beinen sechzehn Bereiche zur Verfügung, die sogar mit mehreren Lagen an Wolle, Leder oder Metall bedeckt werden können - eine gute Idee! Nicht nur Waffen und Rüstungen nutzen sich ab: Etwas Simulationsflair kommt auch durch Müdigkeit und Nahrung hinzu. Man muss also schlafen und essen, um fit zu bleiben. Und selbst das Obst kann schlecht werden oder vergiftet sein.
Ausblick
Kingdom Come: Deliverance ist eines der interessantesten kommenden Rollenspiele. Nicht nur, weil es auf Fantasyelemente wie Drachen, Elfen oder Magie verzichtet und sich um ein möglichst authentisches Bild des spätmittelalterlichen Böhmen bemüht. Sondern auch, weil es ein ganz anderes Tempo vermittelt als sonstige Triple-A-Produktionen: Man muss sich in aller Ruhe auf diese Spielwelt einlassen, kann seinen Charakter nach seinen Taten formen und freie Entscheidungen treffen. Dieses ruhige Spazieren und Recherchieren fühlte sich angenehm an, aber hat mich noch nicht begeistert. In der Betaphase zeigen sich auch einige Schwächen. Die Technik ist nicht mal das größte Problem: Wer auf höchsten Details spielt, muss selbst mit höchst potenter Hardware einige Abstriche machen, damit es flüssig läuft. Aber aus dem Entschleunigen darf kein Einschläfern werden: Wenn man genau hinsieht, vermisst man mehr Lebendigkeit in den Siedlungen, mehr Emotionen in den Reaktionen sowie in der Gestik und Mimik. Gerade weil so wenig passiert, achtet man umso mehr auf die wenigen brisanten Konflikte, die hier viel zu belanglos verpuffen - das darf nicht sein. Die Designziele sind ja auch hinsichtlich des Diebstahl- sowie des authentischen Kampfsystems sehr lobenswert, aber die Schwertduelle wirken noch etwas hölzern und die Bewohner reagieren oftmals unrealistisch, so dass manche dramatische Situation in sich zerfällt. Manchmal wirkt dieses Spiel wie ein idyllisches Stillleben, es fehlt noch mehr Feuer, Konsequenz und Abenteuer. Das mag etwas ungerecht klingen, denn die Dramaturgie konnte sich ja noch gar nicht entfalten, außerdem konnte ich viele spielmechanische Feinheiten noch nicht ausführlich testen. Es war angesichts der Ambitionen dennoch eine weise Entscheidung, die Veröffentlichung ins Jahr 2017 zu verschieben. Ich freue mich darauf, mal die ersten zehn Stunden am Stück zu erleben.
Einschätzung: gut