Gun - Test, Action-Adventure, 360, PC, GameCube, PlayStation2, XBox

Gun
16.11.2005, Mathias Oertel

Test: Gun

Mitte letzten Jahres schien es, als ob Western-Action wieder groß im Kommen wäre: Spiele wie Dead Men’s Hand oder Red Dead Revolver haben gezeigt, dass das Amerika der Gun (ab 9,94€ bei kaufen)slinger für mehr zu gebrauchen war als für Point&Click-Abenteuer. Doch dann setzte wieder eine Western-Flaute ein. Die will Activision mit dem von Neversoft entwickelten Gun beenden. Ölt eure Revolver und sattelt die Pferde!

Neversoft? Das sind doch die Jungs, die mit der Tony Hawk-Skateboard-Serie ein ganzes Genre revolutioniert haben? Genau! Und eben diese Jungs haben mit Gun ein Westernepos aus dem Boden gestampft, das erzählerisch und spielerisch neue Standards setzen will.

Willkommen im Wilden Westen: Neversoft möchte mit Star-Unterstützung ein Epos schaffen.
Allerdings geht das Vorhaben nicht immer auf, obwohl der Prärie-Ausflug mit praller Action und einigen Anleihen bei einschlägigen Titeln aus dem Hause Rockstar Games gefüllt ist.

Auf fremden Pfaden

Dass die Geschichte so gut funktioniert, ist nicht weiter verwunderlich: Immerhin saß mit Randall Johnson ein Hollywood-Drehbuchautor an der Feder, der mit den Scripts zu Oliver Stones "The Doors" und der Geschichte zu "Die Maske des Zorro" beeindruckende Filme in seinem Lebenslauf verankert hat.

The Good



Das herausragende Merkmal der ersten Spielstunden ist aber nicht die Action, sondern die Story. Sie fasziniert von Anfang bis Ende fasziniert und bietet die Hauptmotivation für den Wildwest-Ausflug.

Und was der Geschichte auf lange Sicht vielleicht an Tiefgang fehlen mag, da sich alles meist um das Archethema Gier dreht, wird durch die famose Zeichnung der Charaktere wettgemacht, die wiederum von der extrem starken Sprecherriege leben. Mit gestandenen Schauspielern wie Lance Henriksen (Millenium, Aliens, AvP), Ron Perlman (Hellboy, Alien: Resurrection) sowie Legende Kris Kristofferson (Blade-Serie, Pat Garrett jagt Billy the Kid) wurden genau die Richtigen engagiert - so imposante Videospiel-Charaktere gibt es sonst nur bei Spielen aus dem Hause Rockstar zu sehen. Hinzu kommt die pompöse Akustik: Angefeuert von einem durchdachten und durchweg stylischen Charakter-Design sorgen die Cut-Scenes in Spielgrafik untermalt von imposant heldenhafter Musik für die nötige Dramatik.

Doch auch die Action, die euch zwischen den Story-Sequenzen auf dem Hauptpfad erwartet, kann sich sehen lassen: Nach einem guten Tutorial warten zahlreiche Stunden gefüllt mit wahnwitzigen Feuergefechten, fordernden Boss-Fights und stimmungsvollen Reitsequenzen in den endlos scheinenden Prärien – garniert mit einem Haufen optionaler Nebenmissionen.

Im "Schnellzieh-Modus" wird in die Ego-Ansicht gewechselt und die Umwelt auf Zeitlupe gestellt.
Besonders erwähnenswert ist dabei nicht einmal das reichhaltige Waffenarsenal, das euch nicht nur mit mehreren Pistolentypen, Gewehren und Schrotflinten bekannt macht, sondern auch Nahkampfwaffen, explosives Material und Bögen bereit hält, um mit den schier unendlichen Gegnerströmen fertig zu werden.

Viel interessanter ist da schon der Schnellzieh-Modus, der im Prinzip Neversofts Ego-Variante der Bullet-Time darstellt: Um euch herum wird die Welt langsamer, so dass ihr geschickt eine große Gegnermenge ausschalten könnt, ohne selber ernsthaft in Gefahr zu geraten. Und sollte sich die großzügig angelegte Zeitleiste, die das Schnellziehen limitiert, dem Ende neigen, könnt ihr sie durch z.B. Kombos mit dem Gewehr wieder auffüllen.

Da sich dieser Modus auch zu Pferde einsetzen lässt, habt ihr jederzeit ein probates Mittel zur Selbstverteidigung zur Verfügung.

