Lost in Blue - Test, Rollenspiel, NDS

Lost in Blue
18.11.2005, Jörg Luibl

Test: Lost in Blue

Am kommenden Montag wird die Fernsehserie Lost zum großen Finale ansetzen. Serienfans warten gespannt auf die Auflösung all der Geheimnisse, die über Wochen für Spannung sorgten. Wer den Kampf ums Überleben auf einer Insel am eigenen Leib erleben will, kann auch auf dem DS ein Ticket ins Ungewisse buchen: Lost in Blue (ab 69,95€ bei kaufen) heißt das Abenteuer, das zwar inhaltlich nichts mit dem TV-Spektakel zu tun hat, aber ein ähnliches Szenario bietet.

Robinson Crusoe lässt grüßen: Der junge Keith wacht nach einem Schiffsunglück klitschnass an einem Strand auf. Zunächst ist von weiteren Überlebenden keine Spur; die Insel erscheint ebenso unangetastet wie menschenleer. Dank der schwappenden Brandung, der Palmen sowie feinen Lichtschächten entsteht sofort eine überaus ansehnliche Kulisse. Der

Oben die Anzeigen für eure Gesundheit, unten ein Sprung über den Fluss.
dynamische Tag- und Nachtwechsel und saubere Kletterbewegungen hinterlassen auch später einen sehr guten Eindruck.

Gestrandet im Nirgendwo

Selbst die Musik weckt mit ihrem lieblichen Rhythmus und einem Hauch von Zwielicht schnell die Entdeckerlust. Doch auch wenn die Sonne fast schon karibisch freundlich strahlt, plagen Hunger, Durst und Ermüdung den einsamen Achtzehnjährigen. Aber er bleibt nicht lang allein: Ein paar schmackhafte Kokosnüsse später entdeckt er ein gestrandetes Mädchen. Sie heißt Skye, war scheinbar auch auf dem Schiff und jetzt wollen die beiden gemeinsam versuchen, von der Insel zu entkommen - kein einfaches Unterfangen.

Ähnlich wie in ICO könnt ihr Skye bei der Hand nehmen, sie über Abgründe geleiten und zu Flüssen führen. Rufen könnt ihr sie allerdings nicht und in ihre Haut könnt ihr erst nach dem Durchspielen schlüpfen. Bis dahin besteht ihre Aufgabe darin, in der nahen Höhle für euch zu kochen, zu basteln und den Raum zu verschönern. Später darf sie auch Ziegen melken und Seile flechten - sie ist nützlich, aber bleibt zunächst ein passives Höhlenmütterchen.

Survival-Ehepaar

Trotz dieser patriarchalischen Rollenverteilung ist immerhin noch Raum für einfache Gespräche: Ihr könnt Skye Mut machen, sie nach ihrem Befinden fragen, euch verabschieden oder sie um einen Gefallen, wie z.B. den Bau eines Korbes, bitten. Und es gibt tatsächlich neben ihrem verträumten Summen auch ein wenig englische Sprachausgabe - sehr schön.

Weniger schön präsentieren sich die deutschen Texte, denn im Detail hat Konmai gehörig geschlampt: Wie kann es sein, dass einfache Worte wie "zurück" oder "springen", die so häufig vorkommen, nicht richtig geschrieben werden? Man liest ständig etwas von "zurüik" oder "sprengen" - arrrgh. Natürlich kann die Orthografie den Spielspaß nicht direkt beeinträchtigen, aber das ist angesichts des Titels einfach schlampig und hätte jedem Qualitätsprüfer sofort auffallen müssen.

Zurück zu Skye und Keith: Trotz der Interaktion und einiger Comiceinblendungen samt deutlicher Mimik nimmt man kaum eine Entwicklung in ihrer Beziehung wahr. Man hat schnell das Gefühl, ein altes Ehepaar im festen Floskeltrott statt ein junges Pärchen im tastenden Flirt vor sich zu haben - man vermisst Leben und Emotionalität. Aber für Romanzen bleibt ohnehin keine Zeit, denn Lost in Blue orientiert sich weniger an den Softskills von Die Sims als vielmehr den harten Fakten eines Harvest Moon: es geht um effektives Zeitmanagement und das nackte Überleben.

