Silverfall - Test, Rollenspiel, PSP, PC

Silverfall
19.03.2007, Mathias Oertel

Test: Silverfall

Bislang dachte man bei Action-Rollenspielen eher an Titel wie Dungeon Siege, Titan Quest oder Sacred. Doch auch in Frankreich, genauer gesagt bei Monte Cristo, hat man sich die Mechanismen gut angeschaut. Doch reicht ein einzigartiger Grafikstil, um mit den großen Hack&Slayern gleichzuziehen? Oder ist Silverfall (ab 4,49€ bei GP_logo_black_rgb kaufen) vielleicht sogar noch mehr als das?

Diese Frage scheinen sich die Entwickler von Monte Cristo bei der Herstellung von Silverfall häufiger gestellt zu haben. Denn es finden sich einige Elemente, die eine Kategorisierung als Rollenspiel rechtfertigen würden: Dazu gehört z.B. eine Gruppe, die mit euch ins Abenteuer zieht und bei der jede einzelne der ingesamt acht verfügbaren Figuren ihre eigenen Beweggründe sowie ihre eigene Geschichte hat, die mit euch und der kürzlich durch Dämonen zerstörten Stadt Silverfall zusammenhängt.

Rollenspiel? Action-RPG? Hack&Slay?

Der experimentelle "Fast-Comic"-Stil der Kulisse gehört zu den Highlights des Ausflugs nach Silverfall!
Auch das Entscheidungssystem "Natur gegen Technik" hört sich viel versprechend an. Immerhin baut man hier auf eine Mechanik, die Bioware in Titeln wie Knights of the Old Republic oder Jade Empire bereits zu Erfolgen verholfen hat: Ursache und Wirkung zwingen zu Entscheidungen, die wiederum den Spielverlauf merklich beeinflussen. Dies kann eine Restriktion auf bestimmte Waffen sein, die z.B. der Technikfraktion nicht zugänglich sind etc.

Im breit gefächerten Fähigkeiten-Baum der eigenen Figur spielt dieses "duale System" ebenfalls eine Rolle. Denn neben allgemeinen Eigenschaften und Attributen, die sowohl Standardangriffe als auch Magie betreffen, finden sich auch rassenspezifische Modifikatoren und Fähigkeiten, die nur der Technik- bzw. Natur-Fraktion zur Verfügung stehen.

Doch die Hoffnung, dass Silverfall es schaffen könnte, als legitimer Nachfahre von Titeln wie Neverwinter Nights (Teil 1 wohlgemerkt) in den Software-Olymp einzuziehen oder wenigstens Titeln wie Knights of the Old Republic 2 Paroli bieten zu können, verpufft schnell.

So wird euch eine größtmögliche Entfaltungsmöglichkeit beim Aufstieg eures Charakters gegeben - zumal ihr bei Nichtgefallen auch bei bestimmten NPCs sämtliche Entscheidungen gegen bare Münze rückgängig machen könnt.

Allen anfänglich aufgebauten Illusionen zum Trotz, verbirgt sich hinter Silverfall ein lupenreines Hack&Slay - mit allen Vorzügen, die dazu gehören: Ein scheinbar nie enden wollender Gegnerstrom, eine eingängige, unkomplizierte Steuerung oder die ewige Jagd nach besseren Gegenständen. Und nachdem dieses Prinzip bereits bei Titeln wie Dungeon Siege, Sacred oder auch Titan Quest für unterhaltsame Stunden gesorgt hat, sollte man meinen, dass Silverfall leichtes Spiel hat - zumal ja die erwähnten Rollenspiel-Ansätze wie Party und Entscheidungen samt Konsequenzen eher selten im Hack&Slay zu finden sind.

Neben brachialen Nahkampfattacken könnt ihr natürlich auch Magie einsetzen, um den Gegner-Hundertschaften den Garaus zu machen!
Von guten Ansätzen und schlechter Durchführung

Das Team von Monte Cristo schien bei der Entwicklung von Silverfall genauso gespalten gewesen zu sein wie die Welt, die sie darzustellen versuchen. Je länger man spielt und in die einfachen Mechanismen eintaucht, umso mehr drängt sich dieser Eindruck auf. Denn genau wie die Welt Nelwe in einem Clinch zwischen Natur und Technik steht, so sehr kämpfen die Designer mit sich und ihren Ambitionen und Ideen. Die Ansätze sind von Anfang bis Ende gut und reizen immer wieder zum Weiterspielen. Vielleicht nicht gerade neu und schon gar nicht revolutionär - aber gut. Die Umsetzung lässt aber auf vor allem auf lange Sicht immer wieder zu wünschen übrig und nagt unaufhörlich an der Motivation. 

