Medieval 2: Total War - Test, Taktik & Strategie, PC

Medieval 2: Total War
13.11.2006, Jörg Luibl

Test: Medieval 2: Total War

Seit Freitag donnert es in den Regalen. Sega rief zu den Fahnen und Deutschland versinkt mit Medieval 2 in mittelalterlichen Schlachten. Schwere Panzerreiter und mächtige Triboks, Schweizer Pikeniere und maurische Assassine - alles, was auf den königlichen Kriegsschauplätzen Rang und Namen hatte, dürft ihr von den Küsten Schottlands bis in die Sandwüsten des Orients treiben. Ein strategisches Epos ohne Feld und Tadel?

Hufe donnern. Heere marschieren. Ganz nah ran. Schilde krachen. Speerspitzen versinken. Trommeln wirbeln. Boxen aufdrehen. Pfeile surren. Verletzte schreien. Immer wieder rein. Streitkolben frisst Stahl. Kettenhemd wird rot. Die Kamera

Der Topfhelm glänzt, der Schild sitzt, das Schwert zuckt: Willkommen auf den prächtigsten Schlachtfeldern der Spielegeschichte. Hier der Release-Trailer!
ganz nah ran. Schwerthieb quer über die Brust. Mann bricht zusammen. Reinzoomen. Kamera drehen. Tote zucken am Boden. Ritter brennt wie eine Fackel. Streitross bäumt sich auf. Lanze frisst Reiter. Kommen da Kriegselefanten? Zoom, Zoom und noch mal Zoom...

Zwischen Blut und Stahl

...hinein in das blutige Antlitz des Krieges. Ist das grausam? Ja. Und trotzdem faszinierend? Oh ja. Ich hab mein Mausrad noch nie so oft angetrieben, damit es mich immer wieder ganz tief in den virtuellen Schlachtensumpf führt, der vor Wappen und Bannern, Männern und Pferden, Blut und Stahl nur so überquillt. Es sind nicht die Körpersäfte und Schreie in den ersten Schlachtreihen, die so reizen, es ist der Tanz aus Attacke und Parade, aus verzweifelter Abwehr und letztem Todesstoß, der dieses Spiel so erschreckend lebendig macht. Vor allem in den historischen Schlachten von Agincourt oder Tannenberg weht schnell der Hauch der Gnadenlosigkeit.

Wer die Verfolgerperspektive aktiviert, kann mit schweren Panzerreitern quasi Schulter an Schulter in die Infanterie preschen und die anschließende Panik spüren. Wer diese Perspektive auf die Bogenschützen anwendet, steht neben den Walisern, wenn sie gerade ihre Projektile entzünden und auf Kommando einen gewaltigen Feuerregen Richtung Frankreich jagen. Das Geräusch, das beim zeitgleichen Peitschen von Hunderten Sehnen ertönt, sorgt schon für eine Gänsehaut. Dass einen die Kamera dann noch mit einem feurigen Pfeil Richtung Opfer fliegen lässt, wäre fast grandios - wenn es beim Einschlag noch einen kleinen Tick besser inszeniert wäre.

Das Hauen und Stechen, das das Team von Creative Assembly in den schottischen Highlands, an den Ufern der Seine, vor den Toren Jerusalems oder im Regenwald der Azteken inszeniert, ist zwar en detail lange nicht so animationsstark wie in einem Rollenspiel oder gar Beat'em Up, aber es ist deshalb so beeindruckend, weil es innerhalb riesiger Heere stattfindet. Auch Warhammer 40.000: Dawn of War (DoW) lieferte brachiale Szenen, aber da ging es um Scharmützel zwischen Dutzenden - hier sind es Kämpfe zwischen bis zu Zehntausenden, die euch zum Zoom einladen und dem teuren PC endlich wieder einen Sinn geben.

Mittelalterliches Gemälde

So ein bildgewaltiges Epos ist genau das Richtige, um den Rechner zu knechten und die Konsole links liegen zu lassen. Das ist ein Spiel im großen Stil, ideal für die kalte Jahreszeit. Wo der antike Vorgänger Rome: Total War (Rome) noch mit synchronen Bewegungen und immer gleicher Ausrüstung eine sterile Uniformität zeigte, bedient sich der mittelalterliche Nachfolger aus einem bisher einmaligen Pool an Individualität: Kein Soldat gleicht dem anderen. Der eine trägt ein rotes Wams, der anderes ein gelbes, der eine ist bärtig, der andere rasiert. Jedes Mitglied einer Waffengattung wird von der Engine per Zufallsgenerator aus einem knapp halben Dutzend Variablen erstellt. Natürlich gibt es auch Doppelgänger, aber der Illusion einer Armee aus Individuen war noch kein Spiel so nah. Nicht nur diese Variation in Sachen Gesichter und Ausrüstung verblüfft, auch der Wechsel in der Bewegung.           

