Tischtennis - Test, Sport, 360, Wii
Eines vorweg: Ich bin bekennender Fan der Spieleschmiede mit Hauptsitz in New York und Filialen z.B. in Edinburgh oder San Diego. Und auch wenn Sam Houser & Co. schon einige Male gewaltig überraschen konnten, sei es nun mit dem
ungewöhnlichen Western-Abenteuer Red Dead Revolver oder der grandiosen und kaum für möglich gehaltenen Lizenz-Umsetzung The Warriors – selbst ich habe mich voller Unglauben an die Kollegen gewandt, nachdem ich den Anruf bekommen habe, dass der erste 360-Titel der Rockstars ein Ping Pong-Spiel sein soll. Die Umsetzung einer Sportart, die in Deutschland ähnlich populär ist wie Baseball und im Fernsehen Einschaltquoten erreicht, die in etwa denen der Live-Übertragung der Vorstandsitzung des Buxtehuder Kleintierzüchter-Vereins entsprechen.Rockstar-Spiel durch und durch
Dennoch: Der Titel, der beim Midnight Club 3-Team von Rockstar San Diego entwickelt wurde, bleibt allen Gesetzmäßigkeiten treu, die man bisher bei Rockstar Games feststellen konnte: Aufwändig produziert, gegen den allgemeinen Strom schwimmend und immer gewillt, ein Risiko einzugehen.
Aber Rockstar-Euphorie hin, einige Spielstunden mit Tischtennis her: Mehr ist die Ping Pong-Schlacht auch nicht wert, was vornehmlich dem auf Dauer etwas trockenen Einzelspieler-Modus zuzuschreiben ist. Immer wieder ertappe ich mich, wie ich vor mich hin murmle: "Wieso fehlt das denn?... Schade, ein bisschen mehr wäre cool gewesen… Hier wäre mehr drin gewesen."
Und obendrauf klebt ein Preisschild, das mit knapp 40 Euro deutlich unter dem liegt, was man normalerweise für ein Xbox 360-Spiel berappen muss.
Durchdacht, effektiv, spartanisch
Zugegeben: Mit Schaukämpfen in drei Schwierigkeitsgraden sowie den Turnieren in insgesamt vier Kategorien kehrt für Einzelspieler schnell Routine ein: Man kann zwar haufenweise Spielorte und neue Spieler (samt Shirts) freischalten, doch außer für besagtes Freischalten und zum evtl. Training für Mehrspieler-Duelle on- oder offline taugen diese Modi nicht.
Es gibt keinen Spielereditor, keine verschiedenen Beläge für die Schläger und auch, wenn die Spins physikalisch korrekt erscheinen und überzeugen können, lassen die verschiedenen Platten, auf denen die Punkte ausgespielt werden, kaum Unterschiede (im besten Falle akustisch) erkennen.
Klar könnte man jetzt argumentieren, dass Tischtennis nicht zum Vollpreis über die Theke geht. Man könnte sagen, dass ich undankbar bin. Könnte man. Kann ich auch nachvollziehen. Aber angesichts der ansonsten überzeugenden spielerischen Qualität darf man ja wohl träumen, oder?
Mit deutlichen Anleihen beim Arcade-Tennis-Meister Virtua Tennis von Sega zeigt Rockstars Umsetzung des chinesischen Volkssports Nr. 1, das oft auch als die "schnellste Ballsportart der Welt" bezeichnet wird, spielerisch vor allem eines: Es ist einfach zu verstehen, aber schwer zu meistern!
Minimalistisches Spaßwunder
Doch wie bei Virtua Tennis macht erst Übung den Meister. Denn erst wenn man die vier verschiedenen Grundschläge bzw. Spinarten (auch wahlweise über den rechten Analog-Stick zu aktivieren) in Zusammenspiel mit den Bumpern verwendet, bekommt das bis dahin "nur" interessante Ping Pong-Spiel einen taktischen Touch und genau die richtige Dosis Tiefgang, um langfristig für enormen Spaß (vor allem mit mehreren Spielern) zu sorgen.
Während der linke Bumper den Ball kurz hinter das Netz setzt, könnt ihr mit dem rechten den so genannten "Fokus" für den Schlag aktivieren, mit dem ihr unter Umständen auch schon verloren geglaubte Bälle wieder über das Netz bugsieren könnt, um den Gegner unter Druck zu setzen.
Hierbei ist jedoch taktisches Kalkül angesagt: Jede "Temporäraktivierung" zieht die Fokusleiste nach unten, die über sorgfältig platzierte Schläge mühsam in insgesamt drei Stufen aufgeladen werden kann. Der Clou: Ist eine Stufe voll, könnt ihr (wahlweise manuell oder automatisch) eine jeweils etwas länger andauernde Fokusphase aktivieren, in der eure Schläge nochmals kraftvoller kommen.
Hört sich alles auf Anhieb etwas kompliziert an, doch spätestens nach fünf Minuten hat man dieses System verinnerlicht und kann sich auf spannende Duelle freuen.
Zumal man diese Auseinandersetzungen auch online ausfechten kann, wahlweise in einem Ranglisten-Match oder in einer freien Partie bzw. einem etwas undurchsichtigen Turnier für bis zu acht Spieler.