     

Das Prinzip ist ebenso einfach wie fordernd. Drei Werte beeinflussen eure Gesundheit, die im Optimalfall aus 100 Lebenspunkten besteht: Durst, Hunger und Fitness. Alle werden sowohl grafisch als auch numerisch angezeigt. Zu Beginn des Abenteuers liegt alles bei 25, der Maximalwert bei 100 Prozent. Sobald die kritische untere Drittelschwelle erreicht wird, sinken die Werte zügiger ab und Keith beschwert sich über den Mangel an Wasser oder Essen. Außerdem wird er deutlich langsamer, wenn seine Fitness nicht stimmt. Sobald ein Wert null erreicht, stirbt man - und das geht schneller, als man denkt, denn der Tag läuft im Zeitraffer ab und kann schon mal in einer guten Viertelstunde vorbei sein.

Hunger, Durst & Erschöpfung

Feuer machen aktiv: erst reiben, dann pusten.
Leider sinken auch eure lebenswichtigen Werte verdammt zügig. Die Fitness lässt sich noch sehr einfach über eine Mütze Schlaf oder das Ausruhen wieder herstellen. Der Durst ist zunächst auch kein Problem, denn ihr findet schnell einen Fluss und Flaschen, die ihr füllen könnt. Allerdings zwingt euch Lost in Blue später sehr lange, sehr monotone Laufwege zurück zum Trinkwasser auf, wenn ihr zu zweit irgendwo tiefer auf der Insel unterwegs seid - immerhin könnt ihr jederzeit schnellspeichern.

Aber wichtiger und nervender als Fitness oder Durst ist der Hunger. Er wird euch wie ein ewiger Schatten begleiten und zur Sammeldisziplin zwingen, denn nur wenn ihr satt seid, könnt ihr euch auch ausruhen - sprich: Habt ihr keine Nahrung, könnt ihr nicht schlafen. Wer nicht sehr klug auf Vorrat pflückt und fischt, wird schnell in einen Teufelskreis der Schwächung geraten. Und da ihr sowohl auf Keith als auch Skye achten müsst, aber Lebensmittel zunächst nicht ausreichend lagern könnt, seid ihr auf ein ewiges Hin- und Her zwischen Höhle und diversen Zielgebieten angewiesen. Diese Wiederholungen können gerade im ersten Teil in redundante Routine ausarten.

Dabei hat die Vielfalt durchaus ihren Reiz: Ihr findet Kokosnüsse und Kartoffeln, Muscheln und Karotten, Pilze und Seegras. Später könnt ihr Fallen stellen und mit Pfeil und Bogen jagen, um Enten, Wildschweine oder Rehe zu erlegen, die endlich etwas längerfristiger sättigen. Aber Skye muss zunächst aus den kargen Zutaten etwas kochen. Und je nach Kombination kann euch ein Mahl magere 5, schlappe 10 oder vielleicht mal gute 20 Punkte auf's Hungerkonto bringen. Rezepte gibt es zunächst nicht und ihr müsst einfach ausprobieren, ob ein Fischsalat besser ist als ein Gemüsemix - viele Pleiten inklusive.

Sammeln bis zum Umfallen

Die optimale Nahrungszubereitung ist eine Wissenschaft für sich und das komplexeste Spielelement: Immerhin spielen nicht nur die einfachen Zutaten, sondern auch acht Gewürze und diverse Pilze eine Rolle. Samen, Chilipfeffer & Co findet ihr einfach, indem ihr wahllos den Boden absucht - hier wird per Zufall entschieden, welches Gewürz in euren Rucksack wandert. Der Vorteil ist, dass diese das Essen deutlich aufwerten. Die vielen Pilze können euch sowohl negativ als auch positiv beeinflussen: es gibt giftige, die euch brechen lassen, Durst oder Schlaf verursachende oder auch stärkende, die eure Fitness spürbar steigern.

Das Problem ist nur, dass die Mahlzeiten nie so satt machen, dass man entspannt die Insel erkunden kann. Die Tage vergehen verdammt schnell. Der Hunger kommt verdammt schnell. Man muss quasi immer auf 24 Stunden Vorrat pflücken, sammeln und jagen, denn man braucht eine Mahlzeit vor dem Schlafen gehen, eine für das Frühstück und mindestens eine Ration für die Erkundung. Erschwerend kommt hinzu, dass der Rucksack recht klein ist und ihr in der Höhle zunächst nur eine Hand voll Dinge lagern könnt, bevor es mehr Stauraum gibt. Warum hat man dort nicht wenigstens von Anfang an mehr Platz?

