Great Invasions - Test, Taktik & Strategie, PC

Great Invasions
27.11.2005, Bodo Naser

Test: Great Invasions

Es gibt Spiele, die sind komplex wie Kinder des Nils, Civilization 4 oder Hearts of Iron II. Ihr Ansporn liegt darin, einfach alles meistern zu wollen. Dann gibt es aber Strategiespiele, die sind schlicht so kompliziert, dass sie euch jeglichen Ansporn rauben. Zu welcher der beiden Kategorien gehört wohl das im frühen Mittelalter spielende Great Invasions (ab 6,99€ bei kaufen)?

Sachsen, Friesen, Angeln und Franken drängeln sich an der unansehnlichen 2D-Nordseeküste.
Great Invasions hat wahrhaft epische Ausmaße: Es umfasst den Zeitraum vom Niedergang des Römischen Reiches um 350 n.Chr. bis zur Eroberung Englands durch die Normannen im Jahr 1066. Das in Echtzeit ablaufende Strategiespiel, das unter der Hand vollmundig als Nachfolger von Europa Universalis gehandelt wurde, behandelt in neun Kampagnen eine der abwechslungsreichsten Epochen, die von der Spätantike über die Zeit der Völkerwanderung bis zum Hochmittelalter dauert. Nach dem Ende Roms entstand ein Machtvakuum, in das neue aufstrebende Völker wie Sachsen, Goten oder Alanen vorstießen. Nicht umsonst wird der Wegfall der römischen Ordnungsmacht bisweilen mit den Auswirkungen eines Atomkriegs verglichen. Das kürzlich erschienene Rome-Add-On Barbarian Invasion umfasst übrigens einen ganz ähnlichen Zeitraum, auch wenn es nicht bis ins Mittelalter geht. Auch den euroasiatischen Raum haben beide Spiele gemeinsam.

Völkerwanderung zum Nachspielen

Die Zahl der Kriegsparteien erschlägt einen fast, denn 80 spielbare Völker tummeln sich auf der großen Karte, zu denen Ostrom, Wikinger, Franken, Hunnen oder Abbasiden aber auch viele kleinere Länder zählen. Jedes Volk hat nur ein Ziel: den eigenen Einflussbereich zu vergrößern. Viele der Stämme sind noch Barbarenstämme und haben nicht die nötige Zivilisationsstufe erreicht, um ein eigenes Reich zu gründen. So ergeht es etwa den germanischen Stämmen im heutigen Deutschland, die noch als Horden umherziehen. Doch damit nicht genug der Verwirrung, denn erstmals ist möglich, mehrere Völker gleichzeitig zu spielen und sogar neue zu ersteigern. Die Zusammensetzung ist jedoch nicht immer ganz nachzuvollziehen, denn wer Westrom und Ostrom nimmt, muss auch die verfeindeten Franken nehmen. Dann müsst ihr euch sozusagen selbst angreifen, was nicht gerade für richtige Identifikation mit dem eigenen Reich sorgt.

Massig Völker

Gut versteckt könnt ihr Wirtschaftsgebäude wie Bauernhof oder Mine errichten, was jedoch ewig dauert.
Great Invasions, das auch äußerlich stark an das ebenfalls von Philippe Thibault stammende Pax Romana erinnert, bietet in den vier Schlüsselbereichen Militär, Wirtschaft, Diplomatie und Religion mehr Handlungsmöglichkeiten als Rome - auch wenn die Zahl der Stadtausbauten nicht ganz erreicht werden. Ihr könnt z.B. Truppen ausheben, Wirtschaftsgebäude errichten und Handelsverträge schließen. So weit so gut. Wer sich nun aber schon aufs ausgiebige Regieren freut, sei gewarnt, denn das Spiel hat trotz neugierig machender Thematik klare Macken. So ist das Verwalten eures Reiches derart umständlich, dass euch schnell die Lust daran vergeht. Wer etwa eine Armee in ein anderes Land schicken will, muss sich dafür erst durch mehrere Menüs klicken, bei denen einem schon einmal die Übersicht flöten gehen. Auch der Gebäudebau ist total versteckt. Da es verschiedene Kartenansichten gibt, die sich nicht gleichzeitig anzeigen lassen, ist ständiges Hin- und Herwechseln gefragt.

