Tenchu: Wrath of Heaven - Test, Action-Adventure, PlayStation2

Tenchu: Wrath of Heaven
10.03.2003, Jörg Luibl

Test: Tenchu: Wrath of Heaven

Einer der Urväter asiatischer Stealth-Action feiert mit Tenchu: Wrath of Heaven (ab 44,72€ bei kaufen) auf der PS2 seinen Next-Generation-Einstand. 1998 debütierte die Reihe auf der PSone und überzeugte mit packenden Ninja-Abenteuern, die die Kunst des leisen Todes zelebrierten. Ob die japanischen Assassine ähnlich gekonnt zum Spielspaß schleichen wie Solid Snake und Sam Fisher, klärt der Test!

Mädchenraub, Prostitution, Mord - im Japan des 16. Jahrhunderts ist Gewalt allgegenwärtig. Besonders ehrgeizig ist Fürst Tenrai, der dämonische Bösewicht par excellence: schwarz geschminkt und übel gelaunt will er ganz Japan mit seinen wilden Horden unterwerfen. Doch ein ehrenhafter Fürst widersetzt sich dem kriminellen Treiben und schickt seine tödlichen Ninjas in den Kampf gegen das Böse.

Im Schatten gegen das Böse

Die Story sorgt zwar für einen erzählerischen Rahmen, bleibt aber an der Oberfläche typischer Gut-Böse-Szenarien. Tenshu-Kenner werden sich dennoch schnell heimisch fühlen, denn es gibt immer wieder Anspielungen auf Personen und Ereignisse vergangener Teile. Das braucht Einsteiger aber nicht abschrecken, denn Vorkenntnisse sind nicht nötig, um Tenrai auf den Pelz zu rücken. Durchaus gelungen sind die kleinen Zwischensequenzen, die Aufträge oder schwere Kämpfe mal mit süffisanten, mal mit unheilvollen Dialogen einleiten.

Drei Meister des Todes

Wie schon in den beiden Vorgängern, schlüpft Ihr auch im dritten Teil wahlweise in die Rolle des disziplinierten Ninjameisters Rikimaru oder der grazilen Ninjitsu-Akrobatin Ayame.

Erst nach erfolgreichem Abschluss der beiden Szenarien mit je zehn Missionen wird mit Tesshu ein Kampfmönch freigeschaltet, der sich sechs Aufträge lang ganz auf seine Martial Arts-Techniken verlässt.

Offiziell gibt es zwar mit dem Story-Modus, dem Multiplayer-Teil und dem Tutorial drei Spielmodi, aber Letzteres schockt mit trockenen Texterläuterungen, die in winzigen Filmchen dargestellt werden; selber Ausprobieren ist nicht drin. Angesichts der Komplexität der Steuerung ist das vollkommen unverständlich, denn bei neun Bewegungsarten, acht Attacken und zahlreichen Kombos sowie Gegenständen wäre ein interaktives Übungslevel Pflicht.

Ab ins kalte Wasser

Berücksichtigt man noch die sensible Steuerung und Kamera, ist das Fehlen von Training gleich zu Beginn ein schlampiger Dolchstoß für das Spieldesign. Denn so werden gerade Tenshu-Neulinge gezwungen, sich während der Missionen Schritt für Schritt an die Ninja-Techniken zu gewöhnen - viele frustrierende Fehlschläge inklusive.

Jeder Charakter spielt sich aufgrund seiner individuellen Fähigkeiten zwar ein wenig anders, aber im Großen und Ganzen ändert sich dadurch nichts am Spielprinzip: Ihr müsst Gebäude unbemerkt infiltrieren, Wachen möglichst schnell mit einer hinterhältigen Attacke töten und im besten Fall keinen Alarm auslösen. Manche Aufträge sind mehr Schleich- andere eher Action-orientiert. Trotzdem ist der leise Weg immer der bessere, denn am Ende einer Mission wird Euer Vorgehen bewertet: Nur wer viele Stealth-Kills und wenig Alarm verbuchen konnte, wird mit höheren Auszeichnungen wie "Ninja" belohnt, die neue Spezialattacken freischalten. Der Wiederspielwert der Level ist auch deshalb sehr hoch, weil man jeden mit drei verschiedenen Patrouillen-Routinen angehen kann.

