The Moment of Silence - Test, Adventure, PC
Am 29. September 2044 verändert sich das Leben des Peter Wright: Gegen 22:35 Uhr stürmt eine schwer bewaffnete Spezialeinheit sein New Yorker Wohngebäude, bricht mit brachialer Gewalt in das Apartment eines Nachbarn ein und verhaftet den vollkommen verdutzten Familienvater mit vorgehaltenen Schnellschussgewehren.
Filmreifer Einstieg
Das hervorragende Render-Intro präsentiert den Überfall aus Peters Perspektive, als dieser gerade durch den Türspion lugt: Der CG-Film besticht mit porentiefen Details, die Kamerafahrten sind perfekt arrangiert. Für ein Adventure, das eine packende Story erzählen will, ist dieser Einstieg vorbildlich. Denn zurück bleiben nicht nur eine völlig verstörte Frau sowie ihr eingeschüchterter Sohn, sondern auch tausend Fragen und ein bis in die Fingerspitzen motivierter Spieler.
Detektivische Neugier
Was hat der scheinbar harmlose Nachbar verbrochen? Wieso dieser militärische Aufwand? War es ein Missverständnis? Jetzt seid ihr gefragt und macht euch in guter alter Point&Click-Manier als dreidimensionaler Polygonheld auf Spurensuche durch 75 zweidimensionale Locations. Ihr könnt die Kamera also nicht frei drehen und müsst ganz im Stile der alten Schule mit vorgegebenen Perspektiven vorlieb nehmen. Mit der linken Maustaste führt ihr Aktionen aus, mit der rechten könnt ihr Gegenstände untersuchen - Rätselveteranen fühlen sich sofort wohl.
Ziel ist es zunächst, den verhafteten Mann möglichst schnell wieder nach Hause zu bringen. Aber schon bald zeichnen sich hinter den Kulissen der Rückholaktion die Spuren eines globalen Kampfes um Macht und Information ab, der mit vielen zeitkritischen Tendenzen gespickt ist und vor allem erwachsene Abenteurer ansprechen dürfte. Und da Peter selbst an einer Medienkampagne der Regierung arbeitet, die das staatliche Informationsmonopol propagieren will, befindet er sich schnell zwischen den Fronten der Befürworter und Gegner - ein prickelndes Spannungsverhältnis, das den Charakter sehr sympathisch macht.
Die mysteriöse Ausgangssituation weckt also von Beginn an die detektivische Neugier. Dazu trägt auch das New York der Zukunft bei, das nicht wie eine abgefahrene Vision, sondern wie eine vertraute High-Tech-Variante der Gegenwart wirkt: Es gibt automatisierte Taxen, virtuelle Basketballteams, Designer-Drogen und jegliche Kommunikation wird über Messenger abgewickelt. Auch Peter verfügt über ein solches Gerät, das gleich in erste kleine Recherche-Aufgaben eingebunden wird.
Doch die Euphorie des Einstiegs weicht schnell der Ernüchterung, wenn man sich per Fahrstuhl in den Großstadtdschungel begibt. The Moment of Silence wollte nicht nur erzählerisch, sondern auch technisch in die Adventure-Zukunft vorstoßen, aber davon ist trotz der Echtzeit-Schatten und einiger guter Spiegeleffekte nichts zu sehen.
Sterile Ernüchterung
Man steht z.B. vor einem fein gezeichneten Kiosk, an dessen Rand sich der Müll stapelt und der von Neonlampen erhellt wird, aber kein Lüftchen lässt mal etwas Papier rascheln, kein Flackern sorgt für Leben im Lichtspiel. Das gleiche starre Bild zeigt sich nebenan im Park: Kein Baum wiegt sich im Wind, kein Ast bewegt sich, keine Blätter zittern. Warum verschenkt man hier so viel Atmosphäre? Selbst Black Mirror hatte da in einigen Perspektiven mehr Bewegung zu bieten. Und selbst die Grafiker von The Moment of Silence zeigen z.B. später am SETI-Souvenirshop, dass sie Palmenblätter und Luftballons animieren können. Wieso wurde damit so gegeizt?
