Metal Gear Ac!d - Test, Taktik & Strategie, PSP

Metal Gear Ac!d
31.08.2005, Jörg Luibl

Test: Metal Gear Ac!d

Skat, Poker und Doppelkopf sind euch zu langweilig? Ihr wollt ein Kartenspiel, in dem es so richtig abgeht - inklusive Stealthkill, Granaten und Raketenwerfer? Dann verlasst den verqualmten Stammtisch und macht's euch mit der PSP auf der Couch gemütlich. Konami präsentiert mit Metal Gear Ac!d (ab 69,95€ bei kaufen) ein rundenbasiertes Agentenabenteuer im Stile eines Trading-Card-Games. Ob das gewagte Konzept aufgeht?

Ich mag Trading-Card-Games. Vor ein paar Jahren habe ich noch wie ein Irrer Spellfire, Guardians und Magic gesammelt, um mir nächtelang mit Freunden Zauber, Artefakte und Monster um die Ohren zu hauen. Irgendwann war jedoch Schluss mit lustig, denn der Kauf neuer Booster- und Sonder-Packs geht schnell ins Geld. Also hab ich die Ordner eingemottet und mir eingebildet, den

Mit einer Flugzeugentführung fängt alles an, bevor...
Sammeltrieb besiegt zu haben. In dieser ebenso heroischen wie naiven Abstinenz veröffentlicht Konami tatsächlich ein Trading Card Videogame in der Welt von Solid Snake…

Alte Liebe, neues Gewand

Das trifft sich schrecklich gut: Zum einen liebe ich Stealth-Action in all ihren Varianten. Zum anderen kann ich jetzt der Lust am Taktieren und am gierigen Horten ohne schlechtes Gewissen frönen: Man bekommt ja 204 Karten zum Festpreis auf die PSP - sogar inklusive einem "Limited Edition Card Book", in dem man alle ergatterten Schätze ankreuzen kann. Booster? Kauft man nicht, sondern erkämpft man! Kurzum: Ich gehöre zur ideal vorbelasteten Zielgruppe für Konamis gewagten Schritt aus der bekannten Echtzeit in die ungewohnte Runde. Eigentlich müssten die Japaner mit diesem Mix voll ins Schwarze meiner Spielspaßscheibe treffen. Das hätten sie auch beinahe, doch…

…der Pfeil rauscht zwei Ringe am Bull's Eye vorbei, flattert erzählerisch und technisch etwas zittrig, landet aber dennoch im guten Bereich. Keine Frage: Metal Gear Ac!d (MGA) ist ein taktisch anspruchsvolles Abenteuer, das euch für zig Stunden unterhält und herrlich grübeln lässt. Es ist neben Mercury bisher das einzige Spiel auf der PSP, das mich längerfristig fesseln kann. All der 3D-Action-Kram ist mir im Miniformat auf Dauer zu anstrengend: die Finger verkrampfen, der Blick verschwimmt. Und auch wenn Snake aufgrund einiger erzählerischer und technischer Schwächen als Kartenheld nicht die Euphorie entfacht, die er als Actionheld auslöst, geht das gewagte Konzept spielerisch auf.

Gutes Kartenspiel

Wie funktioniert diese rundenbasierte Kartentaktik? Ein Beispiel: Man lauert in Deckung hinter einer Säule, hat eine Auswahl von bis zu sechs Karten auf der Hand und viele Möglichkeiten: Schalte ich die Kamera mit einer Düppelgranate aus oder versuche ich, mich an der Wand entlang zu schleichen? Mache ich blutigen Katana-Prozess mit der Wache oder befördere ich sie mit einem Drehkick in die Ohnmacht? Gehe ich lieber vorwärts oder warte ich die nächste Runde ab? Man kann sich also zurücklehnen, das 3D-Gelände erkunden und in Ruhe die Lage klären. Und ihr habt immer die Wahl zwischen Frontalangriffen, kluger Umgehung oder einem Mix aus beidem. Nur in den ersten Stunden halten sich die Tarn- und Schleichfähigkeiten von Solid noch in Grenzen, so dass schon mal die Socom gezückt werden muss.