Hippenträger, Mongolische Reiterkrieger, Schweizer Pikeniere, Pavese-Armbrustschützen, Hakenbüchsen, Deutschritter, Triboks, Katapulte, Orgelkanonen - wer sich auch nur ansatzweise für mittelalterliche Kriegsführung interessiert, wird hier so

Der Augenblick nach dem Gemetzel: Tote Leiber, blutige Rüstungen, wenig wehende Banner. Was die Türken auszeichnet, zeigt dieser Trailer!
viel authentisches Material, so viele historische Einzelheiten und Hingucker finden, dass ein Sattsehen fast unmöglich ist. Die britischen Entwickler haben sich fleißig bei den militärgeschichtlichen Bildbänden von Osprey bedient. Natürlich gibt es kleine Inkonsequenzen, die Historiker und Grafikfetischisten gleichsam auffallen dürften: Etwa ein irischer Lord des Frühmittelalters im anachronistischen Plattenpanzer, durch Bäume clippende Reiter oder im Vergleich zu den Menschen teilweise viel zu große Bäume.

Osprey's Military Gallery

Aber all das sind Staubkörner auf einem Gemälde. Die leblosen Landschaften wurden gegenüber Rome in Sachen Flora spürbar verbessert: Es gibt sanfte Blumenwiesen, verschneite Hügel und zerklüftete Serpentinen - hier empfielt sich der Modus "Eigene Schlacht", denn dort könnt ihr den Ort unter Dutzenden vorgefertigter wählen und nach eigenem Geschmack Truppen vom Haufen bis zur Armee aufeinander hetzen. Wie schlagen sich Highlander gegen aztekische Kojoten-Priester im Schnee? Was bewirken 300 englische Sherwood-Bogenschützen gegen 100 französische Elite-Ritter im freien Feld?

Alleine mit diesen Experimenten habe ich Stunden zugebracht. Auch das Wetter trägt mit Regen, Blitz und Donner zur Lebendigkeit der Kulisse bei. Und schließlich ist da die Musik. Ohne die akustische Wucht wäre Medieval 2: Total War (ab 6,90€ bei kaufen) (M2) nur halb so wirkunsgmächtig. Je nachdem, wo ihr kämpft, gibt es andere Kompositionen: Während im Schwarzwald noch vertraute Hörner erschallen, gibt es in Ägypten verspielte orientalische Klänge und im amerikanischen Dschungel herrlich mysteriöse Percussion-Rhythmen. In den Menüs schmeicheln sich mönchische Chöre in euer Ohr, in den weiten Ebenen der Mongolen beben asiatische Trommeln.

Genug der pompösen Kulisse. Bevor ich jetzt noch die gewaltigen Burgen porträtiere, die mit dreifachen

Die französische Lilie im Banner: Panzerreiter machen sich bereit - die Landschaft überzeugt mit bunten Wiesen und vielen Baumarten.
Verteidigungsringen, gotischen Kathedralen und immer eigenem Stadtaufbau glänzen, also tatsächlich nie dieselbe Anordnung von Häusern zeigen, will ich in die Spieltiefe abtauchen. Diese gewaltige Oberfläche vom M2 wäre nur halb so schön, wenn es darunter nicht ebenfalls Faszination und Fortschritte gegenüber dem Vorgänger zu entdecken gäbe. Wie steht es um die Taktik im Feld, um die KI der eigenen und feindlichen Truppen, um die Diplomatie auf der Karte, um die Strategie der Agenten oder den Seekampf?

Ab in die Spieltiefe

Um es kurz und schmerzlos zu machen: Die Seekämpfe werden weiterhin nur als automatisch berechnete Zahlenstatistik dargestellt - schade. Wer Echtzeitschlachten im Wellenbad sucht, wird weiterhin mit Rise & Fall in die Antike reisen müssen. Bis Creative Assembly den Kampf zwischen Koggen und Drachenbooten inszeniert, dürfte noch einige Zeit ins Land gehen. Immerhin wurde die KI der maritimen Kriegführung leicht verbessert: Ich wurde wesentlich öfter und effizienter auf der Seekarte attackiert als in Rome. Trotzdem hat die KI meine ungschützten Schiffe nicht immer versenkt; hier besteht noch Verbesserungspotenzial.