  

Doch es ist nicht alles Gold bei Gun. Denn nach einer interessanten ersten Stunde (sprich: etwa zehn bis 15 Prozent der Basis-Spielzeit) setzt in vielerlei Hinsicht Ernüchterung ein. Wo die offene Spielwelt mit ihren weiten Prärien, Gebirgszügen und verstreuten Städten anfangs für einen Hauch Cowboy-Grand Theft Auto sorgt, stellt man schnell fest, dass das Areal nicht nur weiträumig, sondern überraschend leer ist. Sprich: es gibt für die Größe des Gebietes viel zu wenig zu entdecken und zu tun, was die Erforschung überhaupt lohnen würde.

Die Action ist intensiv und das Spielgebiet groß. Zu schade, dass man abseits der Missionen kaum etwas entdecken kann. 


The Bad

 Ihr könnt zwar eine ganze Reihe an optionalen Nebenmissionen erledigen, doch auch hier mangelt es auf lange Sicht an Variation. Anfänglich machen die Kopfgeldjagden, Pony-Express-Dienste (Hol-und-Bring-Missionen), Rancharbeit (Eintreiben der Kühe) und was es alles zu finden gibt, noch Spaß. Doch irgendwann wiederholt sich das Schema und der Nutzen für die Steigerung eurer verschiedenen Attribute ist vernachlässigbar.

Sobald die allgemeine Faszination etwas nachlässt, fallen auch erste grafische Mankos ins Auge. So z.B. die Animationen, die vor allem bei den Nicht-Spieler-Charakteren ab und an etwas merkwürdig wirken und die bei weitem nicht die Qualität der Pferde erreichen, die sich nahezu lebensecht bewegen.

Einzig für die Steigerung eures Kontostandes lohnen sich diese Aufgaben, da ihr euch so einfacher Power-Ups für Waffen usw. leisten könnt.

Und so intensiv die Action sich darstellt, so schwammig lässt sie sich in den meisten Fällen kontrollieren. Es ist sicherlich löblich, dass es eine kleine Zielhilfe gibt, die das Anvisieren der Gegner erleichtert. Anfänglich mögen sich die PC-User daran noch stören, doch spärter werden auch sie diese Hilfe zu schätzen wissen. Denn selbst mit der klassischen Maus-/Tastatur-Steuerung bleibt

Auch reitend könnt ihr Schießen, was das Zeug hält. Die gute Kamera-Arbeit hilft, den Spaß aufrecht zu erhalten.
punktgenaues Zielen dem Zufall überlassen, da auch die diversen Einstellungsmöglichkeiten nicht verhindern, dass sich das Fadenkreuz viel zu ungenau bewegt.

So beraubt sich Gun nicht nur etwas der Spannung, sondern bietet dank der Zielhilfe auch über alle Systeme hinweg nur auf höheren Schwierigkeitsgraden eine Herausforderung. Was dann allerdings auch nicht an einer besseren KI liegt, sondern eher daran, dass die gegnerischen Angriffe mehr Schaden anrichten.

Konnte man über die bisher aufgezählten Mankos noch einigermaßen westernblind hinwegsehen und sich auf die gute erzählte Story hinaus reden, die die Sorgenfalten wieder etwas glättet, geht mir als Western-Fan beim Thema Lokalisierung der Cowboy-Hut hoch. Damit meine ich nicht die Sprachausgabe. Denn diese wurde im englischen O-Ton belassen und weitestgehend zufrieden stellend untertitelt.

The Ugly

  

Aber geneigte Anhänger dieses Film-Genres möchten sich bitte Folgendes vorstellen: Bei einem Film des Kalibers The Wild Bunch, Pat Garrett jagt Billy the Kid

Selbst auf leichte Blutfontänen wie hier müsst ihr verzichten: Gun ist stark geschnitten und beraubt sich damit wichtiger Emotionen.
(beide von Altmeister Sam Peckinpah) oder bei einem Streifen der Marke Django wird nachträglich durch Computer-Bearbeitung sämtliche rote Körperflüssigkeit entfernt und Zeitlupen-Sequenzen gleich gestrichen. Das Ergebnis: ein Film, der vielleicht die FSK-Freigabe "ab 12" bekommt. Aber gleichzeitig auch ein Film, der wichtige Identifikationspunkte vermissen lässt.

Aber wenn eine Geschichte so stark auf wilde Instinkte und Emotionen wie Gier und Rache aufbaut wie Gun und dazu noch ein ungeschöntes Bild des Wilden Westens darstellen will (Packungszitat: "Erlebe, wie WILD der WESTEN wirklich war"), ist es frevelhaft, das Spiel so zu schneiden, damit es ja noch den blauen 16er-Sticker kassiert.