Infiltrieren & Eliminieren

In Sachen Akrobatik und Bewegung haben die Ninjas einiges auf dem Kasten, das selbst Jump`n Run-Helden neidisch machen könnte: Neben dem normalen Sprung, dem Kriechen und der Rolle könnt Ihr auf Doppel-, Dreh- und Wandsprung sowie elegantes Hangeln und Schleichen an der Wand zurückgreifen.

Flink wie Wiesel

Das Highlight ist allerdings der Kletterhaken, den Ihr ganz à la Spider Man auf erhöhte Simse und Balken schießen könnt, um Euch dann hochzuziehen. Das Anvisieren per Fadenkreuz läuft reibungslos, und da die weitläufigen Areale nur so vor Dächern, Luken und Vorsprüngen wimmeln, kann man dieses Hilfsmittel optimal einsetzen, um schnell und ungesehen zum Ziel oder hinter seinen Gegner zu gelangen.

Doch selbst mit Kletterhaken ist man vor den Fallgruben nicht sicher: Manchmal kaum zu erkennen, oder mit falsch getimtem Hakenschwung angegangen, sorgen diese Löcher für den schnellen Tod. Das ist besonders frustrierend, weil sich die Ninjas nicht am Rand festhalten und selbst die magischen Extra-Leben nicht wirken, die beim Tod im Kampf ein Weiterspielen ermöglichen - bei den Fallgruben heißt es immer Game Over und Level neu starten.

Aber was wäre ein Ninja ohne seine Kampfkunst? Ist das Bewegungsrepertoire schon beeindruckend, setzt das Nah- und Fernkampfarsenal noch eins drauf. Entweder könnt Ihr aus der Entfernung zu Wurfstern, Wurfmesser oder Bogen greifen, oder Mann gegen Mann Dolche, Katanas, Speere und als Kampfmönch selbst die Fäuste einsetzen.

Gefährlich wie Nattern

Dabei lässt sich der Gegner immer bequem mit der R2-Taste fixieren. Ihr könnt Schläge abwehren und katzengleich um Widersacher herumtänzeln, oder per Salto und Drehung plötzlich hinter ihm auftauchen. Erst wenn Euch mehrere Gegner umzingeln, sind explosive Hilsmittel nötig, denn die KI ist hier unerbittlich.

Insgesamt sind über 30 Waffen verfügbar, darunter auch Rauchbomben, Fallen und Köder. Besonders effektiv gegen eine Übermacht ist die Feuerbombe - ein asiatischer Molotow-Cocktail, der eine Hand voll Verfolger schnell in lebende Fackeln verwandelt. Hinzu kommen Schlag- und Trittkombos, eine 360-Grad- und eine Wurf-Attacke.

Im Mittelpunkt steht natürlich die hinterhältige Attacke mit Todesfolge: der Stealth-Kill. Dank seines sechsten Sinns spürt ein Ninja, ob sein Opfer ihn entdeckt hat - dargestellt durch Herzklopfen und leuchtende Symbole, die vier Zustände von "ahnungslos" bis "höchst alarmiert" anzeigen. Kommt Ihr nah genug an eine unbekümmerte Wache heran, könnt Ihr sie per Druck auf die R1- und Angriffstaste spektakulär ins Jenseits befördern: bei Erfolg wird eine blutige Filmsequenz eingeleitet, die in Zeitlupe zeigt, wie der Ninja in einer fließenden Bewegung Kehle, Nacken oder Brust mit kaltem Stahl begrüßt. Je nachdem, aus welcher Richtung Ihr das Opfer überrascht habt, ändert sich der animierte Todestanz.

Tödliche Kunst

Diese Stealth-Kills sind grafisch, akustisch und auch spielerisch das Highlight von Tenchu, weil man für die erfolgreiche Anwendung mit Kuji-Schriftzeichen belohnt wird. Sammelt man während einer Mission neun davon, erhält man am Ende eine neue Fähigkeit. Und weil jeder Charakter auf diese Weise fast zehn neue Spezialbewegungen erlernen kann, bemüht man sich motiviert um Perfektion.

