Metal Gear Solid 3: Snake Eater - Test, Action-Adventure, PlayStation2, Android

Metal Gear Solid 3: Snake Eater
04.03.2005, Jörg Luibl

Test: Metal Gear Solid 3: Snake Eater

Schlangen sind ausgesprochen tödliche Jäger. Sie gelten als Symbole der Weisheit. Und sie sollen gut schmecken. Trotzdem werden sie von vielen gehasst und verfolgt. Diese Erfahrung macht auch die berühmteste Schlange in Menschengestalt: Snake. Konami katapultiert euch im dritten Teil der Reihe in den Kalten Krieg. Ihr spielt einen einsamen Helden, der den Atomkrieg verhindern und die Stealth-Action perfektionieren soll. Zwei große Aufgaben, ein großartiges Spiel?

Zuschauen kann so schön sein - vor dem Fernseher, im Kino, im Stadion. Auch bei einem Spiel lehnt man sich gerne genüsslich zurück, wenn dramatische Zwischensequenzen einen Hauch von Hollywood ins Wohnzimmer wehen. Vor allem, wenn es wie in einem Agenten-Thriller knistert: Verrat und Intrigen, Amis gegen Russen, Kubakrise, atomare Bedrohung. Im Jahr 1964 liegt der dritte Weltkrieg quasi in der Luft und liefert die brisanten politischen Funken für ein episches Abenteuer alter heroischer Schule: Einer gegen alle.

Im freien Fall

Eure Aufgabe? Als junger Elitekämpfer der US Army sollt ihr nichts Geringeres als die globale Katastrophe verhindern. Dafür lässt man euch mit 200 km/h über dicht bewaldetem russischem Gebiet abspringen. Der Prolog ist eine Delikatesse, die Schnitte sitzen perfekt: Während Snake ins Bodenlose fällt, wird das erzählerische Fundament gegossen. Ihr müsst den Wissenschaftler Sokolov entführen, dessen fast komplettierter Nuklearpanzer Hunderttausenden den sicheren Tod bringen könnte.

The Boss: Die Frau kennt keine Gnade und zeigt Snake, wie man kleine Helden entwaffnet.
Zum Zuschauen verdammt?

Aber so schön das Zuschauen auch ist: Konami gönnt sich den Luxus von zwei Stunden interaktivem Vorspann, um Story und Kampf in Gang zu bringen - mit einigen Längen, die den Geduldsfaden strapazieren. Auch danach verbringt man fast die Hälfte der etwa 15-stündigen Spielzeit als Zuhörer und Betrachter. Was man sieht, ist brillant - das Flair des Kalten Krieges spürbar: Vom Waffendesign über Filmanspielungen und technische Errungenschaften bis hin zu Chruschtschow-Johnson-Telefonaten weben die Japaner einen überaus glaubwürdigen Stimmungsteppich. Dazu trägt auch der grandiose Soundtrack bei, der von Harry Gregson-Williams (Shrek 2) komponiert wurde: Seine Melodien mit der betörend kräftigen Frauenstimme sorgen für glamouröses Bond-Flair. Auch inhaltlich hat Konami versucht, seinen Einzelkämpfer in die Sphäre des britischen Top-Agenten zu bringen - aufreizende Babes im lasziv geöffneten Hosenanzug inklusive. Der Auftritt von Eva wirkt im dreckigen Dschungelcamp allerdings wie die Landung eines unwirklichen Boob-Aliens. Und Snake ist sichtlich überfordert...

Keine Frage: Davon profitiert die Atmosphäre. Es knistert wie im Kino. Man kann fast die Popcorn-Tüten rascheln hören. Die Actionszenen sind erstklassig, die Regie meisterhaft. Und die skurrilen, superheldenhaft wirkenden Protagonisten lassen die vermeintlich nüchterne Zeitreise oft zu einem überzeichneten SciFi-Comic mutieren - spektakulär, blutig, rasant. Sex und Gewalt wurden in der Reihe noch nie so akzentuiert dargestellt. Kenner werden zudem so manche Seitenhiebe auf spätere Ereignisse und Charaktere finden: Ocelot steht z.B. noch am peinlichen Beginn seiner Revolver-Karriere und entwickelt sich während des Spiels zum heißblütigen Antagonisten.

