Der Polarexpress - Test, Plattformer, PC, PlayStation2, GameCube

Der Polarexpress
05.01.2005, Jens Bischoff

Test: Der Polarexpress

Test: „Eine Zugfahrt, die ist lustig...“ - doch leider nicht in THQs überteuertem Polarexpress.

Ein Buch, ein Film, ein Videospiel. Auch beim Weihnachtsmärchen Der Polarexpress (ab 29,00€ bei kaufen) mahlt sich die Lizenzmühle fleißig vom Papier über die Leinwand bis auf die Konsolen. Was am Ende des Prozesses für PS2- und GameCube-Spieler übrig blieb, verbreitet leider kaum noch Weihnachtsstimmung, sondern riecht nach lizenzierter Abzocke. Wir sagen euch, warum.

In THQs Versoftung vom Polarexpress schlüpft ihr wie in der Filmvorlage in die Rolle eines kleinen Jungen, der den Glauben an den Weihnachtsmann schon fast verloren hat.

Film ab! - Zwischen euren Auftritten gibt's immer wieder Szenen auf dem Kinofilm zu sehen (PS2).
Doch plötzlich hält ein magischer Zug vor seinem Zimmer, der ihn und viele andere Kinder auf eine Reise zum Nordpol mitnimmt, um den Weihnachtsmann persönlich zu treffen. Bis dahin ist es allerdings ein langer Weg, auf dem ihr von Mr. Scrooge und seinen fiesen Spielzeugpuppen gar eurer Fahrkarten beraubt werdet und um eure Weiterreise bangen müsst.

Alles einsteigen!

Doch das lasst ihr euch natürlich nicht so einfach gefallen und startet eine beherzte Gegenoffensive, um euer Fahrziel planmäßig und vollzählig zu erreichen. Dabei schicken euch die australischen Entwickler von Blue Tongue durch sechs Kapitel, in denen ihr euch die wertvollen Tickets in verschiedenen Minispielen zurückerobert, Weihnachtsmuffel Scrooge und seine Schergen aus dem Weg räumt

Aber bitte mit Sahne! - Bei den primitiven Rhythmusspielchen ist Taktgefühl zweitrangig (GC).
und rechtzeitig zur Bescherung am Nordpol eintrefft. Dass ihr euer Ziel allerdings schon nach zwei bis drei Stunden erreicht habt, ist selbst für ein Kinderspiel eine Frechheit.

Die Fahrkarten, bitte!

Der geringfügig ermäßigte Verkaufspreis steht jedenfalls in keinem Verhältnis zu einer so kurzen Spielzeit. Zwar könnt ihr alle Abschnitte beliebig oft wiederholen, um mehr oder weniger gut versteckte Spielzeugteile aufzustöbern. Aber selbst dafür erhaltet ihr lediglich Zugang zu Filmen, Musikstücken und Minispielen, die ihr im Lauf eures Abenteuers schon alle gesehen, gehört und gespielt habt. Auf der PS2 erwarten euch darüber hinaus zwar auch noch zwei exklusive Eye-Toy-Spielchen,in denen ihr einen Christbaum schmücken und den Polarexpress fahren dürft, aber diese sind so öde,  dass sie bei den vernachlässigten GameCube-Besitzern wohl eher Schadensfreude als Neid

Abklatsch oder Parodie: Hier schleicht ihr auf den Spuren Solid Snakes durch die Zugküche (PS2).
aufkommen lassen dürften...

Im Eiltempo ans Ziel

Grund zum Jubeln gibt es aber auf keinem der beiden Systeme. Dazu ist die Spielmechanik viel zu altbacken, die Spielbalance zu unausgewogen und die Präsentation zu stümperhaft. Selbst die gelungene deutsche Synchro mit den Originalsprechern des Kinofilms geht im dilettantisch animierten, verwaschen texturierten und klobig modellierten Konsolen-Polarexpress unter. Auf dem GameCube gibt es sogar nicht einmal Echtzeitschatten, wobei dieser Luxus die PS2-Fassung auch kaum besser aussehen lässt. Zumindest wirkt die RenderWare-Grafik auf Sonys Konsole etwas weniger verwaschen und farbenfroher und der Dolby Pro Logic II-Surround-Sound weniger blechern.     

Enttäuschende Präsentation

Audiovisuell kochen aber trotzdem beide Umsetzungen auf Sparflamme, was angesichts der eingeflochtenen Filmschnipsel aus dem Kinofilm nur noch deutlicher wird,

Eilzustellung: Im Rohrpostsystem der Elfen kommt ihr nur mit korrekter Weichenstellung ans Ziel (GC).
da zwischen diesen und den in Spielgrafik präsentierten Sequenzen optisch Welten liegen. Na ja, würde sich hinter der schmucklosen Fassade wenigstens ein motivierendes Gameplay verbergen, könnte man darüber noch hinweg sehen, aber dem ist leider nicht so. Der Großteil der meist vorsintflutlich designten Minispiele ist einfach nur öde und spult immer wieder die gleichen Mechanismen ab, an denen selbst Kinder nicht lange Spaß haben dürften. Davon, dass sich die Abschnitte trotz der kurzen Spieldauer später auch noch wiederholen, ganz abgesehen.