Was M2 im Feld so auszeichnet ist sein Abbild des Chaos, das dem wirklichen Krieg mit Flucht, Moral und Motivation näher kommt als all die kalten Hitpointberechnungen eines Age of Empires III oder ParaWorld. Man hat

Das ist episch, das ist die große Perspektive: Als General befehligt ihr Zehntausende Krieger gleichzeitig.
immer nur bis zu einem gewissen Zeitpunkt die Kontrolle über seine Armee, kann die Startposition wählen, sich das passende Gelände aussuchen, die schwachen Truppen klug flankieren. Aber irgendwann kommt es dann zu einer Eigendynamik, die alle Pläne zunichte machen kann und das gezielte punktuelle Eingreifen erfordert. Ein Beispiel: Eine Miliz verliert die Fassung vor den heranstürmenden Panzerreitern, die Männer fliehen und stecken mit ihrer Angst eine weitere Miliz an. Da sich die linke Flanke jetzt quasi auflöst, fühlen sich die rechts postierten Bogenschützen unsicher und geraten ins Wanken. Was tun?

Die Kampftaktik

Dazu gibt es in M2 die wichtige Pausefunktion, die Henry V. und Richard Löwenherz nicht hatten: Ihr könnt alles einfrieren und gezielt neue Befehle geben. In diesem Fall könnt ihr z.B. eure Nachhut mit dem Befehlshaber in die Nähe der Fliehenden bringen, um alleine mit eurer Anwesenheit oder einem lauten Hornsignal neuen Mut zu entfachen. Außerdem sollte die linke Flanke der Fernkämpfer von einer erfahrenen Infanterie anstatt der wankelmütigen Miliz geschützt werden - also lasst eure Veteranen im Laufschritt dorthin eilen, am besten Pikeniere, um die Panzerreiter stichhaltig zu begrüßen.

            

Noch wichtiger als Schere, Stein, Papier oder die schiere Überlegenheit der Zahl ist in M2 die kluge Anordnung und effiziente Unterstützung eurer Truppen. Wer seinem Gegner das Kanonenfutter von Bauernkriegern oder Zwangseingezogenen entgegen wirft, kann zahlenmäßig 3:1 überlegen sein und trotzdem sein blaues Wunder erleben. Zwar ist Masse manchmal auch gut, aber noch besser ist die qualitative Kooperation von erfahrenen und unerfahrenen Einheiten, von Nah- und Fernkämpfern. Also: Erst Veteranen an die Front, dann zur Unterstützung von der Seite die Bauern rein.

Unterstützendes Chaos

Pavese-Armbrustschützen können sich hinter ihren hohen Schilden verschanzen.
Ein anderes Beispiel für das kluge Streuen von Chaos: Ihr könnt drei Bogenschützenstaffeln drei unterschiedliche Ziele geben. Das hat den Vorteil, dass ihr drei verschiedene Feindeinheiten unter Feuer haltet - das kann sinnvoll sein. Aber viel besser wäre es vielleicht, die drei auf ein Ziel zu fokussieren, um dessen Moral schneller zu zerrütten! Sprich: Je gewaltiger der Projektilregen, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass der Gegner flieht. Ihr zündet die Pfeile an? Noch besser! Dann sinkt die Trefferwahrscheinlichkeit, aber die Angst unter den Getroffenen dürfte steigen. Und wenn diese bisher flankierten, werden sie mit ihrer Flucht auch noch die Flanke öffnen und eventuell eine Kettenreaktion auslösen...

Diese Verzahnung von Möglichkeiten und die damit verbundene Unberechenbarkeit kann zwar Einsteiger überfordern oder nicht immer nachvollziehbar sein, aber all das ist gerade die große Stärke von M2. Hier wird nicht nur kalt die Stärke gegenkalkuliert, sondern auch auf Umgebung, Emotionen und Kampfverband geachtet. Daher sollte jeder bei den ersten Scharmützeln die volle Hilfe einschalten: Hier bekommt man wertvolle taktische Hinweise in guter Sprachausgabe, die vorbildlich je nach Situation abgerufen werden und jede Menge Fragen beantworten - man braucht keinen Clausewitz gelesen zu haben, um in M2 erfolgreich zu sein.

