Deus Ex: Invisible War - Test, Rollenspiel, XBox, PC

Deus Ex: Invisible War
05.03.2004, Jörg Luibl

Test: Deus Ex: Invisible War

Nachfolger haben es schwer. Vor allem dann, wenn der Vorgänger von Warren Spector entwickelt wurde und Deus Ex heißt. Der SciFi-Klassiker, der anno 2000 Spieler und Kritiker begeisterte, wird endlich auch auf Deutsch fortgesetzt – allerdings unter der Federführung von Harvey Smith. Kann der Neuling dem Altmeister das Spielspaßwasser reichen?

Stellt euch vor, nicht nur die Twin Towers, sondern ganz New York wäre einem einzigen Terroranschlag zum Opfer gefallen: eure Familie, eure Freunde, eure Heimat – alles nur noch entfernte Partikel im Staub der Vernichtung. Und stellt euch vor, ihr hättet nicht nur die Möglichkeit, die Urheber dieses Massenmords zur Strecke zu bringen, sondern auch die Macht, das politische Schicksal der Erde zu bestimmen.

Alleine im Wahnsinn

Ein Kapuzenmann, eine Bombe - Chicago kurz vor dem Kollaps. Das Render-Intro ist filmreif. (PC)

Genau diese bittersüße Konstellation aus Wahnsinn und Chance erwartet euch in der Haut von Alex D., als Chicago im Jahr 2072 von der Nanobombe eines Selbstmordattentäters pulverisiert wird. Denn der junge Tarsus-Agent hat Glück im Unglück und kann gerade rechtzeitig mit wenigen Freunden und Wissenschaftlern seiner Akademie nach Seattle fliehen.

Aber auch an der amerikanischen Westküste bleibt keine Zeit für Trauer, und schon gar nicht für ein gemütliches Tutorial. Die dramatische Eröffnung versetzt euch sofort einen Adrenalinschub, denn schon nach wenigen Sekunden seid ihr umgeben von Explosionen und Toten, Kapuzenmänner schleichen durch Korridore und ein weibliches Hologramm flüstert euch mit sanfter Stimme ein, dass ihr nur ein Versuchsobjekt seid, welches gerade vom "Orden" befreit wird. Wieso, weshalb, warum? Neugierig, irritiert und aufgeregt stürzt man sich in ein Labyrinth aus Antworten - so muss ein Einstieg aussehen!

Spannende Eröffnung

Deus Ex 2 ist ein Action-Rollenspiel im Shooterpelz. Zwar bewegt ihr euch in Egoperspektive, und mit dem Fadenkreuz visiert ihr im Ernstfall eure Ziele an. Aber ihr erforscht eine lebendige Spielwelt, die nicht auf stupiden Bodycount, sondern auf kluge Taktik ausgelegt ist. Theoretisch müsst ihr bis zum Finale keinen einzigen Blutstropfen vergießen.

Taktisches Schauspiel

Den Kopf möchte man angesichts der umherschwirrenden Fragezeichen trotzdem einziehen: Wer steckt hinter der Katastrophe? Warum sollt ihr befreit werden? Wer ist diese mysteriöse Frau? Am Ende der futuristischen Odyssee, die euch bis nach Kairo, Trier und in die Antarktis führt, wartet kein Bildschirm füllender Endgegner, sondern eines von vier möglichen Gesellschaftsmodellen.

Statt Handy und Telefonzellen gibt`s Hologramme und News-Terminals. (PC)

Gegen Ende des 21. Jahrhunderts gibt es allerdings keine schwarz-weiße Welt mit Schurkenstaaten, die mal eben überrollt werden. Nationen wie die USA oder China sind längst verschwunden, stattdessen buhlen globale Organisationen in den letzten Metropolen um die Gunst der Bevölkerung – darunter Kapitalisten, Gläubige, Fundamentalisten, Sektierer, Genmanipulierer und Kaffeekartelle.

Ideologischer Spielball

Die Mächtigen der Welt schmieren auch euch fleißig Honig um den Mund. Sie locken mit der Wahrheit über Chicago, mit Geld und denunzieren ihre Widersacher.

