Dungeon Siege 2 - Test, Rollenspiel, PC

Dungeon Siege 2
02.09.2005, Marcel Kleffmann

Test: Dungeon Siege 2

Dungeon Siege ist ein Spalter! Ein Grafikblender! So lautet heute das Urteil zum Action-Rollenspiel von Gas Powered Games. Im Rückblick war das Spiel eine launige, aber extrem simple Monster-Massenschnetzelei. Langzeitspaß, Kampfsystem und Story gaben Anlass zur berechtigten Kritik. Jetzt steht der zweite Teil in den Startlöchern. Haben die Entwickler aus den Fehlern gelernt?

Jedes Rollenspiel braucht einen mächtigen Bösewicht. In Dungeon Siege 2 (ab 40,00€ bei kaufen) ist Valdis der düstere Auserwählte. Er sucht ein magisches Schwert und ein mächtiges Schild, denn beide Artefakte stürzten die Welt vor Jahrhunderten in ein gigantisches Chaos. Geblendet von seiner Stärke schließt ihr euch Valdis Truppen an und werdet spektakulär mit von Drachen getragenen Landungsbooten an die Front abgesetzt – D-Day im Fantasyreich. Dort haben bereits finstere Heerscharen ein Netz aus Schützengräben ausgehoben, das euch als Tutorial dient: Ihr sprecht mit unfreundlichen NPCs, nehmt erste Mini-Aufträge an. Ist die Lernstunde vorbei, dürft ihr das erlangte Wissen

Worum geht es bei Dungeon Siege 2? Ganz einfach: Gegner ohne Ende vermöbeln - sowohl in Dungeons als auch an der Oberwelt!
umsetzen und Gegner vermöbeln. Dieser Abschnitt spielt sich extrem gradlinig und weist fast ausschließlich Hack & Slay-Elemente auf. Als ihr dann zum Zielobjekt kommt, erscheint Valdis höchstpersönlich, schnappt sich den Schatz und tötet (fast) alle seiner Söldner. Nur ihr überlebt das Massaker und wacht später hinter schwedischen Gardinen auf: Gefangen genommen von einem Baumvolk…

 Ein Schwert, ein Schild und ein Kataklysmus!

Welch ein Schock: Erst Söldner in der Armee der Finsternis und nun ein hilfloser Möchtegern-Held im Knast. War der Auftakt noch eintönig, kippt das Gameplay ab diesem Wendepunkt, denn ab jetzt wird eine komplexere Geschichte als im gesamten Vorgänger erzählt. Aber es geht noch weiter: Mit vielen NPCs im Gefängnis könnt ihr reden und kommt wieder auf freien Fuß – nicht ganz frei, da ihr ein magisches Gefangenenhalsband tragen müsst. Jetzt könnt ihr euch frei in der gigantischen Baumstadt herumtreiben, mit Personen sprechen und kleine Aufträge annehmen, damit die Bewohner Vertrauen schöpfen. Also heißt es: Aufgaben lösen, Reputation erlangen, sich die Freiheit erkämpfen und Valdis, den Mörder eures besten Freundes, erschlagen – das Abenteuer wird euch 25 bis 35 Stunden beschäftigen.

Kehrtwende im Gefängnis

Neben der gelungenen Hauptstory erwartet euch eine Vielzahl an Nebenquests, die keineswegs von einem Zufallsgenerator gebastelt wurden, sondern einige interessante Kurzgeschichten erzählen – auch, wenn sich hinter der epischen Fassade meist Kämpfe und weniger Rätsel oder echtes Rollenspiel verbergen.

Nur eine gut funktionierende Gruppe führt zum Sieg, obwohl die Standard-Gegner in der Regel kein Problem darstellen.
Trotzdem macht das die Welt interessanter und lebendiger als noch im Vorgänger, da es einige Überraschungen zu entdecken gibt. Der Lohn für eure Erkundungen bleibt genretypisch: Gold, Erfahrungspunkte und/oder Gegenstände. Echte Rollenspiel-Fans werden allerdings enttäuscht, da komplexe Dialoge mit multiplen Antwortmöglichkeiten und nicht linearem Einfluss auf den Storyverlauf fehlen. Selbst Rufänderungen gegenüber gewissen Parteien gibt es nicht - ein typisches Action-Rollenspiel halt.