Verkettung von Ereignissen

Wann lohnt sich die Keilformation der Reiter? Wann verschanzt man sich hinter einem Speerigel? Warum ist es besser, der Kavallerie stehend zu begegnen? Welche Munition setzt man ein: genaue Projektile oder Angst einflößende Sprengsätze? Wie reagiert man auf Umzingelungsgversuche? Wann zieht man sich zurück? Einsteiger und Kenner werden hier jede Menge interessante kriegstaktische Ansätze finden. Selbst komplexe Formationen im großen Stil sind wie schon in Rome über die erweiterten Schaltflächen möglich: So lassen sich sehr schnell ideale Flügelaufstellungen mit vielen Reitern oder massive Verteidigungsaufstellungen in drei Reihen Tiefe realisieren.

Es gibt nur eine Einheit in Medieval 2, die man kaum stoppen kann: die Kriegselefanten der Timuriden. Auf ihrem Rücken sind Gewehrschützen oder sogar Kanonen gesockelt...nichts wie weg.
Wie sehen die KI-Autoamtismen aus? Verhalten sich Freund und Gegner klug? Sehr gut gelöst wurden die Voreinstellungen: Wenn sich eure Bogenschützen im Plänkelmodus befinden, ziehen sie sich angesichts herannahender Feinde selbstständig sehr schnell zurück, um nicht überrannt zu werden. Das sieht klasse aus und ist sehr hilfreich, denn es entbindet euch vom Mikromangement. Allerdings kann es passieren, dass sie sich so weit zurückziehen, dass sie nicht mehr an der Schlacht teilnehmen - hier müsst ihr nachhelfen. Ansonsten lässt sich über die Symbole, Gruppenbildung oder Lassomethode alles sehr komfortabel steuern.

Komfortable Automatismen

Bei den eigenen Angriffsbefehlen kann es zu kleinen Aussetzern kommen, so dass nicht alle Krieger im Pulk Richtung Feind rennen oder manche Reiter nicht reagieren. Das passiert allerdings vornehmlich in engen Gebieten oder nach dem Aufeinandertreffen von mehreren Waffengattungen. Außerdem kann man den partiellen Untätigkeiten der eigenen Männer mit gezielten Befehlen wieder entgegen wirken. Etwas ärgerlicher ist die Tatsache, dass man in bewaldeten Regionen nicht deutlich genug sehen kann, wo sich eine Truppe tarnen kann. Manchmal ducken sich dort Schwertkämpfer und direkt daneben sind andere ungetarnt - hier ist man nicht ganz konsequent.

          

Schön ist, dass die feindliche KI jetzt deutlicher die Stellung hält und oben erwähnte Hinterhalte ausnutzt. Sprich: Es ist im Vergleich zu Rome riskanter, sich einfach von den Seiten heranzupirschen und schwieriger, die Formationen des Gegners zu durchbrechen. Man kann gut erkennen, wie die KI schon auf der dritten Stufe sofort auf eure Marschbefehle reagiert: Zieht

Ruine voraus: Erstmals in der Reihe sorgen Artillerie und Triboks dafür, dass Gebäude vom Einschlagpunkt aus korrekt zusammenbrechen.
ihr eure Reiter an die rechte Flanke, bringen sie die Speerträger dorthin. Versucht ihr von zwei Seiten zu umfassen, scheren die Flügel plötzlich aus. Dadurch wird es etwas schwieriger, den feindlichen General direkt zu attackieren, um über seine Flucht die Schlacht zu entscheiden - aber das ist auch noch möglich und so effizient wie eh und je.

 Der Feind reagiert

All das ist sehr schön zu beobachten, es gibt allerdings auch kleine Aussetzer im finalen Timing. Der gegnerische General verpasst es manchmal, euch den letzten Rest zu geben. Es kann z.B. passieren, dass ihr nur noch mit Bogenschützen und der eigenen berittenen Leibwache aus den letzten Löchern pfeift und viel zu viel Zeit zum Formieren und neuen Beschießen besitzt, obwohl eure Gegner mit einer Übermacht an Speeträgern ausgestattet sind. Es kann in großen Schlachten auch passieren, dass beschossene Einheiten zu spät auf eure Projektile reagieren oder dass der General lebensmüde in eure Speerträger reitet.

Auch bei den Belagerungen wirken die Gegenmaßnahmen nicht immer durchdacht: Man kann mit seinem Rammbock oft ohne feindliche Ausfälle die Tore einreißen - das ist etwas zu einfach. Und vielleicht könnte man in späteren Spielen programmieren, dass die Männer auf den Brustwehren die Eingänge schützen. Allerdings funktioniert das schnelle Erobern vornehmlich dann, wenn man vor den Mauern eine große Übermacht hat. Ob das damit zusammen hängt? Allerdings gibt es auch Gegenbeispiele: Mein Rammbock wurde schon mal von den Mauern aus mit Brandpfeilen so lange bespickt, bis er in sich zusammen brach und ich die Stürmung abbrechen musste. Wesentlich effektiver sind natürlich die Ballisten, Triboks und Kanonen in diversen Kalibern, die diesmal sogar ganze Gebäude authentisch einreißen können - je nachdem, wo ihr trefft, bricht das Gemäuer in sich zusammen.