Timing und Reaktionsschnelligkeit braucht ihr gar nicht. Man spielt quasi Stealth-Action-Schach mit viel Planung und einer Prise Glück. Wie ein Feldherr brütet man über seiner Kartenarmee, sortiert aus, wägt Optionen ab und zückt schließlich seinen Joker. Dabei geht natürlich das Adrenalin flöten, das in Echtzeit für Spannung sorgt - aber das Spiel gewinnt an strategischer Tiefe. Vor allem, wenn man später im Duett mit der Verbündeten Teliko unterwegs ist: zwei Agenten gleichzeitig über die mit Wachrobotern, Fallen und Kameras gespickten Karten zu manövrieren verlangt

...Snake als heroischer Retter in den Kampf geschickt wird.
viel Taktik und Weitsicht. Aber zurück zu Snake: Nach jeder Runde, in der er zwei Züge aus dem Repertoire an Bewegungs-, Kampf- und Ausrüstungs-Möglichkeiten beliebig hintereinander vollziehen kann, erhält er zwei zufällig ausgewählte Karten aus dem Vorrat. Das Glück lässt sich jedoch zwingen: Wollt ihr eine Kamera funktionsunfähig schießen, aber euch fehlt gerade die nötige Waffenkarte? Dann wartet einfach eine Runde und legt zwei unbrauchbare Karten ab - vielleicht ist sie dann dabei. Aber Vorsicht: Jede Runde ziehen auch die Gegner, wechseln ihre Patrouillenroute und kommen euch gefährlich nahe. Lebenswichtig ist, dass man sich das Sichtfeld der Wachen und Kameras über die Dreieckstaste anzeigen lässt; gelbe Punkte markieren die Felder, die ihr nicht betreten solltet.

Solid-Snake-Schach

Vor jedem großen Einsatz kann man sein Deck aus 30 Karten entweder manuell oder automatisch neu zusammenstellen. Letzteres ist zwar bequemer, aber bringt euch nicht unbedingt die optimale Ausrüstung. Man sollte genau auf die Einsatzbesprechung achten: Wenn es in ein vermintes Gelände geht, empfiehlt sich die Mitnahme von Minensuchgeräten. Wenn es in Hochsicherheitszonen geht, empfiehlt sich die Mitnahme von Zigaretten zwecks Laserenttarnung. Konami bietet euch das ganze Spektrum an Hochsicherheitsmechanismen und Agentenschnickschnack. Da man erst im Laufe des Spiels coole Spezialmanöver, Tarnuniformen oder Waffeneffekte wie den Kugelhagel oder die Doppelklinge bekommt, strengt man sich eifrig an, alle Karten zu ergattern.

       

Erinnert ihr euch an den Close-Quarter-Combat aus Metal Gear Solid 3  (MGS3)? Diese Nahkampftechniken könnt ihr auch hier einsetzen. Die entsprechenden Karten vorausgesetzt, dürft ihr eure Gegner mit gezielten Tritten, Hieben oder Würfen außer Gefecht setzen, die alle von kleinen coolen Cutscenes inszeniert werden. Eigentlich kann man das volle Potenzial von MGA

Auch Wachroboter und ferngelenkte Raketen stehen auf dem Programm.
erst nach mehreren Stunden ausschöpfen. Kommt einem zu Beginn noch alles sehr eingeschränkt vor, öffnen sich mit dem Hangeln, dem Tarnen und Öffnen von Türen später sehr viele interessante Wege.

Nah- & Fernkampf

Das Kampfsystem ist zwar manchmal alles andere als realistisch, aber wirkt taktisch durchdacht: Ihr könnt per Ausweich- oder Schutzwesten-Karte so gezielt eure Verteidigung nach vorne oder hinten stärken, dass ihr von einer drei Meter entfernten Wache trotz Feuerstoß mit AK-47 nicht getroffen werdet. Auch eure Position (kriechend, stehend, unten, oben) hat Einfluss auf eure sowie die Trefferchance des Gegners. Selbst bei einer Umzingelung und vollem Alarm habt ihr mit Bewegungskarten und vielleicht einem Zugbonus noch die Chance, in einen Unterschlupf zu fliehen - dort könnt ihr Blutungen stillen und Lebenskraft tanken. Allerdings seid ihr nirgends sicher, denn ab einem bestimmten Alarmlevel untersuchen die Wachen auch Tunnel und verdächtige Pappkartons.

Wie bekommt man neue Karten? Das geht auf drei Arten: Man kann in den großen, teilweise mehrstöckigen Arealen Kartenpakete finden - die sind aber meist gut bewacht und zwingen euch vielleicht zum Kampf. Man kann Karten im Shop kaufen, wobei der Zufall die Zusammensetzung bestimmt - wie in echten Booster-Packs. Oder man bekommt sie als Belohnung für besonders gute Leistungen. Und hier motiviert MGA auf ganzer Linie: Denn nur, wer die drei Schleichtugenden beherzigt, wird nach einem Einsatz mit besonderen Karten belohnt: Sei schnell, töte nicht und löse keinen Alarm aus!

