Half-Life 2: Episode 1 - Test, Shooter, 360, PlayStation3, PC

Half-Life 2: Episode 1
03.06.2006, Paul Kautz

Test: Half-Life 2: Episode 1

Achja, Half-Life 2: Das Shooter-Meisterwerk, das die Spielergemeinde nach Jahren des Bangens und Wartens wie ein Tornado überrollt und in Begeisterungsstürme versetzt hat – auch uns war Valves Software-Mithril satte 93 Prozentpunkte wert! Der Nachfolger, der eigentlich keiner ist, erscheint jetzt über zwei Jahre verteilt in drei Episoden – und wir haben die erste davon gründlich unter die Lupe genommen.

Wir erinnern uns: Am Ende von Half-Life 2 hat Gordon Freeman dem miesen Dr. Breen die Hölle heiß gemacht und die Combine-Zitadelle gerade mit einer gigantischen Explosion in die Luft gejagt – als auf einmal die Zeit anhielt, der mysteriöse G-Man aus dem Nichts ins Bild trat, Gordon für seine Arbeit lobte und das Spiel vorbei war.

Episode 1 fängt genau da an, wo Half-Life 2 aufgehört hat.
Episode 1 schließt direkt an diese Ereignisse an: Nach einem geheimnisvollen Intermezzo mit einem Videobild von Dr. Breen, dem G-Man sowie einigen Vortigons befinden sich Gordon, Alyx und ihr Roboter-»Hund« Dog mysteriöserweise außerhalb der Zitadelle. Allerdings sind sie nicht außer Gefahr – der Reaktor steht kurz vor der völligen Zerstörung, was von der näheren Umgebung in nicht viel mehr als einen Batzen atomarer Krümel übrig lassen würde. Das muss verhindert und ein Weg aus City 17 hinaus gefunden werden! Eine kurze Action-Einlage sowie einen gut gezielten Autowurf seitens Dog später stehen Dr. Freeman und Alyx in den schwelenden Überresten der Zitadelle und müssen sich erstmal zum Kern durchschlagen. Auf dem Weg dahin begegnen sie zwar einigen Combine-Soldaten, aber auch allerlei simplen Puzzles im Zusammenhang mit der Gravity Gun. Kurz darauf werden die beiden getrennt und Gordon, dem verfluchten Schutzanzug sei Dank, ist im Reaktorkern auf sich allein gestellt. Klingt verwirrend? Macht euch nix draus, nach leider nur knapp vier Stunden Spielzeit werden noch mehr Fragezeichen um euren Kopf schwirren, denn die Story kommt wie in HL2 kaum in Fahrt, ihr bekommt bestenfalls kryptische Brocken hingeworfen, aus denen ihr euch wie gehabt selbst den Rest zusammenspinnen müsst – Fragen werden keine
Alyx ist den größten Teil des Spiels an eurer Seite, die anfangs sehr starke Gravity Gun ebenfalls.
beantwortet, dafür aber umso mehr neue gestellt. Das Ganze kulminiert in einem wirklich lästigen Prä-Finale, bei dem man durch dauerndes Hin- und Hergerenne für eine Gruppe City17-Flüchtlinge den Babysitter spielen darf. Danach gibt's noch den nicht überraschenden Endgegner und das war's – natürlich nicht ohne einen fiesen Cliffhanger sowie einen kurzen Teaser für Episode 2 zu hinterlassen.

Nach der Explosion ist vor der Explosion

Episode 1 ist dankbarerweise ein selbständiges Add-On, HL2 wird zum Start also nicht benötigt – wohl aber Steam, welches wie gewohnt untrennbar mit dem Seriencode des Games verbunden wird. Wie von HL2 bekannt, wird nach der Installation und der Registrierung erstmal ordentlich aktualisiert – bei den überlasteten Servern zum Start eine durchaus mühselige und zeitaufwändige Angelegenheit. Neben dem Add-On liegen auch noch die bekannten Mehrspielervarianten HL2 Deathmach und HL Deathmatch Source bei – installiert ihr alles, solltet ihr vorher die Platte aufräumen, da laut Anzeige lässige zwölf Gigabyte Platz gefordert werden!

