Pro Evolution Soccer 2008 - Test, Sport, 360, PC, PlayStation3, Wii, PSP, NDS, PlayStation2
Die Qual der Wahl
Damals in den 80ern gab es noch immense Unterschiede zwischen einem Kick-Off, einem Microprose oder Sensible Soccer. Oder man denke an das grandiose, bis heute faszinierende Emlyn Hughes International Soccer für den C-64: Ein Traum, lange bevor Konami die Fußballherzen mit PES eroberte. Egal ob Perspektive, Steuerung oder Spielmechanik - der Ball lief je nach Titel ganz anders. Diese Vielfalt wurde eine Zeit lang auf Konsolen fortgesetzt, aber heute fahren FIFA und PES in Sachen Steuerung und Konzept fast auf einer Schiene.
Damit ist jetzt Schluss, denn die Japaner haben für Wii neue Weichen gestellt: Dieses Pro Evolution Soccer 2008 nutzt zwar die hervorragende Statistik- und Animationsbasis der großen Brüder, sieht auch genau so aus, aber spielt und steuert
sich komplett anders. Es fühlt sich beim ersten Mal fast an wie Echtzeitstrategie, wenn man per "Point&Drag-System" zwei, drei Einheiten markiert und per Richtungspfeil zum Angriff marschieren lässt. Oder wenn man schnell in die Defensive wechselt, um seine Verteidigung mit schnellen Klicks zu ordnen.Analogstick war gestern
Was macht Konami anders? Die Japaner entziehen dem Analogstick bzw. dem Digikreuz die Macht der alleinigen Steuerung, lassen die KI nur noch die zweite Geige spielen und übertragen euch die Verantwortung über die komplette Mannschaft. Kontrollierte man bisher traditionell nur den Ball führenden Mann (Off-the-Ball mal außen vor), während die Computerintelligenz den Rest des Teams mehr oder weniger sinnvoll mitlaufen ließ, kontrolliert man jetzt auf Wunsch jeden einzelnen. Egal ob Laufwege in der Offensive oder Deckungsverhalten in der Defensive - ihr bestimmt, wer, was und wo etwas gemacht wird.
Neue Freiheit im Raum
Doch die Grundmanöver sind einfach: Die Remote wird quasi zur Maus des Fußballtaktikers, mit der man Pfeile zieht und Positionen anvisiert. Mit ihr bewegt man ein Fadenkreuz, das jeden Bereich des Feldes erreichen kann. Klickt man auf einen Spieler, kontrolliert man ihn und kann seine Laufrichtung und Geschwindigkeit über das Fadenkreuz und einen Druck auf den A-Knopf bestimmen. Dribblings werden über schnelle Klicks an unterschiedliche Positionen im Raum ausgeführt; das Sprinten mit Ball funktioniert laut Anleitung, indem man den A-Knopf länger gedrückt hält. Allerdings braucht man dafür Platz nach vorne - wir konnten nur dann dribbeln, wenn wir den Richtungspfeil länger in den freien Raum gehalten haben, aber nicht wirklich punktgenau und in jeder Situation auf Knopfdruck.
Pass in den freien Raum
Das Bereichernde ist, dass ihr auch einfach auf einen freien Punkt des Feldes zeigen und dorthin passen könnt: Danach spurtet der am nächsten stehende Spieler sofort von seiner Position zum Zielort - das funktioniert sehr gut und sorgt schnell für Dynamik auf dem Feld, denn ich kann Freiräume schaffen und die Statik im Spielaufbau durchbrechen. Im klassischen PES kann ich zwar auch tödliche Pässe in die Tiefe spielen, weiß aber nie genau, wohin der Ball letztlich rollt. Hier bestimme ich von Anfang an den Ort im Raum. Allerdings gibt es hier manchmal ein Problem mit dem sichtbaren Bereich: Manchmal ist das freie Feld für eine weiten Pass in die Tiefe in der Kameraperspektive gar nicht einsehbar; überhaupt wären mehr als zwei Kamerawinkel wünschenswert gewesen.