Komplizierter geht's kaum

Dabei fehlt es dem Spiel nicht an guten Einfällen: Neben mehreren Völkern gleichzeitig zu spielen, die ihr auch ersteigern könnt, existieren allerhand Spezialaktionen, die ihr wie besondere Spielkarten in den vier Bereichen ausspielen könnt. Das läuft fast wie bei einem Brettspiel ab: Wer etwa die Aktion Bekehrung wählt, kann in einer Provinz seiner Religion viele neue Anhänger bescheren. Es ist allerdings nicht ganz leicht, immer die jeweils passende Aktion auszuwählen, da euch eine ganze Reihe zur Verfügung steht. Nicht immer sind die Auswirkungen absehbar und es gibt keine Auflistung der Aktionen. Sehr nützlich ist etwa das sofortige Niederschlagen eines Aufstands. Erschwert wird das zusätzlich durch den hektischen Spielverlauf, bei dem ständig neue Fenster aufpoppen, wo umgehend eure Entscheidung gefragt ist. Die Sassaniden fragen an, ob ihr einen neuen Handelsvertrag für 10 Jahre mit ihnen schließen wollt. Zwar lässt sich das Spiel auch verlangsamen und pausieren, aber die Hektik wird so kaum beseitigt, da manche Dinge gemacht werden müssen. Ihr müsst schließlich stets für mehrere Völker zugleich entscheiden. Dann geht es wieder nicht schnell genug, wie z.B. beim Ausheben von Truppen oder dem Bau von Gebäuden.

Nette Spezialaktionen

             

Unten in der Menüleiste "tobt" eine der Schlachten, bei denen es für euch nichts zu tun gibt.
Ein weiterer Hauptschwachpunkt sind die völlig unspektakulär verlaufenden Kämpfe: Natürlich erwartet niemand ernsthaft, dass sie mit dem opulenten Rome mithalten können, aber muss es gleich so schlicht sein? Die Schlachten laufen unten am Bildschirmrand als sich neigende Balken ab, wie das mal früher noch bei Strategiespielen üblich war. Mit der optischen Tristesse ist aber nicht genug, denn auch die Einflussmöglichkeiten während der Schlacht halten sich in engen Grenzen, da ihr gerade mal den Rückzug befehlen könnt. Bis auf die Zusammensetzung der Armee ist Taktik daher ausgeschlossen - ihr könnt lediglich bestimmen, in welcher Mischung die Armee aus Kavallerie, Infanterie, Bogenschützen, Belagerungswaffen und Versorgungskarren besteht. Manch ein Volk besitzt auch Spezialeinheiten wie Drachenboote, Belagerungen und Seekämpfe erweisen sich jedoch als keinen Deut spannender. Immerhin könnt ihr den Armeen Befehlshaber zuteilen, die ganz ähnlich wie bei Rome Erfahrung und Eigenschaften haben - vorausgesetzt ihr findet das richtige Menü.

Unansehnliche Schlachten

Spiele wie dieses leben auch davon, dass sich im Lauf der Zeit die Umgebung verändert, neue Völker und Technologien auftauchen. Bei Great Invasions tut sich diesbezüglich erschreckend wenig, auch wenn es beispielsweise neue Länder gibt. Wer eine der späteren Kampagnen startet, wird schnell merken, dass sich etwa bei Byzanz immer noch dieselben Speer- und Schwertkämpfer, Bogenschützen sowie Reiter tummeln, die schon bei den alten Römer durch die zweidimensionalen Lande marschierten. Jedes Volk besitzt seine paar Einheiten, die sich die Jahrhunderte über jedoch nur unwesentlich verändern. Immerhin spaltet sich wie bei Rome ab und an ein Rebellenreich ab, das dann seine eigenen Wege geht. Witzigerweise werdet ihr gefragt, ob ihr den Aufstand haben wollt. Von ihnen droht aber kaum Gefahr, da die Rebellion schon nach kurzer Dauer wieder vorbei ist, als wäre nichts gewesen.

