Trauma Center: Under the Knife - Test, Simulation, NDS

Trauma Center: Under the Knife
08.05.2006, Paul Kautz

Test: Trauma Center: Under the Knife

Achja, Arzt sein: Viele Jahre studieren, danach jahrelang als Frischling der Tyrannei der Vorgesetzten ausgeliefert sein, während man weniger Geld kassiert als der durchschnittliche Burger-Jonglierer im nächstbesten Frittentempel. Launische Patienten, mehr Papierkram als der Bundeskanzler, immer Ärger mit den Krankenkassen  - das Bild des Halbgottes in Weiß hat sich über die Jahre doch ein wenig gewandelt. Wer sich all den Stress ersparen will, schaut entweder eine Folge »Scrubs« oder greift zu DS nebst Trauma Center - Emergency Room im Taschenformat.

Einen Tumor nach der Powell-Methode entfernen? Ein Klacks. Äh, prinzipiell zumindest. Mal sehen. Eine Laparotomie, das war nicht soooo schwer: Die Bauchdecke desinfizieren und dann schwungvoll mit dem Skalpell aufschlitzen! Ha, die OP-Schwester jubelt, der Oberarzt verteilt »Cool!«-Punkte, die internen Lobgesänge werden nur vom lauter werdenden Piepsen des Überwachungs-Monitors übertönt - eh, wieso sinken die Werte des störrischen Patienten? Rein mit den Antibiotika, aber zackig! Sooo, Tumor, sprich dein letztes... was ist denn nun schon wieder? Wie, wir wissen nicht genau, wo der Tumor steckt? Muss man hier denn alles selber machen? Einmal Ultraschall bitte: Zwei kurze Pings später ist der Lümmel lokalisiert, das Skalpell kann seinen Auftritt kaum erwarten. Jetzt noch das Zellplasma des Tumors mit der Drainage ableiten, den Übelwicht herausschnippeln und mit der Pinzette entfernen - hahaaaa, bewundert die Zauberkraft des weltbesten Chirurgen! Wie, das war's noch nicht? Ich soll noch die Wunde mit einer synthetischen Membran verschließen? Das Ganze nähen? Und bandagieren auch noch? Ist das nicht Schwesternarbeit?

Halbgötterdämmerung

Strahlemann am Skalpell: Die Story wird mit Manga-Bildern auf dem oberen Screen weitergeführt.
Die Welt im Jahre 2018: Keine Mediziner mehr auf den Straßen, dafür Freude und Sonnenschein in den Krankenhäusern. Denn nahezu alle Krankheiten sind geheilt, fast alle Seuchen ausgerottet, alle Patientenformulare nicht mehr in drei Durchschlägen abzugeben. Doch nun bedroht eine neue Super-Krankheit namens GUILT die Menschheit - manche sehen in ihr eine Form des Bio-Terrorismus. Wir schlüpfen in den schneidigen Kittel von Derek »DS« Stiles, einem aufstrebenden Jungarzt am Hope Hospital, der sich mit seinen güldenen Händen der Plage in den Weg stellt. Diese Story wird von Standbildern im Manga-Stil und deutschen Dialogen auf dem oberen Bildschirm weitergeführt, begleitet von dramatischer Musik in ER-Tradition.

Das Thema Medizin kommt im Spielealltag bestenfalls in Form von Heilpäckchen in Ego-Shootern vor. Seltene Ausnahmen wie Emergency Room machen den Braten auch nicht fett, umgehen sie doch den faszinierenden Teil der Behandlung fast komplett. Eine der besten Ausnahmen ist bezeichnenderweise auch schon fast 20 Jahre alt: Im 1988er Klassiker »Life & Death« von Software Toolworks sowie seinem zwei Jahre später erschienen Nachfolger wart ihr der Mann am Skalpell, hattet die Macht über Blutung und Naht, musstet Patienten anamnesieren - allerdings damals noch mit Monsterpixeln und einer Handvoll Farben. Sprung in eine bunte Zukunft, in der ihr Ähnliches durchlebt: Als Jungarzt dürft ihr euch um medizinische Standardverfahren kümmern, Tumore oder Glassplitter entfernen, Laparotomien oder Herzmassagen durchführen und überschüssiges Blut per Drainage absaugen.              

Lassen sie mich durch, ich habe einen DS!

Die Prozeduren sind dahingehend real, als dass ihr euch an bestimmte Reihenfolgen halten müsst - wer vor dem Schneiden das Desinfizieren verbummelt, hat genauso schnell ein Problem wie der, der zu shooterhaft mit dem Laser hantiert und dabei vergisst, das überblubbernde Blut abzusaugen. Apropos: Banget nicht, Spieler, die kein Blut sehen können - es ist nicht sooo realistisch dargestellt! Auch Prozeduren und chirurgisches Werkzeug sind teils echt, teils Wunschdenken. So hantiert mit zwar mit Skalpell, Laser, Bandagen, Pinzette und Drainage, aber auch mit antibiotischem Gel, das, und damit willkommen in der Zukunft, nicht nur desinfiziert, sondern auch kleinere Wunden selbständig verschließt - man muss es nur großzügig genug draufmatschen. Ihr seht schon, auch ein Durchspielen von Trauma Center wird euch beim örtlichen Krankenhaus nicht gleich alle Türen öffnen, es sei denn, ihr bekommt auch im echten Leben drei Tumore in weniger als fünf Minuten aus dem Körper eines Patienten.