Nehmen wir z.B. die Entscheidungen, ob ihr eher dem Weg der Natur oder dem der Technik folgt. Wie bereits erwähnt, wirken sich eure Entscheidungen auf den Fähigkeitenbaum sowie die Benutzung bestimmter Gegenstände aus. Viel wichtiger ist jedoch, dass der Aufbau von Silverfall maßgeblich davon abhängt, welche Aufgaben ihr erfüllt. Dummerweise bekommt ihr davon jedoch nichts mit. Denn wenn ihr das erste Mal in die Hauptstadt zurückkehrt, fand der Wiederaufbau bereits statt und in 95% der Fälle habt ihr bereits alle relevanten Natur- bzw. Technik-Aufgaben erledigt bzw. abgelehnt. Sprich: ihr habt keine Möglichkeit, die Veränderung Silverfalls in kontinuierlichen Schritten mitzuerleben und dadurch eine stärkere Identifikation zu bekommen. Chance vertan - leider!

        

Auch das Party-System ist an sich gut und vom Ansatz her besser als in der Dungeon Siege-Serie. Nicht nur, dass ihr eure Mitstreiter ausrüsten und ihnen rudimentäre Anweisungen geben könnt, die von der KI gut umgesetzt werden - auch jeder eurer Mitläufer hat eine eigene kleine Geschichte, die mit eurem und dem Schicksal Silverfalls verknüpft ist. Und doch schafft es Monte Cristo nicht, mit dem offensichtlichen Vorbild Bioware gleichzuziehen. Denn wo in Knights of the Old Republic die NPCs untereinander auch noch persönliche Vorlieben und Abneigungen hatten, ist es in Silverfall vollkommen egal, wer an wessen Seite kämpft. Im Zweifelsfall könntet ihr die Heilerin auch neben ein Stück Brot stellen - das Konversationspotenzial wäre dadurch nicht geringer... Chance vertan!

Ihr könnt eure Party-Mitglieder (zwei aus bis zu acht möglichen Mitstreitern) frei ausrüsten!
Spätestens seit Diablo 2 ist angesichts einer steten Gegenstands-Flut ein durchdachtes Teleport-System gang und gäbe. Mittlerweile braucht man wie in Titan Quest nicht einmal mehr irgendwelche Tränke zu kaufen. Doch von Benutzerkomfort scheint man in Frankreich noch nicht viel gehört zu haben. Dass die leer geräumten Gebiete nach einem Neustart des Spieles wieder voll mit Gegnern sind, stört mich nicht - das war bei Diablo 2 nicht anders. Diese werden übrigens von Monstern bevölkert, die innerhalb eines bestimmten Bereiches mit euch mitleveln und damit immer eine angemessene Herausforderung darstellen.

Doch dass ich nur von bestimmten Punkten, die natürlich erst entdeckt werden müssen, zu bestimmten Locations teleportieren kann, stößt mir extrem sauer auf. Denn da die entsprechenden Teleport-Stellen nicht an strategisch sinnvollen Punkten, sondern mal dünner mal dichter über die Karte geworfen wurden, kann es passieren, dass ich meine Zeit in der Anfangsphase mehr damit verbringe, meine Gegenstände durch die Pampas zu tragen und sie beim Händler zu verschachern als der Story zu folgen.

Später wird das Teleportproblem mit zunehmenden Punkten zwar kleiner, doch andererseits wird auch der Gang zum Händler irgendwann überflüssig. Denn spätestens mit 300.000 Goldstücken im Gepäck interessiert es euch einen feuchten Goblindreck, ob ihr die Waffe noch aufsammeln müsst/könnt/dürft/braucht oder nicht... Chance vertan.

Und wo wir gerade dabei sind: Für das Inventarsystem gehört Monte Cristo gestraft - vorzugsweise mit dem Spielen von Titan Quest (das es auch nur unwesentlich besser machte) oder Loki, das schon in einer frühen Vorabversion mehr Potenzial in dieser Hinsicht zeigte.

