Lords of the Realm 3 - Test, Taktik & Strategie, PC

Lords of the Realm 3
26.03.2004, Jörg Luibl

Test: Lords of the Realm 3

Ist billig auch gut? Diese Frage stellt sich allen Echtzeit-Strategen, die derzeit mit dem Kauf des knapp 30 Euro günstigen Lords of the Realm III liebäugeln. Vivendi buhlt mit diesem Kampfpreis nicht nur um alle Veteranen, die bereits 1994 und 1996 Burgen erstürmten und Reiche eroberten, sondern auch um Neueinsteiger. Ob sich der Trip ins Mittelalter lohnt?

Vor dem Spaß kommt die Ernüchterung: Das erste Laden des Spiels dauert eine minutenlange Ewigkeit. Also schaut man in die Box: Angesichts des Sparpreises hat sich Vivendi gleich die gedruckte Anleitung gespart – die macht lediglich als PDF-File ihre Aufwartung. Statt eines Handbuchs findet ihr nur eine farbige Faltkarte mit Tastaturkürzeln, Iconlisten und Steuerungshinweisen.

Geiz ist geil?

Der Siplomatiebildschirm sieht auf den ersten Blick gut aus, aber sehr schnell zeigt sich, dass sich dahinter wenig Substanz verbirgt.

Zwar gibt es ein fünfstufiges Tutorial, das sehr einsteigerfreundlich und mit guter deutscher Sprachausgabe in die Spielmechanik einführt, aber am Ende bleiben viele Fragen offen, so dass ein Blick in die virtuelle Anleitung für Erfolge auf höheren Stufen Pflicht ist.

Lords of the Realm III (LotR) bietet euch vor dem Hintergrund des europäischen Mittelalters drei Spielebenen: Aufbau, Kampf und Diplomatie. Alle drei laufen parallel und in Echtzeit ab, was für einen sehr dynamischen Spielfluss sorgt. Ihr müsst als aufstrebender Fürst immer abwägen, wo ihr gerade eingreifen wollt, denn während ihr Bündnisse vorbereitet oder Gebiete ausbaut, marschieren eure Armeen in Echtzeit weiter und kämpfen im Ernstfall automatisch. In den ersten Minuten hat man das Gefühl, Europa Universalis II in ansehnlich, dynamisch und einfach zu spielen; später wird klar, dass es an Komplexität und Gestaltungsfreiraum fehlt.

Dynamischer Mix

Solisten stehen vier Kampagnen in Irland, England, Frankreich und dem Deutschen Reich zur Verfügung, die kurz und knapp geschichtlich eingeleitet werden, aber ansonsten keine nennenswerte Story bieten. Wer lieber direkt zum Angriff blasen will, kann sich auf 14 Schlachtfeldern beweisen – darunter Klassiker wie Hastings, Bannockburn und Agincourt. Im Multiplayerbereich können sich bis zu acht Kontrahenten in beiden Spielmodi über LAN oder GameSpy austoben. Die reinen Schlachten sind allerdings nur für zwei Fürsten ausgelegt.

Im Gegensatz zu anderen Spielen, die euch meist wie einen absolutistischen König über ein Reich herrschen lassen, setzt LotR auf etwas mehr historische Genauigkeit, was die Staatsform angeht: Ihr seid Fürst, aber ihr herrscht nicht direkt über Territorium, sondern über Personen in vier Kategorien - Leibeigene, Bürger, Geistliche und Ritter. Je nachdem, wen ihr wo mit Land belehnt, bekommt euer Reich dort entweder mehr Nahrung, Geld, Religiösität oder Soldaten.

Personenverbandstaat

Euer Herrschaftsgebiet zeigt also das Gesicht eurer Vasallen und lebt von der richtigen Mischung. Dadurch, dass sich euch im Laufe des Spiels auch noch ganz unterschiedliche Leute mit teilweise wichtigen Spezialfähigkeiten anbieten, und dass sich empörte Untertanen wieder von euch abwenden, gewinnt die Personalplanung an Gewicht: Ein gewöhnlicher Ritter ist auf dem Schlachtfeld z.B. weit weniger wert, als ein königlicher Champion mit großer Tapferkeit und gehobener Angriffslust.

Sehr edel, schicke Wolkenschatten: das ist die Landkarte, auf der ihr eure Vasallen bestimmten Gebieten zuordnet oder Armeen verschiebt.

Einen besonders gläubigen Adligen solltet ihr gar nicht erst anheuern, wenn ihr gerade eine Kirche nach der anderen brandschatzt. Denn das Spiel modifiziert eure drei Charakterwerte Ritterlichkeit, Christlichkeit und Ehre je nach Handlung. Siege bringen Ruhm, Exekutionen senken ihn. Falls eure Ehre im Keller landet, seid ihr auf Söldnerheere angewiesen. Falls ihr den Heiden raushängen lasst, veranstaltet die Kirche einen Kreuzzug gegen euch.