Die im englischen O-Ton belassenen Dialoge wirken zwar manchmal etwas gestelzt, und man kann sich fragen, ob Snake für sein junges Alter nicht etwas zu rauchig à la Eastwood selbst nichtige Kleinigkeiten betont. Aber das sind nur kleine Untertöne: Insgesamt bestechen die Gespräche mit ihrer gesunden Mischung aus Slapstick und Ernsthaftigkeit. Die deutschen Untertitel wurden sehr gut übersetzt. Und selbst kleines Codec-Geschwätz offenbart schnell, wie viele Details Konami recherchiert hat, um die 60er zum Leben zu erwecken. Alles dreht sich um ein Thema: Treue. Wem schuldet man sie? Seinem Land, seinen Freunden, seinem Gewissen? Im Zentrum steht Snakes Verhältnis zu seiner mysteriösen Ausbilderin "The Boss": Der Schüler versteht seine Lehrerein nicht, wirkt an einigen Stellen wie ein hilfloses Kind. Dabei geht es durchaus philosophisch zu, denn der Spieler wird gezielt in die Konflikte hineingezogen, zum Nachdenken animiert.

                  

Aber besteht das Wesen des Spiels nicht aus Aktion? Will man nicht in erster Linie all die packenden Szenen selbst erleben, selbst erzocken? Konami bewegt sich wie schon in Metal Gear Solid 2 (MGS2) auf dem schmalen Grad zwischen Aktivität und Passivität. Diesmal gibt es zwar keine dreißigminütigen Filmpausen. Aber für meinen Geschmack musste ich dennoch etwas zu oft und zu lange

Großes Kino für einen Helden von Format. Die Zwischensequenzen sind brillant.

Reißleine: Bosskämpfe

Download: Intro-Video (14,0 MB)tatenlos zusehen, wenn die Schlüsselmomente mal wieder als Kurzfilm präsentiert wurden - gerade beim Einstieg. Nehmen wir z.B. die herrlichen Nahkampf-Szenen mit The Boss, die höchst authentische Griff-, Schlag- und Wurftechniken vorführen: Snake wird hier mehrmals blitzschnell entwaffnet. Warum konnte man das nicht interaktiver gestalten? Wenn schon nicht im gespielten Kampf, dann vielleicht über schnelle Reaktionstests?

Konami zieht zum Glück die Motivations-Reißleine: Nach einem halben Dutzend Stunden kommt die Story endlich ins Rollen, kann man endlich in packenden Bosskämpfen selbst das Schicksal in die Hand nehmen. Freut euch auf ein Shoot-Out mit Revolver-Ocelot, auf ein Tauchstation-Duell mit Hornissen-Monster "The Pain" und überaus delikate Auseinandersetzungen mit den ganz dicken Fischen der Gegenseite. Diese Bosskämpfe sind fordernd, aber sehr fair, denn es gibt immer mindestens eine Taktik, die zum Sieg führt. Und sie haben noch einen Vorzug: Sie brennen sich aufgrund ihrer Intensität ins Gedächtnis ein, sie sind die absoluten Leckerbissen. Und bis hierher hätte MGS3 auch mit seinen Längen sicher den Award geknackt. Die Kombination aus Film und Fights ist ganz große Kunst. Aber zwischen diesen Highlights liegt der Dschungel-Alltag - mit all seinen Tücken.

Wie sieht`s im spielerischen Kern zwischen Matsch und Strauch aus? Kann der junge Snake auch als Einzelkämpfer im Dschungel begeistern? Konami hatte viel versprochen: "Realismus, Tarnung und Nahkampf werden zu neuen Höhen geführt." Aber wenn man genau hinschaut, was abseits des großen Kinos und fulminanter Bosskämpfe passiert, wird man schnell ernüchtert. Wer die große Urwald-Überlebens-Simulation erwartet, wird von einigen Inkonsequenzen enttäuscht, die dem Titel Spannung und

Nicht nur im Dschungel, auch in Höhlen geht`s zur Sache. Hier spenden Zigarre oder Fackel Licht.
Realismus rauben und wertvolle Prozentpunkte kosten.

