Scratches - Test, Adventure, PC

Scratches
15.02.2006, Bodo Naser

Test: Scratches

Das stimmungsvolle Scratches (ab 11,54€ bei kaufen) ist anders als andere Gruselabenteuer, die oft genug nur auf plumpe Blut- und Schockszenen setzen. Obwohl das Erstlingswerk von Nukleosys auch Rätsel bietet, passiert objektiv betrachtet wenig und auf Gore-Effekte haben die Macher bewusst verzichtet. Wer sich dennoch darauf einlässt, ahnt die menschlichen Abgründe, die sich auftun.

In Hitchcocks Psycho gibt es zwei Szenen, die die ganze Palette moderner Horror-Filme deutlich machen. Ich meine weniger die oft zitierte Duschszene als vielmehr die Szene, als die mumifizierte Leiche der Mutter von Norman Bates im Keller entdeckt wird.

Ein Haus, das so aussieht, kann eigentlich nichts Gutes beherbergen.
Ein simpler aber erschreckender Geisterbahneffekt, wie er auch in Hunderten von Horrorspielen wie Silent Hill, Resident Evil oder Doom 3 vorkommt.

Unausgesprochenes Grauen

Viel subtiler finde ich aber die ausgestopften Vögel, die überall in Bates Wohnhaus lauern. Hier ist es das Nichtgezeigte, das Unbehagen verursacht. Was bewahrt der seltsame Typ noch alles in seinem Haus auf? Sin City ist da direkter und zeigt die grausigen Trophäen eines Killers. Beispiele für beunruhigende Adventures sind Phantasmagoria, Black Mirror oder Still Life. Unheilvoll ist auch der Schauer, den Scratches weckt. Allerdings nur für Leute, die auch darauf gepolt sind. Ein handfester Typ wird vielleicht sagen, da war doch gar nix. Oder auch nur so tun, als ob Nichts gewesen sei...

Wo bin ich? Wer bin ich? Was suche ich hier? Mit diesen elementaren Fragen beginnt fast jedes Adventure. Und auch Scratches, das ihr aus der Sicht des Protagonisten spielt, macht vor diesem Klischee nicht halt. Ihr seid in die Rolle eines zur Trunksucht neigenden Horror-Autors geschlüpft, der seinem ersten Bucherfolg hinterher heult. Ihr habt euch ein altes Haus in Mittelengland gekauft, das von außen so einladend aussieht wie Norman Bates' Sommersitz. Das viktorianische Anwesen soll euch dazu inspirieren, noch einen Bestseller zu schreiben.

Autor sucht Inspiration

Für genug Inspiration scheint gesorgt, denn in dem Gemäuer soll in den 60er Jahren ein Mann seine Frau umgebracht haben und dann selbst gestorben sein. Ein nachfolgender Bewohner wurde gar verrückt und verschwand auf wundersame Weise. Hinter dem Haus liegt ein Dickicht, das den Eindruck macht, als lauere dort etwas. Dort befindet sich auch eine tempelähnliche Gruft, die ein vernünftiger Mensch niemals betreten würde. Ihr allerdings müsst dort hinein.

Zunächst seid ihr aber mit eher profanen Dingen beschäftigt, da das Gebäude nicht gut in Schuss ist. Überall türmt sich Unrat, das Wasser scheint abgestellt und das elektrische Licht geht auch nicht. Immer wieder entdeckt ihr Nützliches wie Schlüssel, Stifte oder Werkzeug, die ins Inventar wandern.

In keinem Adventure wird das Türenöffnen hingebungsvoller zelebriert. Manchmal bis zum Exzess.
Vielleicht lässt sich damit was reparieren? Allerdings ist es nicht immer ganz einfach, in dem Durcheinander alles zu entdecken, obwohl der Mauszeiger sich ändert.

Haus der zu öffnenden Türen

Zu Beginn ist das Öffnen der stilecht knarrenden Türen noch eine Art Wagnis, da ihr nicht wisst, was dahinter lauert. Später am Tage nerven sie dann schon, da ihr sie immer wieder umständlich aufmachen müsst, wenn ihr durchs Haus irrt. So was gibt es auch bei anderen Abenteuern, trotzdem kommt euch Scratches weniger linear vor. Auch wenn es viel zu lesen gibt, ist die Erkundung spannend, da ihr die ersten Hinweise bekommt, was euch bevorsteht. Blutige Riten aus Afrika spielen dabei eine Rolle.

Spielerisch hat Scratches leider nicht so viel zu bieten wie stimmungsmäßig. Rätsel gibt es natürlich auch, die z.B. darin bestehen, einen Gegenstand zu finden und am richtigen Platz zu verwenden, wobei ihr vorher ein vergilbtes Foto angeschaut haben müsst. Nur sehr allmählich kommt Licht ins Dunkel, ohne allerdings gleichzeitig für Beruhigung zu sorgen.

Braucht ihr mal einen Rat, solltet ihr das sperrmüllreife Telefon verwenden.  
Einige Dinge bleiben verwirrend, wie Zimmer, die bewohnt zu sein scheinen, obwohl ihr doch stets alleine seid. Wisst ihr nicht weiter, lohnt es sich auf jeden Fall zu telefonieren, da ihr dabei Tipps erhaltet. Das ist euer heißer Draht in die Außenwelt.

Schlüssel zu Geheimnissen

Da die Uhr nur weiterläuft, wenn ihr etwas richtig gemacht habt, steckt ihr öfters mal fest. Hier heißt es Nerven bewahren und noch mal alles durchchecken, da auch die Reihenfolge eine Rolle spielt und manche Dinge erst später hinzukommen. Manche Lösung findet ihr nur durch Probieren. Wart ihr schon an einer Stelle und es gab nichts, heißt es nicht, dass das am nächsten Tag auch noch so ist. Leider könnt ihr nirgends einsehen, was eure aktuelle Aufgabe ist.