Zwischen Kiosk und Flughafen
Ein Adventure punktet natürlich nicht in erster Linie mit seiner pompösen Grafik, aber die tolle Atmosphäre der Anfangsphase wird auf Dauer zunichte gemacht. Denn genau so sieht es später am Flughafen aus: Da wartet derselbe stumme Trenchcoat-Träger nicht nur beim ersten, sondern auch beim zwölften Besuch wie eine Litfaßsäule. Da gibt es eine Lounge und keiner ist ansprechbar. Und an Peters Arbeitsplatz, ein Großraumbüro (!), ist es gespenstisch still, obwohl da ein Springbrunnen plätschern und Kollegen quatschen oder tippen müssten. Erst, wenn man die Leute anspricht, kommt durch Dialoge samt süffisanter Kollegenschelten Leben ins Spiel.
Bitte nicht falsch verstehen: das sieht in sehr vielen bekannten Adventures auch so aus. Aber selbst im mittlerweile angestaubten Gabriel Knight III und dem grafisch reaktionären Black Mirror hatte man aufgrund der dynamischen Auf- und Abtritte von Personen immer das Gefühl, dass sich etwas getan hat. Hier hat man das Gefühl, dass alle Figuren im Dornröschenschlaf verharren. Natürlich zeigt The
Moment of Silence auch starke Seiten, wenn es z.B. um die wunderbar authentisch wirkende Innenarchitektur, die vielen technischen Gimmicks, Schnee und Regen oder die rasanten Kamerafahrten geht.Anspruch & Wirklichkeit
Aber davon gibt es leider viel zu wenig! Dieses coole Feature hätte öfter eingesetzt werden müssen! Viele Kameraeinstellungen bei Dialogen sind zudem sehr unglücklich gewählt, da sie nicht die Mimik der Sprecher fokussieren, sondern alle Figuren von ganz weit weg zeigen. Von diesem Spiel habe ich einfach mehr erwartet, weil auch mehr versprochen wurde. Wie sagte Publisher dtp: "Technisch zeigt The Moment of Silence, was ein klassisches Point&Click-Adventure heute bieten kann. Echtzeitpartikeleffekte, -schatten und -spiegelungen schaffen realitätsnahe Grafiken, gerenderte Kamerafahrten vermitteln ein Gefühl von dreidimensionaler Tiefe." Vielleicht sollte man für die Fortsetzung konsequent auf eine 3D-Engine setzen.
Hinzu kommen technische Probleme, die schnellstens per Patch behoben werden sollten: Z.B. ein hässlicher Grafikfehler, wenn man in die Eingangshalle von Peters Arbeitgeber stolziert. Wenn man Pech hat, sieht man hier plötzlich nur graue Texturen statt ein Hightech-Ambiente und hat große Probleme, sich da wieder rauszuklicken. Noch ärgerlicher sind böse Bugs, die evtl. sogar zum Neustart
zwingen: Wenn man z.B. seinen Arbeitskollegen Bill im Büro von einer höheren Etage anspricht, kommt man tatsächlich nicht mehr hinunter! Wer jetzt keinen früheren Spielstand laden kann, darf noch mal von vorne beginnen. Immerhin bemüht sich das Team von House of Tales im Forum um all die kleinen Bugs und Abstürze, die da gemeldet werden.Bugs & Grafikfehler
Lobenswert ist, dass Peter auf Doppelklick zum Ziel rennen kann - das erspart lange Wege. Aber warum gibt es nicht auch die Möglichkeit, per Doppelklick auf einen Ausgang sofort zum Ziel zu springen? Wie in Blck Mirror? Das wäre komfortabler. Denn nach mehreren Dutzend Besuchen kann man den sterilen Taxiplatz vor Peters Wohnung und die nervtötende Fahrstuhlfahrt, die tatsächlich immer komplett bis in den 23. Stock abgespult wird, einfach nicht mehr sehen. Es tut sich ja nichts Neues! Das ist schlechte Regie und riecht nach künstlichem Zeitschinden.
Leerlauf & Wegfindung
Mit dem direkten Erreichen des Ausgangs hätte man vielleicht auch das Wegfindungsproblem in den Griff bekommen. Denn Peter weigert sich ab und an, das gewünschte Ziel auf direktem Wege anzusteuern. Nur wenn man Glück hat, läuft er ohne Kollisionsabfrage schon mal durch steinerne Pfeiler direkt zum Ziel.
