Pathologic - Test, Action-Adventure, PlayStation4, PC, XboxOne

Pathologic
30.05.2006, Benjamin Schmädig

Test: Pathologic

"Pathologic (ab 22,50€ bei kaufen)" klingt zwar interessant, ist aber eigentlich kein Wort: Ihm fehlen zwei Buchstaben zum Adjektiv und es hat einen Laut zu viel, um Substantiv zu sein. Stört mich aber nicht. Der Titel weckt das Interesse und macht Lust auf ein morbides Spiel – das allerdings keins ist. Ihm fehlt eine souveräne Inszenierung, um spannend zu sein und es hat zu viele Fehler, um als eigenständige Welt zu fesseln.

Kennt ihr Cabin Fever? Der Horror-Thriller vom Hostel-Macher Eli Roth baute auch ohne greifbaren Bösewicht eine beklemmende Atmosphäre auf, welche die Nervenstränge der Protagonisten reißen ließ. Pathologic verfolgt eine ähnliche Idee, denn im Erstlingswerk der Moskauer Entwickler müsst ihr nicht die Blaupause eines hundsgemeinen Überbosses vernichten. Vielmehr sollt ihr die Anwohner einer verlassenen Siedlung irgendwo im russischen Niemandsland vor einer Seuche retten, gegen die kein Kraut gewachsen scheint. Zwölf Tage habt ihr Zeit, der Krankheit Herr zu werden oder einfach nur zu überleben.

Ein neuer Grusel?

Richtig gelesen: Pathologic knallt euch nicht das übliche "Sei erfolgreich oder stirb" vor die Nase, sondern gibt euch freie Hand. Kümmert ihr euch nur um das eigene Wohl, fällt das Überleben einfacher – dies ist der einfachste Weg, um das Desaster zu überstehen. Dabei gestaltet sich der Alltag bereits schwer genug, da Lebensmittel rar und nur gegen hohe Beträge zu erkaufen sind. Ihr könnt zwar mit anderen Charakteren Gegenstände tauschen, kommt so aber nur selten zu Brot

Einer der wenigen NPCs: Dieser Herr hilft dem Seher, seinen Ruf wiederherzustellen.
oder Steak. Abgesehen davon schwimmt die Menüführung gegen sämtliche Konventionen. Wer hätte z.B. vermutet, dass das winzige Symbol "V" den Tausch oder Kauf auslöst.

Die klobig animierte Bevölkerung sorgt ebenfalls für Stirnrunzeln, da auf den Straßen gerade mal ein Dutzend Einwohner unterwegs sind. Dass sich deren Modelle zig mal wiederholen, lässt die Stadt aber steril und künstlich wirken. Als mir drei vollkommen gleich aussehende Klone gegenüber standen, war die Illusion einer realen Welt jedenfalls verpufft – und das geschah bereits nach wenigen Minuten. Die Gerissenheit der Bevölkerung zeigt außerdem tiefe Löcher, wenn ihr in ein Gebäude flüchtet. Kommt ihr dort nach wenigen Sekunden wieder heraus, sind die Gegner spurlos verschwunden. Ansonsten lassen sich die Bewohner aber auf Teufel komm raus nicht abschütteln. Das sorgt besonders dann für Schreikrämpfe, wenn ihr als zweiter der drei spielbaren Charaktere in die Stadt kommt: Den hält die Bevölkerung nämlich für einen Mörder und will ihm deshalb an den Kragen. Umsichtiges Vorgehen bringt euch aber nichts, weil die Passanten Augen im Hinterkopf haben und auch dann hinter euch her rennen, wenn ihr den Kopf vorsichtig hinter einer Mauer vorstreckt. Also lauft ihr so lange mit einer Schlange Prügelwütiger durch die Gegend, bis ihr euren Ruf durch gute Taten wieder hergestellt habt.

Nervende Tollpatsche

Wie war das: einer von drei Charakteren? Richtig: Ihr erforscht entweder als Mediziner die mysteriöse Seuche, entwickelt als Seher mit pathologischer Ausbildung ein Gegenmittel oder ergründet als psychisch instabile Heilerin die Prophezeiungen um das Schicksal des merkwürdigen Ortes. Und davon gibt es jede Menge, denn was euch die wenigen für die Handlung wichtigen Charaktere vor den Latz hauen, verlangt nach einer Dechiffriermaschine. Dermaßen interpretationsoffene Bemerkungen gehören in den Klub der toten Dichter – hier wirken sie abstoßend. Das macht den Zugang zu Pathologic unnötig schwer, denn die Entwickler tun keinen Handgriff, um euch in die Story einzuführen, konfrontieren euch mit happigen Kämpfen und hinterlassen nicht immer klare Hinweise auf das,

Erkennt ihr den Baum hinter dem Tor? Schade, aber weiter könnt ihr in Pathologic nicht sehen.
was zu tun ist. Spätestens dann, wenn das virtuelle Ich scheinbar grundlos das Zeitliche segnet, bekommt die Motivation einen enormen Dämpfer verpasst.

