Geheimakte: Tunguska - Test, Adventure, PC, Wii_U, Wii, NDS, Switch
Wasser fließt. Butter schmiert. Klebeband klebt. Katzen mögen Thunfisch. Hunde mögen Fleisch. Salziges macht durstig. Gelb und Blau ergeben Grün. Magnete ziehen Eisen an. Männer mögen Frauen. Glühbirnen platzen bei Überhitzung. Rizinusöl macht den Magen frei. Die Zwille schießt die Lampe aus. Der Muskelprotz biegt das Eisen um...
Herrlich logisch!
Warum ich mich darüber so freue? Weil es sich durch das ganze Spiel zieht. Weil es auch mit Remote & Co herrlich intuitiv von der Couch aus zu bedienen ist - Nina läuft per analogem Nunchuk-Stick einen Tick schneller, das Inventar lässt sich ausblenden und Items kann man kinderleicht über den A-Knopf kombinieren. Auf dem DS kann ich entweder per Digikreuz oder Stylus laufen. Ein netter Zusatz für Wii: Wer das Abenteuer als Paar genießen will, kann im "kooperativen" Modus mit zwei Remotes loslegen, wobei der Partner allerdings nur auf Stellen zeigen und per A-Knopf dort ein Ausrufezeichen hinterlassen kann - relevante Spielaktionen kann er nicht ausführen. Auch etwas mehr Kreativität in Sachen bewegungssensitiver bzw. Stylus-Steuerung hätten Wii- bzw. DS-Knobler durchaus erwarten können. Spiele wie Zack & Wiki oder Hotel Dusk sind hier Lichtjahre voraus und beweisen, dass man aktive Bewegungen sinnvoll in Rätsel einbinden kann. Hoffentlich wird man bei Geheimakte 2 etwas mehr auf die Fähigkeiten der beiden Konsolen eingehen.
Überraschung in Sibirien
* Items leuchten nicht auf, keine SprachausgabeDas Ganze wurde 2006 von einem kleinen deutschen Team ohne großes Tamtam entwickelt. Puzzledesigner Jörg Beilschmidt und die Jungs von Animation Arts tauchten mit diesem PC-Abenteuer ebenso überraschend auf der Adventure-Bühne auf wie im Frühling 2004 die unbekannten Tschechen von Unknown Identity mit Black Mirror. Sie lösten damals keinen Sturm der Innovation aus, der das Genre umwälzte, aber sie brachten angenehm frischen Wind in die verstaubte Statik der PC-Adventures - und der weht jetzt auch auf Wii und DS: Die Lösung ist immer zum Greifen nah, die Belohnung ist der nächste Schritt in einer Story, die Happen für Happen mehr Appetit macht. Die Probleme sind mal augenscheinlich, mal knifflig, mal komplex, aber nie unfair oder künstlich schwer. So muss es in jedem Adventure sein. Ich will Probleme nicht über sieben abstruse Ecken lösen, sondern über den logischen Weg. Und dann meinetwegen auch über drei oder vier Ecken - es muss nur nachvollziehbar sein.
Trotzdem überwiegt auch auf Wii und DS der klassische Knobelspaß.
Die Änderungen der Wii-Fassung: * Rumble-Effekt bei Rätseln * Items leuchten beim Draufzeigen * Inventar ein/ausblendbar * kooperatives Spiel mit 2. Remote * 16-9-Modus für Breitbildfernseher * inkl. neues Ende, das auf dem PC im Oktober 2006 per Patch nachgeliefert wurde Die Unterschiede zur DS-Fassung: * neue Portraitbilder in Dialogen * einige Stellen werden größer angezeigt |
Natürlich muss man auch in Tunguska mal über Hürden knobeln und ärgerliche Inkonsequenzen in Kauf nehmen (Wieso kann ich erst dann das Betäubungsmittel nehmen, wenn ich etwas darüber gelesen habe?), aber das gehört dazu. Insgesamt bietet das Spiel im Genrevergleich aber kaum Frustmomente und dazu noch eine unheimlich gute Mischung an Kopfnüssen, die alles von der einfachen Schlüsselsuche über die Itemkombination bis hin zum recherchierten Codewort oder Verschieberätseln abdecken. Mal muss man die Umgebung gut beobachten und ihre Zeichen deuten oder einfach Gespräche aufmerksam verfolgen. Damit ist es sowohl für Einsteiger als auch Veteranen interessant, falls sie das Mysterium um Tunguska lösen wollen. Und dafür brauchen sie theoretisch keinen Walkthrough, denn das Spiel bietet genug interne Unterstützung.