Alex D. stromert zunächst mit tausend Fragen im Kopf durch düstere Gassen. Die Gesichtsanimationen sind übrigens sehr gut; nur die Lippen bleiben manchmal starr.  (PC)


Zu Beginn fühlt man sich wie ein Spielball, dem alle Parteien ihren ideologischen Drall geben wollen: Folge dem Orden, Tarsus betrügt dich! Arbeite für die WTO, der Orden ist fanatisch!

Da man als heimatloser Biomod-Agent nicht nur pleite ist, sondern auch noch viel zu wenig vom Geschacher hinter den Kulissen weiß, lässt man sich mal hier, mal da anheuern und versucht während der kleinen Jobs herauszufinden, was sich hinter den vielen Engelszungen verbirgt. Diese düstere Ungewissheit lässt die ersten Stunden wie im Fluge vergehen, denn im Gegensatz zu vielen schnell durchschauten Spielwelten wirkt die Zukunft hier erfrischend komplex und widersprüchlich.

Zunächst scheint eure Arbeitgeber-Wahl keine Konsequenzen zu haben, denn ihr könnt sie beliebig wechseln. Aber später gibt es Unmutsbezeugungen, ihr landet in Strafkarteien und steht irgendwann vor dem harten Entweder-oder. Dann teilt sich der Story-Pfad und ihr folgt einer Organisation. Doch deren radikale und gemäßigte Flügel beginnen wieder um euch zu werben. Und wenn ihr euch erneut entschieden habt, tauchen vielleicht noch andere Angebote auf. Selbst JC Denton, der legendäre Held aus Teil 1, spielt eine mysteriöse Rolle.

Aber habe ich tatsächlich eine große Auswahl, wenn es um meine Partner geht? Nicht wirklich. So herrlich offen wie in The Elder Scrolls 3: Morrowind   ist die Wahl des Arbeitgebers nämlich nicht - es gibt zunächst nur zwei große Fraktionen, obwohl man das Gefühl hat, von Möglichkeiten umzingelt zu sein. 

Illusion der totalen Freiheit

Vielleicht ist das auch der Grund für das Fehlen einer Übersicht zu den Sympathiewerten? Man kann nie konkret nachvollziehen, mit wem man es sich tatsächlich verscherzt hat. Trotzdem wird die Illusion der tausend Rivalitäten durch die vielen Datapads sowie News- und Hologramm-Terminals, die euch nicht nur mit Hintergrundwissen, sondern auch mit aktuellen Nachrichten versorgen, aufrecht erhalten.

Diese Konflikte lassen die Welt auch deshalb sehr lebendig wirken, weil die meisten der 75 deutschen Sprecher schauspielerisch überzeugen. Nur das Gespräch des Intros hätte angesichts der Katastrophe wesentlich emotionaler sein können - gerade der Wissenschaftler ist schwach besetzt. Dafür wurde selbst das nasale Zischen der Cyborgs und das metallene Geplapper der Roboter sehr gut eingefangen. Freut euch auf prominente Stimmen von Brad Pitt über Nicole Kidman bis hin zu Denzel Washington.

Noch interessanter sind die zahlreichen Gespräche, die ihr belauschen könnt, denn hier motzen Unterdrückte, eifern Missionare und analysieren Wissenschaftler.

Hollywood spricht

In Kairo herrscht dicke Luft. Nur die Elite darf in voll klimatisierten Räumen leben, der Rest siecht dahin. Ihr könnte allerdings Abhilfe schaffen...  (Xbox)

Star Wars: Knights of the Old Republic (KotOR) verlangte in erster Linie moralische, hier werden in erster Linie politische Entscheidungen von euch verlangt – obwohl beide herrlich kollidieren können; hier ein Beispiel:

Heiligt der Zweck die Mittel?

