Gangs of London - Test, Action-Adventure, PSP

Gangs of London
23.11.2006, Benjamin Schmädig

Test: Gangs of London

War Sony neidisch auf Rockstar Games? Die haben mit zweimal Grand Theft Auto schon zweimal fett auf dem Handheld gepunktet. Ob den Entwicklern einfach ein Ableger des hauseigenen Getaway in den Fingern juckte oder der potentielle Gewinn lockte: Mit Gangs of London (ab 44,90€ bei kaufen) schielt Sony Europa ganz offensichtlich in Richtung GTA und haucht dem eigenen The Getaway neues Leben ein, bevor Teil drei in Next Generation-Sphären vorstoßen soll - ein Ableger für zwischendurch sozusagen.

Ein Ableger für zwischendurch ist genau das, was ihr bekommt: Für ein paar Minuten ist der Abstecher in Londons Untergrund immer wieder mal richtig unterhaltsam. Nach einigen Minuten fahren die Gangs of London allerdings in eine Sackgasse, denn der spielerische Gehalt gleicht dem Wortschatz eines durchschnittlichen Nachwuchs-Halbstarken.

Sony legt ab

Anders als in Take 2s Gegenstück dürft ihr euch nämlich nicht frei in der Stadt bewegen, sondern klickt euch im Menü durch die Missionen: Entweder müsst ihr die Stellung gegen nacheinander eintreffende Gegner halten, eine Person sicher zum Ziel bringen, ein gegnerisches Quartier infiltrieren, Autos klauen, Personen kidnappen oder Wettrennen fahren. Am stärksten zeigt sich Gangs of London dabei noch beim Fahren, denn zum einen bietet es die Wahl zwischen

So rasant wie es dieses Bild suggeriert sind die Verfolgungsjagden leider nicht...
einer Ansicht hinter dem Auto und einer echten Cockpit-Perspektive und zum anderen fühlen sich die Wagen angenehm schwer an. Das heißt aber auch, dass sie nie die Geschwindigkeit der Vehikel in Vice City Stories erreichen und dass euch schon kleine Zusammenstöße fast zum Stillstand bringen. Sprich: Rasante Verfolgungsjagden sind leider tabu.

Müsst ihr während der Fahrerei einen Gegner unschädlich machen, rammt ihr dessen Auto so lange, bis es die Segel streicht oder rollt einfach über Angreifer zu Fuß hinweg. Das gilt auch für zivile Passanten: Mit einem harten "Fump" segnet die Zivilbevölkerung das Zeitliche. Falls euch die Londoner "Bobbys" dabei erwischen, verfolgen sie euch - einen Fahndungsstatus wie in GTA kennen sie allerdings nicht. Sie greifen aber zum Gummiknüppel, wenn ihr eine Straßenschlacht anzettelt, so dass ihr mitunter an zwei Fronten ballert, wenn ihr euch mit feindlichen Clans beharkt. Besonders spannungsarm sind da übrigens jene Aufträge, in denen ihr zusammen mit drei weiteren Gangstern eine Position halten müsst: Auftrag Laden, fünf Wellen an Gegnern ausschalten, Mission beendet. Willkommen in der Steinzeit, als Grand Theft Auto (Teil eins!) noch Science Fiction war!

Das Verteidigen ist nicht nur schrecklich langweilig, sondern steuert sich vor allem umständlich - besonders dann, wenn ihr keine Waffe zur Hand habt, denn in diesem Fall gibt es die Zielerfassung per Knopfdruck nicht. Dass Freund und Feind völlig unkontrolliert durch die Kulisse stürmt, macht es noch schlimmer. Die Kumpanen beherrschen im Grunde nur einen Befehl: Renn auf den Feind zu! Stehen sie dann einmal vor euch, braucht ihr nur noch blocken und zwischen ihren regelmäßigen Faust- oder Knüppelhieben zum Schlag ausholen - Kampf gewonnen. Dabei ist es mir ein Rätsel, wie mein Alter Ego - übrigens ein schemenhafter Gauner ohne Geschichte oder erzählerisches Gewicht - Eisenrohre mit der Elle abwehrt, ohne

... und was ihr zu Fuß erlebt, kann mit solch bildgewaltiger Action schon gar nicht mithalten.
sich zu verletzten. Dass ihr euren drei Mitstreitern Befehle geben könnt, ist zwar eine gute Idee, aber mehr als die Anweisung, die einen schwer Verwundeten aus dem Kampf zieht, habe ich nie gebraucht. Die Kumpels greifen in den Kampf ein oder ziehen sich zurück. Fordernd ist das nicht.

