Blinx 2: Masters of Time & Space - Test, Plattformer, XBox

Blinx 2: Masters of Time & Space
27.12.2004, Jörg Luibl

Test: Blinx 2: Masters of Time & Space

Erinnert sich noch jemand an den staubsaugenden Kater Blinx? Im November 2002 wollte er eigentlich zum ersten Jump`n´Run-Helden für die Xbox avancieren, verbrannte sich aber trotz innovativer Zeitmanipulation das Fell mit enttäuschenden 66 Prozent. Nach zwei Jahren wagt das Team von Artoon das Comeback. Ob`s diesmal besser läuft?

Als wir Kater Blinx anno 2002 getestet haben, mussten wir entweder die Türen schließen, Redakteure mit Oropax versorgen oder den Ton komplett abschalten - die nervtötende Fahrstuhlmusik war einfach nicht zu ertragen. Note: Mangelhaft! Soundwertung: 55 Prozent! Kein Wunder, dass die Kollegen beim Erscheinen von Blinx 2 kollektiv zum Kopfhörer griffen und hämisch grinsten.

Böse Erinnerungen

Aber was soll diese Hysterie? Das Team von Artoon konnte doch nicht tatsächlich wieder Musikterror begehen - es sind doch zwei Jahre vergangen! Oh doch, sie können. Und wie: Die schnellen und grässlich eintönigen Beats werden in gnadenloser Endlosschleife so lange euren Gehörgang fluten, bis ihr euch entweder akustisch ergebt oder schweißgebadet alles abdreht. Fahrstuhl- und TV-Shop-Melodien sind dagegen konzertreifes Balsam. Das Ganze wurde mit englischer Sprachausgabe, aber deutschen Texten unterlegt.

Militante Miezekatze im Mondlicht. Leider fehlt es den Zeitkriegern an Coolness und Charisma.
Kater auf Zeitreise

Das hört sich im wahrsten Sinne des Wortes nicht gut an. Ist Blinx also erneut eine Enttäuschung? Hat der Kater gar nichts hinzugelernt? Doch, hat er. Das Team von Artoon hat unsere akustische Kritik zwar ignoriert, aber die spielerische ernst genommen. Viele Frustfaktoren wurden ausgemerzt: Die Kamera lässt sich fast ohne Zicken drehen, das Zeitlimit ist weg, unterschiedliche Kristalle lassen sich endlich frei aufsammeln, die Levels sind größer und das Missionsdesign motiviert mit alternativen Lösungswegen. Ihr habt z.B. die Wahl, ob ihr für einen flügellahmen Helikopter zwei große Batterien von einem dicken Keofisch oder vier kleine von der Tom-Tom-Gang stibitzen wollt.

Das verleiht dem Spiel zwar mehr Freiheit, aber die beiden Wege ähneln sich meist zu sehr, als dass man seine Taktik anpassen müsste. Auch das Leveldesign wurde hier nicht konsequent auf die beiden Möglichkeiten ausgelegt, denn die Schalter der einen Aufgabe finden sich meist in direkter Nachbarschaft zu den Monstern der anderen. Das bedeutet im Klartext: Man ertappt sich dabei, wie man in der Action plötzlich beide Ziele parallel erreicht. Und zum Wohle der Statistik lässt man sich natürlich keine Goldmünze und keinen Gegner entgehen.

Schon nach den ersten beiden Stunden ist klar, dass sich Blinx offener und stressfreier spielt. Aber trotzdem kommt kein echter Nervenkitzel auf, trotzdem bleibt man seltsam unberührt und sammelt ohne große Adrenalinschübe seine Kristalle. Selbst an die coolen Zeitmanipualtionen hat man sich zu schnell gewöhnt. Das liegt daran, dass die beliebig wirkenden Missionsziele vollkommen losgelöst von der Story aufgetischt werden und dass es keine echten Herausforderungen gibt - alles ist zu einfach.

Besser als der Vorgänger?