Sammeln & Schleichen

Die größte Ausbeute an neuen Karten erhaltet ihr, wenn ihr ohne viele Umwege und Konflikte zum markierten Zielpunkt gelangt. Das ist ab und zu ganz schön knifflig, aber Perfektionisten werden diesen goldenen Weg nach ein paar Trial&Error-Versuchen aufspüren - ihr könnt jederzeit speichern und die Situation anders angehen. Man kann Konami jedoch vorwerfen, dass das Leveldesign etwas zu eingeschränkt ist und zu selten alternative Tunnelverbindungen eröffnet: etwas mehr Offenheit hätte den Wiederholungsmechanismus durchbrochen. Es gibt zwar manchmal eine zweite Route, aber es läuft oftmals auf einen Weg hinaus. Natürlich kann man auch einfach ballernd zum Ziel gelangen, nur bekommt man dann keine Spezialkarten und eine schlechte Bewertung.

Das Spielprinzip ist also ausgesprochen motivierend. Aber MGA ist auch ein Abenteuer, das euch viel Geduld abverlangt und Feinschliff in Sachen Kameraführung und Komfort vermissen lässt: Manchmal fummelt man sich einen Wolf, um die optimale

Während die 3D-Cutscenes vollends überzeugen, schwächeln manche Texturen.
Sicht zu bekommen, die von Wänden oder Säulen versperrt wird, wenn Snake z.B. kriecht oder in einem Tunnel steckt. Natürlich hat man in der Runde ewig Zeit, aber nur in der Vogelperspektive hat man die optimale Orientierung, so dass man immer wieder zwischen Schulter- und Draufsicht wechselt. Schade ist, dass man in der Schulterperspektive nur ein paar Meter weit nach vorne schauen kann - man hat nie alles im Blick.

Kamera, Wartezeit & Komfort

Sehr langatmig sind die Phasen, in denen man sich bei einem Alarm z.B. unter einen LKW versteckt: Es scheint Ewigkeiten zu dauern, bis man nach fünf Wachen wieder zum Zug kommt; selbst, wenn man die lobenswerte Vorspulfunktion über die Dreieckstaste nutzt, die dem passiven Leerlauf etwas entgegen wirkt, dauert es noch zu lange, bis alle Alarmphasen von Rot über Gelb bis hin zur Entspannung durch sind. Für meinen Geschmack lässt sich auch das Tutorial zu viel Zeit, um die Feinheiten in Sachen Steuerung zu erklären, so dass Einsteiger viel Lehrgeld zahlen: Man bekommt z.B. schon zu Beginn interessante Schusskarten, die man aber nicht einsetzen kann, da man zunächst eine aufrüstbare Waffe braucht - warum wird das nicht früher erklärt? So schleppt man sie erstmal unnötig mit, weil auch das Handbuch zu dem Thema schweigt.

    

Und die Story? Irgendwann 2016: Ein Flugzeug wird entführt, der Präsidentschaftskandidat ist an Bord, die Entführer fordern Zugang zum Geheimprojekt "Pythagoras" - es geht um chemisch-biologische Kriegsführung. Kurzum: Die Welt wird mal wieder von Terroristen bedroht, die USA schicken mal wieder einen Helden in den Kampf. Die Rahmengeschichte befindet sich zu Beginn gerade mal

Im Menü könnt ihr euch detaillierte Informationen zu allen Karten einblenden lassen.
auf Tom Clancy-Niveau und scheint bis auf einige Namen nahezu keinen Bezug zu bisherigen Metal Gear-Teilen zu haben. Nur in der Kartenbenennung weckt Konami alte Geister wie Raiden, Revolver Ocelot oder Cyborg Ninja.

Weltenretter Nr. 978

Das sorgt zwar für wehmütige Erinnerungen, aber Fans dürfte die fehlende erzählerische Verknüpfung dennoch enttäuschen. Immerhin gewinnt der Plot im Laufe des Spiels an Brisanz und kann sogar mit einigen bizarren Charakteren wie einer Hellseherin, brutalen Morden und politischen Überraschungen aufwarten. Der Umfang ist enorm: Rechnet mit mehr als 20 Stunden für die Kampagne. Die Erzählung erreicht trotz einiger Höhepunkte jedoch nie diese epische Brillanz, die man von Konamis Bestsellern kennt. Snake wirkt in den Dialogen weniger charismatisch, weniger rebellisch, manchmal sogar plump und scheint kurz vor der Rente zum Befehlsempfänger geschrumpft zu sein. Die Gespräche sind meist sehr knapp gehalten und können selten mit Wortwitz punkten. Nur die Bösewichte, wie z.B. die beiden skrupellos mordenden Puppenschwestern, sorgen für etwas Salz in der Suppe.