Aber bei all der Kritik darf man nicht vergessen: The Moment of Silence enttäuscht auf hohem Niveau. Es punktet mit seiner authentisch wirkenden Zukunft, mit seiner spannenden Verschwörungs-Story und wirklich gut ausgearbeiteten Dialogen, in denen die Figuren ausgesprochen glaubwürdig erscheinen. Hier muss man dem Autor ein großes Kompliment machen, denn der Alltag der Zukunft
wird mal witzig, mal depressiv, mal nüchtern, mal fanstasievoll präsentiert. Ein absolutes Highlight der Gesprächskultur ist Peters Smalltalk mit dem Antiquar Huntington, der zunächst aus dem Nähkästchen plaudert und dann seinem ganzen Frust über die tyrannische Verstaatlichung des Wissens Platz macht - köstlich!Innere Werte
Und bis auf Peters wenig überzeugend palavernden Chef protzen nahezu alle Charaktere mit einer schauspielerisch professionellen Sprachausgabe. Kein Wunder, wenn man bedenkt, dass die Synchronsprecher von Bruce Willis und Julia Roberts den beiden Protagonisten akustisches Leben eingehaucht haben. Aber auch die Arbeitskollegen, Hacker und Wissenschaftler wurden gut getroffen. Auch musikalisch gibt`s nichts zu meckern, denn im Hintergrund sorgen wunderbare Melodien für entspanntes Rätseln.
Wie sieht`s mit den Rätseln aus? Man bekommt für meinen Geschmack viel zu viele einfache Verknüpfungen statt kreativer Kopfnüsse geboten. Dafür wurde der Messenger sehr gut integriert und dient mit seiner Anrufliste schnell als kleiner Rätselersatz. Nur steht die spannende Hintergrundgeschichte teilweise im Kontrast zu langweiligen Aufgaben wie dem Erwärmen von Fast Food in der Mikrowelle, die erst per Stecker mit Strom versorgt und dann auch noch auf zwei Minuten eingestellt werden muss - immerhin ist das noch logisch. Aber in der Mitte bricht die Spannungskurve ein, denn für einen Spionage-Thriller fehlt es angesichts dieser alltäglichen Aufgaben einfach an Thrill. Für die nötige dramaturgische Überleitung sorgen immerhin knapp 30 Minuten Videosequenzen, die z.B. Peters Reisen und Schlüsselszenen in erstklassiger Renderqualität darstellen.
Rätsel & Items
Insgesamt wird das Rätselerlebnis nach etwa einem halben Dutzend Stunden davon dominiert, zwischen fünf Locations in New York hin- und her zu fahren, um das richtige Item an den richtigen Ort zu bringen. Aber manchmal fehlt einfach der logische Hinweis, was jetzt wo verlangt wird. Man hätte viele nervige Sackgassen vermeiden können, wenn Peter entweder ein Tagebuch oder mehr innere Monologe führen würde! Gerade Letztere bieten oftmals den entscheidenden Tipp auf das nächste Item. Nur kommen sie zu selten vor. Es sind also weniger die kniffligen Rätsel als vielmehr die undurchsichtigen Problemstellungen, die ein Weiterkommen verhindern. Warum kann ich Cypher z.B. nicht fragen, was er sich in etwa unter einem netten Geschenk vorstellt? Warum denkt Peter nicht laut darüber nach?
Wer richtig innovative Gehirnakrobatik erwartet, wird evtl. etwas mehr Raffinesse und Spielereien vermissen. Dafür bekommt er am Ende des Spiels eine rauchende Breitseite, die selbst die letzten Fasern des Gehirns beansprucht. Ob das etwas mit Logik zu tun hat, werdet ihr selbst herausfinden
müssen, aber es ist eine gute Überleitung: The Moment of Silence steht noch klar über der Point&Click-Massenware, aber es scheitert ebenso klar am erhofften Sprung in Awardnähe. Denn nicht nur die Leblosigkeit, sondern auch die latente Unlogik verweigert den Aufstieg in sehr gute Regionen.Ein altes Streitthema in der Konzeption von Adventures ist die abstruse Rätsellogik. In Black Mirror wurden z.B. erst dann Gegenstände greifbar, wenn man zuvor bestimmte Gespräche geführt hatte - diese Trigger nerven Spieler, die gerne sofort das mitnehmen oder erkunden wollen, was sie sehen, erleichtert Entwicklern aber die Verknüpfung und das Planen des Plots.
