Red Card 20-03 - Test, Sport, PlayStation2, XBox

Red Card 20-03
21.05.2002, Jörg Luibl

Test: Red Card 20-03

Wenn Ihr schon immer einen richtigen Fun-Sport-Titel à la NBA Street oder NFL Blitz im Fußball-Genre vermisst habt, solltet Ihr einen genaueren Blick auf Red Card 20-03 werfen. Die Entwickler von Midway haben ein kleines Arcade-Schmuckstück gezaubert, das kurz vor der WM in Japan mit viel Witz, Ironie und eigenwilliger Regelauslegung an das eher trockene und simulationslastige Genre rangeht. Ob Midway der ganz große Wurf gelingt, erfahrt Ihr in unserem Test!

Vier Spielmodi stehen insgesamt zur Auswahl: In der Welteroberung spielt Ihr nacheinander gegen 50 Nationalmannschaften (dank FIFPRO-Lizenz mit authentischen Namen) und sieben abgedrehte Fantasy-Teams. Stellt Euch darauf ein, neben Costa Rica und Österreich auf die Teams der Delphine, der Affen, der Matadoren, der Samurai, der Marsmenschen und ein Special Forces-Team im CounterStrike-Look zu treffen - auf Vereinsmannschaften müsst Ihr allerdings verzichten. Dabei sind nicht nur die Animationen der Gegner sehenswert, sondern auch die exotischen Spielorte wie das unter Wasser gelegene Nautilus-Stadion der Delphine oder das imposante Kolosseum der Matadore; natürlich gibt`s auch authentische Stadien wie Saitama oder Daegu. Motivierend ist auch das Punktesystem, das Euch nach Siegen die Verbesserung der eigenen Mannschaft ermöglicht. Diese könnt Ihr übrigens von Beginn an modifizieren - sprich: Namen ändern oder Attribute wie Moral oder Ausdauer anders gewichten.

Gegen Mensch und Tier

Bei den Regeln hat Midway eigentlich nur die Aufstellung und den Platz übernommen: Ihr spielt 11 gegen 11 auf zwei Tore - das ist alles; sogar das Abseits lässt sich abstellen. Nach dem Anpfiff dürft Ihr dann alle Fairness und Gesundheitswarnungen außer Acht lassen und die Blutgrätsche auspacken. Und wo andere Spiele lediglich die Grätsche und ein Tackling anbieten, lässt Euch Red Card in der Defensive aus einem Nahkampf-Arsenal schöpfen, das Bruce Lee alle Ehre macht. In Verbindung mit dem Boost-Knopf könnt Ihr Euren Gegner mit einem feurigen Karate-Sprung begrüßen, ihm mit einem weit ausladenden Fußfeger vom Feld sensen oder mit einer wütenden Kopfnuss-Attacke ins Fußball-Nirwana befördern. Ein netter Nebeneffekt: Spieler, die mit Boost-Attacke flach gelegt werden, bleiben wesentlich länger liegen und beobachten das Geschehen recht verträumt. Übrigens: Die Torhüter sind bei all dem Rasenkampf tabu - sie können nicht gefoult werden. Die Schiedsrichter sind dagegen Freiwild...

Rasenschlacht ohne Regeln?

 

Leider stimmt die Kollisonsabfrage nicht immer, so dass eine Grätsche schon mal durch den angreifenden Stürmer hindurchfegt ohne ihn zu stoppen - ärgerlich! Falls Euch die totale Anarchie zu viel des Guten ist, könnt Ihr auch die Schiedsrichterstrenge hochschrauben, so dass Karten gezückt werden und es zu Freistößen und Elfmetern kommt. Die Standardsituationen glänzen allerdings eher durch Schlichtheit und skurrile Perspektiven als durch Finessen - des Öfteren reicht es, einen Ball einfach mittig aufs Tor zu knallen und er geht rein.

Der Spielablauf ist insgesamt sehr flüssig, da sogar Flankenwechsel und schnelle Steilpässe möglich sind. Wer sich mit dem komplizierten Pass-System von FIFA WM 2002 herumquälte, wird hier seine wahre Freude haben: einfach, ansehnlich und ohne Schnörkel wandert das Rund durch die Reihen. Die KI der eigenen Mitspieler kann ebenfalls zufrieden stellen - auch wenn sie an Konamis Genre-König nicht herankommt. In der Offensive stehen Euch neben Kurzpass und hohem Pass noch der aus Pro Evolution Soccer bekannte Steilpass (hier allerdings weniger effektiv), zwei Dribblings und leider nur ein Schusstyp zur Verfügung. Hier wurde die Ballphysik minimalisiert, denn genaue Platzierungen (flach in die Ecke; hoch in den Winkel) sind nicht möglich, da scheinbar immer ein hoher Standardschuss abgegeben wird, den man nur noch in der Richtung (links, rechts) verändern kann - alles weitere ist Glückssache. Trotzdem gelingt so viel zu leicht aus der zweiten Reihe ein Torerfolg, ganz ohne Boost und Schnickschack. Bei Flanken kommen dafür noch ansehnliche Seitfallzieher, Fallrückzieher und bizarre Karate-Kick-Schüsse zum Einsatz.