Episode 1 besteht aus fünf Kapiteln, die euch von der Zitadelle zum Bahnhof von City 17 rennen lassen – Fahrzeuge gibt es dieses Mal nicht. Dafür ist die gute Alyx bis auf wenige Ausnahmen ständig an eurer Seite, kommentiert das aktuelle Geschehen, reißt Witzchen, braucht gelegentlich eine starke Schulter zum Anlehnen, öffnet Türen, programmiert Rollminen um – und ist nicht nur fast unverwundbar, sondern auch mit ihrer Waffe teuflisch schnell! Gelegentlich übernimmt sie sogar die Position des Scharfschützen, während Gordon sich durchschlägt, oder verlangt von uns, dass wir im Dunkel mögliche Ziele mit unserer Taschenlampe

Doom 4? Resident Evil 5? Nein, ihr tummelt euch nur sehr oft in rabenschwarzen Gebäuden!
anleuchten, die sie dann ausschaltet. Ab und an wird es sogar ganz kuschelig, wenn sich Rebellenkämpfer an eure Seite gesellen. Da das Add-On in City 17 spielt, sind fast alle Umgebungen vertraut – zwar wurden keine Levels recycelt, aber das generelle Umfeld ist bis auf eine neue Location (ein Krankenhaus) bekannt. Allerdings gibt dieses Mal weitaus weniger frische Luft zu sehen als gehabt – geschätzte 90% des Spiels finden in teilweise zappendusteren Gebäuden statt – scheinbar wollte Valve den Survival Horror-Aspekt von HL 2 mehr betonen oder hat ein paar Mal zu oft Doom 3 gespielt, jedenfalls kommt eurer Taschenlampe jetzt weitaus mehr Bedeutung zu als üblich. So viel Bedeutung gar, dass Alyx kichernd »We've really gotta talk to Dr. Kleiner about getting a new battery for that flashlight!« zum Thema Haltbarkeit der Batterie los wird.           

Das kenne ich doch! Alles?

Die Beschränkung auf Innenlevels wirkt sich natürlich auch auf das Spielprinzip aus: Ihr habt jetzt mehr, dafür weniger intensive Kämpfe gegen kleine Gegner-Grüppchen - für Waffen wie die saucoole Armbrust gibt's quasi kein Betätigungsfeld, dafür gibt es umso mehr Lüftungsschacht-Gekrauche. Die Gravity Gun ist anfangs euer bester Freund und wird schon nach zehn Spielminuten 

Der suizidgefährdete Zombine ist der einzige neue Gegner.
genauso aufgemotzt wie in HL2 erst kurz vor dem Ende - anfangs seid ihr eine ziemlich lange Zeit unbewaffnet und müsst euch mit allerlei geworfenen Dingen verteidigen, erst später kommen die gewohnten Waffen ins Spiel – und das berühmte Brecheisen hat erst kurz vor Schluss seinen Auftritt. Die euch entgegen wankenden und –schwirrenden Feinde wurden komplett aus dem Vorgänger übernommen, lediglich ein Neuling findet sich im Feindesland: der Combine-Zombie, von Alyx scherzhaft Zombine genannt. Außerdem bekommt ihr jetzt die passiven Stalker, die in HL 2 nur aus der Entfernung zu begutachten waren, etwas näher zu sehen. Und nicht zuletzt sind auch die bekannten Nebenfiguren wieder dabei: Barney, Dr. Kleiner, Eli Vance oder Dr. Breen feiern mehr oder weniger große Cameo-Auftritte.

Brillante Lichteffekte sind ein Markenzeichen der aufgemotzten Source-Engine.
HL 2 ist nach wie vor eines der best aussehendsten Spiele am PC – und Episode 1 führt die Tradition gekonnt fort! Die ohnehin beeindruckende Source-Engine wurde nochmals aufgebohrt und präsentiert einige der coolsten Effekte im 3D-Bereich: fortgeschrittene Licht- und Überblendeffekte via HDRR, sofern die Hardware das unterstützt, erstrahlen gerade die wenigen Außenabschnitte in einem fantastischen Licht. Coole lokale Unschärfen erzeugen ebenso eine beeindruckende Illusion von Realitätsverzerrung wie die völlig großartigen Blubber- und Wabereffekte. Außerdem ist das Spiel animationstechnisch immer noch ungeschlagen – gerade Alyx' Mimik und Gestik, jetzt von höher aufgelösten Texturen schärfer in Szene gesetzt, wird eigentlich nur von der Techdemo Heavy Rain: The Casting geschlagen. Im Shooter-Bereich gibt es zu diesen ausdrucksstarken Gesichtern bislang keine Konkurrenz! Natürlich hat das Ganze wie gewohnt seinen Preis: gerade beim RAM solltet ihr nicht sparen, denn die kohärente Welt hat keine logischen Sprünge, von daher wird oft und lange nachgeladen – zwei Gigabyte sollten es für bequemes Spielen schon sein, mit der Hälfte solltet ihr einige Wartezeiten in die Spielzeit einrechnen. Der Rest der Kulisse ist unverändert, auch wenn die Architektur nicht mehr so beeindruckend ist wie gehabt – es gibt halt weniger zu sehen. Doch Tonnen geskripteter Ereignisse erzeugen eine glaubwürdige Welt, die nur von den üblichen Kleinigkeiten wie den ruckelig animierten Flammen etwas getrübt wird.

Sprich mit mir!