Inventar-Nachhilfe nötig

Auf dern ersten Blick konventionell ausreichend, auf den zweiten und dritten indiskutabel: Das Inventar- und Gegenstands-System...
Positiv anzumerken ist, dass ihr weder Gewichtsbeschränkungen in Kauf nehmen noch Sorgen haben müsst, dass ein Gegenstand zu groß für das Inventar ist. Ein Dolch nimmt genauso viel Platz ein wie eine Zweihand-Axt. Eine grundsätzlich gute Entscheidung - und leider die einzig gute, wenn es um das Inventar geht.

Denn nicht nur, dass die differenzierten Geschwindigkeitseinteilungen der Waffen für Verwirrung sorgen - oder kann mir jemand erklären was "ausreichend schnell" oder "eher langsam" bedeutet? Im Zusammenspiel mit zahlreichen Modifikatoren, die sich durch weitere Gegenstände oder Eigenschaften aus dem Fähigkeitenbaum ergeben, verliert man schnell den Überblick, welche Waffe jetzt letztlich unter dem Strich besser ist.

Und als ob das nicht reichen würde, finden sich immer wieder Ungereimtheiten innerhalb der scheinbar nach dem Zufallsprinzip auf die Waffen, Rüstungen und Gegenstände verteilten Eigenschaften. Wenn mir jetzt noch jemand erklären kann, wieso ein Armrüstungsteil der Stufe 19 mit "guter Qualität" einen Schutz von 91 bietet, während ein identisches Stück der Stufe 22 mit "besonderer Qualität" nur einen Schutz von 70 bietet, dafür aber völlig irrelevante Resistenzboni gibt oder einem später Level 33-Handschuhe begegnen, die einen sagenhaften Schutzfaktor von fünf bieten: nur her damit. Ich bin für alle Vorschläge offen.

Doch über all das kann ich irgendwie irgendwo noch hinweg sehen, denn irgendwann findet sich schon eine neue Waffe oder ein neues Ausrüstungsstück, das ich stolz am Körper trage. Was das Fass allerdings zum Überlaufen bringt, ist das vollkommene Fehlen jeglicher Sortierfunktion: Wäre es wirklich so schwer gewesen, einen kleinen Algorithmus zur Verfügung zu stellen, der die aufgesammelten Gegenstände im Inventar zu Gruppen zusammenfasst und die Vergleiche mit den angelegten Items zumindest zeitlich etwas erleichtert? Chance definitiv vertan!      

Trotz vieler vertaner Chancen - von denen wir noch einige mehr nennen könnten - und trotz kleiner Bugs, die bei mir mehr als einmal für lautes Fluchen sorgten, konnte Silverfall mich immer wieder zum Durchspielen bewegen. Wieso? Weil selbst Monte Cristo die einfachen Hack&Slay-Mechanismen nicht kaputt kriegen kann. Und weil ich selber schuld bin, denn in meiner Naivität glaubte ich, dass Silverfall zum Ende noch einmal eine Schippe drauflegen würde.

Von Käfern, Mankos und Motivationsspendern

Die Übersichtskarte wird dynamisch mit euren Erkundungen aufgedeckt - und in Dungeons durch ein großes "Nichts" ersetzt - Orientierung Glückssache!
Zu diesem Zeitpunkt hatte ich mich schon daran gewöhnt, dass das Automapping, das in den abwechslungsreichen Außenarealen wunderbar funktioniert, in mal verschachtelten, mal offeneren Dungeons überhaupt nicht implementiert wurde. Na und? Habe ich halt einige Kisten liegen lassen. Ich hab sowieso seit Charakterstufe 40 nur in Ausnahmefällen etwas am Outfit geändert - und konnte dies mangels Ausrüstungsalternativen sage und schreibe bis zum Ende durchhalten, das etwa 15 Charakterstufen später nicht nur sehr unvermittelt, sondern auch extrem unspektakulär da war.

Zu diesem Zeitpunkt war es mir eigentlich fast schon egal, dass die eigentlich nur als Unterstützung konzipierte Kulisse mehr und mehr die Herrschaft übernahm und ich eigentlich nur noch sehen wollte, was noch an Landschaftsstrichen und Gegnern auf mich wartet.

