NBA Live 06 - Test, Sport, 360, PC, PlayStation2, PSP, GameCube, XBox

NBA Live 06
13.12.2005, Jörg Luibl

Test: NBA Live 06

Erst kürzlich stolperte EA mit der 360-Version von FIFA 06 in den Wertungskeller: die technischen Probleme, der spielerische Stillstand und die künstliche Kulisse zeugten davon, dass man die neue Konsole noch nicht im Griff hat. Wie geht es NBA Live 06 (ab 8,98€ bei kaufen)? Immerhin hat die Korbjagd auf PC, Xbox & GameCube unseren Gold-Award abgestaubt. Aber davon ist die 360-Fassung weit entfernt…

Wie klar der Schweiß in Paytons Nacken perlt. Wie lebensecht die Muskeln von O'Neal zucken. Wie locker das Trikot von Nowitzki bauscht. Ja, so fotorealistisch können Spiele heute aussehen. NBA Live 06 ist für mich neben Condemned der optisch eindrucksvollste Titel des Jahres. Das fängt schon im Ladebildschirm an: Da wird nicht mehr trocken in Menüs

Dunken in Hochglanzkulisse: NBA Live 06 fackelt auf der Xbox 360 ein Next-Gen-Feuerwerk ab - leider inklusive Slowdowns und Ruckelorgien.
gewühlt, sondern in futuristischer Edelkulisse, die fast an Tron erinnert, gedunkt und gedribbelt. Aktiviert man dann den Start-Button, wird man durch einen riesigen Bildschirm in die prall gefüllte Arena gezogen und bekommt tatsächlich eine Gänsehaut - fantastisch!

Next-Generation-Pleite

Wer in den ersten Sekunden in die 360-Welt von NBA Live 06 abtaucht, schmeckt die süße Next-Generation-Zukunft - und das noch viel deutlicher als bei FIFA 06: Denn die Entwickler des Basketballtitels präsentieren eine wesentlich harmonischere Kulisse, in der vom Trainer über die Spieler bis hin zum Publikum keine Brüche auftauchen. Alles wirkt durchgestylt, herrlich lebendig und weder plastisch noch künstlich. Spielt man unter HDTV, gewinnen die Profis noch mehr Konturen und Schärfe. Natürlich kann man über den unglücklich flatternden Haaransatz von Nowitzki streiten oder hier und da noch etwas puppenhafte Schwenks ausmachen. Und NBA 2K6 ist auf der 360 sogar noch einen Tick harmonischer. Egal: So müssen Sportspiele der Zukunft aussehen!

Aber dann erlebt man die ersten Spielsekunden. Dann fliegt der Ball seine ersten Meter, dann dribbeln die Stars und spätestens mit dem ersten Dunking kommt das böse Erwachen: Man hat das Gefühl, Basketball in Gelee zu spielen. NBA Live 06 ruckelt so stark wie kein anderes Xbox 360-Spiel, ja wie kein anderes Sportspiel, das mir jemals unter die Testfinger gekommen ist. Zunächst glaubt man noch, man sei über Xbox Live online und erlebt die üblichen Lags, aber die Hoffnung trügt - die Slowdowns ziehen sich durch das ganze verdammte Offline-Spiel. Au Backe, was hat EA hier bitte verzapft, dass Bryant wie in Trance zum Spurt ansetzt?

Böses Erwachen

Eigentlich interessieren mich kleinere Performance-Schwächen bei Sportspielen nicht großartig: Pro Evolution Soccer 5 hat auch seine Probleme - kein Thema, kommt vor, kriegt trotzdem Platin. Wie sagt man so schön? Ein bisschen Schwund ist immer. Aber was sich hier an Echtzeit-Verzögerungen sowohl am normalen Fernseher als auch unter HDTV abspielt, sucht seinesgleichen. Man kann schon kaum noch zwischen

Im Schweiße des Angesichts: Die Körperflüssigkeit strömt in regelrechten Kanälen über die Haut.
dem normalen Lauf und Sprints unterscheiden, der Ball zittert sich ruckartig aus der Hand des Spielers Richtung Korb, nahezu nichts läuft flüssig ab. Immerhin ruckelt es nicht in den Zwischensequenzen: Hier sieht man endlich in voller und schneller Pracht, was sich auf dem Platz bis zum Korb abgespielt hat.