Stealth-Action auf Top-Niveau?

Nach den ersten Trailern hatte man das Gefühl, dass man sich alleine in der Weite eines riesigen Dschungels austoben kann. Und wenn man die ersten Schritte macht, wird diese Erwartung zunächst von einer unglaublich dicht inszenierten Kulisse bestätigt: Jeder einzelne Grashalm (!) neigt sich, Farn wackelt, Frösche hüpfen durchs Unterholz, Schlangen räkeln sich an Ästen, Krokodile suhlen sich in Tümpeln. Und ohne Radar kriecht man zunächst wie eine Blindschleiche durch die braungrüne Flora - die Illusion von Urwald ist fast perfekt. Grafisch wird die PS2 sehr gut ausgenutzt und lässt vor allem das Nass all der Seen und Sümpfe wunderbar spiegeln und wabern. Nur  einige Ruckler bei Kameraschwenks sowie fade Texturen hinterlassen kein ganz perfektes Bild. Aber diese Kleinigkeiten hätten einem Award nichts anhaben können. Das sind Peanuts angesichts der famosen Naturdarstellung.

                

Entscheidender ist, dass schnell die Grenzen innerhalb der Illusion klar werden: Vor allem die ersten Gebiete bestehen aus erschreckend engen Korridoren. Das hat auch Auswirkungen bei einem Alarm: Wenn man von drei Feinden durch einen floralen Flur mit starren Grenzen gehetzt wird, kann man sich kaum noch verstecken. Dabei ist man in der Wildnis, nicht in einem Gebäude! Obwohl sich ausgehöhlte Bäume anbieten würden, hat man keine Chance, seine Verfolger abzuschütteln. Was tun? Man muss entweder alle Gegner eliminieren oder im Kugelhagel aus dem kompletten Abschnitt rausrennen. Und die KI ist zwar oft, aber nicht immer so konsequent, dass sie euch dorthin verfolgt. Das heißt, dass ihr mit etwas Glück einfach bei vollem Alarm durch Gebiete hetzen könnt, um nach dem Nachladen unbehelligt im nächsten weiter zu machen - das ist ärgerlich und unrealistisch.

Grenzen der Freiheit

Tarbung ist alles: Selbst die deutsche Flagge könnt ihr euch ins Gesicht schminken.

Download: Trailer #4, Camouflage (28,3 MB)Dabei wäre es überzeugender gewesen, wenn man erstmal über eine gewisse Strecke irgendwo ins Unterholz spurtet, um dann hinter einem Baumstumpf oder in einem Tümpel Schutz zu suchen. Das funktioniert aber nur in der Weite des Raums, den MGS3 leider zu selten bietet. Es gibt zwar auch größere Gebiete, ausgedehnte Camps samt Vorfeld und Höhlensysteme, die den Vorgänger in Sachen Umfang klar übertrumpfen, aber kein homogenes Ganzes. Keinen grünen Moloch, in den man entfliehen könnte.

Sehr ernüchternd ist auch, dass Snake viele kleine Hügel nicht erklimmen kann: Unsichtbare Levelgrenzen hindern ihn daran, Anhöhen hinauf zu robben. Das ist auch deshalb schade, weil man dadurch selten Höhenvorteile zwecks besserer Übersicht ausspielen kann. Auch das Hinaufziehen an Böschungen oder das Erklettern von Bäumen ist nur an bestimmten, dafür vorgesehenen Stellen möglich - dadurch wirkt alles sehr konstruiert, und trotz der famosen Naturdarstellung fast künstlich. Wenn das in Rollenspielen nicht geht, nehme ich das gerne in Kauf. Hier platzt leider die Seifenblase von der weitläufigen Survival-Simulation.