Diese Geschütztürme sehen gefährlicher aus, als sie sind. Kurz pausieren, schon hat man freie Bahn.
Ein Beispiel: Da sitzen zwei Schweine der Tom-Tom-Gang in dick gepanzerten Geschütztürmen mit Laserzielhilfe - bedrohlich inszeniert von einem Kameraschwenk in Spielgrafik. Und was mache ich? Einfach den Pausemodus aktivieren, die eingefrorenen Türme umrunden und den Schweinen Saures geben - das war`s.

Das innovative Zeit-Feature ist so mächtig, dass es gleich noch den Nervenkitzel verschluckt. Selbst im Kampf gegen Bildschirm füllende Bossmonster, die zu den Highlights des Abenteuers gehören, kann man bequem die Zeit anhalten, die Schwachstellen anvisieren und so einen mächtigen Steinriesen in null Komma nichts fertig machen. Und wenn man das erst mal hinter sich hat, verliert jedes noch so hübsch designte Monster innerhalb der nächsten Levels jeden Hauch einer Bedrohung - zumal das Kreaturen-Repertoire sehr mager ausgefallen ist.

       

Ansonsten ist fast alles beim Alten geblieben: Kater Blinx stromert hüpfend, schlagend, hangelnd und doppelt springend durch eine skurrile Welt voller Monster, Rätsel und Hindernisse. Die kunterbunte Kulisse hat noch mal in Sachen Größe, Licht- und Spiegeleffekte zugelegt - es gibt sogar einige idyllische Panoramablicke am Meer. Aber der Kater und seine Feinde bewegen sich bei weitem nicht so geschmeidig und elegant wie die großen Jump`n´Run-Helden Jak, Sly oder Ratchet.

Altbekannte Tempowechsel

Egal ob Tonnen, Kristalle oder Herzen - Blinx kann alles einsaugen und bei Bedarf ausspucken.
Mit seinem Gitarrenstaubsauger schluckt er Tonnen, Rohre und Bomben, um sie später als gefährliche Geschosse auszuspucken. Die Zielerfassung wurde zwar gegenüber dem Vorgänger verbessert, denn ihr könnt bequem zwischen anvisierten Monstern wechseln. Aber trotzdem ist es sehr schwer, ein fixiertes Ziel in der Bewegung nicht zu verlieren.

Das führt dazu, dass man den Atem seiner eben noch sicher im Fadenkreuz schlummernden Feinde oft im Rücken spürt und plötzlich aus dem Nichts attackiert wird. Vor allem in den neu hinzu gekommenen Teamkämpfen wird das deutlich, denn wenn man als vierköpfige Gruppe unterwegs ist, verhalten sich die ballernden Kollegen alles andere als umsichtig. Diese Gruppenaction spielt sich auf Dauer sehr eintönig, was auch an der wenig fordernden KI der Gegner liegt. Man sammelt einfach alles auf und ballert sich durch.

Diese kleinen Kamera- und KI-Frustfaktoren werden jedoch von den fast unbegrenzten sowie inkonsequenten Rückspulmöglichkeiten wieder ausgeglichen: Wer stirbt, spult einfach mal ohne Gefahr zurück. Warum erscheinen eben erlegte Feinde z.B. nicht, wenn ich genau an der Stelle zurückspule, wo sie eben noch auf mich feuerten? Geübte Spieler können Blinx theoretisch ohne einen einzigen Lebensverlust durchzocken.

Jedes Kapitel wechselt ihr übrigens die Fronten und könnt so immer wieder in die Haut der grunzenden Jäger schlüpfen. Die geben sich etwas schleichorientierter als die ballernden Katzen, denn sie können sich fast bis zur Unsichtbarkeit tarnen, durch Zeitlöcher überall auftauchen oder über Warptunnel jedem Feindkontakt ausweichen. Sie müssen Überwachungskameras ausschalten, können sich an Wände drücken und in Deckung gehen. Das ist auch bitter nötig, denn die Schweine stehlen für ihr Leben gern und müssen dann schnell das Weite suchen. Voll bepackt dürfen sie allerdings nicht schießen. An sich eine gute Idee, aber erstens kann man sehr oft auch ballernd zum Ziel kommen und zweitens wird das von Sly 2 eine Klasse besser inszeniert.

