Gothic 3 - Test, Rollenspiel, PC
Ein scharfes Breitschwert auf dem Rücken, einen geölten Bogen in der Hand - was will man mehr? Okay, vielleicht noch zwei Dutzend Brandpfeile, eine weiche Lederrüstung und eine heroische Todo-Liste im Tagebuch. Jede Menge Quests, Magie und glaubwürdige Figuren. Dazu eine riesige freie Spielwelt, die mich mit heroischen Akkorden begrüßt und mir sanft ins Ohr
flüstert: Du bist der Held. Du bist das Epos. Das hier ist dein Konzert, dein Abenteuer.Das Abenteuer ruft
Und ganz wichtig ist: Ich will seine Geschichte beeinflussen können! Das Schöne ist: All das bietet euch Gothic 3. Theoretisch. Vom Potenzial her. Aufgrund seiner Tradition. Diese Rollenspielreihe gehört immerhin zum Besten, was deutsche Entwickler bisher geschaffen haben. Ich habe den ersten und den zweiten Teil mit Awards gefeiert, ich liebe das derbe, das rauchige Flair aus den Piranha Bytes-Schmieden und habe mich richtig auf diesen dritten Teil gefreut. Dass wir einen Award nach Bochum schicken, sollte eigentlich nur Formsache sein.
Aber das Blöde ist: Ich kann es diesmal nicht genießen. Im Gegensatz zu den vorherigen Teilen versinke ich hier nicht in ein euphorisches Endlosspiel. Kennt ihr das Gefühl? Man will einschlafen, sich entspannen und in angenehme Träume versinken. Aber anstatt in einen sanften Schlummer abzugleiten, wälzt man sich hin und her, wird von äußeren Umständen und störenden Geräuschen immer wieder aus dem Fluss des Versinkens herausgerissen. Und genau so geht es mir mit Gothic 3.
Ernüchterung statt Euphorie
Es ist nicht eine blöde Fliege, die nervt. Auch nicht ein Bug hier oder ein Absturz da. Das wäre mir als Gothic-Fan schnurzpiepegal. Es ist das Zusammenspiel von fehlerhafter Kulisse und Technik, schlechter Wegfindung, katastrophalem Figurenverhalten und mangelhaftem Kampfsystem, das mir den Geschmack dieses Abenteuers nachhaltig versalzen hat. Ich hatte unheimlich Appetit auf dieses Spiel, ich mag den Stil und vor allem das Figurendesign der Orks. Aber es bleiben einfach zu viele Fragen offen:
All das zehrt an den Nerven, bremst die Euphorie aus. Dabei sind die Voraussetzungen so ideal: Die Musik verspricht ein Epos, die Landschaft wirkt in ihrem Design unheimlich natürlich, zeigt wunderschöne Schluchten und bewaldete Hänge, versteckte Höhlen und vom Krieg geschwärzte Trümmerhütten. Und die Freiheit ist groß: Es bleibt mir überlassen, ob ich mich den Rebellen anschließe, um Myrtana von den Orks zu befreien, ob ich mich als skrupelloser Menschenjäger durchschlage oder arkane Pfade beschreite, um mir altes Wissen anzueignen. Ich bestimme, ob ich mich als Kämpfer, Magier oder Dieb, als Schmied, Jäger oder Alchemist beweisen will. Oder doch als zaubernder Schurke mit einem starken Schwertarm und einem Feuerball für Notfälle im Gepäck? Ja, auch der wilde Mix ist möglich.
Epische Voraussetzungen
All diese süßen Versprechungen haben mich nach Myrtana gelockt. Und an der Oberfläche bleibt Gothic 3 faszinierend - vor allem, was die politischen Konsequenzen angeht: Man kann von Orks beherrschte Siedlungen mit Hilfe der Rebellen befreien. Überall gibt es verdeckt arbeitende Widerständler, die man finden und unterstützen kann. Man kann das Machtpendel auf diesem Kontinent tatsächlich in die eine oder andere Richtung ausschlagen lassen. Und in jedem Ort, bei jeder Fraktion kann man sich einen Namen machen: Bringt den Rebellen einen fähigen Schmied und euer Ruf wird steigen. Erreicht ihr ein bestimmtes Limit, vertraut man euch und ihr bekommt wichtigere Aufgaben oder Zutritt zu bisher unzugänglichen Orten. Im Gegensatz zu The Elder Scrolls IV (Oblivion) sprechen sich eure Verbrechen auch nicht automatisch rum: Wenn man eure Taten nicht sieht, können sie auch nicht geahndet werden; wenn ihr in ein anderes Dorf zieht, seid ihr ein unbeschriebenes Blatt. All das wird euch übersichtlich in den Statistiken und auf der Karte angezeigt.