Die Azteken werden euch erst im späten Mittelalter begegnen: Sie kämpfen ganz ohne Stahl und Schießpulver, aber beeindrucken mit ihrer schieren Zahl und Wildheit.
Kurzum: Es gibt hier und da kleine Unregelmäßigkeiten in der Schlachtwirklichkeit, die aber angesichts der gewaltigen Inszenierung und vieler nachvollziehbarer Elemente nicht so schwer ins Gewicht fallen. Zumal es auch auf die Kommandofähigkeit des Gegners ankommt, inwiefern er klug ausharrt oder stupide losdonnert. Bei einem Konflikt mit hoch dotierten Generälen werdet ihr wesentlich stärker gefordert und seltener mit dem frühen Tod des Gegenübers beglückt. Es ist natürlich unheimlich schwer, die Spielbalance zu bewerten. Mal kommen einem die Projektile zu schwach vor, mal wirken die Armbrustschützen im Nahkampf mit dem Messer zu stark. Und mal wirkt wieder alles wunderbar nachvollziehbar. Sind die Kriegselefanten mit montierten Geschützen nicht zu stark? Oh ja. Aber es gibt auch hier Mittel und Wege.

Kleine Flecken auf dem Gemälde

Das liegt eben an den vielen kleinen Faktoren, die M2 im Hintergrund berechnet. Sicher werden Historiker z.B. bei der Durchschlagswirkung der Projektile Zweifel anmelden, aber auch hier kommt es auf die Situation an: Manchmal feuern fünfzig Mann auf vier Flüchtende und bei der ersten Salve fällt keiner - das darf nicht sein. Aber dafür feuern sie frontal auf die Infanterie und die wird Meter für Meter so dezimiert, dass sie kurz vor dem Kontakt moralisch zusammenbricht und flieht - das ist wiederum hervorragend und so in keinem anderen Spiel zu sehen. Genau so wie das Niederreiten ganzer Kompanien, denn ist die Kavallerie einmal im Rücken des Gegners, gibt es kaum Überlebende.

       

Wie sieht der große strategische Rahmen aus? Auch in M2 könnt ihr auf einer riesigen Karte euer Reich verwalten, schützen und ausdehnen. In der Großen Kampagne habt ihr die Wahl zwischen den Fraktionen der Engländer, Franzosen, Heiliges Römisches Reich, Venedig und Spanien. Ziel ist es, vom Früh- über das Hoch- bis zum Spätmittelalter eine bestimmte Zahl

Civilization 4 lässt grüßen: Auf der animierten Karte könnt ihr eure Agenten bewegen, Festungen ausbauen oder Städte verwalten.
an Ländern zu erobern sowie eine wichtige Stadt wie Jerusalem oder Granada zu halten. Der Schwierigkeistgrad ist variabel, die Startplätze sind festgelegt, aber jedes Volk verfügt über geographische sowie militärische Vorzüge: Die Engländer können die Insel schnell erobern und haben bereits Schiffe, die Deutschen sind von Feinden umzingelt, aber besitzen sehr starke Truppen.

Risiko 2.0

Ihr bekommt zudem Aufträge von eurem Adelsrat oder dem Papst, wie das Erobern von Städten, Aufnehmen von diplomatischen Beziehungen oder Niederwerfen von Rebellen - erledigt ihr diese Missionen rechtzeitig, winkt Geld für die Staatskasse oder ein Kontingent frischer Truppen. Den erzählerischen Unterbau liefern zahlreiche Filme, die euch auf die Situation vorbereiten und bestimmte Ereignisse darstellen: Hochzeiten, Geburten, Spionage, Attentate oder das Verbrennen von Hexen werden in kurzen Einspielern gezeigt. Schade ist, das das im Stil mittelalterlicher Handschriften gehaltene Intro für die Völker jeweils gleich gesprochen wird - egal ob ihr Engländer oder Spanier wählt.

