Wizardry: Tale of the Forsaken Land - Test, Rollenspiel, PlayStation2

Wizardry: Tale of the Forsaken Land
25.10.2002, Jörg Luibl

Test: Wizardry: Tale of the Forsaken Land

Auf dem PC gehört die Wizardry-Reihe längst zu den Klassikern der Rollenspielgeschichte. Vor fast zwanzig Jahren debütierte Sir-Techs Epos und definierte zusammen mit Titeln wie Might&Magic oder Bard`s Tale das Genre des Party-basierten Dungeon-Abenteuers. Mit Wizardry: Tales of the Forsaken Land wagt sich die Reihe zum ersten Mal auf die westliche PS2. Ob die japanischen Entwickler von Racjin ihre Fantasy-Hausaufgaben gemacht haben, erfahrt Ihr im Test!

Wizardry entführt Euch in eine europäische, pseudo-mittelalterliche Welt. Ihr seid ein junger Abenteurer in der Königsstadt Duhan. Ein Blitz hat fast alles vernichtet und die ehemals blühende Residenz in Trauer und Verzweiflung gestürzt, denn auch die Königin ist seit der Katastrophe verschwunden.

Ein Königreich vom Blitz getroffen

Wieso? Weshalb? Warum? Genau das fragt man sich nach wenigen Spielminuten, denn die recht simple Geschichte von Wizardry kommt nur sehr schleppend in Gang. Erst nach vielen Spielstunden Dungeon-Kampf wird die interessante Story greifbarer. Das ist schade, denn ein dramatischer Einstieg, wie man ihn in Final Fantasy X oder Summoner 2 beobachten kann, hätte von Beginn an mehr Motivation verbreiten können. So behält Wizardry den trägen Charme eines Epos.

Bei der Charakter-Erschaffung geht`s klassisch zu: Insgesamt stehen Euch für den Starthelden fünf Rassen und acht Klassen zur Verfügung. Egal ob Hobbit-Dieb, Zwergen-Krieger oder Elfen-Zauberer - alle bekannten Fantasy-Klischees werden bedient. Hinzu kommen fernöstliche Professionen wie Samurai und Ninja. Maximal sechs Helden haben in Eurer Party Platz.

Rollenspiel alter Schule

Im Laufe des Spiels begegnen Euch über ein Dutzend Charaktere, die sich Euch anschließen können, darunter gute, neutrale und böse Zeitgenossen. Man sollte mit Bedacht wählen, denn jeder bringt seine eigene Persönlichkeit mit ins Spiel, die sich in bestimmten Quests oder der Moral äußern kann.

Ein wesentliches Gameplay-Element ist das Vertrauen, das zwischen den Party-Mitgliedern erst aufgebaut werden muss. Wenn Ihr Euch in Eure Gefährten hineinversetzt und als weiser Führer erweist, wächst das Vertrauen in Euch - dargestellt durch einen farbigen Balken. Ab und zu stellen Euch bestimmte Ereignisse auf die Probe und verlangen eine eindeutige Entscheidung: Greift Ihr friedliche Monster an? Helft Ihr einem verletzten Krieger? Glaubt Ihr den unheimlichen Gerüchten eines Flüchtenden? Erst, wenn das Vertrauen eine bestimmte Stufe erreicht, stehen Euch grundlegende Team-Attacken zur Verfügung.

Vertrauen und Teamgeist

Die Spielstruktur ist klassisch: Rundenbasierte Kämpfe bringen Gold, Gegenstände und Erfahrung, die sich im Levelaufstieg niederschlägt. In der Taverne lassen sich zudem kleine Aufträge annehmen, die Euch ähnlich belohnen. Im Laufe des Spiels entwickeln sich Eure Nobodys dann Schritt für Schritt zu bekannten, angesehenen und schließlich ruhmreichen Helden. Euer Ruf wird immer mehr Abenteurer anlocken, die sich Euch anschließen wollen, und immer neue Quests offenbaren. Je tiefer Ihr in das Dungeon abtauchen könnt, desto aggressiver und zahlreicher werden natürlich die Monster. Spätestens auf den unteren Ebenen, wenn Untote & Magier auftauchen, sind Team-Attacken lebenswichtig. Doch bis dahin müsst Ihr Dutzende von viel zu leichten Kämpfen gegen sich wiederholdende Schleim-, Orc- und Kobold-Scharen auf der oberen Etage bestehen, die jeden Genre-Kenner eher langweilen werden.