Kaum Veränderung

Obwohl viel los ist, vermittelt das Spiel eher einen statischen Eindruck.
So fragwürdig wie das unnötig verkomplizierte Gameplay, so billig ist die Aufmachung des Spiels. Das fängt mit dem indiskutabel gerenderten Intro an, das eigentlich den berühmten Wikingerüberfall auf das Kloster Lindisfarne zeigt, aber doch eher ungewollt zum Schmunzeln anregt. Weiter geht es mit der altbacken wirkenden 2D-Europakarte mit ihren völlig unübersichtlichen Ansichten, die viel zur Verwirrung beiträgt. Die lieblos inszenierten Kämpfe, die lächerlich aussehenden Aufstände und Unwetter tun ihr übriges. Auch die pseudomittelalterliche Schrift auf der Karte ist mehr als windschief geraten; Bewegung gibt es kaum. Schließlich endet es damit, dass es keine Filme gibt, die zur Auflockerung beitragen könnten. Das Spiel verströmt daher die nüchterne Atmosphäre einer Tabellenkalkulation, daran ändern auch düstere Zeichnungen und schlecht gemachte Rendergesichter nichts. Es gibt keinerlei Sprachausgabe, noch nicht einmal im Tutorial. Totenstille: Geräusche sind bis auf ein gelegentliches Knarren, Hämmern oder einen gequälten Angriffschrei absolute Mangelware. Einzig die einigermaßen passende Musik lockert das Ganze ein wenig auf, obwohl auch sie nicht zum Hörgenuss taugt. 

Billige Aufmachung

       

Fazit

Normalerweise können mir Strategiespiele nicht komplex genug sein. Allerdings gibt es einen kleinen, aber feinen Unterschied zwischen komplex und unnötig kompliziert, der die Spreu vom Weizen trennt. Bei Great Invasions wird man den Eindruck nicht los, dass mit Fleiß verschachtelte Menüs, umständliche Bedienelemente und unübersichtliche Karten eingebaut wurden, um so Komplexität zu simulieren. Anders ist es nicht zu erklären, dass ich erst nach geraumer Zeit die Schaltfläche für den Bau der Gebäude gefunden habe, die fein säuberlich und unfindbar getrennt von den Stadtbauten ihr Dasein fristet. Auch optisch hinterlässt das Strategiespiel keinen hochwertigen Eindruck, denn eine triste 2D-Kartenansicht bestimmt das Bild und selbst die Menüs kommen nicht an das edlere Pax Romana ran. Tiefpunkt sind und bleiben die indiskutablen Magerschlachten, die euch so gut wie keinen Einfluss auf das Geschehen ermöglichen. So sind auch witzige Einfälle wie Kriegslisten, mehrere Völker gleichzeitig verwalten und Völker ersteigern letztlich umsonst. Great Invasions hat nahezu keine Stärken, aber immerhin ist es im Gegensatz zu Pax Romana spielbar - auch wenn es keinen großen Spaß macht.

Pro

  • von 350 bis 1066 n.Chr. spielen
  • historisches Szenario
  • 80 verschiedene Völker
  • nette Einfälle
  • mehrere Völker spielen
  • Völker ersteigern
  • viele Spezialaktionen

Kontra

  • total unübersichtlich
  • umständliche Bedienung
  • Gameplay überfordert
  • Prozesse dauern ewig
  • schwache Kämpfe
  • Einheiten bleiben gleich
  • billige Aufmachung
  • kaum Geräusche
  • schwaches Intro
  • schlecht gemachtes Tutorial
  • keine Online-Community

Wertung

PC

Wäre die Bedienung nicht so umständlich und die Kämpfe besser, wäre es vielleicht ganz nett.