Trauma Center wird komplett per Stylus gespielt: Zwischen den OPs führt ein Tippser aufs Touchpad die Dialoge fort, innerhalb der Operationen kontrolliert ihr damit eure Aktionen. Um die Sache spannend zu halten, werdet ihr gleich mehrfach unter Druck gesetzt: Zum einen tickt ein Zeitlimit unbarmherzig vor sich her, zum anderen dürft ihr euch nur eine bestimmte Anzahl Fehler erlauben, bevor der Chefarzt den

Alle Hände voll zu tun: Ihr solltet besser schnell die Anwendungsmöglichkeiten der OP-Instrumente im Schlaf beherrschen!
Stecker zieht. Und natürlich läuft keine der 37 OPs (vier weitere sind freispielbar) nach Schema F ab,  später kommen unerwartete Komplikationen dazu, Patienten verlieren scheinbar ohne Grund Puls und Lebenssaft - man muss immer auf alles Mögliche vorbereitet sein. Je nachdem, wie gut oder schlecht ihr euch anstellt, gibt's am Ende eine entsprechende Bewertung. In die fließt auch die Qualität der Arbeit ein: Wer Splitter erst entfernt, nachdem er sie dem Patienten mehrmals zusätzlich in den Arm gerammt oder beim Nähen offenbar den Kater vom Vortag auskuriert hat, der kriegt weniger Punkte. Die Touchpad-Abfrage ist präzise und punktgenau - mit einer Ausnahme: Ausgerechnet beim wichtigen Nähen reagiert das System etwas träge, gerade hier gehen oft unnötig Punkte flöten.

Medizinstudium - Das Spiel

Im Spielverlauf gewinnt Derek die Fähigkeit der »Heilenden Berührung« dazu, womit er temporär die Zeit verlangsamen und gewissermaßen Wunder bewirken kann - der Spieler muss dazu einen Stern auf dem Touchscreen malen, allerdings ist diese Orakelei nur für absolute Notfälle vorgesehen. Denen werdet ihr später allerdings öfter begegnen, denn der Schwierigkeitsgrad steigt steil an: nach zwei Tutorial-Operationen seid ihr auf euch allein gestellt, dann gibt's kaum noch Hilfen - selbst als AIPler bekommt man noch mehr Unterstützung. Wenn man eine Operation zum zwölften Mal versucht, keine offensichtlichen Fehler macht, aber trotzdem immer wieder scheitert und keine Ahnung hat wieso, dann setzt schnell Frust sein - ganz besonders, wenn von der streng vom oberen Bildschirm dreinschauenden Krankenschwester nur ein »Wie konnte das passieren??« kommt. Okay, das Chirurgenleben ist voller Frustmomente, aber ein bisschen Hilfe kann nie schaden. Habt ihr die insgesamt recht kurze Story durchschnippelt, dürft ihr in einem separaten Modus alle Operationen noch mal gegen die Zeit in Angriff nehmen.        

Fazit

Schade - das Medizinstudium ersetzt Trauma Center mit Sicherheit nicht. Auch nach dem Zocken des Spiels würde ich mich vermutlich noch nicht mit dem Küchenmesser über den Blinddarm meines Nachbarn hermachen, der Text des hippokratischen Eids wird einem auch nicht beigebracht. Aber auch ohne ernst zu nehmenden Realismusanspruch macht das virtuelle Schnippeln Spaß, auch weil es in diese nette, ER-kompatible Storyline eingebunden ist – die Präsentation mag nicht jedermanns Geschmack sein, aber sie dient ihrem Zweck gut. Anfänger, und damit meine ich nicht nur Studenten im ersten Jahr, sollten allerdings gewarnt sein: Trauma Center wird sehr schnell sehr schwer, nach zwei Tutorial-OPs seid ihr mehr oder weniger auf euch allein gestellt. Wie im echten Leben setzt das Programm stark auf Auswendiglernen der Prozeduren und Anwendung der chirurgischen Gerätschaft. Außerdem solltet ihr den Pschyrembel für alle Fälle neben dem DS bereit liegen haben, schließlich ihr bekommt sehr viele Fachausdrücke an den Kopf geschmissen, bei denen sich weder Programm noch Handbuch die Mühe einer Erklärung machen. Und nicht zuletzt ist Trauma Center kein Spiel für die klassische S-Bahn-Fahrt – dafür müsst ihr viel zu präzise vorgehen. Nichtsdestotrotz ein spannender, einschneidender, sehr anderer und intelligenter Zeitvertreib, der nicht nur als Spiel funktioniert, sondern vielleicht auch noch Interesse an der Materie weckt.

Pro

  • witzige, frische Spielidee
  • hektisch und fordernd
  • durchdachte Bedienung
  • kurze, aber abwechslungsreiche Story
  • gefällige Darstellung der Verletzungen

Kontra

  • erspart nicht das Medizinstudium
  • steil ansteigender Schwierigkeitsgrad
  • nicht immer exakte Touchpad-Abfrage
  • viele nicht erklärte Fachtermini
  • Story-Präsentation Geschmackssache

Wertung

NDS

Ein spannender, einschneidender, sehr anderer und intelligenter Zeitvertreib.