Neverwinter Nights: Hordes of the Underdark - Test, Rollenspiel, PC

Neverwinter Nights: Hordes of the Underdark
15.04.2004, Jörg Luibl

Test: Neverwinter Nights: Hordes of the Underdark

Tief unter der Erde schlummern all die Schrecken, von denen Kenner der Vergessenen Reiche nur ehrfürchtig raunen: Dunkelelfen, Basilisken, Betrachter, Gedankenschinder. Mit der Erweiterung "Horden des Unterreichs" können wagemutige Abenteurer in den düsteren Rachen der D&D-Welt hinabsteigen.

Tiefwasser: Die Stadt des Glanzes, die Perle der Schwertküste, der Hafen für Tausende Abenteurer versinkt im Chaos. Händler verbarrikadieren sich, Tumulte brechen aus und Leichen pflastern die Straßen. Bis an die Zähne bewaffnete Dunkelzwerge wüten dort, wo einst Bürger flanierten, Schreckensbären reißen wahllos Opfer und Dunkelelfenmagier halten ganze Kompanien der Wache in Atem.

Metropole im Chaos

Ein Blick aus Stahl, eine Peitsche aus Feuer: Diese Dunkelelfen-Lady freut sich bereits auf euch. Und mit ihr Hunderte blutgieriger Kreaturen...


Was ist geschehen? Keiner weiß es genau, aber tief unter der Stadt hat sich etwas gerührt, das jetzt mit aller Macht an die Oberfläche dringt.

Heiße Beschwörung: Zwischensequenzen in Spielgrafik treiben die Story voran. Leider ohne passende Mimik oder Lippenanimationen.
Der Zahn der Zeit

Als bekannter Held werdet ihr zu Hilfe gerufen, denn jedes Kind weiß um eure Verdienste für Niewinter und schwelgt in euren unvergesslichen Undernzit-Abenteuern, die mittlerweile von Kobold Deekin in einem Buch verewigt wurden.

Kaum in Tiefwasser angekommen, zeigt euch ein Traum das unglaubliche Ausmaß der Bedrohung: Eine Dunkelelfenfürstin hat eine Armee aus Unterweltkreaturen rekrutiert, die die Stadt erobern sollen. Und sie weiß bereits, wer sie aufhalten möchte…

Auch wenn der Einstieg mit Cutscenes in Spielgrafik gut inszeniert wird und die Drohkulisse durch plötzliche Überfälle, ängstliche Bürger und die bekannt wuchtige Musikuntermalung von Anfang an das Heldenherz weckt, werden die Schwächen sofort deutlich: Das Intro zeigt nur statische Bilder und ist viel zu steril gesprochen; in den Zwischensequenzen vermisst man sowohl Mimik als auch Lippenbewegungen - kein Vergleich zur cineastischen Präsentation von Star Wars: Knights of the Old Republic.

Nackt & einsam: Auch, wenn ihr einen Veteranen aus früheren Spielen importiert - euer Hab und gut wird gleich zu Beginn geraubt. Immerhin soll die Beutegier geweckt werden...

Und trotz etwas polygonreicherer Charaktere, partikelfreudigerer Effekte und mehr Animationen als noch in Neverwinter Nights  des Jahres 2002, sind die Figuren und Levels des zweiten Add-Ons einfach zu klobig geschnitzt. Auch die neue optionale Kameraperspektive, die euch beim Erkunden etwas tiefer über die Schulter folgt und an die Sicht in Online-Rollenspielen wie Dark Age of Camelot erinnert, ist eher kontraproduktiv: erstens entlarvt sie sowohl die Texturschwächen als auch das Baukastensystem; zweitens fehlt so die taktische Übersicht. 

Allerdings ist die Grafik immer noch ansehnlich: Dazu tragen nicht nur die schönen Kampfbewegungen bei, die elegantes Ducken, Zuschlagen und Blocken zelebrieren, sondern auch die fulminanten Zauber, die teilweise den ganzen Bildschirm in Licht und Funken glühen lassen. Freunde individueller Ausrüstung dürfen übrigens erstmals auch einzelne Rüstungsteile wie die linke Armschiene oder das rechte Beinkleid tauschen und färben.

Doch vor dem Abenteuer geht`s für alle, die keinen ihrer Veteranen aus früheren Spielen importieren wollen, an die Charaktererstellung. Da der Einstieg für Level 15-Haudegen ausgelegt ist, könnt ihr entweder einen der zahlreichen vorgefertigten Helden dieser Stufe wählen, eine Klasse in null Komma nichts automatisch aufsteigen lassen oder euch an die delikate manuelle Neuerschaffung machen.

Heldenhafter Einstieg

Oh, du verflixte Charaktererschaffung! Alleine hier kann man Stunden mit theoretischem Geknobel und Kombinierwahn verbringen...


D.h., dass ihr von der ersten bis zur 15. Stufe die freie Wahl der Fähigkeiten-, Talent- und Zaubervergabe habt; so mancher D&D-Fan wird alleine hier viele vergnügliche Stunden verbringen.

Die Qual der Wahl ist immens, denn die Erweiterung spendiert neue Prestigeklassen mit einzigartigen Besonderheiten: Der "Bleiche Meister" ist eine Art Nekromant, der einen seiner Arme in ein untotes Transplantat verwandeln kann, das Gegner lähmt. Wer sich als Magier zum "Jünger des Roten Drachen" entwickelt, kann nicht nur Feueratem speien, sondern als Halb-Drache stolz Echsenflügel tragen. Druiden, die den Weg des "Wahren Wandlers" einschlagen, nehmen die Gestalt von Minotauren, Medusen oder Schreckenstigern samt all ihren Fähigkeiten (!) an.