Denn was die Entwickler in Sachen Spielmechanik nicht auf die Reihe bekommen haben, schaffen sie mit der Optik: Das Schaffen von Atmosphäre. Egal, ob ich düstere Sümpfe auf der Jagd nach Monstern durchstreife, mich durch Eiswüsten kämpfe, in dichten Wäldern Jagd auf Katzenwesen mache, die sich wie alle Figuren sehr geschmeidig bewegen oder in Gebirgsketten Goblins unschädlich mache: Silverfall kann sich wahrlich sehen lassen. Der Zeichenstil mit seinem Comic-Ansatz (jede Figur hat eine dünne schwarze Umrandung, die optional abgeschaltet werden kann) ist einzigartig, sehenswert und sehr fantasievoll. Das geht beim fast schon selbstverständlich scheinenden Ändern der äußeren Erscheinung mit neu angelegten Gegenständen los und hört erst beim Gegnerdesign auf. Hier holen die Designer alles aus der Natur-gegen-Technik-Thematik heraus und machen auch vor maschinell betriebenen Holzdrachen nicht halt, die wie eine Mittelerde-Variante eines trojanischen Feuerspuckpferdes auf Rädern aussehen. Klasse: Chance genutzt. Endlich einmal!

Darüber könnte ich manchmal vollkommen vergessen, dass Monte Cristo nicht einmal ansatzweise aus der plakativen Story herausholt, was herauszuholen ist und mir keinerlei Entscheidungsmöglichkeiten innerhalb der Dialoge vorgibt. Ganz im Gegenteil: Ich bekomme zwar erzählt, dass ich einen Goblin bedrohe, um Infos aus ihm herauszubekommen, aber wieso kann mir das Spiel nicht wenigstens suggerieren, dass ich eine Wahl habe und mir Entscheidungsmöglichkeiten geben?

Da ist es mir fast schon gleichgültig, dass ich per LAN oder Internet sowohl kooperativ als auch gegen andere Spieler an die Bewältigung der ohnehin nicht komplizierten Kämpfe gehen kann - auch wenn es hier nicht wie bei Titan Quest in der Anfangsphase nennenswerte Beeinträchtigungen durch Lags gibt.       

Fazit

Silverfall will viel, schafft es aber nicht, die selbst gestellten Ansprüche zu erfüllen. Die Welt von Nelwe steckt voller guter Ideen, die aber nur im seltenen Fall tatsächlich so ausgenutzt werden, dass aus ihnen auf lange Sicht Motivation wächst. Egal, ob Charakterentwicklung, Party-Interaktion, Story oder Entscheidung und Konsequenz: Überall deutet sich zaghaft Potenzial an, das Monte Cristo zielsicher nicht ausschöpft und wie im Falle des Inventarsystems sogar gnadenlos in die Steinzeit katapultiert. Was bleibt, ist ein Standard-Hack&Slay, das vor allem von seiner einzigartigen Kulisse lebt - allerdings viel mehr hätte sein können. Statt zu einem Diablo-Klon zu werden, hätte Silverfall das Zeug gehabt, die besten Elemente aus Rollenspielen wie KotOR oder Neverwinter Nights mit der Einfachheit, die Action-Rollis seit jeher auszeichnet, zu vereinen. Vollkommen anspruchslose Unterhaltung – quasi Hack&Slay-Fastfood. Und von Zeit zu Zeit ist es ja genau das, was man braucht. Und sei es nur, um die Zeit bis Sacred 2 oder Loki zu überbrücken…

Pro

  • interessanter Grafikstil
  • fantasievolles Gegnerdesign
  • im Normalfall gut agierende KI-Mitstreiter
  • automatisches Update der Übersichtskarte
  • Mitstreiter können ausgerüstet werden
  • einfache Steuerung
  • übersichtliche Charakterentwicklung

Kontra

  • vollkommen indiskutables Inventarsystem
  • Bugs, Abstürze
  • Wegfindungsprobleme
  • keine Karte in den Dungeons
  • enttäuschende Bosskämpfe
  • nahezu spannungsfreie Geschichte
  • Konflikt "Natur-gegen-Technik" findet nur nebenbei statt

Wertung

PC

Fantasievolles Grafikdesign und spielerisches Einerlei: Silverfall verschenkt viel Potenzial!