Wer die Metal Gear-Reihe gespielt hat, wird die altbekannte Steuerung vorfinden. Aber ist die auch heute noch gut? Ich finde sie höchstens befriedigend, weil sie viel störrisches Frustpotenzial bietet: Snake reagiert immer noch zu empfindlich auf die Anweisungen mit dem Analogstick. Man hat nicht das Gefühl, dass man ihn sauber von Deckung zu Deckung lotsen kann, dass man ohne Probleme aus ihr heraus schießen kann - irgendwie hakt es immer. Hinzu kommt die sehr störrische Kamera, die manchmal trotz weitem Winkel nur den Fels, aber nicht eure Spielfigur zeigt. In unserem Video sehr schön nach 2:34 Minuten zu sehen: Gameplay, Teil 1 (4P-exkl.) . Manchmal weigert sich die Kamera, von der Grashalmfrontalsicht in eine übersichtliche Überkopfperspektive zu schwenken - das hätte man besser lösen müssen.

Steuerung mit alten Macken

Revolver-Ocelot in jungen Jahren: Ein Heißsporn, der noch viel lernen muss.
Es gibt weitere Wünsche, die offen bleiben: Warum muss Snake an einem Abgrund erst aufstehen, um sich dann an ihm zwecks Hangeltour herabzulassen? Warum bleibt er manchmal kriechend in Ecken hängen? Warum bleibt er nach der Vorwärtsrolle nicht in der Hocke, sondern steht? Und warum rollt er sich nach einem Sprung von einem Baum nicht am Boden ab? Das sind vielleicht alles nur Feinheiten, aber in der Kombination sorgen sie dafür, dass Snakes Bewegungsabläufe nicht ganz befriedigen. Hier habe ich im Jahr 2005 mehr erwartet.

Tradition mag verpflichten, die Fans mögen sich daran gewöhnt haben, aber für mich ist es unverständlich, warum Konami nicht nachgebessert hat. Mittlerweile hat sich auch im Stealth-Action-Bereich einiges getan und Konkurrent Sam Fisher steuert sich wesentlich intuitiver und punktgenauer. Beim Ubisoft-Agenten habe ich viel eher das Gefühl der vollen Bewegungskontrolle. Bis Snakes Rhythmus in Fleisch und Blut übergeht, vergeht zudem sehr viel Zeit. Einsteiger sollten sich vor der Kampagne in den witzigen Minispielen auf Affenjagd begeben, um damit vertraut zu werden - siehe Video: Snake meets Ape Escape (4P-exkl.) (Laufzeit: 2:06 Min.). Aber hätte man nicht auch einen Trainingsparcours anbieten können? Die Steuerung ist nicht schlecht, aber sie ist weit weg von intuitivem Komfort.

                 

Dafür entschädigen wiederum die wunderbar animierten Techniken im Close-Quarter-Combat. Snake kann im Nahkampf über den Kreisknopf zahlreiche feine Moves aufs Parkett legen, um seine Widersacher elegant in die Bredouille zu bringen: Er kann Gegner im Judostil werfen, um sie sofort auszuknocken; er kann sie mit der Waffe bedrohen, um Codes zu erpressen oder sie als lebendiges Schutzschild missbrauchen, während er über ihre Schultern seine Feinde anvisiert - feine Sache. Vor allem, da die Kreistaste sensitiv genutzt wird und bei kräftigem Druck das Genick brechen lässt. Allerdings hat der tödliche Spaß einen Nachteil: Er nutzt sich ab, wird beliebig, denn er funktioniert selbst dann, wenn einem das Opfer die Waffe ins Gesicht hält - einfach greifen, Kehle schlitzen, fertig. Warum kann ich selbst in Schusslinie zu solchen Manövern ansetzen? Das führt dazu, dass die Spannungskurve rapide absinkt. In unserem Trailer wird die Leichtigkeit des Tötens selbst in hoffnungsloser Unterzahl ganz deutlich: Gameplay, Teil 2 (4P-exkl.) (Laufzeit: 5:21 Min.). Dieser Verlust an Nervenkitzel ist hauptverantwortlich dafür, dass Snakes Abenteuer am Gold-Award scheitert.