Mehr Rollenspiel?

Jeder Kampf läuft in Echtzeit und ist einfach zu steuern. Ein rechter Mausklick auf einen Gegner und schon greift der Charakter mit der ausgewählten Waffe an. Haltet ihr die Maustaste gedrückt, folgt ein Dauerangriff - eine Klickorgie wird so vermieden. Ist dies trotzdem zu hektisch, könnt ihr eurem Helden mehr Freiheiten geben, so dass er automatisch Gegner in der Umgebung angreift. Bei solchen Auto-Attacken müsst ihr dann die Gesundheits- und Manapunkte im Auge behalten und euch bei Bedarf einen Trank zuführen. Dies ist nicht sonderlich interaktiv, aber sonst wäre es schwer, die gesamte Party im Auge zu behalten und den Überblick zu wahren – was bei Gefechten mit vielen Gegnern übrigens sehr schwer ist.   

Kampf im Vordergrund

Auf maximal sechs Mitglieder wächst eure Truppe an. Zu Beginn begleitet euch nur ein Mitstreiter, den ihr z.B. in der Baumstadt rekrutieren könnt, aber wenn ihr genügend Gold angehäuft habt, könnt ihr das Personenlimit erhöhen. Da es euch frei steht, welche Recken ihr mitnehmen wollt, könnt ihr gleichzeitig euren Kampfstil festlegen. Nehmt ihr nur Nahkämpfer mit, habt ihr enorme Durchschlagskraft und große Probleme, falls Zauberer oder Fernkämpfer auftauchen. Also kommt es auf eine funktionierende Mischung der vier Kampftalente (Nah- und Fernkampf, Natur- und Kampfmagie) an. Ein Naturmagier könnte so die Truppe heilen, während zwei Nahkämpfer die Stellung halten, ein Bogenschütze und Kampfzauberer aus sicherer Entfernung Schaden anric

Aus der normalen Perspektive sieht die Umgebung recht gut aus. Die Polygon-Schwächen werden erst beim Zoom sichtbar.
hten. Ferner könnt ihr die ganze Ausrüstung des halben Dutzend bestimmen - sogar das individuelle Verhalten der Mitstreiter kann festgelegt werden. Hört trotzdem mal einer nicht zu, könnt ihr die direkte Kontrolle über ihn übernehmen. Solche Eskapaden sind dank der guten KI ziemlich selten. Auch die Wegfindung überzeugt weitgehend.

 Apropos Party

Wie sich euer Charakter entwickelt bestimmt ihr. Zu Beginn wählt ihr zwischen vier Rassen: Menschen sind die typischen Allrounder, Elfen lieben Magie, Dryaden stehen auf Bögen und Halb-Riesen sind ideale Tanks. Trotzdem sind die Attribut-Werte der Rassen nur marginal verschieden. Die tatsächliche Entwicklung erfolgt im Gameplay. Schwingt ihr das Schwert, so steigt die Nahkampf-Fähigkeit an und mit der Zeit flitzt der Wert Stärke in die Höhe. Nutzt ihr den Boden, rauscht Geschicklichkeit flotter hoch als Stärke und bei Magiern steigt die Intelligenz, egal ob ihr Natur- oder Kampfmagie nutzt. Dieses pseudo-interaktive System schwächelte schon beim Vorgänger, da es zu wenige individuelle Entwicklungsmöglichkeiten gab. Dies ist jetzt anders: Pro Level-Aufstieg dürft ihr neue Talente in einem waagerechten Skilltree erlernen und euch spezialisieren. So wird aus einem Nahkämpfer eine wahre Tötungsmaschine mit effektiven Attacken oder ihr entscheidet euch für einen Tank, der stundenlang Angriffen trotzen kann oder soll es lieber eine Mischung aus beiden Disziplinen mit starken Kombos werden? Apropos Party: Eure Mitstreiter erlangen ebenfalls Skill-Punkte und ihr dürft sie verteilen.