Die oberen Zehntausend
Die Aufrüstmotivation ist da, gar keine Frage. Aber wo ist die erzählerische, wo ist das Drama unter der Oberfläche der Leveltretmühle? Der Einstieg in das Abenteuer kann zwar nicht mit dem packenden Königstod aus Oblivion mithalten, ist zwar noch viel versprechend, aber zu nüchtern präsentiert. Im Intro wird ein Schiff gezeigt, das den namenlosen Helden und seine Kumpanen von der Insel Khorinis (Schauplatz der ersten beiden Teile) an die Küste Myrtanas bringt. Warum hört man hier nicht mal die Stimme eines Erzählers, der auf die Geschichte des zweiten Teils eingeht oder vielleicht einen laut ausgesprochenen Gedanken des Helden? Erst später erfährt man in Dialogen, dass die Runenmagie verschwunden ist und die Armeen der Menschen von den Orks besiegt wurden; Reste der Überlebenden haben sich mit einer magischen Kuppel geschützt. Wo ist der König? Was hat es mit dem Verrat des Hexers Xardas auf sich?
Die Neugier wird durchaus geweckt, auch wenn man sich spätestens nach zehn Stunden Spielzeit etwas mehr erzählerisches Fleisch, etwas mehr Drama gewünscht hätte. Auch Oblivion schwächelte bekanntlich im Mittelteil, aber hier konnte man die Hauptstory quasi immer gezielt vorantreiben. Irgendwann stellt man sich hier die Frage, warum man überhaupt für wen eingreifen soll? Es geht doch allen recht gut. Okay, da sind Sklaven, die arbeiten. Aber beklagen sie sich? Sieht man irgendwo Gräueltaten,
schreiende Frauen? Wo sind Opfer? Die Orks verhalten sich relativ gesittet, bieten einem sogar Aufträge an. Und muckt jemand auf? Manchmal hört man sogar lethargische Stimmen wie "Ich kann mir nicht helfen, aber ich mag die Orks nicht."Wo ist das Drama?
Hallo? Kann mal einer seine Wut rausbrüllen? Wo sind die Emotionen der Unterdrückten? Man könnte fast meinen, hier besteht kein heroischer Handlungsbedarf. Wenn da nicht das schimmernde Blau der magischen Kuppel wäre, die die Bedrohung wenigstens am Horizont symbolisiert...
Vielleicht hätte es geholfen, schon früher einen Verbindungsmann einzustreuen, der etwas über den König oder den Kontinent erzählt, oder Zwischensequenzen, die die schrecklichen Momente der Besatzung zeigen. Es fällt mir als Abenteurer auch schwer, mich selbst über das Reich Myrtana zu informieren. Im Gegensatz zu Oblivion gibt es hier kaum Bücher, die etwas über die Geschichte, die Wesen oder Eigenheiten des Landes verraten. Auch das Handbuch zeigt sich hier sehr spartanisch. Wie soll man da einen Bezug zum König aufbauen? Zumal man als namenloser Held ohnehin keine Biografie, keine Ansatzpunkte für Identifikation hat.
Es ist nicht so, dass Gothic 3 erzählerisch uninteressant wäre: Immerhin stellt sich bald die Frage, warum die Orks gezielt alte Tempel zerstören und was es mit dem arkanen Wissen auf sich hat. Aus der entfernten politischen Perspektive macht das Abenteuer neugierig und zeigt große Stärken, die Oblivion nicht bieten konnte. Aber aus der nahen persönlichen Perspektive zeigt es sich zu schroff und bietet kaum Spannung. Wären mit Diego & Co nicht die alten Vertrauten der früheren Abenteuer unterwegs, wäre mit Xardas nicht der Hexer aus den Vorgängern in den Konflikt verstrickt, dann würde man sich wie ein Fremdkörper in der Welt fühlen. Wer die Vorgänger nicht kennt, wird in erzählerisch kaltes Wasser geworfen.
