Def Jam: Icon - Test, Prügeln & Kämpfen, 360, PlayStation3

Def Jam: Icon
20.03.2007, Mathias Oertel

Test: Def Jam: Icon

Vom Untergrund-Label zum absoluten Markenzeichen, Trendsetter und Synonym für Hiphop: Die Rede ist vom 1984 gegründeten DefJam-Label, das mittlerweile sogar zum wiederholten Male als Grundlage für einen urbanen Prügler genutzt wird. Gelingt dem Fight Night Round 3-Team mit Def Jam Icon das Kunststück, den ersten echten Prügler der nächsten Generation in den Ring zu schicken?

Ein kurzer Blick zurück: Als Electronic Arts 2003 den ersten Prügler rund um die Hiphop-Stars des DefJam-Musiklabels veröffentlichte, waren PS3 und 360 wohl kaum mehr als Bleistiftstriche auf einem Planungsbrett. Damals entwickelt von AKI, bediente man sich bekannter Wrestling-Spielmechaniken und baute eine plakative, aber dennoch extrem gut funktionierende, da authentisch wirkende Geschichte um das solide Grundgerüst. Da man sich zudem der offiziellen Künstler und ihrer Tracks bedienen konnte, war auch von dieser Seite für eine gelungene Atmo gesorgt.

Vom Wrestling in die Zukunft

Standbilder können den coolen Stil nicht transportieren - und machen auch nicht klar, welche ernorme Rolle die Musik in Icon spielt!
Etwa eineinhalb Jahre später ging die DefJam-Saga mit Fight for NY in eine neue Runde: Deutlich düsterer, mit feinen Steuerungsfinessen und einfach schmutziger und ein bisschen verrucht kam man dem urbanen Badboy-Image, das man häufig mit den DefJam-Künstlern assoziiert, recht nahe - auch wenn es spielerisch immer noch Verbesserungsbedarf gab. Immerhin gab es weiterhin eine vollkommen überzogene Story, coole Musik und HipHop-Stars ohne Ende.

Auftritt Def Jam Icon: Mittlerweile in den Händen des Fight Night 3-erfahrenen Teams von EA Chicago unter Leitung von Kudo Tsunada (der einzige, dessen Sonnenbrillen-Fetisch größer als der von Bono zu sein scheint), geht die DefJam-Franchise in die nächste Runde - das erste Mal NextGen, das erste Mal mit der Chance, neue Wege zu gehen und Zeichen zu setzen. Der erste echte Prügler der nächsten Generation?

Ja: DefJam Icon hat definitiv seine Schwächen - auf die gehen wir auch gleich noch lang und breit ein. Aber eines kann man ihm bestimmt nicht vorwerfen: Fehlende Atmosphäre. Angefangen vom lizenzierten Soundtrack bis hin zur vollkommen überkandidelten und nahezu jedes Goldkettchen-Klischee bedienenden Geschichtedes Einzelspieler-Modus trieft DefJam-Icon HipHop aus den Poren.

HipHop in jeder Pore

Ihr startet als Protege eines Musik-Label-Besitzers und müsst nach und nach dafür sorgen, dass A) viel versprechende Künstler bei eurem Label anheuern und B) diese Künstler sowie C) die holde Weiblichkeit, die sich um euch reißt, nach allen Regeln der monetären Kunst zufrieden gestellt werden.

Um Punkt A zu gewährleisten, müsst ihr meist dem HipHopper aus irgendeiner Patsche helfen, was im Normalfall bedeutet, dass ihr einem Stalker, einem gegnerischen Talentscout oder auch einem Reporter das Blaue aus den Augen prügelt. Im Gegenzug schließen sich Sänger wie Ludacris oder Sean Paul eurem Label an und beginnen Platten für euch aufzunehmen. Das Geld, das die imaginären Verkäufe in eure Kasse spülen, gebt ihr im Gegenzug für Marketingmaßnahmen beim nächsten Song aus, so dass im Bestfall ein nicht enden wollender Geldstrom direkt auf euer Konto führt.