Entwicklung durch Kampfaction

Neben dem Drang, den Charakter aufzuwerten und die Welt zu erkunden, macht die Suche nach besserer Ausrüstung einen enormen Reiz aus: Die Gegner lassen ständig Gegenstände aller Art fallen, die ihr entweder benutzen, verkaufen oder

Ein treues Muli mitten im Dungeon - solch eine Nahansicht ist aber spielerisch total sinnlos.
verfüttern könnt. Verfüttern? Richtig gelesen! Schon im ersten Teil konntet ihr einen Esel kaufen, der wertvollen Plunder schleppte und jetzt könnt ihr eine größere Anzahl an Tieren erwerben, die sich sogar im Kampf wehren. Außerdem könnt ihr die Eigenschaften der Tiere verbessern, in dem ihr sie füttert. Eine leckere und leicht bekömmliche Plattenrüstung erhöht z.B. den Rüstungswert. Trotzdem sind die Tiere zu schwach für die Welt, da menschliche Mitstreiter wesentlich bessere Werte haben und effektiver kämpfen. Neu ist ebenfalls ein Reagenz-System mit dem ihr Waffen verbessern könnt – dies ist allerdings sinnlos, da die meisten Gegenstände, die ihr findet, besser sind als die verzauberten Items.

Von Gesängen und Rüstung mampfenden Eseln

Um das Magiesystem zu erweitern, wurden "Chants" eingebaut: Diese "Gesänge" sind zauberhafte Verbesserungen, die an Altären aufgerufen werden und nur eine bestimmte Zeit anhalten. Auch die Macht "Tote zu sehen" könnt ihr so erlangen, schließlich hält so manch ein Geist eine Aufgabe für euch bereit.

Beim Speichersystem bedienten sich die Entwickler bei Diablo 2: So werden erledigte Quests sowie Stats gespeichert - und zwar in der letzten Stadt. Damit ihr keine langen Lauforgien in Kauf nehmen müsst, gibt es überall Teleporterstationen und natürlich den Town-Portal-Spruch. Nach Beendigung der Kampagne könnt ihr das ganze Spiel auf zwei höheren Schwierigkeitsgraden

Ein "Killer-Muli" beim Angriff!
durchzocken. Anders als in Blizzards Schnetzel-Konkurrenz fehlt es den Wiederholungen allerdings an Charme und Motivation, schließlich habt ihr jede Region schon gesehen – hier sicherte sich Diablo 2 klar den Vorteil durch Zufalls-Levels und wesentlich sinnvollere Item-Verbesserungen.

 Optionsleihgabe aus Diablo 2

In der abwechslungsreichen Welt trefft ihr auf zahllose Massengegner, die oft zu schnell das Zeitliche segnen, u.a. weil die Gegner-KI nicht sehr helle ist. Bei den Standard-Gegnern gibt es eigentlich nur direkte Angriffe und gar kein Gruppen-Verhalten. Zu etwaigen Todesfälle in der eigenen Grupppe kommt es höchstens bei großer Feind-Übermacht oder den deutlich schwereren Zwischenendgegnern, die manchmal sogar etwas Hirnschmalz erfordern. Verliert ein Mitstreiter die Lebensenergie, fällt er ihn Ohnmacht. Verliert er oder sie weiterhin an Punkten, kann es vorkommen, dass ein Charakter gänzlich stirbt. Dann kommt der preiswerte Wiederbelebungs-Zauber zum Einsatz.

Leichte Kost

Spieler des ersten Teils werden die überarbeitete Grafik-Engine sofort erkennen. Allerdings solltet ihr nicht zu nah an die Szenerie heranzoomen, denn erstens geht so die Übersicht flöten und zweitens seht ihr, dass bei den Polygonen gespart wurde. Aus der Ferne hingegen macht die Kulisse eine gute Figur, da viele Schauplätze liebevoll mit Gegenständen, oder Pflanzen ausstaffiert wurden - ein Paradebeispiel hierfür ist die Baumstadt zu Beginn. Mehr Polygone hätten die Charaktere vertragen können, aber dafür entschädigen die imposanten Zaubereffekte. Alles in allem kann die Grafik durchaus überzeugen, obwohl sie längst nicht die Aha-Effekte auslöst wie der

Mit der Menüleiste am oberen linken Bildschirm kontrolliert ihr Waffen und Zauber der Party.
Vorgänger anno dazumal. Dafür gibt es in der Welt keine störende Ladeunterbrechung.