Rätsel & Logik
Auch The Moment of Silence bietet hier erzkonservative, strikt lineare und teilweise unlogische Kost. Das geht so weit, dass man sich schnell in einer Sackgasse befindet, aus der man nicht mehr mit dem Verstand, sondern nur durch stures Durchprobieren herausfindet. Warum bekomme ich die Flugtickets nur bei meinem Chef? Warum kann ich das Videokabel bei Cypher nicht sofort einstecken?
Ein anderes Beispiel: Peter kommt zum ersten Mal in ein übles New Yorker Viertel, wo er sofort von zwei finsteren Gangstern angemacht wird. Sein Ziel ist es, eine bestimmte Hacker-Bar zu finden. Logisch wäre: Man fragt sich durch, bis man eine Auskunft erhält - und man wendet sich nicht unbedingt an die beiden nach Ärger riechenden Raufbolde. Aber so wird man nicht weiterkommen.
Zwang zur Anmache
Und hier verliert Peter als Charakter einfach an Glaubwürdigkeit! Wenn man Adventures modernisieren will, sollte man auch von dieser sturen Linearität weg - nicht, was die gesamte Handlung betrifft, das verlange ich ja gar nicht, aber was einzelne Situationen angeht. Echtes Multiple-Choice lässt mir eine gewisse Freiheit. In Sachen Dialogsystem kann das Rätselgenre noch jede Menge von Rollenspielen à la Star Wars: Knights of the Old Republic lernen.
Fazit
The Moment of Silence ist leider nicht das Meisterwerk, das viele erwartet haben. Die erwachsene Story und das authentisch wirkende Zukunfts-Szenario heben es zwar aus der Masse heraus. Aber es fehlt an vielen Ecken und Enden an grafischer Kreativität und erzählerischer Logik. Immer wieder trüben Bugs und unlogische Sackgassen das entspannte Abtauchen in die mysteriöse SciFi-Geschichte. Es ist alleine der Ausdruckskraft der wunderbar zeitkritischen Story mit ihren glaubwürdigen Charakteren und hervorragenden Dialogen zu verdanken, dass wir trotz dieser gravierenden Probleme das Gütesiegel "gut" vergeben. Vor allem technisch bin ich enttäuscht von der Leblosigkeit vieler Orte. Das Adventure der Zukunft darf kein steriles Stillleben sein, wenn es spannende Unterhaltung bieten will. Aber es ist trotz aller Kritik eine Enttäuschung auf hohem Niveau. Peters Abenteuer ist noch immer weitaus interessanter als der übliche Point&Click-Standard. Aber ich habe technisch und in Sachen Rätselkultur einfach mehr erwartet. Es ist erzählerisch wertvoll, gehirnakrobatisch durchschnitt und grafisch enttäuschend.
Pro
- klasse Einstieg
- sehr gute Dialoge
- sympathischer Protagonist
- glaubwürdige Charaktere
- schöne Story mit Zeitbezug
- 30 Minuten Renderfilme
- gute Wetter- & Spiegeleffekte
- logische Item-Kombinationen
- stimmungsvolle Sprachausgabe
- detailliert gezeichnete Locations
- sehr authentisch wirkende Zukunft
- wunderbar melancholische Hintergrundmusik
Kontra
- kleine Grafikfehler
- zickige Wegfindung
- wenig kreative Rätsel
- unnötig lange Laufwege
- sehr viele sterile Locations
- unlogische Rätselverknüpfung
- recht steife Figurenbewegungen
- ärgerliche Bugs führen zu Sackgassen
- kein Tagebuch, zu wenig innere Monologe
- Passanten als Platzhalter, keine Spaziergänger
- Zwang zum Dialog-Durchackern