Die Leichtigkeit des Tötens

Close-Quarter-Combat: Über die Kreistaste kann Snake seine Gegner greifen, werfen und töten.
Bewegung & Akrobatik

Snakes sonstiges Bewegungsangebot bleibt quasi auf dem Stand von MGS2: Er kann in zwei Geräuschstufen laufen und kriechen, er kann sich an Vorsprüngen festhalten und hochziehen, bis ihm die Puste ausgeht, er kann speziell gekennzeichnete Bäume hinaufklettern, auf deren Ästen balancieren sowie wie ein Affe einarmig an ihnen baumeln und mit dem anderen Arm zielen - was richtig cool aussieht.

Außerdem kann er über das Digipad leicht geduckt und langsam gehen. Das ist eine gute Alternative, die uns beim ersten Testanlauf durch die Lappen ging - schönen Dank an Goku_wsl für den Hinweis.  Aber warum kann er nicht aus der Hocke heraus pirschen? Ich habe eine tief gebückte Haltung vermisst, die mir im hüfthohen Gras gleichzeitig Deckung und Übersicht verschafft. Der Übergang zwischen dem flachen Robben und dem aufrechten Gang wirkt zudem sehr abrupt.

Trotzdem macht das Robben im Grünen einen Heidenspaß, denn man ist aufgrund des fehlenden Radars immer im Ungewissen. Obwohl ihr im Inventar Bewegungsmelder und Akustiksensoren habt, laufen deren Batterien nicht ewig. Also heißt es: Augen und Ohren auf, langsam vorwärts und auf Zeichen wie aufgescheuchte Vögel achten - dieser langsame Rhythmus kann das Spiel zu einer Geduldsprobe machen, sichert aber wieder ein Stück Authentizität. Wenn man auf dem Bauch liegend das Gras rascheln hört und statt einer Schlange plötzlich einen Lederstiefel sieht, spielt MGS3 seine packenden Joker aus. Aber sie können nicht so stechen, dass man in Euphorie gerät. Dafür birgt auch das Gegnerverhalten zu viele Fehler.

Die KI ist ein überraschend zweischneidiges Schwert. Ich bin Besseres von der Metal Gear-Reihe gewohnt. Einerseits überzeugen die gewohnt guten Routinen im Kollektiv: Die russischen Wachen suchen im Alarmfall gezielt nach euch, durchkämmen mit vorgehaltener Waffe das Unterholz, springen in Deckung. Später nutzen sie kugelsichere Schilde, bringen euch damit zu Fall und kreisen euch geschickt ein. Es gibt Momente, da wirkt alles sehr glaubwürdig.

Künstliche Intelligenz

Wenn etwas explodiert, wackelt der Bildschirm. Die Partikeleffekte sind klasse.
Andererseits gibt es böse Aussetzer: Ein lauter Schuss aus dem Snipergewehr wird von einer 30 Schritt entfernten Wache nicht wahrgenommen. Ein erschossener Kamerad wird bei der Suche einfach kommentarlos übergangen. Eine Spezialeinheit (!) wirft zwar vorbildlich erst eine Gasgranate in einen Raum, danach stellen sich aber alle zum Abschuss in die Linie meiner AK-47. Und als ich rauskomme, muss ich feststellen, dass sich einer der Angreifer scheinbar nicht um das Massaker kümmert und in Sicht- und Hörweite sinnlos Wache schiebt, bevor er von mir gemeuchelt wird...

Noch ein besonders ernüchterndes Beispiel ist der katastrophale Hunde-Bug: Ich springe von einem Ast hinab in einen Sicherheitsbereich. Die zehn Schritt entfernte Deutsche Dogge wittert mich nicht, bleibt mit dem Rücken zu mir brav sitzen. Hier hätte ich schon niedergebellt und attackiert werden müssen! Aber es kommt noch schlimmer: Ich schieße auf sie, sie wird getroffen und - festhalten: SIE SETZT SICH WIEDER BRAV HIN. Vorher wurde ich über Codec noch gewarnt, wie gefährlich diese Hunde sind - arrrgh! Wer sich selbst davon überzeugen möchte, sollte sich dieses Video ab der Stelle 4:32 Minuten ganz genau ansehen: Gameplay, Teil 1 (4P-exkl.) (Laufzeit: 6:28 Min.).