Aber zurück zur Spielwirklichkeit. Warum werden der Entdeckerdrang und die Lust Unerforschtes zu erkunden so ausgebremst? Weil die Spielwelt im Detail nicht halten kann, was das Epos im Großen verspricht: lebendig und authentisch zu sein. Die fehlerhafte Kulisse ist da nur ein Mosaiksteinchen: Die Landschaft sieht in ihrer Anordnung zwar richtig gut aus, überzeugt mit unheimlich natürlich wirkenden Lichtungen und Tälern; ich konnte mich sogar an das Weichzeichnen in der Ferne gewöhnen - kein Problem. Aber warum ist die Sichtweite für scharfe Konturen und Gras so begrenzt? Es sind ja nicht mal zwanzig Meter, die man schauen kann. Und sobald man läuft, entrollt sich vor einem immer ein Teppich aus Gras und Pflanzen - das wirkt heutzutage einfach antiquiert. Spiele wie Far Cry (2004) oder Just Cause sind eine Klasse attraktiver, die Grafik-Engine ist einfach nicht mehr zeitgemäß. Die bescheidenen Lensflare-Effekte will ich zeitlich gar nicht einordnen...
Die Motivationsbremsen
Es gibt in Gothic 3 natürlich auch viele schöne Plätze, gemütliche Leuchttürme, lauschige Hütten, pompöse Steindenkmäler, aber eben auch so viele Clippingfehler, die Körper und Gegenstände durch Wände ragen lassen und überhaupt keine physikalischen Konsequenzen: Es gibt z.B. keine Baum- oder Speerfallen wie in Oblivion oder Fässer, die man irgendwo runterrollen kann. Das Flammenschwert brennt selbst dann, wenn ich es auf den Rücken geschnallt habe. Lobenswert ist wiederum, dass die Pfeile korrekt im Pelz des Feindes stecken bleiben - man kann ein Wildschwein schnell in ein Stachelschwein verwandeln. Schade ist nur, dass man sie da nicht mehr rausziehen kann. Warum eigentlich nicht?
Immerhin kann man im Gegensatz zur Vorschaufassung jetzt in 1280x1024 spielen. Allerdings ruckelt das Spiel dann schon beim einfachen Umschauen selbst auf unseren Rechnern (Alienware, DualCore Pentium 3,2 Ghz, 2 GB Ram, Nvidia GeForce 7900 GTX). All diese Fehler zeigen sich übrigens auch auf gleichwertigen AMD/ATI-Konfigurationen, auf denen wir Gothic 3 installiert haben.
Erst, wenn man die Details runterschraubt und selbst wichtige Merkmale wie das Gras abschaltet, läuft es besser. Die Absturzhäufigkeit bleibt dennoch bestehen: Der Rekord bei uns liegt in drei Crashes pro Stunde. Bloß wie sieht Gothic 3 auf mittlerer Stufe ohne Gras aus? Es kann ja schon bei vollen Details nur landschaftlich, aber nicht in Sachen Sichtweite und Texturpracht mit Oblivion mithalten. Egal, Gothic gehörte in technischer Hinsicht noch nie zur Avantgarde der Grafikmeister. Und das hat mich auch noch nie gestört. Das Figurenverhalten und das Kampfsystem sind eher hauptverantwortlich dafür, dass ich trotz der Freiheit und der Aussicht auf heroische Taten die Lust auf die Befreiung Myrtanas verloren habe.