Das legt sich zwar mit der Zeit, wenn ihr aus Bambus Körbe bauen könnt. Aber abseits all der Nahrungsmittel müsst ihr ja auch noch fleißig Rohstoffe für Gegenstände und Waffen sammeln: Steine, Zweige, Stöcke, Baumrinde, Bambus, Seil, Knochen, Federn und so weiter. All das lässt sich geschickt zu neuen Betten, Körben, Feueranzündern, Speeren verschiedener Art sowie großen und kleinen Fallen kombinieren - gerade dieses Erstellen neuer Dinge macht Spaß, denn die Vielfalt ist faszinierend und lädt zum Experimentieren ein. Und wenn man den ersten Fang in seiner Falle oder Fisch am Haken hat, ist die Freude tatsächlich groß.

     

Die saubere Steuerung macht dabei keine Probleme und die Technik des DS wird optimal ausgenutzt: Auf dem oberen Bildschirm könnt ihr zwischen drei Ansichten wechseln: eine statische Weltkarte, eine interaktive und nützliche 2D-Karte mit eurer Position sowie den überaus wichtigen Statusbildschirm, der euch über die Gesundheit von und Skye und Keith auf dem Laufenden hält.

Mikro, Stift & Doppelschirm

Viel interessanter wird es auf dem unteren Schirm, denn hier wechselt die Perspektive beim Sammeln, der Jagd oder beim Fischen in eine Egosicht, in der ihr den Speer mit dem Stift steuert und eure Stöße z.B. gut getimt ins Nass führen müsst - eine gute Idee. Auch das Ausgraben von Gemüse oder das Schütteln von Bäumen wird über den Touchscreen erledigt, so dass man immer aktiv ins Geschehen eingebunden wird und selbst Hand anlegen muss.

Fallen, Feueranzünder und Waffen baut man sich im übersichtlichen Inventar.
Mit den Schultertasten reibt ihr im Rhythmus Holz auf Borke, bis es raucht. Den glimmenden Haufen pustet ihr schließlich über das Mikro in heiße Glut, bis das Feuer lodert. Hier lässt Nintendos Handheld seine innovativen Muskeln spielen. Nur wenn man sein zwanzigstes Feuer gemacht oder seinen zwölften Fisch erlegt hat, verlieren auch diese Methoden an Reiz. Der DS zelebriert zwar wie schon bei Another Code eine sinnliche Spielerfahrung, aber sie wird zu oft mit Wiederholungen strapaziert, verlangt stoische Disziplin.

Und man hat kaum Zeit, die Insel richtig zu erkunden. Aber ehrlich gesagt gibt es dort in den ersten Stunden auch kaum etwas zu sehen oder zu erleben. Die Story verabschiedet sich streckenweise komplett und hinterlässt eine sterile Leere, die an eine Wirtschaftssimulation erinnert. Abseits der Gesundheit bemerkt man auch nicht den Hauch einer Gefahr: Weder wilde Tiere noch Kletterpartien über Felsen sorgen für Spannung, da sie automatisiert ablaufen und ihr nicht runterfallen könnt. Einzig und allein einige Baumstämme bieten allzu offensichtliche Schiebe-Abwechslung. Hätte man nicht ein paar Wrackteile des gesunkenen Schiffs anspülen können? Hätte man nicht früher weitere Höhlen oder Ereignisse einbinden müssen? Oder gar weitere Personen?

Inselerkundung & Hungertod

Das Leveldesign offenbart lediglich neues Terrain: Man erklettert ein Plateau, wo es erste Himbeeren gibt; man erreicht einen Abschnitt, in dem es sehr viel Bambus gibt; man entdeckt einen Strand mit Kammmuscheln. Aber was macht man dann? Man packt den Rucksack voll, läuft zurück zur Höhle, zündet ein Feuer an, lässt Skye Essen machen und legt sich schlafen. Am nächsten Morgen ist man zwar ausgeruht, aber hat wieder Hunger. Also heißt es Muscheln und Seegras suchen oder Fische fangen, wieder zurück zur Höhle, Skye kochen lassen, damit man Kraft genug hat, die Insel zu erkunden.