Die Story ist insgesamt nicht schlecht, es gibt sogar einige gute Schnitte und Perspektivwechsel, aber in der Tradition der Reihe wirkt sie seltsam plakativ und könnte auch das nächste Splinter Cell schmücken. Vielleicht hätte auch eine Sprachausgabe geholfen, die Atmosphäre zu verbessern? Ihr bekommt lediglich deutsche Texte, die auch nicht immer konsequent übersetzt wurden - "Secretary" und "President" hätten in einer deutschen Fassung nicht sein müssen. Im Vergleich zu Snakes Echtzeiteinsätzen gibt es in MGA auch dramaturgisch mehr Durchwachsenes, weniger Nervenkitzel. Und das, obwohl der Mix aus stylischen Comiczeichnungen und 3D-Cutscenes einige Kohlen aus dem Feuer holt.

Auf Sprachausgabe müsst ihr komplett verzichten; alle Texte wurden ins Deutsche übersetzt.
Europa und Amerika haben gut lachen: Im Gegensatz zu Japan gibt's für westliche Schleicher noch einen Multiplayer-Modus, den man allerdings erst im Laufe der Kampagne freischaltet. Ihr könnt dann gegen Freunde und KI spielen und müsst natürlich etwas länger auf deren Züge warten - die Vorspulfunktion gibt's hier nicht. Das rundenbasierte Spielprinzip ist dasselbe, nur dass es auf ausgewählten Karten ohne erzählerischen Bezug, mit Zeitlimit und direkt mit zwei spielbaren Charakteren stattfindet: Interessant ist, dass man die Zielpunkte für die Mission erst dann öffnet, wenn man drei Discs von besiegten Gegnern einheimst. Da nur ein Zielpunkt zum Sieg führt, kommt noch eine gewisse Glückskomponente hinzu. Wer auf die Suche keine Lust hat, kann auch versuchen, den Gegner im direkten Kampf zu besiegen. Gewonnen habt ihr auch, wenn ihr nach Ablauf der Uhr die meisten Discs besitzt.

Multiplayer-Modus

Solltet ihr das Abenteuer komplett durchgespielt haben, könnt ihr mit einem USB-Kabel über den Link-Modus auch Verbindung zu eurer PS2 samt Metal Gear Solid 3 aufnehmen, um Bonusmaterial von MGA nach MGS3 zu übertragen.

    

Fazit

Okay, die Story hätte man besser ins Metal Gear-Universum integrieren können. Okay, es gibt einige Leerlaufphasen, die Kamera flutscht nicht optimal und der Einstieg ist recht zäh. Aber Metal Gear Ac!d ist neben Mercury bisher das einzige Spiel auf der PSP, das mich für Stunden fesseln kann. Als alter Trading-Card-Veteran bin ich sofort mit dem rundenbasierten System warm geworden: ein Deck erstellen, Karten ziehen, sammeln, neue Taktiken vorbereiten. Keine Echtzeit, kein Alarmfrust, keine Actionorgie - wunderbar! Trotz einiger Schwächen ist das gewagte Konzept von Stealth-Action-Schach bei mir auch deshalb aufgegangen, weil das Abenteuer gewiefte Schleicher belohnt und erst langsam seine Spieltiefe entfaltet. Ihm fehlt vielleicht das Charisma der Vorbilder und der letzte technische Feinschliff. Aber wenn ihr auf Sammelkarten und Schleichtaktik abfahrt, wird es euch etwa 20 Stunden richtig gut unterhalten.

Pro

  • bizarre Bösewichte
  • ansehnliche Cutscenes
  • 20-Stunden-Kampagne
  • anspruchsvolle Taktik
  • sinnvolle Kartenfeatures
  • riesiges Arsenal an Möglichkeiten
  • coole Stealth- & CQC-Techniken
  • guter Mix aus Comic & 3D-Grafik
  • motivierendes Belohnungssystem
  • eigenes Deck erstellen, Karten sammeln
  • freischaltbarer Multiplayer-Modus

Kontra

  • gewöhnliche Story
  • etwas zäher Einstieg
  • keine Sprachausgabe
  • viel Kameragefummel
  • einige Leerlaufphasen
  • Tutorial mit kleinen Lücken
  • kaum Verbindung zur Metal Gear-Historie

Wertung

PSP

Als alter Trading Card-Veteran bin ich sofort mit dem rundenbasierten System warm geworden: Deck erstellen, Karten ziehen, sammeln - wunderbar!