Mitten rein ins Geschehen: Ein Ork erwischt mich beim Plündern in seinem Quartier und bleibt an einer Kiste hängen - ich kann ihn in Ruhe abschießen. Okay, das ist ein kleiner Bug der Wegfindung. Aber es gibt größere: Drei Banditen erwischen
mich, ich renne weg auf einen Felsen hinauf und sie bewegen sich nicht nur komplett in ihn hinein, sondern schaffen es auch nicht, den direkten Weg nach oben zu nehmen - so wie hier im Video, wo sie noch noch nicht mal um ihn herum (!) kommen. Also kann ich sie in aller Ruhe abschießen. Und es gibt noch größere Probleme: Ich bestücke einen Waran in einer Höhle mit drei Pfeilen, er faucht aggressiv, seine Artgenossen fauchen aggressiv, aber statt auf direktem Weg zu mir zu kommen, bewegen sie sich nur von links nach rechts. Das ist nicht immer so, die Minecrawler attackieren z.B. auf direktem Wege, aber dieses Fehlverhalten kommt zu oft vor.Das Figurenverhalten
Das große Aushängeschild von Gothic war damals gerade das natürliche Verhalten der NPCs, die Reaktion auf meine Taten: Das Anbrüllen beim Zücken der Waffe, das Drohen beim unerlaubten Betreten der Räume. All das gibt es natürlich auch hier, sorgt schnell für nostalgische Gefühle und wurde von anderen wie Oblivion kopiert. Schade ist nur, dass man dieses System der Privatsphäre nicht konsequent ausgebaut hat. Ein Beispiel: Drei Orks bewachen eine Hütte, in der ein Oberork sitzt. Gehe ich rein, werde ich angepöbelt - sehr gut. Töte ich den Oberork, fliehe und kehre später zurück, kann ich tatsächlich ohne Probleme an den beiden Wavhen vorbei eintreten und die Waffenbündel stehlen. Das ist inkonsequent, denn an anderer Stelle ist es wiederum nicht so einfach. So wird die Illusion einer glaubwürdigen Spielwelt zerstört.
Überhaupt ist das Stehlen viel zu einfach und das Spiel für passionierte Diebe wenig fordernd. Man soll drei Pokale stehlen, die der orkische Händler Urkrass in seinem Lager hat. Der Ork steht am Haupteingang, es gibt einen Nebeneingang. Da kann ich tatsächlich bei hellichtem Tage reingehen und einfach die Kelche an mich nehmen. Ich muss nur darauf achten, dass der Ork mir den Rücken zukehrt - warum hat man hier nicht wenigstens Wert auf die Nacht gelegt oder auf eine Fähigkeit, um das Ganze anspruchsvoller zu gestalten? Richtig ärgerlich ist, dass diese Aktion mit einem Schlafzauber noch schwieriger ist: Denn obwohl der Orks nach der Magie-Anwendung sofort einnickt, wacht er beim Betreten des Raumes auch sofort wieder auf. Sprich: Hier wirken dieselben Skripte wie beim normalen Eintreffen in einem Raum mit Schlafenden - sie wachen durch die Geräusche auf. Ein Zauber sollte hier einen Tick mächtiger sein...
Im Gegensatz zu Oblivion kann ich die Wesen in Gothic 3 auch gezielt in Konflikte verwickeln, indem ich eine Gruppe attackiere, weglaufe und mit dem Mob in eine andere Gruppe laufe. Das ist eigentlich eine feine Sache, die man gnadenlos ausnutzen kann: Man schießt in eine Eberrotte und rennt mit ihr durch ein Ork-Camp. Dort angekommen mischen die Eber die Orks auf. Danach erledigt man die verwundeten Eber und kann die komplette Ausrüstung plündern und zwei Quests ohne Mühe abschließen. Das ist okay, aber die Auswirkungen dieser Kämpfe sind nicht immer nachvollziehbar: Warum können mit Hellebarden und Armbrüsten bewaffnete Orkjäger komplett von Wildschweinen aufgerieben werden? Und warum hören plötzlich alle auf zu kämpfen? Irgendwann beißt das Schwein den Ork nicht mehr und umgekehrt. Sie stehen da und schauen sich an. Erst, wenn ich von außen eingreife und attackiere, geht es weiter. Aus so einem Gruppenkampf sollte man sich übrigens tunlichst raushalten - selbst, wenn man nur helfen will: Sobald man sich ins Getümmel begibt, um z.B. den Rebellen gegen die Goblins zu helfen, wird man selbst von allen Seiten attackiert; auch, wenn man schon einen guten Ruf besitzt. Das kann dazu führen, dass man gerade noch eine Quest für die Rebellen erledigt hat und dann im Tumult von ihnen niedergeschlagen und ausgeraubt wird.