Ihr folgt dem "Orden" aus Überzeugung, also weil euch sein religiöses und antikommerzielles Weltbild sympathisch ist. Und dann verlangt dieser von euch plötzlich den Mord an einem Wissenschaftler. Was tun? Sich auf Kosten der Moral in den Dienst der vermeintlich guten Sache stellen? Oder doch lieber der kapitalistischen WTO folgen, denn hier sollt ihr die Person nicht eliminieren, sondern bloß ausspionieren. Aber ihr Weltbild schmeckt euch überhaupt nicht…

…in solchen Situationen sitzt man brütend und Hände ringend am Bildschirm. Dann quälen einen diese bittersüßen Gewissenskonflikte, die so viel von der Faszination des Spiels ausmachen. Und das Gemeine daran: Lasst ihr den Mann leben, wird er später vielleicht noch Probleme machen, denn eure Entscheidungen haben Einfluss auf spätere Ereignisse.

Erzählerisch und konzeptionell ist Deus Ex 2 faszinierend, handwerklich oft sehr gut, manchmal aber enttäuschend inszeniert. Doch zunächst zu den guten Seiten, wie den abwechslungsreichen Aufträgen: Ihr sollt Beweise sammeln, Konkurrenten ausschalten, Apartments infiltrieren, Baupläne stehlen, Vermisste finden, Einflussreiche bestechen oder Computer hacken.

Die laute oder die leise Tour?

Dank Bot-Tarnung kann euch dieses Ungetüm nicht orten. Und mit der passenden Modifikation kann man den Riesen gleich hacken und selbst steuern...   (PC)

Viel wichtiger ist, dass ihr eure Vorgehensweise selbst bestimmen könnt: Immer führen mindestens zwei, manchmal drei oder vier Wege zum Ziel – und das bezieht sich sowohl auf die Route als auch die Taktik. Denn zum einen ist das Leveldesign gespickt mit geheimen Lüftungsschächten, verborgenen Treppen und Notausgängen, die viele Alternativen zum schwer bewachten Haupteingang bieten.

Als Scharfschütze kann man entfernte Grüße aus dem Schatten auf die Reise schicken. Mit Schalldämpferaufsatz und Tarnmodul ist das Sniperleben sehr komfortabel. (PC)

Und zum anderen ermöglichen euch das große Waffen- und Granatenarsenal sowie eure Hackerfähigkeiten den fließenden Taktikwechsel vom Shooter zum Schleicher: Sprengt und ballert euch auf die harte Tour mit Splittergranaten, Energieschwert oder Flammenwerfer zum Ziel. Mogelt und meuchelt euch auf die leise Tour mit Störgranaten, Elektroschocker oder Präzisionsgewehr zum Ziel.

All die tanzenden Schatten, die düsteren Korridore, die engen Lüftungsschächte – theoretisch ein Paradies für Spezialagenten. Ihr könnt geduckt gehen, eure Opfer kampfunfähig machen oder schallgedämpft eliminieren. Und die leise Tour macht Spaß, denn die Gegner reagieren penibel auf Geräusche, schwatzen über die Ursachen und patrouillieren gezielt Richtung Lärmquelle, während sie euch mit Sprüchen herausfordern.

Aber werden Baller- und Schattenmänner sehr gut bedient? Schauen wir mal genau hin…

Schleichen für Profis? Jein.

Die Moschee in Kairo ist eines der architektonischen Highlights. Feine Mosaikfliesen und gewebte Teppiche sorgen für orientalisches Flair. (PC)

Aber erstklassig wie in Splinter Cell ist der Stealth-Aspekt nicht: Lampen lassen sich z.B. nicht ausschießen. Und man bekommt zu wenig Tarn-Feedback, denn es fehlen Anzeigen, die den eigenen Geräuschpegel oder die Deckung verdeutlichen. Manchmal sitzt man mucksmäuschenstill in einer dunklen Ecke und wird trotzdem sofort entdeckt. War man zu laut? War etwas sichtbar? Und obwohl ihr Opfer wegschleppen könnt, scheinen manche tote Körper keine Reaktion bei Wachen hervorzurufen.