Damit kommt dennoch nicht nur eine neue strategische Komponente, sondern auch eine gehörige Portion Freiheit und Unberechenbarkeit ins Spiel: Ich kann mit meinem Mittelfeldregisseur z.B. nach vorne traben, indem ich ihn mit dem Nunchuk bewege, und gleichzeitig den linken und rechten Flügelspielern Befehle geben, indem ich ihre Laufwege mit der Remote ins Feld zeichne - daraufhin spurten sie zu den anvisierten Stellen. Aber wen spiele ich an? Und wie reagiert der Verteidiger? Fragen über Fragen, die dieses Spiel im Sekundentakt stellt - Konzentration ist hier alles.
Strategie & Möglichkeiten
Besonders gelungen ist das Antizipieren der Pässe: Sobald man einen gegnerischen Spieler mit der Remote angeklickt und so einen Verteidiger auf diesen angesetzt hat, bleibt er am Mann in passiver Lauerstellung. Und was passiert, wenn der Pass kommt? Er stört den Gegner zwar, aber erst wenn man selbst kurz vorher den Z-Button drückt, bewegt er sich vor den Mann und fängt den Ball ab - sehr schön! In der Defensive ist man also nicht mehr auf das Verhalten der KI angewiesen und kann hier viel mehr als die klassische Doppeldeckung einleiten. Trotzdem hat das System einen Haken: Vergisst man mal einen Innenverteidiger, dann bleibt der selbst dann tatenlos stehen, wenn ein Stürmer an ihm vorbeiläuft - ein letzter automatisierter Rest an Eigeninitiative hätte hier nicht geschadet. Das bezieht sich auch auf aktivierte, also in Deckung geschickte Verteidiger, die von alleine fast nie zum Spurt damt Rettungsgrätsche ansetzen. So entstehen schnell Löcher in der Abwehr.
Wenn dieses manuelle Abfangen klappt, fühlt sich das Spiel natürlich gut an, denn es funktioniert auch in der Gruppe. Sprich: Ich setze gleich drei Abwehrspieler auf drei wartende Stürmer an, indem ich sie anklicke. Wenn jetzt der Pass kommt und ich Z drücke, bewegen sich alle drei vor den Mann! Das ist z.B. auch eine alternative Form der Abseitsfalle, wenn ich so die komplette Viererkette aktiviere. Kann allerdings ins Auge gehen, wenn man sich verschätzt und unnötig Räume frei macht.
Befindet ihr euch in Tornähe, kann entweder ein Lupfer über das Heben der Remote eingeleitet oder über das Schütteln des Nunchuk zum Schuss oder Kopfball angesetzt werden. Das funktioniert auch gut, bietet aber unterm Strich noch zu wenig Kontrolle: Ich kann die Richtung des Balles einfach nicht präzise genug bestimmen - hier kommen einfach die Statistiken des Spielers zur Geltung. Konami hat uns zwar versichert, dass je nachdem, wie man das Nunchuk Richtung Tor bewegt, hoch
oder flach, links oder rechts geschossen wird. Aber in der Praxis war davon selten etwas zu spüren und warum gibt es dann kein Training dafür? Man kann zwar wunderbar in die Laufrichtung schießen, und den Ball sogar am Torwart vorbei ins Netz legen, aber Schussrichtungswechsel im Lauf waren knifflig. Außerdem verzieht man das Nunchuk schon mal in der Hektik des Strafraums. Natürlich wird dann trotzdem auf das Tor gefeuert, da nur die Werte des Spielers entscheidend sind. Aber damit ist die manuelle Präzision im Abschluss noch ein Schwachpunkt, denn so kommen die Strafraumszenen letztlich nicht an den Nervenkitzel des großen Vorbilds heran. Ausgeglichen wird das jedoch durch das freiere Kopfballspiel: Man kann wunderbare Flanken in den Strafraum ziehen und dann wird schon mal mit einer Kopfballbombe oder einem Volley abgeschlossen - wenn die Dinger sitzen, kommt Freude auf!Schuss aufs Tor