Kampf und Quests

Insgesamt gibt es 24 Teamattacken, verteilt auf die Bereiche Offensive, Defensive, Zauber und Unterstützung. Manche lassen sich in der Gilde, manche von Personen erlernen. Ein Beispiel: Ihr seid nur vier Mann und werdet von über einem Dutzend Orcs angegriffen, die aufgrund ihrer Übermacht einen Sturmangriff ausführen können. Ohne die defensive Team-Taktik "Front Guard" -eine Art Schildwall- würden Euch die Grünhäute überrennen. So prallt einer nach dem anderen an Eurer ersten Reihe ab.

Taktische Kämpfe

Hinzu kommen in der Offensive effektive Doppelangriffe, die einen Gegner schwer treffen können, oder nützliche Unterstützungs-Taktiken Eurer Fernkämpfer, die z.B. den wütenden Angriff eines mächtigen Gegners dank koordinierter Feuerkraft stoppen können. Aber Vorsicht: Sollte Eure Party mehr als vier Helden umfassen, lassen sich manche Attacken nicht mehr ausführen.

Diese Team-Attacken bereichern die Kämpfe um eine motivierende taktische Komponente. Für jeden Gegner gibt es quasi das richtige Gegenmittel. Falls Ihr jedoch eher den egoistischen, raffgierigen Pfad einschlagt, bleiben Euch diese Attacken verwehrt. Dafür könnt Ihr Eure Party unbesorgt mit bis zu sechs Mann aufstocken.

Es gibt über 100 Waffen und Gegenstände, darunter magische Tränke, Rüstungen und viele kleine Überbleibsel wie Schädel, Feen-Flügel oder Vampir-Klauen. Diese dienen als Grundlage für die wichtigen Zaubersteine, die bei Gebrauch entweder einen der etwa 30 vorhandenen Zauber offenbaren oder bestehende aufwerten - je höher der Grad, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass die Magie wirkt.

Waffen, Magie, Gegenstände

Zu Beginn stehen lediglich einfache Heil- und Feuerzauber zur Verfügung, später kommen mächtigere Sprüche hinzu, die imposanten Bereichsschaden anrichten oder Helden wiederbeleben. Für Abwechslung sorgen auch zahlreiche Kisten, die ab und zu mit Fallen bestückt sind und nur per schneller Eingabe einer vorgegebenen Tasten-Kombination geöffnet bzw. entschärft werden können.

Das mittelalterliche Waffenarsenal reicht von einfachen Dolchen und Kurzschwertern bis hin zu diversen Äxten und tödlichen Katanas. Verfluchte und verzauberte Waffen runden das große Repertoire ab. Dabei kommt die Rollenspiel-typische Beschränkung auf bestimmte Klassen zur Geltung: Nur Samurai können Katanas schwingen, Zauberer dürfen noch nicht mal ein Kurzschwert führen.

In der Stadt gibt es keine freie 3D-Grafik - eher ein interaktives Menü: In der verschneiten Siedlung könnt Ihr lediglich die Kamera zwischen den möglichen Orten Gasthaus, Taverne, Tempel, Gilde, Shop oder Dungeon hin- und herschwenken. Ist das noch funktionell und grafisch ansehnlich, traut man seinen Augen kaum, wenn man die Taverne oder das Gildenhaus betritt:

Pseudo-3D

Keine Animationen, keine 3D-Grafik, sondern statische Bildschirme begrüßen Euch mit gemalten Hintergründen und kleinen Textzeilen. Wenn Euch jemand anspricht, wird lediglich ein Charakterbild eingeblendet, das aufgrund des hervorragenden Zeichenstils zwar viel Stimmung versprüht, aber die Lebendigkeit einer Sammelkarte hat. Sprachausgabe ist übrigens im gesamten Spiel Fehlanzeige, die Texte sind nicht übersetzt und lediglich das Handbuch in Deutsch verfasst. Dafür gibt es ehr stimmungsvolle Fantasy-Melodien, die sich der Umgebung anpassen und von unbeschwert, mysteriös bis tragisch reichen.