Die Qualität der Zwischensequenzen ist grandios!
Papparazis, die euren Schützlingen auf den Geist gehen; gegnerische Label-Besitzer, die eine feindliche Übernahme planen; Knatsch eurer Stars untereinander; Rapper, die sich lieber auf die Produktion eines Videospiels konzentrieren, anstatt auf Tour zu gehen: Icon lässt kein Klischee aus, betrachtet sich aber auch immer wieder mit einem lachenden Auge und versetzt der ohnehin nach wie vor verrufenen Branche kleine Seitenhiebe, die das Spielgeschehen angenehm auflockern. Ebenso wie die zahlreichen Gastauftritte nicht nur der angesagtesten HipHop-Acts, sondern auch von Schauspielern wie Anthony Anderson (Romeo Must Die, Exit Wounds, Scary Movie-Serie), der nicht nur wie die gesamte Künstlerriege einer Figur im Spiel seine Stimme leiht, sondern auch sein Konterfei zur Verfügung gestellt hat.

Aber wie schon erwähnt: Damit die Ansprüche eurer Künstler (wer will nicht ein vollkommen überteuertes Designer-Handy haben?) und die der gelegentlich zu Treffen bereiten Mädels befriedigt werden können, hilft immer eine kleine monetäre Reserve...

Und vor allem in dieser Hinsicht zeigt sich, was die viel beschworene "nächste Generation" auf dem Kasten hat: Die Zwischensequenzen werden mit der normalen Engine dargestellt und überzeugen mit extrem detaillierten Figuren, die sich natürlich und geschmeidig bewegen. Fast könnte man den Eindruck bekommen, dass MTV hier eine neue HipHop-Soap in Auftrag gegeben hätte.

    

Denkt man an Prügelspiele, kommen einem Titel wie die Tekken-Serie in den Kopf, StreetFighter (wenn man ein Retro-Fan ist), Segas Virtua Fighter-Reihe dürfte vergleichsweise häufig genannt werden, Dead or Alives und Mortal Kombats ebenso und dank jüngster Erfolge sowie einer durchdachten neuen Steuerung auch die jüngsten Ableger der Fight Night-Serie.

Der schmale Grat

Da Icon vom gleichen Team stammt wie die grafisch opulenten K.O.-Schlachten mit Total Punch Control, ist es nicht verwunderlich, dass die HipHop-Kämpfe im Grundtenor eher an die taktischen Box-Duelle erinnern als an schnelle Button-Mashereien eines DoA oder Tekken.

Natürlich kommt in der Welt der HipHopper auch die holde Weiblichkeit nicht zu kurz!
Um Chanchengleichheit in der Arena zu gewährleisten, können alle Kampfelemente, bei denen ihr direkt Kontakt mit dem Kontrahenten aufnehmtt, nach dem Schere-Stein-Papier-Prinzip gekontert werden. Schläge (wahlweise hoch/tief/stark/schwach) weichen Blocks, diese wiederum sind für Griffe anfällig und diese schließlich ziehen gegen die Schläge den Kürzeren. Klingt einfach - und das ist es auch. Und das, obwohl neben den Knöpfen auch der rechte Stick immer wieder zum Einsatz kommt.

Obwohl die Kämpfe ähnlich taktisch abzulaufen scheinen wie beim Boxen und das Team seine Expertise diesbezüglich unter Beweis gestellt hat, kommt kein wirklicher Spielfluss auf. Denn die Dynamik, die man in der gut erzählten Story findet und die man im Allgemeinen auch mit HipHip assoziieren kann, fehlt dem Kampfgeschehen fast vollkommen. Die Bewegungen wirken fast schon lethargisch und sind z.B. meilenweit von den Kombo-Donnerwettern eines Tekken- oder Virtua Fighter-Kalibers entfernt. Die dynamische Kamera positioniert sich zusätzlich manchmal in einer ungünstigen Position und verdeckt einen der Kämpfer, so dass man gelegentlich im Unklaren ist, was man jetzt wie kontern sollte.