Spieldesign von vorgestern

Zudem ist der unveränderbare Schwierigkeitsgrad nicht durchgehend auf die junge Zielgruppe zugeschnitten, was sich vor allem am überzogen schweren Spießrutenlauf über die verschneiten Dächer des Zuges zeigt. Geübte Spieler werden aber auch diese Hürde

Belangloser Bonus: Die zwei exklusiven EyeToy-Spielchen hätte man sich schenken können (PS2).
nach zwei, drei Anläufen genommen haben und sich bei den meisten anderen Abschnitten wie primitiven Torten- oder Stofftierschlachten, stupiden Fußball- und Tenniseinlagen oder witzlosen Rhythmus- und Fangspielchen einfach zu Tode langweilen, wenn die schwammige Steuerung nicht gerade für künstliche Handicaps sorgt...

Mangelnde Balance

Die Minispiele, die wenigstens kurzzeitig unterhaltsam sind wie das Skirennen gegen den Polarexpress, die Achterbahnfahrt durch das Rohrpostsystem der Elfen oder die taktisch angehauchte Schneeballschlacht gegen Oberfiesling Scrooge kann man an einer Hand abzählen. Banale Schleichpassagen mit Metal Gear Solid-Anleihen, das Zertrümmern von Eisklötzen im Asteroids-Stil oder Gleisfahrten à la Hugo entlocken einem hingegen höchstens ein flüchtiges Grinsen,sofern man diese als Parodien ihrer unverkennbaren

Friss Schnee! - Bei der Schneeballschlacht mit Scrooge kommt es aufs richtige Timing an (GC).
Vorlagen sieht. Aber egal welches Minispiel ihr gerade daddelt, irgendwie hat man alles schon mal gesehen und in der Regel weit besser inszeniert.

Alles nur geklaut

Selbst die immer wieder eingestreuten linearen Jump‘n‘Run-Abschnitte samt ihrer primitiven Kisten- und Schalterrätsel erledigt ihr eher widerwillig - vor allem das hakelige Erklettern des Geschenkebergs gegen Ende ist einfach nur nervig und für jüngere Spieler sicher auch frustrierend. Die Schuld ist aber weniger bei ihnen als viel mehr bei den schlampigen Entwicklern zu suchen, die von Spielbalance oder Qualitätssicherung wohl noch nie etwas gehört zu haben scheinen - Kameraführung und Kollisionsabfrage sind teils jedenfalls unter aller Kanone. Investiert euer Geld also lieber in das Buch oder den Film oder hebt es für bessere Spiele auf, wovon es auch für jüngere Semester wahrlich mehr als genug gibt.   

Lieblose Schlamperei

Fazit

Eine so dreiste Lizenzabzocke wie sie sich THQ mit dem Polarexpress geleistet hat, ist uns schon lange nicht mehr unter gekommen. Zwar ist man es gewohnt, dass Spiele zu Filmen oder Büchern meist hinter ihren Vorlagen zurückbleiben, aber zwei bis drei Stunden Spielzeit für unverbindliche 50 Euro sind schon ein starkes Stück. Noch schlimmer ist allerdings, dass ihr während dieser kurzen Zeit nicht einmal anständig unterhalten werdet. Die mit teils Originalfilmschnipseln aneinander gereihten Minispiele sind so originell wie der 29. Tetris-Klon und dürften trotz fieser Stolpersteine selbst Vorschulkindern nur ein müdes Lächeln entlocken. Wieso scheint man eigentlich immer noch zu glauben, dass Kinder nur auf anspruchslose Lenk- und Drückspielchen stehen? Na ja, der Zug ist abgefahren und Jammern zwecklos. Von einer Fahrt in diesem Polarexpress raten wir jedenfalls dringend ab, wenn ihr euch das Erlebnis des Films oder Buchs nicht zerstören wollt.

Pro

  • leicht ermäßigter Preis
  • meist einfache Handhabung
  • Originalsprecher & -filmausschnitte

Kontra

  • miese Technik
  • altbackenes Gameplay
  • öde EyeToy-Boni (PS2)
  • extrem kurze Spieldauer
  • gelegentliche Kameraprobleme
  • kaum vorhandener Wiederspielwert
  • unausgewogener Schwierigkeitsgrad
  • ideenlose & sich wiederholende Minispiele
  • schwammige Steuerung & Kollisionsabfrage

Wertung

PlayStation2

GameCube

Dreiste Lizenzabzocke, deren unverschämt kurze Spielzeit fast schon ein Segen ist...