                 

Wer in dunkle Abgründe blickt, entdeckt dabei selten etwas Gutes. Alles in Scratches ist darauf angelegt, Unbehagen zu verursachen: das finstere Haus, die aufs Gemüt schlagende Einrichtung, die undefinierbaren Geräusche und die schwermütige Musik. Die verstörenden Ölbilder,

Es gibt echt Ecken im Haus, auf deren Erkundung ihr lieber verzichten möchtet.
die gut auch im Wohnzimmer eines Wahnsinnigen hängen könnten, lohnen allerdings einen genaueren Blick. Und das nicht nur, weil Meisterwerke darunter sind.

Fahrstuhl ins Unterbewusste

Es dauert allerdings nicht lange, bis es auch eurem hartgesottenen Helden an die Nerven geht. Ihr spürt einen eiskalten Windhauch, hört seltsame Geräusche und sieht überall Gespenster. Man könnte das als Blair Witch-Effekt bezeichnen: In der Abgeschiedenheit des düsteren Gemäuers, das angeblich Schreckliches gesehen hat, geht die Fantasie mit euch durch. Da es kaum auflockernde Stellen gibt, stehen eure Nerven unter Dauerstrom. Selbst als ihr denkt, dass nun ein Freund vorbeikommt, um mit euch ein paar Bier zu zischen, entpuppt sich das als Fata Morgana.

Scratches könnte noch besser sein, wäre da nicht die altmodische 2D-Rendergrafik, die einfach nicht mehr zeitgemäß ist. Es existiert leider nur eine Auflösung von 800x600 - deutlich veraltet und zu niedrig. Das merkt ihr auch, wenn ihr nach draußen geht, wo alles etwas steril aussieht. Obwohl es Effekte wie Blitze gibt, ist Bewegung in der Darstellung eher Mangelware. Immerhin wurde die Einrichtung überzeugend gestaltet und auch die vielen Meisterwerke, kunstvollen Vasen und die afrikanischen Kunstgegenstände sehen schön aus. Das Telefon scheint auch schon ein paar Jährchen auf dem Buckel zu haben.

Der eigentlich Horror spielt sich ohnehin im Kopf ab und der lässt sich nicht anhalten.
Obgleich dem Spiel ein paar Filmsequenzen gut getan hätten, musst ihr den Machern doch zugestehen, dass sie sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten bemüht haben. Irgendwie passt die muffige Aufmachung auch zum Gruselhaus, das einen heruntergekommen Eindruck macht.

Viktorianische Optik

Neben der getragenen Musik sind es auch noch die Geräusche, die gar nicht verkratzt klingen. Obwohl nicht mehr Töne als in anderen Adventures vorkommen, sorgt doch der gezielte Einsatz der eigenen Schritte, dem Ticken der Uhr oder Donnergrollen dafür, dass sich die ohnehin dichte Stimmung des Mysteriösen noch verstärkt. Wer kurz mal die Geräusche leiser dreht, wird merken, dass es gerade diese sind, die für waschechtes Grusel-Feeling sorgen. Den Sound könnt ihr auch als Surround-Sound erleben, wofür ihr die entsprechende Hardware benötigt. Wenig zu hören ist die deutsche Synchronstimme von Johnny Depp, der den Autor spricht. Die Sprachausgabe kommt eigentlich nur bei den Telefonaten vor, die nur einen kleinen, aber wichtigen Teil des Spiels ausmachen. Die anderen Stimmen sind auch mit professionellen Sprechern besetzt.

Surround-Sound

       

Fazit

Ich hätte nicht gedacht, dass Scratches derart gruselig ist. Gehöre ich doch genau zur Zielgruppe des Spiels, da ich mir an manchen Stellen wirklich das Herz in die Hose gerutscht ist. Etwa dann, wenn ihr endlich den schweren Schlüssel zum Keller habt, der ein bisschen so aussieht wie Freddy Kruegers Heizungsraum. Zitternd schleicht ihr die knarrende Treppe hinab in Erwartung, was dort in der Dunkelheit auf euch lauert... Mit Gore-Effekten bin ich nach dem Genuss unzähliger Horrorfilme kaum zu schocken, aber mit der verstörenden Situation in dem gottverlassenen Haus durchaus. Das funktioniert jedoch nur, wenn ihr  daheim allein und im Dunkeln seid. Schon Shakespeare wusste, dass auch das finsterste Ambiente mal eine Aufhellung braucht. Scratches ist durchweg schwermütig, was auf Dauer schon aufs Gemüt schlägt. Dennoch treibt es euch immer wieder dazu, weiter zu spielen, um endlich hinter das grausige Geheimnis zu kommen. Auch wenn die Bedienung oft umständlich ist, die Rätsel letztlich nur Mittelmaß sind und die olle Grafik schlicht nicht mehr zeitgemäß. Die überragende Spukstimmung lässt die Kritikpunkte schnell wieder vergessen, so dass sich schon allein wegen ihr die Anschaffung lohnt.

Pro

  • gruselige Story
  • abgründige Atmosphäre
  • schwermütige Musik
  • stimmungsvolle Geräusche
  • schön altmodische Einrichtung
  • professionelle Sprecher

Kontra

  • bisweilen umständliche Bedienung
  • manche Dinge schwer zu finden
  • Rückkehr zum selben Ort nötig
  • Journal für aktuelle Aufgabe fehlt
  • altbackene Grafik
  • wenig Bewegung
  • Sprachausgabe kommt kaum vor

Wertung

PC

Technisch spröde, aber inhaltlich klasse: subtiler Herrenhaus-Horror für Rätsel-Profis!