Aber was bringt mir der fotorealistischste O'Neal in Nahaufnahme, wenn es in Echtzeit solche Slowdowns gibt? Baskteball darf sich nicht träge anfühlen! Und das ist noch nicht alles. Die technische Katastrophe wird erst von der Kamera perfekt gemacht: Bei Fastbreaks oder weiten Zuspielen in die Tiefe kommt sie nicht hinterher! Im Klartext bedeutet das: Stackhouse hat den Ball, man kann ihn bereits steuern, aber man sieht ihn nicht und muss blind (!) zum Korbleger ansetzen. Wir haben alle Kameraperspektiven ausprobiert, die übrigens alle nicht wirklich befriedigen, und selbst bei der Hinteransicht diese unverzeihlichen Probleme gehabt. Next-Gen-Optik hin oder her: So macht das einfach keinen Spaß.

          

Und die Ernüchterung geht weiter: EA hat das Spiel auch noch schrecklich kastriert. Erinnert ihr euch an die Stars aus NBA 06 für PC und Konsolen? Es gibt dort Spieler in sechs Star-Kategorien mit unterschiedlichen Fähigkeiten, die man sofort an

Viele Bewegungsphasen lassen bereits Next-Gen-Euphorie aufkommen - leider kann das Spiel nicht mithalten.
ihrer Markierung erkennt. Ein Center hat vier wuchtige Defensiv-, ein Power Forward vier Offensivmanöver in petto; ein Highflyer hebt ab zum Dunk, ein Playmaker sieht den freien Mann. All diese Star-Markierungen sind hier nicht mehr vorhanden. Natürlich könnt ihr Tip-Ins, Tip-Slams, Fadeaway-Jumpshots, freche Steals, verzögerte Korbleger oder Alley-Oops auch so einleiten, aber jetzt fehlt nicht nur die übersichtliche Einstufung der Spielertypen, sondern auch die gezielte Aktivierung der Sonderbewegungen - sprich: alle Bewegungen sind jetzt kontextsensitiv automatisiert und nicht mehr manuell ausführbar. Das ist aus spielerischer Sicht ein großer Rückschritt auf NBA Live 05-Niveau.

Großflächige Kastration

Zwar gibt es auf der Xbox 360 endlich den Online-Modus, auf den der Rest Europas bisher sowohl auf PC als auch Konsolen verzichten musste. Aber selbst dort kann man kaum flüssig spielen und auf Kosten dieser Multiplayer-Premiere wurde der Umfang tatsächlich noch weiter beschnitten: Es gibt bloß einen mageren Saison-, aber keinen umfangreichen Dynasty-Modus, um eine langfristige Vereinskarriere samt Rookie-Suche & Co zu starten. Auch das All-Star-Weekend ist futsch. Damit fallen die beliebten Dreier- und Dunk-Wettbewerbe weg, die einen Großteil vom NBA-Zauber ausgemacht haben. Im Gegensatz zu FIFA 06 gibt es hier zwar einen Spielereditor, was angesichts der fotorealistischen Möglichkeiten durchaus motiviert, aber unterm Strich ist das Angebot an Spielmodi auf der Xbox 360 schrecklich mager.

Was bleibt am Ende? Wir haben uns kopfschüttelnd durch zig Matches gekämpft, das grandiose Publikum genossen, die Zwischenrufe von der Bank aufgesogen und der Spielmechanik trotz der starken Ruckler und Kamera-Probleme auf den Zahn gefühlt. Man kann sogar erahnen, wie viel Spaß die Korbjagd in technisch einwandfreiem Zustand machen würde. Selbst da würde sie aufgrund all der fehlenden Features keinen Award abstauben, aber im guten Bereich landen. Aber neben all den großen Hürden bleiben noch viele kleine zurück: Das Passen wirkt immer noch etwas zu statisch, da es keine Zuspiele in die Tiefe gibt und der Doppelpass kaum Früchte trägt. Und auch die Kollisionsabfrage hat ihre Tücken: Zwar erkennt man jetzt öfter, dass stämmige Spieler kleinere abdrängen, mit Karacho umwerfen oder dass man Dribbler ins Wanken bringen kann, aber das gezielte Blocken von Dunkmonstern, das schon auf PC und alten Konsolen nicht leicht war, wird hier zum Glücksspiel.