Das ist einer der mittelgroßen, aber aggressiven Wachroboter, die man besser nicht im Nahkampf attackiert. (Xbox)

Deus Ex 2 ist zwar kein Shooter, aber Freunde von realistischen Schussgefechten wird stören, dass es bis auf den Kopf keine Trefferzonen, sondern nur eine Energieleiste gibt. Wenn ihr euren Gegnern z.B. ins Knie oder in den Arm schießt, zeigen sie sich völlig unbeeindruckt und kämpfen weiter: sie knicken nicht ein, hinken nicht. Und Tote neigen dazu, noch lange nach ihrem Ableben zu zucken.

Schießen für Profis? Nein.

Außerdem nagt die automatische Pausierung beim Aufruf des Inventars an der Spannung, denn hier könnt ihr nicht nur während des Gefechts die Waffe wechseln, sondern auch ganz in Ruhe mehrere Heilpakete futtern, um eure Energieleiste zu füllen – diesen Luxus bot selbst KotOR nicht. Der Vorteil ist, dass man selbst auf dem dritten der vier Schwierigkeitsgrade ohne große Nachladeprozeduren vorwärts kommt.

Was gibt`s in Trier? Genau: Das stärkste Bier! Ob Ion Storm bei der Wahl er deutschen Stadt nach Endreimtauglichkeit ging? (PC)

Eigentlich hätte Deus Ex 2 in hitreife Sphären aufsteigen können, aber das Figurenverhalten zwingt es auf den irdenen Teppich. Ein Reinfall ist die künstliche Intelligenz nicht: Wachen rufen Verstärkung, reagieren auf Alarm und Lärm, suchen gezielt nach euch und werfen Granaten, bevor sie zur Waffe greifen. Außerdem bestechen die NPCs durch passende Kommentare, wie z.B. genervtes Sticheln oder Drohungen, wenn ihr durch deren Privaträume poltert. Auch die Schussgenauigkeit der Alarmierten nimmt mit den letzten beiden Schwierigkeitsgraden merklich zu. Es kann sein, dass ihr eine Stunde lang in einer verblüffend realistischen Welt unterwegs seid.

Unrealistisches Figurenverhalten

Aber die KI ist schrecklich inkonsequent: Denn mal kann man einen Gegner aus einer Gruppe angreifen, ohne dass die anderen ihm helfen, mal nicht. Mal kann man Kisten vor den Augen ihrer Besitzer plündern, mal nicht. Deus Ex 2 macht hier im Ansatz vieles besser als das Kleptomanenparadies KotOR oder die sturmfreie Morrowind-Bude, aber scheitert an der wankelmütigen Umsetzung.

Und die Figuren reagieren nicht immer glaubwürdig: Warum kann ich mich mit Wachen unterhalten und ihnen dabei den Lauf meiner Schrotflinte auf die Nase setzen? Schon Gothic hat vor drei Jahren gezeigt, wie lebendig NPCs auf so eine Bedrohung reagieren können. Warum kann ich manche Räume in bester Einbrechermanier durch den Lüftungsschacht betreten, ohne dass sich ein Sicherheitsmann (!) darüber wundert? Warum bemerkt ein Türsteher seinen toten Boss im Nebenraum nicht? Klar verlangt die Reaktion der Figuren aufgrund der unklaren Freund-Feind-Lage komplexere Routinen als die der Splinter Cell-Wachen. Aber das ist keine Entschuldigung, denn die Entwickler wollten eine intelligente Welt schaffen.

Ein weiteres Beispiel: Ich betrete einen Nachtclub. Drei WTO-Sicherheitsleute sind anwesend, aber nur einer ist mir feindlich gesinnt – symbolisiert durch ein rotes Fadenkreuz. Erste Frage: Warum nur einer? Dann verstecke ich mich ein paar Meter weiter im Flur, zücke meine schallgedämpfte Pistole und das tödliche Projektil geht auf die Reise: Kopftreffer, der Mann fällt zu Boden. Zweite Frage: Warum stört das seine beiden Kollegen nicht, die immer noch locker an der Bar stehen? Ich gehe hin und schwatze ein wenig, der Tote liegt neben mir, ich raube ihn aus, keinen kümmert`s. Verflixt und zugenäht: In solchen Situationen verliert die Welt verdammt viel an Glaubwürdigkeit und Faszination! Das hätte eine gute Qualitätssicherung verhindern müssen.