Wenn man an dem ausgeklügelt minimalistischen Spielprinzip partout etwas bemängeln will, dann sind es leichte Balancing-Probleme zwischen den Figuren, die vor allem online für Frust bei den Spielern sorgen dürften. Im Großen und Ganzen dürfte jeder unter den insgesamt elf Figuren mit Fähigkeiten in vier Kategorien (Kraft, Aufschlag, Spin, Präzision) einen Charakter finden, der seinem persönlichen Spielstil entspricht.
Leichte Balancing-Probleme
Ein Spieler sticht dabei jedoch extrem heraus: der Schwede Jesper. Er verkörpert quasi die Tischtennis-Form des "Sibirischen Bullen" Ivan Drago aus Rocky IV: Wo er hinlangt, wächst kein Gras mehr. Kein Spin, kaum Aufschlag, aber Kraft bis zum Anschlag. Was im Einzelspieler-Modus als perfekter Einsteiger-Charakter funktioniert, könnte das Mehrspieler-Vergnügen leicht einschränken, da man in menschlichen Duellen jede andere Figur (sowie die Spielmechanik) extrem gut beherrschen muss, um Jesper in Schach zu halten – es sei denn, man einigt sich vorher darauf, auf den Schweden zu verzichten…
Nach Fight Night Round 3 und Ghost Recon Advanced Warfighter ist Rockstars Tischtennis –so unglaublich es klingen mag- ein hervorragendes Beispiel dafür, wie Spiele der nächsten Generation aussehen sollten. Sicher: Umgebungen und Zuschauer kommen etwas zu kurz und lassen im Detail etwas zu wünschen übrig. Im Mittelpunkt stehen aber die Spieler. Und deren Modelle, Texturen sowie Animationen gehören zum Besten, was derzeit auf HD-Fernsehern zu sehen sein dürfte. Mit einer klitzekleinen Ausnahme: die seitliche Bewegung wirkt etwas zu ruckhaft und erinnert mehr an nervöse Kängurus als an schnelle, aber auch geschmeidige Bewegungen von Tischtennis-Spielern. Was sich spielerisch durchaus auswirken kann, da das Potenzial eines Schlages auch von der Position des Spielers zum Ball abhängt.
Optik im Fokus
Die Qualität der Animationen sowie die akkurate Ballphysik lassen sich übrigens auch in den Zeitlupen wunderbar verfolgen. Apropos: hier ist wieder einer dieser "Hätte Rockstar doch…"-Momente zu finden. Denn weit und breit findet sich keine Möglichkeit, die Wiederholungen abzuspeichern - schade.
Dafür jedoch gibt es einen ebenso einfachen wie genialen Moment (ich traue mich kaum, dies "Effekt" zu nennen) zu bestaunen, wenn beide Spieler die höchste Fokusstufe aktivieren: Ein Spot grenzt Spieler und Platte ein, die Akustik wird gedämpft und die beiden Spieler stehen im absoluten Mittelpunkt – klasse!
Überhaupt liefert auch die Soundabteilung einen klasse Job ab: Über die Techno-Musik kann man zwar streiten, doch das "Pock" der Bälle, das Raunen sowie spontane Zurufe der Zuschauer und die sporadische Sprachausgabe der Spieler sind allererste Sahne. Wie in allen Bereichen findet sich aber auch hier eine kleine Inkonsequenz: Während die Athleten meist in ihrer Heimatsprache zu fluchen scheinen bzw. ihrer Freude Ausdruck verleihen, verliert ausgerechnet der deutsche Teilnehmer Jürgen kein Wort seiner Muttersprache, sondern kommuniziert in gebrochenem Englisch - merkwürdig…
Fazit
Unverhofft kommt oft – und dann meist von Rockstar Games. Ich persönlich hätte nicht geglaubt, dass der merkwürdig anmutenden Ankündigung ein ebenso motivierendes wie einfaches, ein derart minimalistisches wie optisch eindrucksvolles Tischtennis-Meisterwerk folgen würde! Wieso dann keine grenzenlose Platin-Euphorie? Weil einzeln kaum ins Gewicht fallende Kleinigkeiten in der Summe aufzeigen, was noch alles möglich gewesen wäre, so z.B. der nur zweckmäßige Einspieler-Modus und leichte Inkonsequenzen sowie Balancing-Probleme mit den Spielfiguren. Doch darüber kann man angesichts des für 360-Verhältnisse günstigen Kaufpreises sowie überaus motivierenden Mehrspielermodus hinwegsehen. Doch man kann reden, so lang man möchte, sich die Screenshots oder die Videos anschauen, die den Spaß nur ansatzweise transportieren: Damit der Funke überspringt, muss man selber nur ein paar Minuten mit dieser kleinen Perle verbringen. Aber Vorsicht: Es könnte euch so wie einigen Redakteuren gehen und ihr mutiert plötzlich zum Tischtennomanen, der wie im Superfokus alles um sich herum vergisst…
Pro
- minimalistisches Sport-Meisterwerk
- feine Animationen
- hervorragende Spieler-Modelle
- exzellente Schlagsteuerung
- „Virtua Tischtennis“
- klasse Akustik
- Mehrspielerspaß-Garant
- aufwändige Zeitlupen-Studien
- variable Spiel-/Satzlängen
- Statistiken ohne Ende
- Midprice
Kontra
- wenige Spielmodi
- kein Editor
- leichte Inkonsequenzen
- spartanische Umgebungen
- keine Wiederholungen speicherbar