Immerhin geizen die späteren Filme nicht mit Abwechslung: Spione verstecken sich in Karren, Kirchen veranstalten Vermählungen, Agenten werden massakriert, Pilger wandern ins heilige Land, Hexen werden vor dem Pöbel verbrannt. Zwar gewöhnt man sich an einige der frühen Szenen sehr schnell, aber bis man sich satt gesehen hat, muss man schon eine Kampagne komplett durchspielen - und das ist eine langwierige Aufgabe, die nicht nur militärische, sondern auch wirtschaftliche, diplomatische und religiöse Entscheidungen von euch verlangt.

Ihr könnt Steuern in diversen Stufen verlangen, Städte um Märkte, Schmiede oder Kirchen ausbauen, auf militärische Burgen setzen oder über den Ausbau des Wegesystems den Handel fördern. Folgende Völker sind zusätzlich spielbar (in den eigenen Schlachten bzw. im

Freispielbare Völker neben  England, Frankreich, Venedig, Spanien und dem Hl. Röm. Reich:

Agenten für alle Fälle

Timuriden Multiplayer): Diese Rundenstrategie erreicht zwar nicht die Tiefe und Komplexität eines Civilization 4 , denn dafür sind Infrastruktur und Städteaufbau auf der mittelalterlichen Karte einfach nicht verzahnt genug, aber M2 hat deutliche Fortschritte gemacht. Ihr befehligt und rekrutiert mit der Zeit einen immer größer werdenden Stab an Agenten, die wesentlich aktiver sind: Händler sollten auf der Karte edle Rohstoffe sichern, aber können diesmal ausgebotet werden - treffen zwei aufeinander, kann der eine den anderen übervorteilen und seinen Besitz an sich nehmen. Das ist ärgerlich, wenn man die gewieften Venezianer als Nachbarn hat. Hier vermisst man vielleicht die Möglichkeit, seinen Händler militärisch zu schützen, aber M2 gewinnt damit auch an Reiz; schließlich kann man versuchen, den jungen Händler so lange in anderen Regionen agieren zu lassen, bis er den Venezianern Paroli bieten kann.

Sizilien

Mailand

Schottland

Das Byzantinische Reich

Russland

Mauren

Portugal

Türkei

Ägypten

Dänemark

Polen

Ungarn

Im Multiplayer kommen noch hinzu:

Azteken

Papststaaten

Mongolen

Spione decken wie gehabt Einzelheiten über feindliche Truppenstärke auf, was von schönen Filmen umrahmt wird, und öffnen euch die Tore, Assassine töten Generäle, Prinzessinen können diese je nach Attraktivität auch becircen und zum Überlaufen animieren oder eigene Rebellen beschwichtigen, Diplomaten schließen Verträge, Bischöfe bekehren das Volk oder merzen Ketzer aus. Die Religion spielt zwar nicht so eine tragende politische Rolle wie in Civilization IV, aber sorgt für frischen Wind und reichlich Konflikte. Erstens kann sich die Zahl der Ketzer, Hexen und Magier mehren, wenn ihr nicht genug Bischöfe und Kirchen baut. Das wiederum lässt euch im Ansehen des Papstes sinken, der euch sogar einen Inquisitoren auf den Hals schicken kann. Der wütete dann mit viel Holz und Feuer in eurem Reich und könnte sogar auf die Idee kommen, euer eigenes Gefolge zu beschuldigen. Hatte nicht einer eurer Generäle einen heidnischen Zauberer dabei? Tja...

Der Papst hat noch andere Druckmittel: die Kreuzzüge. Irgendwann ruft er die frommen Katholiken auf, sich am Feldzug ins

Saladin im Anmarsch? Kreuzzüge führen euch bis in die Wüsten des Orients. Die Wetter-Engine besticht mit animierten Wolkenfetzen, Regen und Gewitter.
heilige Land zu beteiligen und fordert mal eben einen General sowie neun Truppen von euch. Auch hier gibt es schöne Filme, die einen Hauch von Mittelalter verströmen. Kommt ihr dem sakralen Wunsch nach? Wenn ja, winken euch vielleicht Gold und ganz sicher mehr Ansehen beim Vatikan. Eure Truppen bewegen sich auf heiliger Mission doppelt so schnell, sie kosten keinen Unterhalt und ihr dürft Söldner sowie Spezialtruppen verbilligt anheuern.

Kreuzzüge und Dschihad

Eine gute Stellung beim Papst ist nötig, um bei der Benennung der Kardinäle ein Wörtchen mitzureden. Stirbt der Papst, wird aus diesen dreizehn ein neuer gewählt - vielleicht ist euer Kandidat ja der glückliche. Jedes Reich buhlt also um die Gunst des Papstes. Ihr habt keine Lust auf den heiligen Vater? Dann lasst euch exkommunizieren und die Ketzerei hochleben. Allerdings könnt ihr die Kirche nicht komplett vernichten - wird der Vatikanstaat ausradiert, sucht sich der Papst einen neuen Verbündeten. Und spätestens das kann dazu führen, dass der heilige Krieg plötzlich in euer Land getragen wird.