Das Kampfsystem
Hört sich alles gut an, ist aber in der Praxis ein Reinfall. Selbst gegen "Toporks", selbst gegen Söldner-Champions reicht das simple Dauerklicken der rechten Maustaste. Meist ist diese Attacke auch noch so schnell, dass man gar nicht getroffen wird. Wie soll Spannung entstehen, wenn man gleich zu Beginn des Spiels, ohne große Schwertkampfausbildung selbst Bosse so einfach niedermetzelt? Natürlich geht das nicht immer, man stirbt Dutzende Tode, wenn man seine Rechtsklicks nicht zuerst setzen kann, aber wer zuerst trifft, hat meist die Nase vorn. Oder der, der unten steht: Wer erhöht postiert steht und in den Nahkampf geht, wird sein blaues Wunder erleben, denn man trifft fast
nichts. Richtig bescheuert sieht das aus, wenn die Feinde auf einem Felsen stehen, man selbst darunter und sie dennoch blind in die Luft schlagen...Dass man kein Körperschadenssystem à la Elveon integriert hat und den Nahkampf hier nicht in neue Dimensionen katapultieren wollte, ist verständlich. Aber ich verstehe nicht, wieso Piranha Bytes den neuen Ausdauerbalken nicht auch effektiv ins Kampfsystem einbezogen hat? Warum hat man nicht dafür gesorgt, dass man nach einem Dutzend schneller Rechtsklickattacken ermüdet? Zwar sinkt der gelbe Balken ab, aber selbst ohne Ausdauer reichen die Hiebe aus, um den Feind zu besiegen. Warum hat man nicht eine Ermüdungsanimation eingebaut, die den Schwertarm sinken lässt? Dann hätte man sich wieder zurückziehen, sich erstmal ausruhen oder blocken müssen. Apropos blocken: Erinnert ihr euch an die wuchtigen Schläge auf die Schilde bei Oblivion? Die haben einen richtig zurückgeworfen und die Kraft der Waffe dadurch gut simuliert. Hier bleibt es bei einfachen Einschlägen, der Einsatz des Schildes fühlt sich nicht echt, nicht packend genug an, zumal der Arm durch den Schild ragt - Clippingfehler ahoi. Da der Kampf ein so zentraler Aspekt des Abenteuers ist, zieht dieses mangelhafte System das ganze Spielerlebnis runter, raubt ihm Nervenkitzel und Anspruch.
Und auch die derben Dialoge, das Aushängeschild der Reihe, können zwar stimmlich voll überzeugen, aber wirken in Sachen Regie teilweise stümperhaft: Da redet man mit jemandem und die Kamera zeigt ein Gesicht, das in eine andere Richtung schaut oder noch schlimmer: eine Hauswand. Manchmal passiert es auch, dass der Held in Dialogen zittert wie eine Pappel; auch hier wirkt das Spiel unfertig. Hinzu kommt, dass man sich nach spätestens drei Stunden Spielzeit an die Gestik der Charaktere gewöhnt hat; es sind immer dieselben Hand- und Armbewegungen, die abgespielt werden. Das ist allerdings nur ein kleiner Kritikpunkt, genau so wie die viel zu grelle Ausleuchtung der Gesichter, ohne dass eine entsprechende Lichtquelle da wäre.
Quests & Gespräche
Realismusfreunde werden ebenso wenig wie Rätselfreunde auf ihre Kosten kommen: Ihr könnt unbegrenzt Waffen und Gegenstände horten, das Gewicht spielt keine Rolle. Gab es in Oblivion noch hier und da kleine Aufgaben abseits der Hol-und-Bringdienste, die Gothic gerade in den ersten Stunden fast inflationär anbietet (besorge Felle, Kräuter, Heiltränke etc., besiege Wölfe, Wildschweine, Orks etc.), findet man hier kaum interessante Nebenaufgaben. Überhaupt gefielen mir die kleinen Quests in Oblivion erzählerisch besser, da sie teilweise epischer angelegt oder auf eine Klasse ausgerichtet waren - z.B. speziell für Diebe oder Paladine. Gothic ist in seiner großen Hauptquest, dem besetzten Myrtana und seinem Schicksal, vielleicht auf lange Sicht interessanter, aber wirkt zwischendurch fast wie ein gewöhnliches MMORPG. Auch auf Katakomben oder verwinkelte Dungeons à la Oblivion muss man verzichten: Es gibt lediglich Höhlensysteme.