Kein Schielen im Schatten

Das Infiltrieren ist kaum spannender. Selbst wenn ihr vergesst, dass Dinge wie Splinter Cell und Co. existieren, wirken die Schleichabschnitte aufgesetzt: Wachen laufen starr ihre eine festgesetzte Runde, greifen euch sofort an, wenn sie euch sehen und ihr habt nicht mehr zu tun, im richtigen Moment los zu sprinten, um ihnen die Kehle zu durchschlitzen. Ihr könnt euch nicht an Wände lehnen oder gar um die Ecke schielen, ihr dürft euch nicht in Schatten verstecken oder greift auf sonstige der Situation angepasste Möglichkeiten zurück. Ich konnte derartig inkonsequente Schleicheinlagen noch nie ausstehen - wenn sie mir wie hier lieblos zum Fraß vorgeworfen werden schon gar nicht. Aber egal, was ihr mit den Gangs tut: Kein einziger Auftrag bringt mir mehr als das Laden-Spielen-Fertig-Häkchen im Speicherstand.         

Es hilft auch nichts, dass ihr zu Beginn zwischen fünf Gangs wählen dürft, die sich mit Werten für Geschwindigkeit, Aggression, Durchhaltevermögen und Treffsicherheit voneinander unterscheiden. Außerdem fahrt ihr z.B. als Mitglied der chinesischen Water Dragon-Triade schneller Auto als die Jamaikaner der EC2-Crew. Warum die Asiaten das Gaspedal stärker durchtreten als die Gangster aus der Karibik ist mir ebenfalls ein Rätsel, aber sei's drum. Schwerer wiegt die Tatsache, dass es vollkommen egal ist, für wen ihr unterwegs seid: Die Aufträge sind die gleichen und lassen einen roten Faden vermissen, der sie in irgendeiner Form sinnvoll verbindet. Das fängt schon beim Intro an, wo nicht mehr passiert, als dass sich die Gangs in einer Hand voll Bildern vorstellen. Diese und die Comic-Strips vor jeder Mission werden zwar von professionellen Sprechern begleitet und sehen schick aus, sind aber so austauschbar wie Erdnussflips aus verschiedenen Supermärkten.

Es hilft nix!

Nicht einmal die Weltstadt selbst kann überzeugen: Dass sich London grau in grau zeigt hätte ich unter Berücksichtigung der Klischeekiste mit einem Augenzwinkern verkraftet. Aber dass fast jede Straße der nächsten gleicht, 

Fesselndes Minispiel: Die Gangschlacht fordert taktische Könner in einer kniffligen Risiko-Variante.
reißt mich aus der Atmosphäre raus. Da sind schon sämtliche Sehenswürdigkeiten in dem virtuellen Replikat enthalten und ich fahre trotzdem wie ein blindes Huhn an dem monotonen Einheitsbrei vorbei. Gangs of London sieht gut aus und leidet nicht unter dem späten Einblenden von Objekten sowie Fahrzeugen wie Liberty City Stories. Es sieht aber auch fast überall gleich aus.

Und es klingt grausig. Wer im Stadtzentrum Stimmgewirr, Verkehrslärm, eine plätschernde Themse oder Ähnliches erwartet, spitzt die Ohren vergeblich. Es gibt ein leise rauschendes Etwas (Verkehr), Sirenen von Polizeiwagen und das Summen eures eigenen Motors. Das war's aber auch schon. Während der Missionen hört ihr übrigens keine Sprachausgabe, sondern lest spröde Textfenster. Nicht, dass in den Aufträgen spannende oder gar überraschende Entwicklungen stattfinden würden - es hätte der Atmosphäre trotzdem gut getan. Dank des belanglosen Gedudels im Hintergrund enttäuscht auch die Musik. Radiosender, Britpop, lizenzierter Soundtrack, GTA? Fehlanzeige.

Ich werde Gangs of London meiden, wo es nur geht. Die wahllos aneinander gereihten, zusammenhangslosen, spielerisch wertlosen Aufträge sind selbst die kurzen Ladezeit nicht wert. Nur: Wieso krame ich dann doch immer wieder die PSP hervor und schmeiße die UMD ins Laufwerk? Schizophrenes Verhalten? Nicht bei mir! Denn Schuld haben die Entwickler, die neben das völlig belanglose Spiel einen ansehnlichen Stapel unterhaltsamer Minispiele packen - einschließlich acht Versionen der Freien Fahrt durch London, einem Pub mit Kegelbahn, Billardtischen (britisches oder amerikanisches 8-Ball), Dartscheibe und Spielautomat sowie der taktischen Gangschlacht.

Erst schlecht, dann gut?