Diebische Schweine

Hier ist schnelle Reaktion gefragt: In Zeitlupe zeigen Pfeile an, in welche Richtung man ausweichen kann.
Besiegte Kreaturen hinterlassen Zeitkristalle verschiedenster Sorte: Damit könnt ihr entweder die Zeit komplett einfrieren, um z.B. Schalter vom lästigen Wasser zu befreien oder einer Rakete auszuweichen. Ihr könnt sie auch verlangsamen, um in Zeitlupe per Quicktime-Reaktion à la Shenmue einem ganzen Projektilhagel duckend und seitwärts rollend zu entgehen. Hört sich atemberaubend an, ist aber so angenehm inszeniert, dass man diese Übungen später gelangweilt mit geschlossenen Augen meistert. Der Reiz besteht höchstens darin, sich schnell zwischen Pause oder Zeitlupe entscheiden zu müssen. Zum Erfolg führen allerdings beide.

Action & Rätsel

Abseits dieser Action gibt es auch einige Rätsel, die den Einsatz bestimmter Zeitfähigkeiten, wie z.B. des Zurückspulens erfordern: Wie schon im ersten Teil kann man so eingestürzte Brücken, Säulen oder marode Schalter wieder in den kompletten Urzustand versetzen, damit man über Abgründe oder tiefes Wasser kommt oder endlich funktionstüchtige Hebel bedienen kann. Leider sind die Stellen so offensichtlich, dass nicht all zu viel kreatives Entdecken nötig ist. Hinzu kommen tatsächlich noch so deutliche Hinweise, dass man sich wie in einem interaktiven Walkthrough fühlt.

     

Aber was ist mit der Seele? Kann Blinx jetzt endlich wie Mario, Jak & Co zu einer markanten Spielfigur aufsteigen? Trotz einem ausführlichen Intro und einem Zusatz an Zwischensequenzen lautet die Antwort: Nein. Ich habe selten so einen blassen Helden gesteuert, so wenig markante Charaktere getroffen - Jak 3, Sly 2 und Ratchet 3 sind hier meilenweit überlegen. Das liegt zum einen an der faden Story, die sich um die Zerstörung des Großen Kristalls dreht, der jetzt das Universum bedroht. Blinx wird als Retter natürlich in diverse Welten geschickt, um die kostbaren Splitter dieses Zeit-Schatzes zu

Im Pausemodus lässt sich Wasser kinderleicht von versteckten Schaltern putzen.
bergen. Leider wurden die Aufgaben innerhalb der Levels nicht in einen erzählerischen Rahmen gebettet; auch Dialoge beschränken sich auf ein Minimum. Hinzu kommt, dass Blinx weder über die Mimik noch über einen Sidekick à la Daxter oder Clank Persönlichkeit zeigen kann.

Coolness & Charisma

Und die Widersacher? Blinx´ schweinische Gegenspieler gehören zur diebischen Tom-Tom-Gang, die dank ihrer Raumverzerrungstechnik plötzlich überall auftauchen kann. Aber es gibt weder markante Bösewichte noch erwähnenswerte Zwischensequenzen, die den Konflikt dramatisieren. Da man die Grunzer nach jedem Kapitel mit Blinx selber spielt, wird der erzählerische Fokus noch weiter vom eigentlichen Helden entfernt. Und man das Gefühl nicht los, dass sich gerade der neue Teamgedanke der Katzenelite-Einheit "Time Sweeper" stark an Segas letztem Sonic-Auftritt orientiert. Nur muss ein Team aus Persönlichkeiten mit unterschiedlichen Stärken und Charisma bestehen. Leider fehlt den Miezen trotz einiger witziger Slapstick-Momente einfach die Coolness des Rennigels und seiner skurrilen Freunde.

Selbst der Editor kann dem Kater und seinen Freunden nur an der Oberfläche frischen Wind einhauchen: Satte 25 Kategorien stehen zur Verfügung, um Schuhe, Hosen, Jacken, Wappen, Fellfarbe, Gesichtszüge und Statur den eigenen Wünschen anzupassen. Das ist ein netter Zusatz, vor allem für die Multiplayer-Matches. Aber Einzelkämpfern bringt das nicht mehr Spaß, denn all der Schnickschnack hat keinen spielerischen Einfluss.