Der Hund ohne Sinne?

Versteht mich nicht falsch: Das sind immer noch vereinzelte Macken der KI, die insgesamt kein Totalausfall ist. Aber im Jahr 2005 ist man einfach überzeugenderes Verhalten gewöhnt. Ich muss mich wiederholen: Splinter Cell ist in Sachen Story und Präsentation meilenweit von Metal Gear Solid entfernt, aber es macht so vieles in der Spielmechanik besser. Sam Fisher ist mir nicht so sympathisch wie Solid Snake, aber er steuert sich besser, bietet packendere Momente.

                   

Was passiert, wenn man erwischt wird? Geht es wirklich um Leben und Tod? Rast der Puls? Nein, es geht eher darum, alles platt zu machen oder einfach wegzurennen. Mit der Pumpgun und Granaten in der Hand sowie einem gewaltigen Überschuss an Munition ist viel mehr Action angesagt, als man von einem Schleichspiel erwarten würde.

Arcade-Action statt Adrenalin-Kämpfe

Während des Bosskampf-Shootouts muss Ocelot immer wieder arrogante Posen einschmeißen.
Das wäre ja immer noch unterhaltsam, wenn es nicht so einfach wäre, dass man selten die Angst im Nacken spürt: Selbst wenn man von einer Horde schwer bewaffneter russischer Fallschirmjäger entdeckt, umstellt und ins Visier genommen wird, nimmt man kaum wahrnehmbaren Schaden: die Lebenspunkteleiste schluckt viel zu viele tödliche Projektile. Und auch die Trefferzonen wirken hier nicht: Es ist vollkommen egal, ob euch die Feinde in die Schulter oder den Fuß schießen - Snake bleibt flink wie ein Wiesel, kann einfach wegrennen.

Mit etwas Glück kann man die aus vollem Rohr feuernden Feinde sogar nacheinander mit dem Messer oder noch bequemer mit den Techniken des Close-Quarter-Combat ausschalten. Auch das haben wir mit einer ganzen Patrouille gemacht und in einem Video aufgezeichnet: Gameplay, Teil 2 (4P-exkl.) (Laufzeit: 5:21 Min.).

Sicher: Diese Leichtigkeit im Kampf hat den Vorteil, dass man selten frustriert zu Tode kommt. Das hat jedoch den entscheidenden Nachteil, dass das Spiel an Glaubwürdigkeit und Spannung verliert. Außerdem gehen feine Details wie das Entwaffnen durch gezielte Schüsse auf die Waffenhand oder das Verhindern eines Alarms durch einen Treffer aufs Walky Talky dabei unter. Wozu soll man diese Kniffe nutzen? Und das ist für einen historisch gefärbten Nahkampftrip in den Kalten Krieg sehr ernüchternd. Und wir reden hier vom "normalen", also dritten der insgesamt vier Schwierigkeitsgrade. Kommen wir zu den Neuheiten der Reihe: Ausdauer und Nahrung, Heilung und Tarnung.

Hornissen-Man "The Pain" setzt auf Angriffe mit Killer-Insekten. Ein harter Gegner.
Feinkost im Dschungel

Die Jagd nach Nahrung ist ein wesentlicher Bestandteil des Abenteuers: Ihr könnt euch mehr oder weniger nahrhaft von Fröschen, Schlangen, Vögeln, Krebsen, Pilzen und Obst ernähren, damit eure Ausdauerleiste schön voll bleibt. Die sinkt bei körperlicher Anstrengung nämlich schnell ab und verhindert auf dem Nullpunkt, dass sich eure Gesundheit regeneriert. Das ist eigentlich ein gutes System für einen Survival-Trip durch den Urwald und hätte zusätzlich Nervenkitzel bringen können.