Ächtung & Diplomatie

Obwohl LotR einen Diplomatieteil bietet, befriedigt er nur die spartanischen Bedürfnisse: Andere Könige sind euch entweder feindlich, neutral oder freundlich gesinnt. Allianzen und Geschenke sind möglich, aber Verhandlungen à la Civilization 3, feine Vertragsabstimmungen oder militärische Soforthilfe wie in Rise of Nations sucht man vergebens. Der friedliche oder wirtschaftliche Sieg ist ohnehin nicht möglich, so dass die Diplomatie klar im Schatten der schnellen Eroberungskriege steht.

Agincourt lässt im reinen Schlachtenmodus grüßen: Englische Langbogenschützen bereiten sich auf die heranstürmenden französischen Ritter vor, die durch den Sumpf verlangsamt werden.

Der Aufbauteil findet auf einer wunderschönen Karte statt, die dank vorbeiziehender Wolkenschatten, qualmender Kamine und wehender Fahnen sehr lebendig wirkt. Hinter der edlen Kulisse verbirgt sich aber zu wenig Spieltiefe: Die Ausweitung eures Reiches beschränkt sich darauf, Untergebene mit Land zu versehen oder bestehende Gebäude zu Prachtburgen, Städten oder Kathedralen auszubauen. Allerdings gibt es keinerlei Kommunikation mit den Vasallen, keinerlei echten Einfluss auf deren Land.

Aufbau ohne Tiefe

Bis auf Gold und Nahrung gibt es auch keine Rohstoffe wie Weizen, Holz oder Kühe in früheren Spielen, so dass der wirtschaftliche Aspekt fast vollkommen untergeht; ihr müsst lediglich genug Proviant für eure Armeen sichern. Auch auf die Infrastruktur und die Technologie könnt ihr nur am Rande einwirken, so dass die Gestaltungsmöglichkeiten auf ein Minimum reduziert sind: Brücken? Straßen? Zoll? Waffenbau? Pferdezüchtung? Alles Fehlanzeige. Wer ein mittelalterliches Imperium aus dem Boden stampfen will, wird enttäuscht.Kampf ohne Gnade

Wer ein Reich im Risikostil erobern will, wird schon eher auf seine Kosten kommen, denn hier entfaltet LotR seine Reize. Zwar ist ein Heranzoomen oder Drehen auf der Karte nicht möglich, aber dafür bewegen sich eure Armeen hier bereits als animierte Standartenträger über Feld und Flur. Treffen sie auf Gegner, suchen sie je nach aktivierter Verhaltensweise den Kampf. Nach einem Doppelklick auf die Kontrahenten schaltet das Spiel in eine komplett dreidimensionale Ansicht, in der ihr drehen und zoomen könnt.

Zwischen Wiesen und Wäldern, Sümpfen und Flüssen wartet eure Armee auf Befehle. Hier steuert ihr jedoch keine Gruppen einzelner Kämpfer wie z.B. in Age of Empires 2: The Conquerors, sondern immer ganze Kompanien unterschiedlicher Waffengattung – darunter Schwertkämpfer, Pikeniere, Bogenschützen, Reiter und diverse Belagerungswaffen vom Katapult bis zum Tribok. Die Steuerung bietet allen genretypischen Komfort und ist schnell verinnerlicht.

Am Ende einer Schlacht gibt`s genretyxpische Statistiken. Schade, dass die Wirtschaft so klein gehalten wurde, dass hier gar keine nötig sind.

Wer näher ranzoomt wird hier zwar Rotwild, schöne Landschaftstexturen und gut designte Kämpfer sehen, aber den grafischen Vergleich zu Genregrößen wie Age of Mythology hält das Spiel in keiner Hinsicht nicht stand. Vor allem in der Bewegung und bei der Erstürmung von Mauern wünscht man sich wesentlich mehr Animationsphasen, damit das Gleiten und lemmingartige Klettern nicht so ins Auge sticht.

Edel & ansehnlich?

Trotzdem verströmt der Titel dank seiner edlen Menüs, der wunderbaren Karte und der fast schon comicartig überzeichneten Porträts sowie der guten Renderkurzfilme  ein erfrischend buntes Mittelalterflair. Dazu trägt auch die rundum gelungene Akustik mit ihren guten deutschen Sprechern sowie den epischen Melodien bei. Nur die Bestätigung der Befehle geht mit der Zeit auf die Nerven und lässt sich nicht abschalten.

Im engen Handgemenge zeigen sich leider kaum ansehnliche Details - alles verschwimmt zu einem kunterbunten Pulk. Da ist grafisch heutzutage mehr drin.

Endlich haben sich Entwickler auch abseits von gerader Linie und tiefer Reihe Gedanken zum Thema Formationen gemacht. Vor allem die Fernkämpfer nehmen historisch belegte Stellungen ein: Die Bogenschützen können z.B. gespitzte Pfähle vor sich in den Boden rammen, um gegen angreifende Kavallerie geschützt zu sein; die Armbrustschützen verschanzen sich hinter Turmschilden – das sieht klasse aus und funktioniert einwandfrei.