Zweikämpfe & Defensive
Bei Ecken und Freistößen hat Konami leider wenig Kreatives in petto. Bei Standards herrscht zwar theoretisch mehr Bewegung als sonst, denn ihr könnt vor der Ecke zwei, drei Spielern Laufwege in den Strafraum vorgeben - das war's aber auch schon. Und die direkten Freistöße verkommen zu faden Schüttelaktionen, da man auch hier die Zielpräzision vermisst: Beckham steht vor der Mauer, man schüttelt das Nunchuk und das Glücksspiel beginnt - hier hätte man wesentlich mehr aus Remote & Co herausholen können. Lediglich beim Elfmeter hat man sich etwas mehr Gedanken gemacht, denn hier zeigt ihr mit der Remote auf die gewünschte Ecke, könnt das Fadenkreuz beim Spiel gegen einen Freund plötzlich ausblenden und dann per Nunchuk schießen. Außerdem kann der Torwart nach rechts oder links tänzeln und dann über die Remote und das Steuerkreuz in die Ecke hechten - unterm Strich ein gelungenes System. Taktikwechsel wie Pressing, Konterspiel & Co werden einfach über das Steuerungskreuz aktiviert. Etwas nervig ist lediglich das Auswechseln: Hier muss man seine Spielerfiguren von der Ersatzbank greifen und dann auf die gewünschte Position ziehen - da die Spielergrafiken viel zu klein sind und dicht beieinander stehen, kommt es hier immer wieder zu Fehlern. Es wäre komfortabler gewesen, das auf Knopfdruck zu regeln.
Spielmodi & Karriere
Eure Spieler gewinnen jedoch nicht wie auf PS3, 360 und PC universell Erfahrung, die dann automatisch in ihre Werte einfließt, sondern in sechs Bereichen von Angriff, Abwehr, Ausdauer bis hin zu Technik, Stärke und Geschwindigkeit. Immer
dann, wenn ein Spieler genug Erfahrungspunkte in einem dieser Bereiche gesammelt hat, könnt ihr euch für die Entwicklung bestimmter Grund- oder Spezialfähigkeiten entscheiden: Soll der Stürmer seine Offensivstärke erhöhen oder gleich das 1-gegen-1 verbessern? Soll er erstmal sein Tempo steigern, zum Kopfballmonster werden oder sein Positionsspiel im Strafraum meistern? Es liegt an euch, wie ihr eure Spieler entwickelt und gerade das sorgt für Motivation.Der Clou an dieser Karriere ist zudem, dass ihr nach jedem Sieg gegen ein Team auch einen oder zwei Spieler desselben gewinnt: Wie in einem Kartenspiel stehen euch verdeckt alle zur Verfügung und ihr zieht quasi blind. Die einzigen Hinweise sind Sätze wie "Er beherrscht das Mittelfeld" , "Er wird niemals müde" oder "Setze ihn auf den Flügeln ein". Wer gegen ein Team wie Arsenal spielt, kann also Glück haben und Ljungberg erwischen oder Pech haben und einen zweitklassigen Ersatzspieler. Warum soll man seine Jungs überhaupt ausbilden, wenn man Top-Spieler bekommen kann? Die Stars haben natürlich wesentlich bessere Grundwerte als eure Anfänger, aber dafür starten selbst Henry & Co ohne Spezialtalente, wenn ihr sie in den Kader aufnehmt.