Da man jedoch viel zu leicht und viel zu viel Beute machen kann, ist euer Rucksack immer rappelvoll mit Frischfleisch: Versorgungsangst gibt es nicht. Die Tiere verhalten sich auch erschreckend passiv und sind mit einem Messerhieb erlegt. Giftschlangen kriechen langsam in Hieb-, Hasen hoppeln immer schön in Schusslinie. Haken schlagen? Gibt`s nicht. Nach dem Abschuss erscheint auch kein toter Körper, sondern eine drehende Kiste mit der Aufschrift des Futters.

Aber Konami nutzt die Tierwelt trotzdem gut, um Spannung aufzubauen: Nicht nur, dass ihr in knietiefen Sümpfen an riesigen Krokodilen vorbei waten müsst, die genüsslich ihr Maul öffnen. Ihr könnt auch Hornissen-Nester abschießen oder selbst tote Giftschlangen als Wurfgeschosse nutzen, um Wachen abzulenken. Diese Interaktivität sorgt für viel Abwechslung. Manchmal ist es mit Konami allerdings durchgegangen: Ab und zu findet man kleine Plastikfrösche (!) im Unterholz, die beim Abschuss quaken, um Gegner anzulocken. Das Blöde ist: Es klappt nicht immer.

                 

Neu ist auch das detaillierte Schadenssystem, das nach Körperzonen und Verletzungsart unterscheidet: Werdet ihr angeschossen und könnt fliehen, befindet sich die Kugel vielleicht immer noch in eurer Schulter. Stürzt ihr unglücklich, könnt ihr euch eine Rippe brechen. Watet ihr durch

Im Minispielmodus müsst ihr gegen die Zeit Affen jagen, die sich überall verstecken: Video: Snake meets Ape Escape (4P-exkl.) (Laufzeit: 2:06 Min.)
einen Sumpf, haften vielleicht Blutegel an euren Beinen. All diese Verletzungen kosten euch wertvolle Lebens- und Ausdauerpunkte und müssen schnell behandelt werden. Wie funktioniert das? Nehmen wir die Schussverletzung: Erst desinfizieren, das Projektil entfernen, evtl. nähen, dann verbinden. Beim Bruch muss vor der Binde geschient werden, der Blutegel muss mit brennender Zigarre entfernt werden. Habt ihr alles richtig gemacht, verschwindet die Verletzung komplett.

Heilung

Das hört sich alles sehr realistisch an, ist aber mit der Zeit einfache Routine, weil es nicht konsequent genug umgesetzt wurde: Ihr könnt erstens bei der Behandlung keine fatalen Fehler machen, die eine Wunde z.B. entzünden würden. Und zweitens wird bei jeder Behandlung automatisch pausiert, so dass ihr selbst während eines Schusswechsels mit Nadel und Faden hantieren könnt. Auch im Bosskampf ist Verarzten kein Problem. Es gibt nur einen Haken: Behandelt ihr euch zu oft, schwinden auch Verbandsmaterial und Medikamente. Und da man getötete Feinde leider immer noch nicht gezielt nach Gegenständen durchsuchen kann, ist man auf sein Glück angewiesen, was den Nachschub angeht.

Ein Schmankerl haben wir uns für den Schluss aufgehoben: die Tarnung. Das ganze Spiel verlangt von euch eine möglichst perfekte Anpassung von Gesicht und Uniform an die Umgebung - vgl. Video: Camouflage (Laufzeit: 10:29 Min.). Allerdings müsst ihr euch hier nicht auf euer gutes Auge und den Farbensinn verlassen, sondern könnt das Ergebnis in einer Prozentwertung sofort erkennen: Wer sich optimal kleidet, kann

Kampfhubschrauber wartet auf Solid: Ist das die Rettung oder eine Falle?
fast mit der Umgebung verschmelzen und bleibt nur eine Handbreit vom Feind entfernt unentdeckt.

Tarnung ist alles

Zur Auswahl stehen euch von Beginn an einfache olivgrüne, schwarze, grau gestreifte, baumrinden- und blattgrüne Kampfanzüge. Im Laufe des Spiels könnt ihr neue Gesichts- und Körpertarnungen finden - etwa eine Totenmaskenschminke oder einen Regentarnanzug. Außerdem könnt ihr neues Outfit online runterladen.