Mord im Freundeskreis

Schon die Figurenwahl ist bescheidener als die aus KotOR: Männlich, weiblich, drei Hauttypen – das war`s. Außerdem gibt es kein numerisches Feedback: Also keine Zahlen, die anzeigen wie stark, wie schnell, wie erfahren ihr seid. Das liegt sicher auch daran, dass Alex D. von Anfang an heroisch fit ist und sich bloß das richtige Modul einschmeißen muss. Das stört nicht unbedingt den Spielspaß, aber wird vor allem den Statistikern und Tabellenwühlern fehlen, die ihre Figur gerne Stück für Stück aufrüsten.

Charakterentwicklung light

Auch wenn euch Deus Ex 2 tiefgründige Fragen stellt und so manches Philosophenzitat einstreut, bleibt die Charakterentwicklung flach und oberflächlich.

Auch wenn Laserschranken, Selbstschussanlagen und Wachen Eingänge bewachen - es gibt immer einen Weg hinein. Oder zwei. Oder drei. Oder vier.(Xbox)

Echte Rollenspieler werden etwas anderes vermissen: mehr und vor allem verschachteltere Dialoge. Es gibt zwar in einigen Situationen mehrere Antwortmöglichkeiten, aber die meisten der Gespräche laufen automatisch ab. Und das, obwohl man an vielen Stellen zu gerne eine andere Antwort geben würde, um Alex D. mehr Charakter einzuhauchen. Z.B. an der Stelle, als er viel zu ehrfürchtig mit einer Ordensmeisterin spricht, obwohl man ihre Organisation bekämpfen will – warum kann ich hier nicht arrogant sein? Warum kann ich hier nicht pöbeln? Hier hat man einiges an Identifikationspotenzial verschenkt. Das ist schade, wenn man an den Dialogwitz und die verzweigte Baumstruktur von KotOR denkt.

Aber was hier an individueller Entwicklung verschenkt wird, wird durch die spielerische Entfaltung wieder aufgefangen: Denn ihr könnt eure körperlichen und geistigen Fähigkeiten mit 15 legalen und illegalen Implantaten sehr gut an euren Stil anpassen. So könnt ihr schneller rennen, leiser schleichen, mehr heben oder mit Nachtsicht sehen. Sogar das Hacken von Computern oder Abzapfen von Lebensenergie, das thermale Tarnen, Verschießen von Giftpfeilen oder direkte Steuern von Robotern ist möglich. Diese Biomodifikationen laden immer wieder zum Experimentieren ein, lassen sich in drei Stufen aufrüsten und ermöglichen sehr effektive Kombinationen. Und da sich diese Eigenschaften überschreiben lassen, kann man seine Taktik auch später wechseln. Das Problem ist nur: Man erreicht viel zu schnell die maximale Effektivität. Es gibt auch keine versteckten oder nur bei besonderen Leistungen freigeschaltete Module.

Zwar sammelt ihr keine Erfahrungspunkte, aber die kleinen Ausflüge können schon mal eines von acht nützlichen Waffenupgrade wie den Schalldämpfer oder das mörderische Hohlgeschoss, eine von sieben Granatentypen oder gar ein neues Implantat einbringen.

Gegenstände & Inventar

Die Figuren und Räume sehen auch auf der Xbox klasse aus. Nur hat man hier mit Kantenbildung und weniger plastischem Bump-Mapping zu kämpfen. (Xbox)

Die verwinkelten Gassen von Seattle, Kairo & Co belohnen fleißige Entdecker mit geheimen Depots und gefüllten Truhen. Es gibt ein riesiges Sammelsurium an Nah- und Fernkampfwaffen, Werkzeugen sowie Lebensmitteln. Allerdings hat man auch hier viel zu schnell die tödlichste Feuerkraft im Anschlag, so dass der Kitzel neuer Entdeckungen schon in der zweiten Stadt Kairo verschwunden ist.