Doch EA Chicago zeigt mit nur einer Kleinigkeit, dass Prügelspiele noch lange nicht ausgereizt scheinen und liefert quasi mit nur einem Geniestreich den Hauptgrund, sich auf Icon einzulassen: Der Interaktion mit der Umgebung, die in diesem Fall auch eine Interaktion mit der Musik bedeutet.

Und dass der umfangreiche Gegner-Pool namhafter Stars kaum Unterschiede hinsichtlich Stil oder Bewegungsrepertoire erkennen lässt, nagt ebenfalls an der Gesamtwertung.

Die Musik ist in dir

Stellt euch folgendes vor: Vor jedem Kampf könnt ihr euch einen Song aussuchen, der euch "repräsentiert". Dieser Rhythmus dudelt jetzt nicht nur im Hintergrund vor sich hin, wie man es aus den üblichen Verdächtigen kennt, sondern nimmt aktiv am Geschehen teil! Bitte was?

In jedem Abschnitt gibt es Hot Spots, die teilweise aktiviert werden müssen, teilweise automatisch passgenau zu den Beats ins Geschehen eingreifen. Das können z.B. Zapfsäulen einer Tankstelle sein, die bei einem Monster-Bass-Beat explodieren und den Gegner in Mitleidenschaft ziehen. Oder eine gigantische Lautsprecherwand in einer Disco, die allen in der Nähe befindlichen HipHoppern (euch inklusive) eine enorme Druckwelle entgegen schickt - natürlich immer im Rhythmus der Musik. Oder aber ein Fernsehstudio, in der Kameras und Lichtbalken passend zum Beat automatisch angreifen und alle wegschleudern, die das Pech haben, im Weg zu stehen (oder in den Weg geworfen worden zu sein, hehe).

Diese Interaktion ist grenzgenial und lässt sich zusätzlich von euch beeinflussen. Über Kombination von Schultertasten und Sticks könnt ihr quasi "Scratchen" und damit die Hot Spots manuell aktivieren - das ist nicht nur cool, sondern vor allem im Spiel zu zweit immer wieder ein Brunnen extremer Genugtuung.

Die Kämpfe sind explosiv und sehr interaktiv - aber auch zäh!
Die Möglichkeit, den Track zu wechseln, sollte auch nicht unterschätzt werden: Läuft die Musik eures Gegners, kriegt dieser einen leichten Angriffsbonus - ebenso, wenn er vor seinem Angriff eine Spottgeste anbringen kann, ohne von euch gebitchslapt zu werden. Also versucht stets dafür zu sorgen, dass eure Musik aus den Lautsprechern kommt!

Allerdings hat man die unter dem Strich doch sehr überschaubaren Hot Spots in jedem der Abschnitte sehr schnell kennengelernt und im Griff, so dass sich die anfängliche Euphorie auf Höllentemperatur vergleichsweise schnell auf Sommerhitze reduziert.

Mit all diesen Möglichkeiten hat Icon eigentlich alles in der Hand, um eine neue Ära der Prügler einzuleiten. Wenn, ja wenn das Kampfgeschehen an sich etwas schneller und dynamischer wäre. So aber steht man sich selbst im Weg, genießt die detaillierten Charaktermodelle, die im Laufe des Kampfes auch deutliche Spuren zur Schau tragen (Blutergüsse, zerrissene Kleidung, etc.) und schaut sich die immer wieder gleichen Animationen des zu klein geratenen Repertoires an, das noch nicht ganz den Sprung in die nächste Generation geschafft hat.

Die Differenzen zwischen der 360-Version und dem PS3-Pendant halten sich in überschaubaren Grenzen. Es gibt keinerlei exklusiven Kämpfer - sowohl auf wahre DefJam-Ikonen wie LL Cool J oder Run DMC als auch den aktuellen Prez Jay-Z müssen beide verzichten.