Wenn Ihr Euch ins durchschnittlich texturierte Dungeon begebt, dürfte bei allen PC-Rollenspiel-Veteranen ein nostalgisches Gefühl aufkommen: Ihr könnt Eure Party durch ein 3D-Labyrinth aus Gängen steuern und Euch dabei nicht frei, sondern mit "klassischen" 90-Grad-Drehungen bewegen. Und dabei wird jede Bewegung von einem Schrittgeräusch begleitet, das in den 80ern noch als Innovation galt, aber heute nur schmunzeln lässt. Dass die Gegner lediglich als Figuren-Nebel daherkommen und nicht zu erkennen sind, rundet den schwachen optischen Gesamteindruck negativ ab.

Rechts, links, rechts

Kommt es zum Kampf, schwenkt die Kamera in die Arena-Perspektive, wo die Monster zum ersten Mal zeigen, dass die Entwickler etwas von Polygonen und 3D-Figuren verstehen: die Feinde reichen von einfachen Dieben, Kobolden und Orks bis hin zu dämonischen Samurai, Zauberern und dem Sensenmann persönlich. Das Figurendesign und die Kampfanimationen sind sehr ansprechend, alllerdings weit entfernt von der Brillanz des Genre-Königs Final Fantasy X . Auch die Zaubereffekte bei Feuer- und Eissprüchen sind eher eine nette Abwechslung als echte Hingucker. Nur die mächtigen Bereichsschäden mancher Sprüche gehören in die sehenswerte Kategorie - bis dahin vergehen viele unspektakuläre Stunden.

Liebe auf den zehnten Blick

Leider lässt sich die eigene Party zu keiner Zeit betrachten: So kann man weder sehen, was die Ausrüstung optisch bewirkt noch wie sich die eigenen Helden in 3D darstellen. Lediglich die durchdachten und einfach zu navigierenden Charakter-Statistiken geben Aufschluss über die eigene Party - das ist mehr als mager, denn so bleibt die Identifikation auf Zahlenkolonnen beschränkt.

Fazit


Wizardry ist wie eine Zeitreise in altehrwürdige Rollenspielzeiten: Wer Spiele wie Bard`s Tale, Might&Magic oder Dungeon Master mochte, wird sich dem nostalgischen Flair dieses Spiels nur schwer entziehen können. Viele liebevolle Details und so mancher, nach zwei Jahrzehnten Genre-Entwicklung vielleicht naiv wirkende Dialog, lassen wehmütige Erinnerungen an die Pionierzeit der virtuellen Fantasy aufkommen. Auch wenn die enttäuschende grafische Umsetzung und die zähe Story-Entfaltung zunächst abschrecken, entwickelt sich nach einigen Stunden doch ein seltsamer Spielspaß-Sog: Noch ein Level, noch ein Gang, noch ein Kampf. Und gerade das Team-Feature hebt Wizardry vom reinen Dungeon-Hack ab. Aber machen wir uns nichts vor: Alle, die von Bard`s Tale & Co noch nichts gehört haben und auf opulente Grafik à la Final Fantasy X stehen, sollten einen weiten Bogen um dieses bezaubernde, aber technisch gnadenlos veraltete Retro-Rollenspiel machen.

Pro

  • <li>schöne Melodien</li><li>nostalgisches Flair</li><li>Fantasy alter Schule</li><li>taktische Team-Kämpfe</li><li>innovatives Vertrauens-System</li><li>recht ansehnliche Gegner-Modelle</li><li>abwechslungsreiches Fallen-System</li><li>detaillierte, übersichtliche Statistiken</li> <li>sehr viele, kombinierbare Gegenstände</li>

Kontra

  • <li>magere Sounds</li><li>90-Grad-Steuerung</li><li>nur englische Texte</li><li>keine Sprachausgabe</li><li>triste Dungeon-Grafik</li><li>keine Ansicht der Party</li><li>teils statische Hintergründe</li><li>sich wiederholende Kämpfe</li><li>schleppende Story-Entwicklung</li>

Wertung

PlayStation2