Letztere macht euch zum Bandenchef und lässt euch auf einem in mehr als 30 Bezirke unterteilten Stadtplan Gangster anheuern und so über die Karte schieben, dass ihr euch Runde um Runde zum Boss von London aufschwingt. Jeweils drei Züge habt ihr pro Runde frei - dazwischen kauft ihr Rekruten und spezielle Karten, mit denen ihr z.B. feindliche Truppen-Bewegungen oder die Anzahl gegnerischer Gangster reduzieren könnt. Klingt völlig banal,

Eine entspannte Runde Billard gefällig? An einer PSP dürft ihr sogar zu zweit einlochen.
spielt sich aber flott und ist dank drei Schwierigkeitsgraden sowie einstellbaren Siegbedingungen sogar richtig anspruchsvoll. Risiko in London - ich find's klasse.

Ebenso cool sind die Minispiele im Pub, wo ihr jeweils Schussrichtung und -stärke vorgebt, um den Dartpfeil ins Zentrum zu schießen, möglichst viele Kegel abzuräumen sowie Billard-Kugeln zu versenken. An dem Spielautomaten erwartet euch hingegen eine Variante des Oldies Snake . Wahlweise dürft ihr überall zu zweit antreten - allerdings nur an einem Handheld. Wer gerne über WiFi zockt, guckt leider in die Röhre. Dafür haben sich die Entwickler für Snake etwas Witziges einfallen lassen: Spieler eins greift die PSP an der rechten Seite, Spieler zwei an der linken, so dass der eine die Richtungstasten nutzt und der andere die Buttons. OK, es ist Snake und damit nicht mehr zeitgemäß; trotzdem macht es für ein paar Minuten Laune. Die einzige Möglichkeit, über WiFi zu kommunizieren, habt ihr übrigens mit der Game Sharing-Demo: Diese erzeugt einen Level in einer U-Bahn-Station, wo für jeden, dem ihr das Spiel schickt, eine andere Mission - abhängig von der Seriennummer seiner PSP - erstellt wird. Die Idee ist cool, aber letztlich spielen sich die Aufträge grundsätzlich gleich und wer hat schon mehr als zwei Handhelds parat, um daraus einen echten Nutzen zu schlagen?

Bullseye!

Auch in der Freien Fahrt verging die Zeit schneller als mir lieb war, denn dort seid ihr entweder ohne Ziel in London unterwegs und dürft sowohl Verkehrsaufkommen als auch Polizeipräsenz sowie Fußgänger-Anzahl einstellen oder ihr klappert im Taxi Wegpunkte ab, sammelt mit dem Zerstören öffentlichen Eigentums Punkte, flieht vor den Cops, knipst als Tourist (im Hawaiihemd) Sehenswürdigkeiten, dürft einige Minuten lang die zulässige Mindestgeschwindigkeit nicht unterschreiten und müsst in "Vier Wochen Später" die Stadt von Zombies säubern. Offensichtlich haben die Entwickler wenigstens Sinn für Humor - den haben sie bei den zu erwartenden Reaktionen auf ihr Werk aber auch dringend nötig.               

Fazit

Da erzähle ich vor einigen Monaten noch, wie treffsicher gerade Sony echte Hits auf seinem Handheld landet und dann krauchen die Gangs of London über meine PSP: Keine Handlung, furchtbar langweilige Missionen, eine nette aber triste Kulisse, kaum vorhandene Sounds, wenig Musik - ganz besonders im Vergleich zu Rockstars GTA-Vorlagen schneidet das europäische Gegenstück denkbar schlecht ab. Was das eigentliche Spiel angeht, ist Gangs of London eine einzige Enttäuschung, in der nur die Comic-Streifen Liebe zum Detail durchschimmern lassen. Die Entwickler hätten mich statt durchs Menü frei in der Stadt wandern lassen, eine Story stricken und die Minispiele direkt in eine offene Welt integrieren müssen, wenn der Funken überspringen soll. Und wie toll wäre es, wenn ich das spielerische Konstrukt mit den taktischen Zügen in der Gangschlacht voranbringen könnte! Die auf den ersten Blick völlig unscheinbaren Dreingaben sorgen nämlich dafür, dass ich die UMD dann doch immer wieder ins Laufwerk drücke und mehr Zeit damit verbringe als mir lieb ist. Besonders Billard hat’s mir angetan, ebenso Snake, mit dem ich ohnehin zeitlos glücklich bin. Bleibt natürlich die Frage, ob die tollen Intermezzi den Kauf rechtfertigen?

Nein, tun sie nicht. Aber sie können den Fehlkauf versüßen.

Pro

  • jede Menge unterhaltsame Minispiele
  • coole Comics-Sequenzen
  • stimmige Sprachausgabe
  • Cockpit-Sicht
  • Fahrzeuge fühlen sich schwer an

Kontra

  • uninspirierte, meist nervende Missionen
  • umständliche, zähe Steuerung
  • keine deutsche Sprachausgabe
  • keine Mehrspieler-Möglichkeit
  • kaum Musik
  • keine zusammenhängende Geschichte
  • völlig stupide Gegner
  • öde akustische Umgebung
  • uninspirierte grau-braune Kulisse

Wertung

PSP