Richtig spektakulär wird`s allerdings erst, wenn Ihr beim Schuss gleichzeitig die Boost-Taste und eine Richtungstaste drückt. Von einem Rauschen begleitet wechselt das Spiel à la Matrix in Zeitlupe (TIME-WARP-SLOW-MO-BLUR-Effekt) und zeigt extravagante Schusseinlagen, die jedem Bodenturner Schweiß auf`s Gesicht treiben würden: Radschlag-Schüsse, elegante Sprung-Schüsse und Salto-Schüsse mit dem Rücken zum Tor begeistern auch optisch mit Rauchwolken und Feuerschweif. Und in welchem Spiel kann man einen Torwart schon im wahrsten Sinne des Wortes ins Tor schießen? Die Goalies verhalten sich teilweise erschreckend gut und wehren so manchen schwierigen Ball ab, retten knapp über die Latte oder zur Ecke - selbst Boost-Feuerbälle bedeuten nicht unbedingt einen Erfolg. Leider zeigen sich ab und an grobe Grafikpatzer: Da wird ein Torhüter samt Ball deutlich neben den Kasten geschossen und trotzdem gibt`s ein Tor.

Rasenzauber für Genießer

Zwei wichtige taktische Komponenten bestimmen das Spiel: Da der Boost immer wieder aufgeladen werden muss, sollte man sich gut überlegen, ob man ihn vorschnell in der Defensive einsetzt, einen Feuerspurt im Mittelfeld hinlegt oder lieber vorne beim Abschluss auf spektakuläre Zeitlupenkicks setzt. Außerdem gibt es noch den normalen Turbo-Knopf, der ebenfalls nicht unbegrenzt eingesetzt werden kann und Eure Spieler ohne Feuerschweif schneller sprinten lässt. Und bei allem martialischen Karate-Ambiente gelten auch hier alte Fußballweisheiten und Rätsel: Lieber über außen kommen und flanken? Oder durch die Mitte wuseln? Ball halten und aus der Abwehr spielen? All das ist auch bei Red Card von entscheidender Bedeutung, was dem auf den ersten Blick lupenreinen Arcade-Titel überraschend viel Tiefgang verschafft.

Rasenschach für Taktiker

Grafisch übernimmt die Renderware-Engine das Kommando, was Euch sehr sanfte Animationen, herrlich in Szene gesetzte Special-Moves und viele Details beschert. Ihr könnt die Fußballschlacht aus fünf Perspektiven verfolgen - von ganz nah bis ganz weit weg. Die Kamera begleitet das hitzige Geschehen dabei ohne Ruckler und Slowdowns, aber zieht ab und an nach (z.B. bei Einwürfen). Gegen den Realismus- und den Wiedererkennungstrend von Star-Kickern, der bei FIFA und Pro Evolution Soccer beherzigt wird, setzt Red Card auf einen erfrischenden Comic-Charakter. Der Schwerpunkt liegt nicht auf feinen Details wie Gesichtstexturen und Gesten, sondern auf dem stimmigen Gesamteindruck - und der ist auch trotz eher durchschnittlicher Stadion-Optik gegeben. Und wenn Spieler bei den Jubelanimationen wie blöde mit den Köpfen wackeln, ist das ein schöner, selbstironischer Kontrapunkt zur nahezu heldenhaften Inszenierung der Konkurrenz.

Grafik und Sound

Das Kommentatoren-Duo kann locker mit den überzeugenden Sprechern aus FIFA WM 2002 mithalten: Zwar gibt es weniger Details zur Fußballhistorie, aber dafür trockenen Humor und bewusst sarkastische Kommentare (etwa: "Das war hart, aber fair!" bei einer Bruce Lee-Attacke mit Anlauf). Auch die Zuschauerkulisse trägt viel zum gelungenen Live-Charakter bei, der das Spielgeschehen zu einem atmosphärisch dichten Erlebnis macht. Trotzdem wird hier weder der Gänsehautcharakter der FIFA-Präsentation noch die authentische Fan-Kulisse von Pro Evolution Soccer beschworen.

Pro:

  • Prise Humor


  • flüssiger Spielablauf


  • passende Kommentare


  • überzeugende Animationen


  • adrenalinhaltiges Gameplay


  • gelungener Comic-Charakter


  • viele Teams & Stadien freispielbar


  • trotz Arcade viel Taktik notwendig


  • solides, schnörkelloses Pass-System


  • packende Matrix-Effekte beim Torschuss


  • skurrile Gegner: Delphine, Special Forces etc.


  • Kontra:

  • einfache Ballphysik


  • kein Training möglich


  • teils zweifelhafte Torwart-KI


  • keine Vereinsmannschaften


  • inkonsequente Kollisionsabfrage


  • Vergleichbar mit:

    David Beckham Soccer; FIFA Weltmeisterschaft 2002; Pro Evolution Soccer; ISS2

    Fazit

    Red Card ist schnell, adrenalinhaltig und vor allem zu zweit ein Garant für heiße Fußballschlachten. Midway vermittelt ein packendes, schnörkelloses Spielgefühl, das trotz all der übertriebenen Dribblings, Karate-Fouls und Zeitlupen-Schüsse noch genug Raum für taktisches Vorgehen und schönen Spielaufbau lässt. Hätte man in Sachen Kollisonsabfrage und Torwart-KI noch etwas mehr Feintuning angesetzt und beim Abschluss mehr Vielfalt geboten, wäre Red Card auch im Einzelspieler-Modus locker in Award-Nähe gekommen. So bleibt ein sehr gutes Fußballspiel mit kleinen Tücken, das zwar bei weitem nicht an die Spieltiefe eines Pro Evolution Soccer rankommt, aber den Arcade-Soccer-Thron auf der PS2 erstürmt und ISS2 sowie FIFA WM 2002 locker hinter sich lässt - für Einsteiger und Profis gleichermaßen zu empfehlen!

    Wertung

    PlayStation2