Defensive Formationsfreude

Aber auch Pikeniere und normale Schwertkämpfer lassen sich dank stahlbewährter Igelformation rundum, oder dank des effektiven Schildwalls gegen Frontalattacken schützen. Und im Gegensatz zu anderen Spielen lösen sich die Formationen recht spät auf, was sie effektiver macht.

Im Angriff beschränkt sich die Auswahl an Spezialbefehlen auf kurze Sturmattacken und das Vor- bzw. Zurückziehen des anführenden Ritters. Der ist für Moral und Kampfkraft entscheidend, und wenn er das Zeitliche segnet, nehmen eure Soldaten schnell Reißaus.

Offensive Angriffstücken

Leider fehlt sowohl der Keil für den Durchbruch der Kavallerie als auch der doppelte Flankenangriff für die Umzingelung; auch Höhenunterschiede oder Wälder bieten weder einen Reichweiten- noch Tarnvorteil. Das ist schade, denn so werden die taktischen Finessen von vergleichbaren Spielen wie Praetorians nicht erreicht. Trotzdem machen gerade die Schlachten sehr viel Spaß; und wer seine Kompanien selber steuert, kann noch einiges herausholen, wenn er von der Seite oder von hinten in den Feind fällt.

Grund zur Ärgernis gibt`s im Detail: Manche Soldaten stehen gelangweilt neben dem Rest ihrer kämpfenden Kameraden, auf Wehrgängen versagt manchmal die Steuerung und Befehle werden ignoriert. Außerdem kann das Kampfgetümmel optisch nicht viel Feuer entfachen kann - im wilden Pixelpulk gehen Schläge, Stiche und Hiebe einfach unter.

Ein letzter Blick auf qualmende Schlote und düstere Wolkenschatten. Leider konnte LotR die hohen Erwartungen nicht erfüllen.

Insbesondere bei Belagerungen zeigt sich das hässliche Gesicht der Bewegungsroutinen und KI: Erstens kann man viel zu schnell und unspektakulär ganze Mauern einreißen. Zweitens rasen Soldaten wie Ameisen Sturmleitern hoch, was regelrechte Staus verursacht. Und drittens erschrecken die Verteidiger ab und zu mit dämlicher Lethargie, wenn sie Eindringlinge übersehen, auf Ausfälle verzichten oder sich lebensmüde von Pfeilspitzen durchlöchern lassen. LotR ist hier zwar trotz aller Defizite immer noch interessant, weil sich vor allem die Bogenschützen und Kavallerieattacken sehr  gut ansehen und einsetzen lassen. Aber Stronghold: Crusader zeigte sich hier wesentlich anspruchsvoller und intelligenter.

Fazit

Vivendi hat mit der radikalen Preiskürzung richtig gehandelt, denn Lords of the Realm III kann trotz lobenswerter Ansätze nicht in der ersten Liga der Echtzeit-Strategie mitspielen. Obwohl man sich zunächst vom dynamischen Spielfluss verzücken lässt, der dank europäischer Szenarien, historisch belegter Formationen und einem auf Personen beruhenden Reich sehr viel authentisches Flair verströmt, fehlt auf Dauer einfach der Pfeffer – optisch und spielerisch. Im Kern besteht das Gameplay daraus, Armeen zu verschieben und Schlachten auszutragen. Und gerade in den Kämpfen enttäuschen nicht nur KI-Aussetzer sowie das lemmingartige Erstürmen von Mauern, sondern auch die fehlenden Details im Handgemenge sowie stark gleitende Bewegungen. Das führt dazu, dass man irgendwann trotz der wirklich wunderbaren Formationen alle Gefechte automatisch austragen lässt. Wenn jetzt Aufbau und Diplomatie komplexere Strategien ermöglichen würden, wäre das nicht weiter schlimm. Aber beiden Teilen fehlt der motivierende Zauber tieferer Gestaltungsmöglichkeiten, die Rise of Nations oder Civilization III so reizvoll machen. Impressions Games hat ein kurzfristig unterhaltsames und günstiges Spiel abgeliefert, das für Neueinsteiger jedoch weitaus befriedigender sein dürfte als für altgediente Fans der Reihe - schade, hier habe ich sehr viel mehr erwartet.

Pro

  • sehr günstig
  • gelungenes Intro
  • einfacher Einstieg
  • gute Renderfilmchen
  • inklusive Burgeneditor
  • schöne Wolkenschatten
  • stimmiges Mittelalterflair
  • wirkungsvolle Formationen
  • edles Menü- & Kartendesign
  • gute deutsche Sprachausgabe
  • dynamischer Echtzeit-Spielfluss
  • Multiplayer für bis zu acht Fürsten

Kontra

  • einige KI-Aussetzer
  • Anleitung nur als PDF
  • zu eintöniger Aufbauteil
  • Tutorial lässt Fragen offen
  • zu wenig Animationsphasen
  • viel zu einfache Belagerungen
  • minutenlange (!) erste Ladephase
  • Burgerstürmung im Lemmingstil
  • zu wenig Gestaltungsmöglichkeiten
  • Echtzeit-Kämpfe nicht packend genug
  • Steuerungstücken bei der Belagerung
  • sehr unbefriedigender Diplomatieteil

Wertung

PC