Kulisse

Wesentlich eindrucksvoller ist die Musik mit einem wunderschönen orchestralen Soundtrack, der gekonnt das Thema des Vorgängers aufgreift und mit neuen Melodien verfeinert. Während die Sound-Effekte ebenfalls gut geraten sind, bleibt die Sprachausgabe ziemlich durchwachsen. Alle Texte der NPCs sind vertont, manchmal mit demotiviert klingenden Sprechern; andere hingegen wirken emotional und professionell.

Last but noch least wäre da noch der Mehrspieler-Modus. Mit vier Spielern durch die Welt zu ziehen und gemeinsam Gegner umzunieten ist ziemlich unkompliziert und spaßig. Aber gewisse Schwächen sind anzukreiden, besonders bei der Verteilung der Gegenstände während der Monsterjagd: Hier gilt nach wie vor "Wer zuerst kommt, mahlt zuerst!" – wenn ihr schnell genug auf den Alles-Aufsammeln-Knopf einhämmert, könnt ihr fast die gesamte Beute einsacken. Nicht gerade fair, hier hätten bessere Regelungen getroffen werden können.

Multiplayer-Modus

Fazit

Nach dem eher eintönigen Einstieg hatte ich große Befürchtungen, dass Dungeon Siege 2 zum uninspirierten Nachfolger mutiert. Aber nach zwei bis drei Stunden kommt Monstermetzel-Freude auf: Feinde umnieten, Gegenstände sammeln, Umgebung erforschen – das ist nichts, was man nicht schon aus anderen Spielen kennt, aber es wird auf hohem Niveau präsentiert. Basierend auf dem Feedback von Presse und Fans haben die Entwickler viele Schwächen ausgemerzt und dem Abenteuer eine komplexe Story sowie interessante Nebenquests gegönnt. Und siehe da: die Fantasy-Welt wirkt gleich lebendiger! Was auch ein Verdienst der ansehnlichen Kulisse und der bombastischen Musik ist. Das ehemals viel zu lineare Level-Up-System wurde durch einen guten Skilltree ergänzt, der mehr Tiefe in die Charakter-Entwicklung bringt. Die Ideen mit den Tieren, den Chants und den Verzauberungen sind jedoch nur halbherzig umgesetzt worden, da es auf Dauer keine Vorteile bringt. Des Weiteren sind die Kämpfe viel zu simpel: eine gut geskillte Gruppe haut die Feinde ohne viel Taktik um. Wenn euch der automatisierte Kampfstil von Dungeon Siege gefallen hat und ihr lockere Monstermetzeleien mit Item-Overkill sucht, dann liegt ihr hier natürlich goldrichtig. Fans von Multiplayer-Schlachten oder Spielen mit hohem Wiederspielwert sollten lieber zu einem Online-Rollenspiel oder Diablo 2 greifen.

Pro

  • gute Rahmenhandlung
  • in Geschichten verstrickte Nebenquests
  • große, lebendige Welt zu erkunden
  • weniger Linearität in den Levels
  • süchtig machende Jagd nach Gegenständen
  • actiongeladene Kämpfe mit der Party
  • Skilltree für Charakter-Spezialisierung
  • Kampfsystem individualisierbar
  • 25 bis 35 Stunden
  • fordernde Boss-Gegner
  • Lasttiere
  • einfache Steuerung
  • gute Kulisse & Animationen
  • packender Soundtrack
  • keine Ladepausen

Kontra

  • lahmer Einstieg
  • Standard-Gegner sind zu leicht, schwache KI
  • zu wenig Herausforderungen im Kampf gegen normale Gegner
  • insg. noch zu linear
  • Tiere sind zu schwach
  • Chants und Verzauberungen spielerisch sinnlos
  • Probleme mit der Übersichtlichkeit
  • Rätsel und Taktik zu stark im Hintergrund
  • mangelnde Motivation nach Abschluss der Kampagne
  • Schwächen bei der Sprachausgabe
  • unpassendes Intro-Video
  • Multiplayer-Modus mit fehlenden Gruppen-Loot-Optionen
  • zu wenig Multiplayer-Features

Wertung

PC

Ein wirklich gut gelungener Nachfolger mit Design-Schwächen.