Online-Erfahrung, Miis & Co
Aber das ist im Jahr 2008 einfach zu wenig, wenn sich eine aktive Community bilden und eine lange Bindung an das Spiel entstehen soll. Der schwachbrüstige Editor wird da auch kaum Abhilfe schaffen: Lediglich Profi- und Teamnamen könnt ihr ändern, keine Wappen, Trikots oder Schuhe. Last but not least gibt es zwar noch ein auf den ersten Blick witziges Gimmick, denn ihr könnt auch eure selbst erstellten Miis aufs Feld schicken. Das ist in der Praxis jedoch ein einziger unübersichtlicher Wust aus Riesenköpfen, der kaum noch zwischen Freund und Feind unterscheiden lässt.
Fazit
Das ist angenehm frischer, angenehm strategischer Fußball! Kein nervöser Fuchtelkick, kein leichter Arcadekram, sondern Rasenschach für Experten. Hier muss man sich zwar erst ein paar Stunden reinknien, bevor man alle Möglichkeiten vom Doppelpass bis zur Körpertäuschung verinnerlicht hat, aber dann wird man mit einer neuen Freiheit auf dem Platz belohnt. Schnelle Reaktionen sowie der Blick für den Raum sind hier wichtiger als je zuvor, denn ihr bestimmt jeden Laufweg, egal ob mit oder ohne Ball; ihr regelt die Abseitsfalle und plant den nächsten Zug per Point&Drag. Diese Steuerung ist anspruchsvoll, aber angenehm intuitiv und überraschend vielseitig. Das, was in anderen Spielen die KI regelt, kann hier direkt von euch kontrolliert werden. Man fühlt sich fast wie ein Dirigent in einem Orchester, wenn man mit der Remote den nächsten Ton angibt. Es gibt jedoch einige Dissonanzen: Bei der Balleroberung verhält sich die eigene Defensiv-KI manchmal zu passiv, die Freistöße bieten leider Statik ohne kreative Überraschungen und im Strafraum kommt man nicht an den Nervenkitzel des Originals heran. Ich vermisse im Abschluss die letzte Richtungskontrolle, die das Schütteln des Nunchuk scheinbar nicht bieten kann. So angenehm taktisch der Spielaufbau ist, so unbefriedigend ist manchmal der Abschluss. Die Champions Road ist für Solisten kurzweilig, aber kann mit ihrer Transferlotterie nicht an den Reiz der Meisterliga anknüpfen. Überaus lobenswert ist die technische Stabilität des Online-Modus, der bisher in fast allen Matches lagfreies Spielen ermöglichte; enttäuschend ist jedoch der fehlende Komfort - keine Lobby, keine Ranglisten, keine Turniere, kaum Statistiken. Hier verschenkt man aufgrund einer veralteten Onlinestruktur samt Freundescodeschieberei verdammt viel Spaß und Potenzial für Communitybildung. Trotzdem ein Lob an Konami: Es ist mutig, auch auf Wii dem Simulationsanspruch treu zu bleiben und etwas Neues zu probieren. Denn so wird das Fußballgenre endlich um einen alternativen Ansatz bereichert. Wenn man den noch in Sachen Defensivverhalten, Standards und Schusskontrolle verfeinert, müssen sich die Vertreter der alten Schule warm anziehen - ich freu mich schon auf den Nachfolger!
Pro
- endlich ein neuer Fußballansatz
- innovative Steuerung
- viele frische Spielstrategien möglich
- manuell aktivierbare Abseitsfalle
- technisch sauberer Online-Modus
- vorbildliche Trainingsstruktur+ spannendes Elfmeterschießen
- anfangs interessante Champions-Road mit Fähigkeiten & Transferglück…
Kontra
- es fehlt Richtungspräzision im Abschluss
- eigene Defensiv-KI ohne Initiative
- fast keine Statistiken im Online-Modus
- enttäuschende Freistöße
- keine Lobbyfunktionen, keine Rangliste, kein Feedback, kein Chat
- schlampig übersetzte Texte
- …die aber auf lange Sicht die Komplexität der Meisterliga vermissen lässt