So viel Potenzial in Tenhsu auch steckt, die gewöhnungsbedürftige Kamera zehrt an den Nerven. Obwohl man die Perspektive per Button-Druck hinter sich ausrichten und mit dem rechten Analogstick schwenken kann, gibt es zu oft unübersichtliche und hektische Situation. Wenn man an eine Wand gepresst nicht um die Ecke sehen kann, Fallgruben im Boden viel zu spät erblickt und die Kamera plötzlich nicht schwenken kann oder hinter Mauerwerk verschwindet, kommt Frust auf.

Kamera für Geduldige

Und im Kriechen muss man dauernd nachjustieren, damit man sich geradeaus bewegt. Dass die Kamera trotzdem kein Totalausfall und mit etwas Geduld sogar beherrschbar ist, liegt an der freien Sicht per L1-Taste. Wenn man diese gedrückt hält und gleichzeitig mit R1 schleicht, kann man sich mit dem Analogstick besser umsehen. Diese Methode verlangt allerdings viel Übung und Geduld - eine intuitive Kamera sieht anders aus.

Aber nicht nur technisch, auch spielerisch bleiben Wünsche offen. Denn Tenchu reizt die Möglichkeiten des Schleichens und Infiltrierens nicht aus: Wer im Schatten wandeln will, ist auf Büsche, Mauern und Gebäude angewiesen. Das klappt auch ganz gut, aber Lampen und Fackeln lassen sich nicht löschen oder ausschießen. Außerdem gibt es keinen KO-Schlag, mit dem man Wachen oder Zivilisten ohne zu töten außer Gefecht setzen kann, obwohl gerade Letztere schnell Alarm schlagen.

Schleichen in Perfektion?

Immerhin kommt einem hier die durchwachsene KI entgegen: Obwohl Wachen Hilfe holen und Kämpfe gegen mehrere Gegner aufgrund des klasse KI-Teamplays tödlich sind, reagieren sie sehr entgegenkommend auf Alarm und sind schon ein paar Sekunden später wieder völlig ahnungslos: Ihr versucht Euch anzuschleichen, werdet entdeckt, rennt ein paar Meter zurück und versucht es erneut bis es klappt. Da überall der Tod lauert, kommt einem diese KI-Schwäche sehr entgegen; Hardcore-Ninjas macht sie das Leben viel zu leicht. Was den Stealth-Aspekt angeht, ist insbesondere Splinter Cell ausgereifter.

Und schließlich muss man seine Opfer an Ort und Stelle liegen lassen - sie wegzuschleppen ist nicht möglich. Das ist unverständlich, wenn man bedenkt, dass die Patrouillen sofort Alarm schlagen, wenn sie getötete Kumpanen entdecken.

Die zwei Mehrspielermodi von Tenshu sorgen auch nach den 26 Einzelspielermissionen für Spielspaß. Entweder bekämpft Ihr Euch gegenseitig in den riesigen Abschnitten oder Ihr kooperiert im Team gegen die KI, was trotz kleinem Splitscreen sehr motivierend ist.

Multiplayer-Spaß

Vor allem deshalb, weil Ihr zusammen mit Freunden ansehnliche Doppel-Attacken ausführen könnt. Gutes Timing vorausgesetzt, sorgen diese Stealth-Kills im Team für einen Heidenspaß. Zwar haben die Missionen hier nichts mit der Hauptstory zu tun, aber bieten spielerisch genug Abwechslung für zwischendurch.

Optisch ist Tenshu ein zweischneidiges Schwert: Die Entwickler haben die japanische Architektur, das Wetter und die Figuren gekonnt in Szene gesetzt. Die spielbaren Abschnitte sind teilweise enorm groß und bieten mehrstöckige Häuser, Tunnel, enge Gänge oder verwinkelte Schluchten. Insbesondere manche Innenräume glänzen mit Details wie Schalen, Tischen und Gemälden sowie stimmungsvollen Lichtspielen, die der PS2 alle Ehre machen.