Und die Finderfreude währt nicht lange, denn das Inventar besteht aus mageren zwölf Plätzen. Nach einer halben Stunden Spielzeit wird man genötigt, vermeintlich unwichtige Dinge fallen zu lassen. Das ärgert auch deshalb, weil selbst die unabdingbaren Energiezellen für die Biomodule und die wichtigen SciFi-Dietriche hier gehortet werden. Nur ein Stärke-Modul schafft mit zwei weiteren Plätzen etwas Abhilfe.

In dieser düsteren deutschen Kneipe gibt`s nicht nur Tabledance, sondern sehr schnell tödlichen Kugeltanz. (PC)

Auch die Bedienung des irisförmigen Menüs verlangt einige Geduld, denn statt Drag&Drop gibt es Klick&Klack beim Itemtausch, was vor allem PC-Zocker nerven wird. Auch ärgerlich: Die ständig benötigten Multitools können nicht gestapelt werden, wenn sie in getrennten Slots liegen! Auf der Xbox flutscht die Steuerung übrigens etwas besser, denn hier wirkt die Button-Belegung intuitiver, dafür fehlt auf der Konsole wiederum die Zielpräzision der Maus. Designtechnisch ist das Interface sehr gelungen, zumal ihr die Transparenz und Farbe den eigenen Wünschen anpassen könnt.

Es gibt zwar im optischen Detail einiges zu beanstanden, darunter einige schwache Wandtexturen,  üble Clippingfehler, noch lange zuckende Tote, so manch fehlende Lippenbewegung sowie die vielen gleichen Gesichter, mit denen schon KotOR zu kämpfen hatte, aber Deus Ex 2 entführt euch in eine atmosphärisch dichte und stilistisch glaubwürdige Welt.

Glaubwürdige Zukunft

Ja, scheinbar spielen auch Aliens eine Rolle im futuristischen Konflikt. Oder was steckt hinter den Kulleraugen? Ihr werdet es herausfinden... (Xbox)

Dafür sorgen das authentisch wirkende Mobiliar sowie die markante Architektur, die einem mit ihrem futuristischen, aber dennoch vertrautem Design nicht das Gefühl einer abgefahrenen, sondern plausiblen Zukunft geben: Graffiti zieren Wände, Ratten jagen durch die Gassen und es dampft trübe aus Abflussrohren. Im Nachtclub könnt ihr euch von tanzenden Hologrammen verzücken lassen, in der riesigen Moschee warten orientalische Fliesenmuster auf euch. Und in Trier dürft ihr die Porta Nigra unsicher machen, die mit ihrem plastischen Mauerwerk richtig gutes Bump-Mapping zeigt.

Trotzdem entsteht ab und an ein Gefühl der Enge. Einmal, weil das Leveldesign fast nur aus relevanten Orten mit Haupt- und Nebenquests besteht - es gibt quasi keinen Alltag. Das fördert den Spielfluss, was gut ist; raubt aber die Illusion der offenen Welt, was auf einige ernüchternd wirken kann. Und zum anderen, weil sich - bis auf ein paar Gassen mit Blick auf den leider gar nicht bis  karg animierten Himmel - alles im Inneren abspielt.

Schönes Levelkorsett

KotOR konnte das durch den Einsatz von Missionen im Freien wieder relativieren, wirkte aber im Detail steriler. In Deus Ex 2 sieht wiederum selbst so manches runtergekommene Klo im Lichtkegel bewegter Lampen klasse aus – vor allem, wenn man in hoher Auflösung und vollen Details auf dem PC spielt. Auch das weiche Glühen der Neonröhren und Deckenstrahler ist ein Hingucker.  Die Xbox-Fassung schneidet auch aufgrund starker Kantenbildung, langer Ladezeiten und einiger Ruckler klar schwächer ab.

Gerade diese tanzenden Schatten und die Physikengine, die euch vom Basketball bis zum Stuhl alles durch die Gegend schmeißen und Fässer hinabrollen lässt, machen viel von der lebendigen Stimmung aus, die dem Jedi-Abenteuer fehlte – auch, wenn man weder in Sachen Gesichtsanimationen noch im Bereich der Partikeleffekte die Brillanz von Max Payne 2 erreicht.