Editor & Multiplayer

Ihr könnt Blinx jetzt auch zum ersten Mal per Splitscreen kooperativ spielen. Entweder kann hier jeder

Was darf`s sein? Eine frische Pelzfarbe? Ein neues Jäckchen oder flippige Schuhe. Der Editor macht`s möglich.
sowohl ballern als auch die Zeit manipulieren oder ihr entscheidet euch für eine klare Trennung der Kompetenzen: Dann ist der eine für die Action, der andere für die Zeit zuständig. Mehr Spaß kommt hier allerdings nicht auf, denn der geteilte Bildschirm lässt die optische Pracht deutlich schrumpfen und trotz 60 Hz-Modus an einigen Stellen flackern.

Neben diesem Modus gibt es noch eine Arena für bis zu vier Spieler, die sich wahlweise in Katzen- oder Schweineteams die Projektile und temporalen Gemeinheiten um die Ohren jagen. Sowohl Belohnungen als auch Kampfrunden, Zeitlimits und Items lassen sich für diese Deathmatches einstellen. Ein witziges Feature ist hier das Zurückspulen, denn direkt auf den Feind angewendet, wird er zum Ferkel bzw. zum Kätzchen schrumpfen. Schade ist, dass dieser Modus nicht Xbox Live-tauglich ist und in heißen 4-Spieler-Gefechten zu Rucklern neigt. 

Fazit

Die Xbox bleibt eine Jump`n´Run-Wüste ohne erfrischende Oasen, ohne markante Helden à la Mario, Sly oder Jak. Auch dem zweiten Auftritt des zeitreisenden Katers Blinx fehlt es trotz vieler Verbesserungen an Coolness, Charisma und vor allem an competition - es ist zu leicht. Dabei haben die Entwickler von Artoon sowohl die zickige Kamera in den Griff bekommen, das Leveldesign freier gestaltet als auch das Kristallsammeln komfortabler gestaltet. Einsteiger werden sich stressfrei durch eine witzige Kulisse kämpfen - putzige Monster, schleichende Schweine und einige Panoramablicke inklusive. Aber es fehlt der magische Spielekitzel: Zu schnell hat man sich an das Vor- und Zurückspulen gewöhnt, zu beliebig wirken die Lösungsalternativen, zu einfach sind die Rätsel, zu belanglos plätschert die Story vor sich hin. Blinx 2 ist ein Abenteuer, das nicht ins Schwitzen, nicht zum Fluchen und nicht zum Luft anhalten zwingt - es lässt mich kalt. Das innovative Zeit-Feature ist so mächtig, dass es gleich noch die Motivation verschluckt. Bosskämpfe? Ein Kinderspiel. Der Held? Bleibt seelenlos. Selbst mit Editor und kooperativem Multiplayermodus wurde mir nicht wärmer. Und die grauenhafte Fahrstuhlmusik gehört endlich auf den Index…

Pro

  • gutes Tutorial
  • schöne Kulisse
  • gute Lichteffekte
  • Schweine spielbar
  • ideal für Einsteiger
  • kooperativer Modus
  • alternative Lösungen
  • pompöse Bosskämpfe
  • Editor für Team-Figuren
  • kreative Zeitmanipulation
  • Rätsel, Schleichen & Action
  • vier Spieler im Battle-Modus
  • First-Person-Gefechte möglich
  • automatisch-dynamische Zielerfassung

Kontra

  • fade Texturen
  • schwache Story
  • wenig Nervenkitzel
  • offensichtliche Rätsel
  • Held Blinx bleibt blass
  • Flora ohne Animationen
  • zu wenig Monster-Variation
  • zu einfach für Genre-Fans
  • nervtötende Fahrstuhlmusik
  • nur englische Sprachausgabe
  • inkonsequentes Zurückspulen
  • beliebig wirkende Missionsziele
  • schlechte KI in Teamkämpfen
  • Kamera zickt bei der Zielerfassung
  • Deathmatches nicht über Xbox Live
  • vollkommen unnötige Rätsel-Hinweise
  • kooperativ im Splitscreen wenig ansehnlich

Wertung

XBox