Wo Licht ist,...

Das Interieur ist zwar nicht interaktiv, so dass Kisten und Schränke immun gegen Schläge sind und sich nicht öffnen lassen. Aber zahlreiche nützliche Gegenstände sowie herumstreunende Katzen und Hunde, die sogar Alarm schlagen, lockern die Szenerie auf.

Die Ninjas und ihre Gegner bewegen sich zudem sehr lebensecht. Und obwohl manche Sprünge vielleicht etwas zu ruckartig wirken, zeigen sich im Kampf vielfältige Schritt- und Schlaganimationen - alles sauber in 60 Hz. Insgesamt ist das Figurendesign markant und ansehnlich, denn Kleidung, Bewaffnung und Mimik wurden sehr gut eingefangen.

Weniger erfreulich sind hässliche Clipping-Fehler, die so manche Kameraperspektive offenbart, sowie sehr texturarme Tunnel und Gänge, die man kriechend erforscht. Auch die Landschaft enttäuscht hier und da mit Texturtapeten-Flüssen und klobigen Nebeleffekten - das kann die PS2 viel besser.

..ist auch Schatten!

Zudem trüben die mageren Soundeffekte auf Treppen und im Wasser den Gesamteindruck. Die Hintergrundmusik ist vom Rhythmus her zwar ein richtig guter Ohrwurm, aber auf Dauer monoton. Übersetzt wurde nur das ultradünne Handbuch, im Spiel gibt es deutsche Texte und wahlweise englische oder japanische Sprachausgabe.

Fazit


Schade, schade, schade - was für ein Potenzial in diesem Spiel steckt! In der Haut des Ninjas bin ich flinker als Solid Snake, der geniale Kletterhaken macht mich zu Spider Man und meine Kampfkünste lassen jeden Samurai alt aussehen. Besonders dann, wenn ich in den verwinkelten Gängen leise wie eine Schlange an eine Wache heranschleiche, um sie in einem tödlichen Tanz ins Jenseits zu befördern. Und im Team machen die Stealth-Kills gleich doppelt so viel Spaß! Aber leider haben die Entwickler einige nervige Hürden aufgebaut, die mir zu viel Geduld abverlangen: Das Tutorial ist ein schlechter Witz, die Kamera eine sprudelnde Frustquelle und die Steuerung gewöhnungsbedürftig. Ideale Zutaten, um Einsteiger und Ungeduldige zu vergraulen. Außerdem wird das lautlose Vorgehen spielerisch nicht ausgereizt. Und trotz herrlich großer und teilweise sehr stimmungsvoller Abschnitte, leidet die Optik hier und da unter hässlichen Texturtapeten und Clipping-Fehlern. Auch die Soundeffekte gehören in die Kategorie mager. Doch obwohl die Mängelliste groß ist, bleibt unterm Strich ein gutes Stealth-Action-Spiel, das Genre-Fans nicht zuletzt aufgrund des motivierenden Belohnungssystems und des innovativen Mehrspielermodus lange unterhalten wird.

Pro

  • <li>gute KI im Kampf</li><li>sehr große Levels</li><li>gutes Kampfsystem</li><li>detaillierte Innenräume</li><li>spektakuläre Stealth-Kills</li><li>klasse Architektur & Leveldesign</li><li>motivierendes Belohnungssystem</li><li>drei Schwierigkeitsgrade</li><li>zwei Multiplayer-Modi</li><li>nette Zwischensequenzen</li>

Kontra

  • <li>nutzloses Tutorial</li><li>billige Soundeffekte</li><li>vereinzelt Clipping-Fehler</li><li>keine deutsche Sprachausgabe</li><li>schwache Texturen in Gängen</li><li>schwache KI auf Patrouille</li><li>sehr gewöhnungsbedürftige Kamera</li><li>reizt Stealth-Möglichkeiten nicht aus</li><li>frustrierende Fallgruben</li><li>wenig Locations</li>

Wertung

PlayStation2