Dafür ist das Kreaturendesign wiederum gelungen: Es gibt kleine Spinnenbots, die sich bei Alarm von der Decke fallen lassen, Bildschirm füllende Mechmonster mit großkalibriger Wumme und schwebende Roboter mit Suchscheinwerfern. Und im Gegensatz zur ersten US-Version zeigt sich die deutsche DVD-Variante weitaus performancefreundlicher, denn die Framerate liegt selbst mit GeForce 3, 512 MB Ram und 1,5 GHz auf mittlerer Detailstufe im angenehmen Bereich. Auch die einmal gewählte Auflösung bleibt beim nächsten Start aktiv.

Fazit

Ich bin hin- und her gerissen: Deus Ex 2 vermengt Faszinierendes, Ernüchterndes und Frustrierendes - und ich habe es verdammt gerne gespielt. Daher zunächst der Jubel: Das Team von Ion Storm entführt euch in ein erzählerisch packendes und herrlich freies Abenteuer. Von der ersten Sekunde an fragt, schleicht, kämpft und hackt man sich auf unendlich viele Arten durch einen ideologisch höchst aktuellen Schmelztiegel von Interessenskonflikten – viel Verrat und Überraschungen inklusive. Wer sich gerne düsteren Zukunftsszenarien hingibt, lineares Leveldesign verabscheut und je nach Auftrag vom Shooter zum Schleicher, vom Mörder zum Dieb mutieren will, liegt hier genau richtig. Zumal sowohl die deutschen Sprecher als auch die ebenso düstere wie detailverliebte Kulisse für knisternde Atmosphäre sorgen. Jetzt die Ernüchterung: Spielerisch ist dieser fließende Mix zwar sehr motivierend, aber wenn man genau hinschaut, werden sowohl Rollen-, als auch Stealth – und Shooterspieler einige offene Wünsche haben. Außerdem wiederholen sich viele Gesichter, es gibt einige Grafikfehler, das kleine Inventar nervt und die Bedienung ist nicht komfortabel genug. Aber das sind alles Peanuts im Vergleich zum inkonsequenten Figurenverhalten. Trotz guter Ansätze zeigt die KI so starke Aussetzer, dass die Spielwelt in manchen Situationen einfach an Glaubwürdigkeit verliert - hier hat man verdammt viele Atmosphärepunkte verschenkt. Trotzdem: Wenn ihr nicht an der engen Story-Leine durch den typischen Actionbrei gezerrt werden, sondern bei offenem Ende selbst Regie führen wollt, geht kein Weg an Deus Ex 2 vorbei. Habt ihr die Wahl zwischen PC und Xbox, solltet ihr auf den technisch überlegenen Rechenknecht setzen.

Pro

  • spannende Story
  • packender Einstieg
  • komplexe Spielwelt
  • vier mögliche Enden
  • hoher Wiederspielwert
  • stimmungsvolle Kulisse
  • nicht-lineares Leveldesign
  • große spielerische Freiheit
  • sehr gute deutsche Sprecher
  • gute Musik- & Soundkulisse
  • großes Waffen- & Itemarsenal
  • Gegner reagieren gut auf Akustik
  • aggressiv, schleichend & passiv spielbar
  • Fähigkeiten nach eigenen Wünschen formbar

Kontra

  • <P>
  • schwache KI
  • viele Ladephasen
  • keine Trefferzonen
  • zu kleines Inventar
  • einige Ruckler (Xbox)
  • viele gleiche Gesichter
  • zu wenig Tarn-Feedback
  • zu wenig offene Dialoge
  • unrealistisches Kampfsystem
  • hakeliges Springen &amp; Klettern
  • einige Clipping
  • &amp; Grafikfehler
  • schwache Charakterentwicklung
  • starke Kantenbildung (Xbox)
  • sehr lange Ladezeiten (Xbox)
  • teils unglaubwürdiges Figurenverhalten
  • gewöhnungsbedürftige Bedienung (PC)</P>

Wertung

XBox

Trotz kleiner KI- & Grafikmacken hat mich die Story bis zum Ende gefesselt - und davon gibt`s gleich mehrere!

PC