Der Wechsel des Äußeren funktioniert komfortabel im pausierten Menü. Insgesamt entsteht ein sehr reizvolles Versteckspiel mit einem herrlich langsamen Spielrhythmus: Manchmal liegt man minutenlang im Matsch und beobachtet die Marschrouten der Wachen, hält nach Lücken Ausschau. Aber obwohl man die Luftfeuchtigkeit der grünen Hölle fast spüren kann, verfehlt das Spielspaßthermometer die Award-Hitze.

            

Fazit

Selten ist mir eine Wertung so schwer gefallen. Ich liebe Metal Gear Solid. Ich bin mit Snake auf der PlayStation, ihrem Nachfolger und auf dem GameCube durchs Remake geschlichen. Okay, wer ist das nicht? Aber ich will damit sagen, dass dieser Held ganz oben auf meiner Sympathieskala steht. Trotzdem ist Snake Eater nicht das geniale Stealth-Action-Highlight geworden, das ich erwartet hatte. Das Spiel ist gut, kaufenswert, unterhaltsam - keine Frage. Und es gab Momente, da hätte ich Hideo Kojima den Award mit Kniefall überreicht: Metal Gear Solid 3 mag Längen haben, mag mich zu sehr zum Zuschauer verdammen, aber erzählerisch und dramaturgisch ist es über jeden Zweifel erhaben. Die Regie ist brillant, die Bosskämpfe sind fulminant und der grandiose Soundtrack kommt direkt aus dem Bond-Paradies - ein Ohrwurm par excellence. Aber unter dieser betörenden cineastischen Kulisse hapert es sowohl an der Spielmechanik als auch der Glaubwürdigkeit des Szenarios. Metal Gear Solid hat einige Neuerungen parat, die es zunächst wie eine Simulation erscheinen lassen: Tarnung, Nahkampftechniken, Trefferzonen, Verletzungsarten. Aber leider wird dieser Mantel von vielen Inkonsequenzen so durchlöchert, dass man das antiquierte Gerüst darunter erkennt: Da empfindliche Steuerung, die Levelgrenzen, die bösen KI-Aussetzer, die Kamera-Probleme, die Bewegungsbeschränkungen. Aber viel entscheidender für die Wertung ist: Mir fehlte auf Dauer der Nervenkitzel. Die Kämpfe sind zu leicht, driften zu schnell in einfaches Durchmarschieren ab. Konami hätte dem Abschluss der Trilogie auch abseits der Bosskämpfe und Filme mehr Spannung einimpfen müssen. Aber die Japaner sind sich dessen vielleicht bewusst: Metal Gear Solid 4 wurde mit dem Slogan "New Beginning" angekündigt. Zeit wird`s, einige alte Zöpfe abzuschneiden...

Pro

  • packende Story
  • filmreife Präsentation
  • viel Witz & Seitenhiebe
  • fulminante Bosskämpfe
  • Flair des Kalten Krieges
  • wunderbarer Soundtrack
  • realistische Dschungelwelt
  • komfortables Tarn-System
  • neues Nahrungs- & Heilsystem
  • herrlich langsamer Spielrhythmus
  • hervorragende Zwischensequenzen
  • sehr gute Dialoge, markante Charaktere
  • feine Close-Quarter-Combat-Möglichkeiten
  • witzige Minispiele & Inhalte zum Download

Kontra

  • keine Hügel erklimmen
  • empfindliche Steuerung
  • einige böse KI-Aussetzer
  • Kamera schwenkt ungünstig
  • kein echter Trainingsmodus
  • Story kommt recht spät in Fahrt
  • viel zu leichte Kampfsituationen
  • teilweise enge Levels ohne Freiraum
  • einige Ruckler & Texturschwächen
  • kein gezieltes Ausrauben der Gegner
  • viele passive Zuschauer-Sequenzen
  • Nahrungssuche & Heilung zu einfach
  • kaum Verstecken nach Alarm möglich

Wertung

PlayStation2

Großartiges Kino, klasse Soundtrack, packende Story. Aber unter diesem Mantel steckt eine antiquierte Spielmechanik.