Fazit
Ich liebe Rollenspiele. Gothic gehört seit fünf Jahren zu meinen absoluten Favoriten. Und ich habe mich richtig auf Gothic 3 gefreut. Zunächst weht vor allem musikalisch und spätestens nach den ersten Dialogen auch atmosphärisch der gute alte Wind vergangener Zeiten: episch, derb und frei - das ist es, was die Tradition der Reihe verspricht, was die Fans erwarten. Ich will versinken, will abtauchen, will mich schlaflos reinsteigern, aber es geht nicht. Die Welt, die ich hier seit Freitag durchstreife, hat aus der anfänglichen Euphorie schnell Ernüchterung werden lassen. Das Spiel ist technisch schwach, steckt voller KI- & Grafikfehler und hat das schlechteste Kampfsystem, das mir seit Diablo untergekommen ist - mit Klickorgien besiege ich jeden Gegner, die Duelle transportieren Routine statt Spannung. Wieso hat man die völlig überflüssige Ausdauer nicht in das Kampfverhalten einbezogen? Natürlich hat Gothic 3 auch gute Seiten: das politische Machtgefüge, das ich manipulieren kann, die Karriere, die ich nach Gutdünken angehen kann. All das hat mich trotz der Schwächen zunächst dazu angetrieben, noch ein Stückchen weiter zu spielen. Verdammt, man will dieses Spiel ja genießen! Aber irgendwann ist Schluss. Spätestens, wenn Söldner in Felsen verschwinden und sich ohne Wegfindungslogik wie Lämmer abschlachten lassen oder Wölfe mal wieder nicht aufwachen, obwohl ich lautstark ihr Rudel töte, vergeht mir die Lust an dieser Welt, die landschaftlich hier und da bezaubern kann, die in ihrem freien Potenzial durchaus faszinierend sein könnte. Es ist aber nicht nur die Technik, es sind nicht nur die Abstürze, die üblen Strandaussichten und Clippingfehler, die nerven. Ich weiß auch deshalb noch nicht, ob ich Myrtana wirklich retten will, weil ich mich erzählerisch im luftleeren Raum bewege. Wo ist das Drama? Wo ist die Bedrohung? Und was nützt mir die Aussicht auf eine große Rebellion, wenn der Weg dahin von so vielen dilettantischen Unebenheiten gepflastert wird? Dieses Abenteuer ist im Dialog- und Questbereich gut, aber lässt überall Feinschliff vermissen. Die Branche darf mit ihrer rigiden Terminpolitik nicht solche Traditionsspiele kaputt machen. Das, was ihr morgen in der Box kauft, ist schlichtweg unfertig und leider in vielen Bereichen demotivierend, wenn man nicht beide Augen in blinder Ignoranz zudrückt. Mir reichts jedenfalls. Vielleicht spiele ich nach dem ersten Patch weiter…
Update:
...was hat dieser erste Patch gebracht? Ich bemerke nichts, was etwas Grundlegendes wie Kampfsystem, Grafikfehler oder KI verbessern würde. Und wo sind bitte die Patchnotes? Da müssten nach den ersten engagierten Ankündigungen seitenweise Bugfixes stehen! Mal abgesehen davon, dass wir bei 4Players ohnehin keine Nachtests nach Patches machen: Ich spiele nicht weiter.
Pro
- gut gesprochene Dialoge
- angenehm freies Spielprinzip
- derber Fantasystil
- epische Musikuntermalung
- keine Klassenbeschränkungen
- klasse Figurendesign
- lebendiges Wildverhalten
- riesige Spielwelt
- mehrere Fraktionen
- sehr viele Quests
- übersichtliches Tagebuch
- komfortables Teleportsystem
Kontra
- regelmäßige Abstürze
- zahlreiche Clippingfehler- schwache Dramaturgie
- mangelhaftes Kampfsystem
- wenig Rätsel, keine Dungeons
- teilweise steife Animationen
- erzählerisch schwacher Einstieg
- üble Horizontdarstellung am Meer
- steriles Inventar
- & Menüdesign
- Logikfehler & KI-Inkonsequenzen
- kaum erzählerische Anknüpfungspunkte an die Spielwelt
- abstruse Kamerapositionen bei Dialogen
- nicht nachvollziehbares Gegnerverhalten
- lange Ladezeiten & Ruckler