Ein Hauch von Spielmechanik

Das führt dazu, dass der schnelle Zug zum Korb fast immer belohnt wird und Alley-Oops fast todsicher verwertet werden - zumal die Kamera auch den Center zu spät einblendet. Dennoch bewahrt sich NBA Live 06 einen leichten Simulationscharakter, da vor allem wilde Pässe oder Tricks mit ungelenken Profis wie Dampiere im Fiasko bzw. Fastbreak enden. Schön ist, dass man jetzt nahtlos während des Spiels all die feinen Taktiken justieren kann, die die Formation oder das Verhalten bei Rebounds bestimmen. Während der Änderungen in der Pause zoomt die Kamera übrigens an den Spielfeldrand, wo auch der Trainer gestikuliert. Und die NBA-Coaches wurden immerhin drei mal besser und menschlicher getroffen als ihre Kollegen vom FIFA-Platz.

Dass es in den fulminanten Wiederholungen, die man übrigens nicht manuell und jederzeit einleiten kann, mal Clippingfehler gibt, lässt sich verzeihen. Aber dass es klare Fehler in der Kollisionsabfrage zwischen Brett und Ball gibt, ist frustrierend. Wir haben mehrere Szenen erlebt, in denen man das runde Leder von hinten durch die Korbwand ins Netz schießen konnte - autsch. Von Spaß konnte spätestens da keine Rede mehr sein. Auch über das neue Freiwurfsystem lässt sich streiten: Statt wie bisher zwei mal zum richtigen Zeitpunkt laufende Linien zu stoppen, muss man diesmal den rechten Analogstick in einer fließenden Bewegung erst nach unten und dann nach oben ziehen. Das hört sich zunächst sehr intuitiv an, wird auch sehr gelungen in die Wurfanimation umgesetzt, aber führt nicht gerade zu realistischen Freiwurfquoten. Aber während die einen schier verzweifeln und fast keinen Punkt von der Linie machen, kommen andere besser damit zurecht. Fest steht, dass diese Neuerung zwar interessant, aber noch nicht ganz ausgereift ist. Aber wen wundert's, wenn sich das komplette Spiel wie eine Alpha-Fassung anfühlt?

      

Fazit

Erst der Absturz von FIFA 06. Jetzt springt NBA Live 06 hinterher. Hallo EA? Wie kann man seine Sportspiele so schlampig auf eine neue Konsole bringen? Das Basketballspiel, das uns auf PC und Konsolen noch begeisterte, entsetzt auf der Xbox 360 mit unverschämt starken Rucklern, einer schrecklichen Kameraführung sowie einer regelrechten Kastration in Sachen Umfang und Spielmechaniken: Was bringt mir der fotorealistischste Shaquile O'Neal, wenn er wie in Slow Motion durch die Arena schleicht und ich den Ball nicht sehe, den er gerade fängt? Kamera und Technik sind eine Katastrophe. Was bringt mir ein neues Freiwurfsystem, wenn man dafür all die Star-Bewegungen opfert? Warum gibt es keine Dynasty und kein All-Star-Weekend mehr? NBA Live 06 zeigt in den Augenblicken vom Ladebildschirm bis zum ersten Dunk, wie fantastisch Next-Gen-Basketball aussehen kann. Aber schon kurze Zeit später demonstriert es, was passiert, wenn man Spiele auf Kosten von Qualität und Umfang überhastet auf den Markt schmeißt. Kauft euch lieber die normale Xbox-Fassung.

Pro

  • fulminante Kulisse
  • gute Offensiv-KI
  • sehr gute Atmosphäre
  • schnelle Taktikwechsel
  • gutes Pass- & Defensivsystem
  • Online-Modus
  • fotorealistische Profis
  • Spieler-Editor

Kontra

  • sehr pomadig
  • Ruckler & Slowdowns
  • große Kameraprobleme
  • keine manuellen Replays
  • kein Dynasty-Modus mehr
  • keine Star-Bewegungen mehr
  • kein All-Star-Weekend mehr
  • Power-Dunker schwer zu stoppen
  • noch zu viele Automatismen
  • nur englische Kommentare
  • etwas ruckartige Animationen
  • Clipping-Fehler in den Wiederholungen
  • Tücken in der Kollisionsabfrage

Wertung

360