Außerdem warten die Kriegerklassen "Zwergische Verteidiger" und "Waffenmeister" sowie die Klerikerkarriere als "Vorkämpfer des Torm" auf euch. Ein Hinweis: Wenn ihr alte Prestigeklassen wie den "Arkanen Bogenschützen" und andere nutzen wollt, müsst ihr die erste Erweiterung Neverwinter Nights: Der Schatten von Undernzit installieren.

Und wer nach all diesen beruflichen Verlockungen nach Artefakten lechzt, wird ebenfalls bestens bedient, denn in den Tiefen schlummern die bis dato mächtigsten Waffen, Rüstungen, Gegenstände und Spruchrollen, die jemals in einem D&D-Spiel zum Einsatz kamen. Feuerbälle? Langschwert +3? Alles Kinderkram...Bockschwere Ernüchterung

Auch wenn ganz Tiefwasser auf eure Ankunft gewartet hat, und ihr mit Stufe 15 wahrhaft heroische Fähigkeiten besitzt, erwarten euch unter der Stadt mit dem normalen Schwierigkeitsgrad bockschwere Kämpfe. Zwar könnt ihr jetzt endlich zwei Gefährten in die Party aufnehmen und dank eines Tierbegleiters sowie einer beschworenen Kreatur sogar zu fünft durch die Dungeons streifen, aber die Duelle sind happig.

Nur, wer eine gut ausbalancierte Gruppe mit effektiven Nah- und Fernangriffen, Konter- und Flächenzaubern führt, hat eine Chance gegen die Horden von Bannpriestern, Kampfmagiern, Bestien und Betrachtern. Auch die immer noch unausgereifte KI der Gefährten strapaziert in den fulminanten Gefechten die Geduld, denn sie lassen sich immer wieder zu eigenwilligen Aktionen hinreißen.

Aufgelockert wird der kampflastige Härtetest lediglich durch einfache Schalterrätsel, kleine Quests und viele amüsante Dialoge. Kenner werden viele Charaktere und Elemente des Pen&Paper-Moduls oer aus R.A. Salvatores Romanen wiederfinden, wie z.B. das Gasthaus mit dem Brunnen, den tückischen Spiegelsaal oder so manche gemeine Falle. Insgesamt ist die verbesserte Party-Interaktion wesentlich unterhaltsamer als die Story, die bis auf ein paar Intrigen keine Überraschungen bietet und wenig epische Kraft entfaltet. Es ist eher der Reiz des Unterreichs als die Erzählung, der in die Tiefen lockt.

Selbst eingfleischte D&D-Fans werden auf ihrer Reise in die Heimat des legendären Drizzt Do`Urden Blut und Wasser schwitzen, bevor sie die morbide Luft Menzoberranzans atmen.

Bunt & übersichtlich: Sehr schnell füllt sich euer Inventar mit allerlei Nützlichkeiten. Vor allem Heiltränke sollten großzügig gebunkert werden...

Dafür sind die Sticheleien und Romanzen zwischen den Gefährten köstlich: Insbesondere Kobold Deekin läuft mit seinen Sprüchen, Einfällen und Launen zur Hochform auf. Schade nur, dass es mehr Texte zu lesen als Sprachausgabe zu hören gibt.

Fazit

Seltsam, seltsam: Irgendwie können mich die Horden des Unterreichs nicht so begeistern wie anno dazumal die trügerischen Schatten von Undernzit. Liegt es an der vorhersehbaren Story? Dem harschen Schwierigkeitsgrad? An der D&D-Übersättigung? Oder vielleicht daran, dass die Grafik-Engine mit ihrem eckigen Leveldesign endgültig ad acta gehört? Auch die magere Inszenierung der Cutscenes sowie die zu selten gesprochenen Dialoge nagen an der Atmosphäre. Das führt dazu, dass der Spielspaßfunke trotz zahlreicher Verbesserungen in Sachen Interaktion und einer größeren Party nicht mehr ganz so heiß glimmt. Trotzdem hat das Team von Floodgate Entertainment eine gute Erweiterung produziert: die düsteren Katakomben bieten allen Fantasy-Freunden sehr viel spannende und vor allem actionlastige Unterhaltung. Dafür sorgen die neuen Klassen mit ihren wirklich sehenswerten Spezialeigenschaften sowie die packenden Duelle, die aufgrund der hochstufigen Magie- und Kampffähigkeiten immer wieder für Schweiß auf der Stirn sorgen. Nimmt man die weitläufigen Dungeons, den erweiterten Editor, die wuchtige Musik sowie den oskarverdächtigen Kobold Deekin hinzu, dürften Neverwinter Nights-Veteranen bestens bedient werden. Einsteiger sollten sich allerdings nicht in die Tiefen der Unterwelt wagen…

Pro

  • gute Dialoge
  • neues Editorfutter
  • packender Einstieg
  • ein Gefährte mehr
  • interessante NPCs
  • gute Party-Interaktion
  • Charaktere bis Level 40
  • 15-20 Stunden Abenteuer
  • wuchtige Musikuntermalung
  • abwechslungsreiche Dungeons
  • fulminante High-Level-Kämpfe
  • neue Klassen, Zauber, Fähigkeiten
  • hervorragende Charaktererstellung
  • individualisierbare Rüstungen

Kontra

  • grafisch angestaubt
  • für Einsteiger zu schwer
  • Rätsel & Story eher schwach
  • viele Texte, wenig Sprachausgabe
  • nervige Automatismen der Gefährten
  • Cutscenes ohne Mimik & Lippenbewegungen
  • erstes Add-On "Undernzit" für viele Klassen Voraussetzung

Wertung

PC