Aber auch die religiöse Gegenseite ist aktiv: Die Moslems bilden eine starke Macht im Orient, die schnell zu einer beachtlichen Stärke reift. In der Kampagne kann der erste heilige Dschihad noch vor dem ersten Kreuzzug ausgerufen werden. Ersterer trifft zwar meist eine Stadt wie Baghdad, führt aber später dazu, dass Völker wie die Ägypter oder Türken große Reiche bilden. Ihr müsst dann als europäischer Herrscher die Balance wahren, denn einerseits habt ihr eigene Ziele auf dem Kontinent, andererseits braucht ihr auf dem Weg dorthin eine gute diplomatische Beziehung zu anderen Reichen. Und spätestens, wenn man euch nicht mehr nach Jerusalem, sondern nach Südamerika bittet, sollte die eigene militärische Position eine starke sein. Die Azteken kennen zwar keinen Stahl und kein Schießpulver, aber ihre Zahl ist immens und ihre Krieger sind wild. Nur unheimlich effektive Taktiker werden im exotischen Dschungeln bestehen - der übrigens klasse aussieht und die mächtigsten Anlagen des ganzen Spiels in sich verbirgt.

        

Wie funktioniert Diplomatie in M2? Es gibt keine zentrale Anlaufstelle der Königshäuser, die ihr mal eben ansprechen könnt, sondern alles läuft über Personen vor Ort - was dem mittelalterlichen Personenverbandstaat recht gut entgegen kommt.

Selbst im Getümmel der Hundertschaften erkennt man individuelle Details: Das Zoomen lohnt sich!
Sprich: Nur wenn ihr einen Diplomaten in Jerusalem habt, könnt ihr auf die Mauren vor den Toren zugehen und Verhandlungen starten. Die sind jetzt lebendiger, denn euer Gegenüber drückt sein Verhältnis zu euch über seine Stimme aus: Ihr hört schon am Ton der Begrüßung oder beim finalen Handschlag, ob er verärgert, zufrieden oder gar glücklich ist. Zwar wird nicht alles gesprochen, manches wiederholt sich, aber es gibt immerhin französische oder arabische Akzente und erstmals macht der Ton die Musik.

Diplomatie & Strategie

Es ist zwar schade, dass es keine animierten Porträts mit Mimik gibt, aber dafür kann man an jeder Beziehung wie in Civ4 arbeiten: Erst schließt man Handelsverträge, dann übergibt man Karteninformationen. Wenn das einige Zeit läuft, könnte man ja um ein Bündnis bitten. Und wenn das erstmal arrangiert ist, darf man selbiges nutzen, um seinen Partner gezielt auf einen Feind zu hetzen. Um zum Ziel zu kommen, kann man entweder Geschenke oder Angebote machen oder dem Gegenüber drohen. Ihr könnt euch über das Exekutieren von Feinden und das Ausradieren von Siedlungen auch ein bewusst brutales Image verdienen, um eure Gegner noch besser einschüchtern zu können. Schade ist, dass man nicht anfragen kann, was das Gegenüber für eine Forderung verlangen würde.

Die Aussichten auf den Erfolg werden immer sofort als Textbotschaften gezeigt: Ein großzügiges Angebot wird fast immer wahrgenommen, bei einem ausgeglichenen ist es je nach Beziehung schon kritischer. Und wenn euer Gegenüber selbst den lukrativsten Vorschlag kalt abwimmelt, solltet ihr eure Garnisonen verstärken. Auf der Karte reagiert die KI nämlich recht zügig auf Schwachpunkte wie mager besetzte Burgen, schwache Armeen beim Rückzug oder lukrative Städte: Zum einen ziehen gierige Rebellen umher, zum anderen ist man nie vor einer Invasion gefeit - hier muss man wie bei einem Brettspiel

Egal ob Triboks, Katapulte, Kanonen oder Raketenorgeln - auch in Sachen Belagerungs- und Feuerwaffen zieht Medieval 2 alle Register.
auch auf das Verschieben der feindlichen Agenten achten. Manchmal hat eine verschmähte Prinzessin einen Spion im Gefolge oder ein Heer im Rücken. Und ihr solltet auf die eigenen Generäle mit niedrigem Loyalitätswert achten: Wenn die zu weit weg von eurer Einflusssphäre agieren, könnten auch sie rebellieren. Abschließend muss man festhalten, dass M2 aufgrund einiger Schwächen eher ein Risiko 2.0 ist als ein rundebasierter Konkurrent für Civ4. Aber letztlich sind die Echtzeitschlachten für die Seele des Spiels und diesen Test entscheidend. 