Der Star ist in diesem Fall eindeutig die Musik - und das ist leider zu wenig, um auf Dauer überzeugen zu können.

Versionsunterschiede

Größere Chancen hat die nur auf 360 verfügbare Möglichkeit, seine eigenen Musiken ins Spiel einzubauen. Dieser ganze Vorgang ist aber zum einen unnötig kompliziert (eure eigenen Files müssen in einer speziellen Playlist abgelegt und über den Guide-Knopf abgerufen werden), zum anderen in der Ausführung mehr als fehleranfällig. Zwar könnt ihr aus verschiedenen Equalizer-Einstellungen auswählen, doch keine schafft es, die privaten Beats ansprechend zu visualisieren - zumindest nicht so, dass man sie gezielt zu seinen Zwecken im Kampf einsetzen kann.

Auch technisch ähneln sich beide sehr stark. Das übliche Anti-Aliasing-Problem der PS3 tritt zwar auch hier auf, fällt aber im Spielverlauf nicht so sehr ins Auge und beeinflusst den Gesamtspaß in keiner Form.

Insofern müssen die PS3-User diesem fehlenden Feature keine Träne nachweinen.

Beim Rest des Technikvergleiches (Ladezeiten, Online-Spiel etc.) kann sich keine Konsole entscheidend hervortun, so dass ihr letztlich auf beiden Systemen glücklich werdet.  

Fazit

Ich bin von DefJam Icon hin- und hergerissen. Auf der einen Seite haben wir eine richtig coole und von allen Klischees durchzogene HipHop-Story, die sich auch nicht zu schade ist, augenzwinkernd über sich selbst herzuziehen. Angefeuert von teils phänomenal gut aussehenden Zwischensequenzen mit englischen Original-Dialogen wird hier ein sauberes Motivations-Fundament geschaffen. Auch die Idee, die Musik so innovativ ins Kampfgeschehen einzubeziehen, hätte nach den ersten Spielesessions fast den Griff zu Edelmetall nötig gemacht. Doch mit zunehmender Spieldauer treten die Mankos von DefJam Icon immer mehr zu Tage und nagen Prozent um Prozent vom Wertungskuchen ab. Um auf lange Sicht mit Kalibern eines Virtua Fighter 5 mithalten zu können, bieten die DefJam-Fighter einfach zu wenig Variation untereinander als auch im begrenzten Bewegungsrepertoire jedes Einzelnen. Auch der so ganz und gar nicht der Rap-Dynamik entsprechende leicht zähe Kampfablauf macht deutlich, dass gute Ideen alleine noch kein richtig gutes Spiel ausmachen. Technisch kann man Icon die Qualitäten trotz etwas mauer Animationen und der (nur auf 360 vorhandenen) unzureichenden Musikerkennung für eigene Tracks nicht absprechen. Als überzogenes Spiegelbild der HipHop-Kultur gibt es derzeit ebenfalls kaum etwas Gleichwertiges. Als Prügler hingegen spielt DefJam Icon dennoch nur die zweite Geige.

Pro

  • interaktive Umgebungen
  • stylische Kulissen
  • coole Effekte
  • total abgefahrene „Milieu“-Story
  • interessante Steuerung nach Schere-Stein-Papier-Prinzip
  • exzellenter Soundtrack
  • teils spektakuläre Arena-Hotspots
  • umfangreicher Figuren-Editor

Kontra

  • Kämpfer spielen sich alle sehr ähnlich
  • auf Dauer Schauplatz-Armut
  • ab und an ungenau wirkende Kollisionsabfrage
  • wenige Hotspots in jeder Arena
  • mitunter unglückliche Kameraperspektive
  • „Current-Gen“-Animationen

Wertung

360

Coole Kulissen, coole Story - wenn jetzt noch die Kampfmechanik mithalten würde...

PlayStation3

Als HipHop-Spiel durchaus empfehlenswert, als Prügler nur zweite Wahl...