Der Klub der toten Schwafler

Generell ist der Titel eine einzige spielerische Hürde, in der zwar sämtliche Elemente eines Rollenspiels Platz finden, deren Umsetzung jedoch bestenfalls Shareware-Klasse erreicht: die Kämpfe leiden unter einer sperrigen Steuerung, Ortsbeschreibungen sind unnötig kompliziert, viele Gesprächspartner reagieren nicht auf bereits erledigte Aufgaben, die langen Laufwege ziehen sich wie Kaugummi, mein Dietrich öffnet nur dafür vorgesehene Türen. Warum wird der Ablauf nicht pausiert, wenn ich mitten im Kampf die Waffe wechseln möchte? Ich kann mich währenddessen nämlich nicht bewegen. Wieso darf ich in einigen Häusern Schränke durchsuchen und in anderen nicht? Weshalb darf ich selbst auf meinem flotten Rechner nur eine Sichtweite von etwa 50 Metern einstellen? Und was ist eigentlich der Grund dafür, dass es nur eine Hand voll Bauweisen gibt? In diesen Klon-Straßen bleiben sowohl Orientierung als auch Stimmung jedenfalls auf der Strecke. Schade, denn gerade was die Atmosphäre angeht, spielt Pathologic seine Asse aus: Verstörende Melodien lassen die Nackenhaare aufrecht stehen und wer der Geschichte aller drei Charaktere folgt, erlebt einen gruseligen Krimi. Bevor euch das auffällt, habt ihr die DVD aber wahrscheinlich schon für einen Euro auf Ebay vertickt. 

Verschenkt

Fazit

Ich hätte es gerne wörtlich gemeint: Was für ein Grauen! Da hat Ice-Pick Lodge eine Story mit ineinander verstrickten Handlungsfäden erdacht und inszeniert mit den letzteren sogar einen packenden Thriller – wenn man das Spiel außer Acht lässt. Das unheilschwangere Szenario wird so lieblos dargestellt, dass sich bei gestandenen PC-Abenteurern die Nackenhaare aufstellen. Wo nicht vorhandene Weitsicht, klobige Bewegungen oder umständlichen Menüs schon die ersten Interessenten abschrecken, tun die Wischiwaschi-Aussagen eurer Dialogpartner, ausgedehnte Laufwege sowie die oftmals unklare Aufgabenverteilung ihr Übriges. Die Entwickler präsentieren eine freie Welt, schaffen es aber nicht, diese zum Leben zu erwecken. Pathologic ist gut gedacht, aber verdammt schlecht gemacht. Schade um die interessanten Ideen!

Pro

  • offene Welt
  • drei verwobene Handlungsfäden
  • verschiedene Enden
  • gruseliger Soundtrack
  • unverbrauchtes Szenario

Kontra

  • kaum vorhandene Weitsicht
  • stupide Stadtbewohner bzw. Gegner
  • Dialoge passen sich eurem Tun nicht an
  • sich wiederholende Häuser und Passanten
  • sperrige Kämpfe
  • umständliche Ortsbeschreibungen
  • wenig Geräusche
  • umständliches Handeln und Tauschen
  • nervige Absperrungen zwingen zu Umwegen
  • umständliches Wechseln der Waffen im Kampf
  • klobige Animationen
  • nicht alle Schränke können durchsucht werden
  • Gegenstände funktionieren nur an vorgesehenen Objekten

Wertung

PC

Kommentare
James Dean

HBomberguy hat das Spiel übrigens vor kurzem sehr ausführlich in einem über 2 Stunden langen Video besprochen:


Falls es jemand etwas kürzer mag, Mandalore hat da auch eine Videoreihe zu erstellt:

Pathologic ist imho eines dieser Spiele, bei dem die Diskussion darüber weitaus ansprechender ist als das Spielen an sich. Es ist halt sehr nischig, sperrig und janky, und das Gamedesign ist ganz absichtlich darauf ausgelegt, eben nicht Spaß zu machen, und den Spieler als verzweifeltes wie deprimiertes Würstchen dazulassen.
Interessant ist es jedoch schon, weil es eine andere Perspektive auf Gamedesign losgelöst von der sonst üblichen Jagd nach der nächstbesten Instant Gratification (geschweige denn Power Fantasy) bietet.
Gleichzeitig ist auch eine 2,5h-Analyse von Pathologic 2 erschienen, falls jemand das Spiel schon mehrmals durchgespielt hat und sich das gönnen möchte:

vor 4 Jahren
zmonx

Wow, eigene Kommentare von 2011. That‘s pathetic! Ist wie die eigene Stimme zu hören ^^

vor 4 Jahren
LeKwas

HBomberguy hat das Spiel übrigens vor kurzem sehr ausführlich in einem über 2 Stunden langen Video besprochen:


Falls es jemand etwas kürzer mag, Mandalore hat da auch eine Videoreihe zu erstellt:


Pathologic ist imho eines dieser Spiele, bei dem die Diskussion darüber weitaus ansprechender ist als das Spielen an sich. Es ist halt sehr nischig, sperrig und janky, und das Gamedesign ist ganz absichtlich darauf ausgelegt, eben nicht Spaß zu machen, und den Spieler als verzweifeltes wie deprimiertes Würstchen dazulassen.
Interessant ist es jedoch schon, weil es eine andere Perspektive auf Gamedesign losgelöst von der sonst üblichen Jagd nach der nächstbesten Instant Gratification (geschweige denn Power Fantasy) bietet.

Zuletzt bearbeitet vor 4 Jahren

vor 4 Jahren