Ihr wollt gegen Freunde ins Feld ziehen? Das geht entweder im LAN oder über das Internet. Dann legt ihr euch bei GameSpy ein Konto an und könnt in der Lobby ein Spiel mit diversen Parametern festlegen. Hier habt ihr Zugriff auf alle Landkarten vom Westen Europas bis hin zum Orient sowie alle Völker - also auch die Timuriden mit ihren Kriegselefanten, die Türken mit ihrer starken Reiterei und Artillerie sowie die Dänen, Mauren, Azteken. Ganz wichtig für die Performance ist die Einheitenzahl, ansonsten sollte man im Internet nicht unbedingt alle Details hochschrauben. Schön ist, dass man hier auch die historischen Schlachten nachspielen kann - also Tanneberg mit den Polen und Deutschen oder Azincourt mit den Engländern oder Franzosen. Ansonsten könnt ihr Art und Zahl der Truppen auch komplett selbst bestimmen, bereits erstellte Armeetypen abspeichern und später wieder verwenden. Wer keine Lust auf das manuelle Aufstellen hat, kann sich über den Button "Ausgeglichen" auch eine schnelle Zufallsauswahl servieren lassen.

Mehrspieler-Modus

      

Fazit

Brachial. Blutig. Beeindruckend. Medieval 2 malt ein unheimlich prächtiges Gemälde der Kriegführung im Mittelalter. Noch nie wurde das Hauen und Stechen, das Niederreiten und Einreißen so wuchtig, so lebendig inszeniert wie hier. Noch nie habe ich so oft, so nah rangezoomt wie auf diesen Schlachtfeldern. Im Gegensatz zu vielen anderen Echtzeit-Strategiespielen werden hier nicht sterile Hitpointtruppen verheizt, sondern lebendig agierende und erstmals unheimlich individuell wirkende Truppenverbände - man kann klug planen, mutig agieren, aber muss immer mit dem Chaos der Angst und der Kettenreaktion der Flucht rechnen. Unter der pompösen Oberfläche der blutigen und taktisch vielseitigen Schlachten schlummert ein angenehm fordernder Strategiemodus, der um neue Agenten, religiöse Pflichten und eine reaktivere Diplomatie bereichert wurde. Zwar kommt man nicht an die Komplexität eines Civilization IV heran, aber die Kampagne lockt mit außenpolitischen Herausforderungen wie dem Kreuzzug im Hoch- oder der Eroberung der Neuen Welt im Spätmittelalter. Es gibt hier und da Schwächen im Truppenverhalten, irgendwo Clippingfehler und man vermisst immer noch echte Seegefechte. Aber das, was das Team von Creative Assembly hier abliefert, ist unterm Strich nicht nur beeindruckend, umfangreich und fesselnd. Es ist auch ein süßer Vorgeschmack dessen, was in Zukunft im Bereich der virtuellen Schlachtdarstellung noch alles möglich sein wird. Hut ab, Creative Assembly!

Pro

  • brachiales Schlachterlebnis
  • Angst, Flucht & Moral
  • schöne Filmschnipsel
  • hervorragende Architektur
  • unheimliche Einheitenvielfalt
  • individuelle Truppendarstellung
  • üppige taktische Möglichkeiten
  • Früh-, Mittel- & Hochmittelalter
  • Azteken und Dschungelschauplätze
  • motivierender Strategiemodus
  • historische Schlachten nachspielen
  • ansehnliche Landschaften
  • Zehntausende Einheiten gleichzeitig
  • verbesserte KI-Reaktionen
  • Feuerwaffen, Kanonen, Sprengstoffe
  • Diplomatie mit emotionaler Akustik
  • neue Agenten & heilige Kriege
  • wunderbare Musikuntermalung
  • gute deutsche Sprecher
  • LAN/Onlinemodus

Kontra

  • kleine KI-Inkonsequenzen
  • etwas zu nachgiebige KI-Generäle
  • keine Echtzeitseeschlachten
  • ab und zu Wegfindungsprobleme
  • sehr mächtige Kriegselefanten
  • einige Clippingfehler

Wertung

PC

Brachial. Blutig. Beeindruckend. Ein prächtiges Gemälde virtueller Kriegführung.