Akustisch liefert Episode 1 ein mindestens ebenso umwerfendes Erlebnis wie optisch: In beeindruckend klarem Surround-Sound zischen Kugeln an euren Ohren vorbei, kreischen Zombies, tosen Strider und ertönen Lautsprecherdurchsagen. Wie gehabt bekommt ihr zusätzlich die meiste Zeit Atmosphärensounds zu hören, die die Stimmung des Levels unterstreichen. Nur in wichtigen Momenten setzt richtige Musik ein, jetzt weniger

Aaah - Frischluft! Nur ein sehr kleiner Teil von Episode 1 spielt unter freiem Himmel.
breakbeatlastig wie noch beim Vorgänger, sondern mehr in Richtung gitarrenschwangerer Rockklänge, die teilweise wie live eingespielt klingen – sehr cool! Eines der genialsten Features ist der optionale Audiokommentar der Entwickler, der schon bei Lost Coast zum Tragen kam: Aktiviert ihr überall verstreute Icons, bekommt ihr jede Menge Informationen über das Design der Levels und der Figuren, die Inspirationen der Entwickler und einen Haufen nebensächlichen, aber witzigen Kram zu hören – der allerdings vielen Szenen das dramatische oder überraschende Element vorwegnimmt, so dass der Audiokommentar idealerweise erst beim zweiten Durchspielen aktiviert werden sollte. Es kommen diverse Entwickler zu Wort, allerdings klingen die teils etwas steif – ganz offensichtlich wurden die Kommentare abgelesen und nicht frei gesprochen.

Aber auch ohne die Kommentare wird verdammt viel gelabert – wie üblich von allen außer Gordon, der nicht eine Silbe von sich gibt. Coole Sprüche, traurige Sprüche, selbstironisches Gebrabbel, wichtige Ansagen, alberne Kommentare, dramatische Reden – das ganze Debattierspektrum wird abgedeckt. Allerdings solltet ihr euch wirklich einen Gefallen tun und das Game wieder auf Englisch spielen, was dank einfacher Steam-Umstellung ein Klacks ist – die deutsche Synchronisation ging genau wie beim Vorgänger gründlich in die Hose.       

Fazit

Anfangs macht Episode 1 einfach alles richtig: Der Einstieg ist saucool, atmosphärisch umwerfend, rasant, emotionsgeladen - ich hab mir die Hände gerieben und mich gefreut wie ein Kind. Doch danach geht es leider stetig bergab, man tummelt sich die meiste Zeit in nachtschwarzen Gebäuden, die Taschenlampennutzung erreicht fast Doom 3-Niveau – das hat tatsächlich nicht mehr so viel mit HL2 zu tun. Das überwältigende »Meine Fresse, wie geil!«-Gefühl des Vorgängers fehlt hier leider fast völlig. Außerdem ist das gute Teil selbst für ein Add-On sehr kurz – beim Thema drei bis vier Stunden Spielzeit kriechen unschöne Erinnerungen an Half-Life-Erweiterungen wie Blue Shift ans Tageslicht. Und nicht zuletzt finde ich es albern, wenn man bezüglich der vielen alten und neuen Story-Fragezeichen auf die nächsten Teile vertröstet wird – hey Leute, ein paar der vielen offenen Fragen zu beantworten hätte euch echt nicht umgebracht! Doch genug gemosert, denn Episode 1 hat auch so viele gute Seiten: Die Kulisse ist nach wie vor der Hammer, die Mischung aus Kampf und ruhigeren Momenten, in denen es kleinere Puzzles zu lösen gilt, genau richtig, die Akustik besonders mit Surround-System ein Fest für die Ohren. Und wieso bislang nur so wenige Spiele Audiokommentare nutzen, verstehe ich nach dem Durchzocken umso weniger – das ist ein großartiger Mehrwert! Für HL2-Fans ist Episode 1 also ein unumgängliches Muss, auch wenn der Kuchen nicht mehr ganz so lecker schmeckt wie einst. Und man auf die Fortsetzung unangenehm lange warten muss.

Pro

  • fantastische, leicht verbesserte Grafik
  • cooler Audiokommentar
  • Alyx ist als Begleiterin super
  • exzellente Gestik und Mimik
  • toller Einstieg
  • gute Atmosphäre
  • perfekter Soundeinsatz
  • tolle Scriptsequenzen
  • witzige Mono- und Dialoge
  • einige nette Puzzles
  • großartige englische Sprachausgabe

Kontra

  • - größtenteils sehr düstere Levels- sehr kurz- Story wird kaum fortgeführt- wenige neue Inhalte- fieses Cliffhanger-Ende- mäßige KI- häufige und lange Ladezeiten- langweilige deutsche Sprachausgabe- schweigsamer, profilloser Held

Wertung

PC

Zwar sehr kurze, aber intensive Half-Life 2-Fortsetzung.