Das kann gerade zu Beginn spannend sein, zumal selbst die Gezeiten eine Rolle spielen: Man erreicht bestimmte Strandabschnitte z.B. nur, wenn man sich bei Ebbe um eine Klippe wagt - wieder eine klasse Idee. Und ihr könnt euren Schlafplatz ausbessern, die Höhle mit Regalen und Stauraum versehen sowie Werkzeuge und Waffen bauen. Aber erst im letzten Drittel des Spiels wird der Trott etwas durchbrochen, wenn man endlich mit der Angelrute oder Pfeil und Bogen auf die Jagd gehen kann. Enten, Wildschweine, Rehe hinterlassen Knochen, Fell und Fleisch; Ziegen können gefangen und zur Milchgewinnung domestiziert werden. Man muss sich allerdings über eine lange Durststrecke im Strandgebiet durchbeißen, bevor man wieder interessante Orte entdeckt, die endlich auch besseren Knobelspaß über einige Kistenschiebereien und weitere Überraschungen offenbaren - auch nicht auf spektakulärem Niveau, aber die Motivationskurve steigt wieder an. Ist dieser Punkt erreicht, gibt auch die Story wieder Lebenszeichen von sich und deutet an, dass man noch einiges erleben kann. Hier macht Lost in Blue wieder richtig Spaß, weil es die Neugier weckt.

Mysteriöses Abenteuer?

Trotzdem bleibt das Gefühl zurück, dass man für all seinen disziplinierten Kampf um's Überleben zu wenig Unterhaltung, Spannung und Dramatik bekommt. Würde es sich um eine Simulation handeln, die die Familienbildung auf einer einsamen Insel inklusive längerfristiger Siedlung beinhaltet, würde das Konzept wie auch bei Harvest Moon besser aufgehen. Man könnte dann noch ein Haus bauen, Nachwuchs zeugen und Getreide anpflanzen. Aber hier geht es ja um eine Flucht - dazu noch um die Flucht eines Paares, das zu Beginn noch Unsicherheit verströmt. Hier hätte man viel mehr mit Ängsten, Andeutungen oder Rätseln spielen müssen, um das Abenteuer nicht zu stark ins Nahrungssuch-Management und die Beziehung nicht zu stark ins Abfüttern abgleiten zu lassen.

    

Fazit

Als die ersten Trailer zu Lost in Blue über meinen Monitor schwirrten, war ich begeistert: eine einsame Insel, der Kampf ums Überleben, das Erkunden im Team - all das schürte die Hoffnung auf ein packendes Survival-Abenteuer. Und zu Beginn ist man tatsächlich fasziniert, denn Konami kann nicht nur eine glaubwürdige Stimmung aus Verzweiflung und Idylle aufbauen, sondern auch die Mikro- und Touchtechnik des DS sinnvoll einsetzen: Man pustet in die Glut, rüttelt an Bäumen, jagt mit dem Stiftspeer. Aber dann entsteht eine elende Endlosschleife der immer gleichen Aktionen. Dann erlebt man statt Erkundung und Abenteuer tagtäglich ein knallhartes, sich wiederholendes Nahrungs- und Zeitmanagement. Man vermisst das Mysteriöse, das Unerwartete. Und so schleicht sich eine ermüdende Routine ein und würgt die Faszination, bis man vor Verärgerung flucht. Das hätte das Spiel zugrunde richten können, wenn da nicht das letzte Drittel wäre: Plötzlich punktet das Abenteuer mit frischem Knobelfair und weckt noch mal die erzählerische Neugier. Wer die Zähne zusammen beißt und durchhält, wird Lost in Blue trotz seiner klaren Schwächen mögen - vielleicht sogar lieben. Aber es ist weit weg von der erhofften Klasse.

Pro

  • schöne Inselidylle
  • etwas Sprachausgabe
  • inklusive Fischfang & Jagd
  • viele kombinierbare Gegenstände
  • Erkundung im Team möglich
  • zig Nahrungsquellen
  • freispielbarer Spielmodus
  • gute Nutzung der DS-Technik
  • mehrere Enden

Kontra

  • schlampige Übersetzung
  • nerviges Nahrungsmanagement
  • Story kommt nicht in Gang
  • zu spät Adventure-Flair
  • sich wiederholende Laufwege & Aktionen
  • zu wenig Mysteriöses, zu wenig Überraschungen

Wertung

NDS