Versteht mich nicht falsch: Ich bin kein Spieler, der auf Teufel komm raus visuelle Gewalt in einem Spiel braucht.

Ja: Die Action ist fulminant, explosiv und weitestgehend gut und intensiv in Szene gesetzt. Aber wie soll ich großartig Rachegefühle entwickeln oder versuchen, die Gegner möglichst effektiv in die ewigen Jagdgründe zu schicken, wenn der relativ unspektakuläre Abgang der Bezugspersonen kaum eine Regung hervor ruft?

Die abwechslungsreichen Story-Missionen führen euch auch an die Seite der Indianer.
Die Unterschiede

Gun möchte zwar einerseits Gewalt zelebrieren, setzt sie aber andererseits hervorragend als Stilmittel ein, um Emotionen aufzubauen. Und genau diese Möglichkeit wird Spielern hierzulande genommen.

Auf dem PC sind zwar die höchsten Auflösungen möglich, die auch nicht unbedingt ein Highend-System fordern, doch gemessen an Highlights wie Chronicles of Riddick und selbst Grand Theft Auto San Andreas wird der Rechenknecht nicht einmal ansatzweise gefordert.



Rein optisch ruhen die Hoffnungen auf der bald erscheinenden Xbox 360-Version, denn sowohl PS2 als auch Xbox und vor allem die PC-Fassung lassen gemessen an den Möglichkeiten, die die jeweilige Hardware bietet, zu wünschen übrig.

Insofern liefert die PS2-Version den insgesamt besten Job ab, wenn es darum geht, die Hardware zumindest einigermaßen auszunutzen. Da Gun auf der PlayStation 2 zudem über die besten Kontrollmöglichkeiten verfügt, liegt sie hier ebenfalls vorn, gefolgt von der Xbox-Variante und der PC-Version, die sich mit Pad fast schon besser spielen lässt als mit der Maus-/Tastatur-Kombo. Inhaltlich sind alle Versionen identisch.  

Fazit

Wer nach Rockstars Red Dead Revolver wieder Lust auf den Wilden Westen verspürt, liegt mit Gun genau richtig - eigentlich! Denn so häufig wie bei Neversofts Action-Ausflug lagen Licht und Schatten selten zusammen: Angetrieben von einer plakativen, aber starken Story, die leider manchmal etwas zu unsauber in den Spielverlauf eingepflegt wurde und angereichert mit solider Action wird man von Anfang bis Ende gut bedient. Dass dieser Schluss nach etwa acht bis zwölf Stunden eintrifft, ist dabei weniger bedauerlich wie die im Endeffekt zwar große und offene, aber auch viel zu leere Welt. Auch die nicht immer überzeugenden Animationen der Nicht-Spieler-Charaktere sowie die Steuerungsdefizite fallen negativ auf. Dem gegenüber steht eine grandiose Akustik, die sich vornehmlich aus pompöser Musik und hervorragender Sprachausgabe zusammensetzt. Angesichts von Starsprechern wie z.B. Kris Kristofferson (Pat Garrett jagt Billy the Kid) oder Ron Perlman (Hellboy) kann man die Entscheidung, keine Synchro zu produzieren, voll und ganz nachvollziehen. Ganz im Gegensatz zu den Schnitten, die die deutsche Fassung plagen: Hierzulande ist Gun ein blutleerer Western. Alle Filmfans mögen sich bitte Streifen wie The Wild Bunch oder andere Werke von Sam Peckinpah ohne grafisch explizite Duelle oder Zeitlupen vorstellen – wenn euch dieses Bild gefällt, könnt ihr bei Gun unbesorgt zugreifen. Ich war von dieser sterilen Atmosphäre enttäuscht. Denn aus einem heißen Award-Kandidaten wurde durch die Schnitte ein gerade mal gutes Spiel, das in dieser Form letztlich kaum mehr bietet als ganz normale Third-Person-Action. Dann doch lieber zurück zu Total Overdose.

Pro

  • starke Western-Story
  • gutes Figurendesign
  • exzellente Musik-Untermalung
  • offene Spielwelt
  • gut inszenierte Action
  • intensive Boss-Kämpfe
  • zahlreiche Nebenmissionen
  • klasse (englische) Sprachausgabe
  • umfangreiche Waffenauswahl
  • abwechslungsreiche Aufgaben in der Kampagne

Kontra

  • grafisch insgesamt eher durchschnittlich
  • unsaubere Animationen
  • schwammige Steuerung
  • Welt sehr unbelebt
  • deutsche Fassung geschnitten
  • kurz

Wertung

PC

PlayStation2

XBox