Kampf den Sackgassen
Der Hilfekomfort geht noch weiter: Zum einen notiert euer Tagebuch wichtige Ereignisse, so dass ihr in Ruhe alles nachschlagen könnt. Zum anderen könnt ihr euch auf Wunsch sogar Tipps anzeigen lassen, falls ihr mit Nina nicht weiter kommt. Es gibt an einer Stelle ein kniffliges Verschiebe-Rätsel: Ihr müsst alle leuchtenden Punkte auf einem Spielbrett ausschalten. Hier kann man sich einen Wolf klicken. Hier kann man zum ersten Mal frustriert sein. Und hier könnte man das Spiel verfluchen. Aber wer in der Rätselhilfe hinten nachschlägt bekommt einen Tipp für die ersten drei Züge - danach sollte es klappen. So sieht guter Service aus! Ich entscheide als Spieler, ob ich zwei Wochen Gehirnjogging betreiben will oder sofort in der Story weiter kommen möchte. Allerdings hat die optionale Hilfe einen Nachteil: Sie ist nicht immer verfügbar, sondern nur dann, wenn irgendwo ein Fragezeichen auftaucht - es wäre wesentlich besser, wenn diese Hilfe mir zu jeder Zeit mehrstufige Angebote von der vagen Andeutung bis zur klaren Problemlösung anbieten würde. Und man könnte sogar überlegen, ob man Spielern, die ohne dieses Babysitting durchkommen, am Ende ein paar Extras spendiert - doppelt so langes Finale, freigespieltes Making-of etc..
Berliner Odyssee
Nina ist das ohnehin egal. Die schlagfertige Tochter mit den hohen slawischen Wangenknochen lässt sich nicht beirren und folgt den verschlungenen Spuren von Berlin bis nach Sibirien. Die Story mag auf den ersten Blick den Charme eines belanglosen Mystery-Romans versprühen. Manches wirkt gerade zu Beginn etwas zu durchsichtig. Doch die Qualität zieht schnell an, denn die Dramaturgie stimmt und die Köder der vagen Andeutungen sind unheimlich appetitlich. Hinzu kommt, dass der Plot immer nachvollziehbar bleibt: Man will wissen, was zum Henker da in Sibirien abgeht! Genau im passenden Moment werden interessante Figuren und Schauplätze in die Ermittlungen eingeflochten oder plötzliche Wendungen serviert: Eine zweite spielbare Figur namens Max taucht auf, Nina wird gefangen, ein Zug entgleist, eine irische Bruderschaft macht ihre Aufwartung - herrlich: Neugier, was willst du mehr?
Sehr gute Regie
Die Zeit vergeht im Nu und man wird von vielen wirklich gelungenen Zwischensequenzen begleitet von Museen in Privathäuser, von Kanalisationen in Militärlager, von Zugdächern in Herrenhäuser geführt. Selbst China, Irland und Kuba
Alle Locations bestechen zudem durch ihren authentischen Anstrich: In Berlin gibt's deutsche Straßennamen, in Russland begegnet euch Kyrillisch. Hinzu kommen feine Animationen, die die Sterilität der gezeichneten Hintergründe etwas aufbrechen: Jeans wackeln im Wind, Motten umschwirren das Licht, Dampf schwelt aus Gullys und Echtzeitschatten unterlegen die Laufwege der Figuren. Die Kulisse kann zwar nicht mit großen Schauplätzen oder rasanten Kamerafahrten à la The Moment of Silence oder der technischen Üppigkeit oder räumlichen Freiheit eines The Longest Journey: Dreamfall protzen, aber sie ist edel und stimmungsvoll.
Sehr gute Sprecher
Sie ist mehr als die rothaarige Schöne, für die man zunächst die Sex-Sells-Schublade aufmacht: Schon wieder so'n 90-60-90-Babe? Aber Fehlanzeige: Vor allem ihr ab und zu aufblitzender Chuzpe sowie ihre inneren Monologe verleihen den Gesprächen eine subversive Note: Sie schmeichelt einer Wache mit ihrem Charme und denkt sich gleichzeitig, was für ein Trottel da steht - sehr amüsant. Irgendwann stößt Max hinzu, so dass ihr auch Rätsel im Team lösen könnt.
Autsch. Aber das sind wirklich nur Nadeln im Heuhafen. Tunguska hat aus erzählerischer Sicht vielleicht nicht die düstere Qualität eines Black Mirror, die auch erwachsene Spieler sofort ansprach. Wer subtilen Schauder oder vielleicht Gänsehautmomente erwartet, ist hier trotz der Mystery-Ansätze, der Kapuzenträger und Geheimdienste fehl am Platze. Aber es nimmt den Rang einer richtig guten Drei-Fragezeichen-Episode ein, tendiert auch mit seiner beiläufigen Romanze in Richtung Baphomets Fluch. Sprich: Es ist spannend, amüsant und gut erzählt. Freut euch auf viel Wortwitz und kernige Sprüche.
"Eine Kassette. Lag sie da absichtlich drin oder ist sie da reingefallen?"
Ein großes Lob verdient auch die Soundkulisse: Nicht nur die Titelmusik mit ihren verschwörerischen Melodien hat mir gefallen, auch die vielen kleinen Einspielungen an eher unwichtigen Stellen. Als Nina vor der Wohnung ihres Vaters recherchiert, passiert z.B. hinter ihr irgendwo ein Unfall. Man hört bloß quietschende Reifen, dann ein lautes Fluchen, sieht aber nichts - das ist klasse. So wirkt die eigentlich statische Szene gleich viel lebendiger. Es gibt immer ein subtiles Geräuschambiente, das im richtigen Moment mit einem Flüstern, Rauschen oder Zischen auftrumpft.
Schade ist, dass man die Dialoge einfach so runterspulen kann - sprich: Es hat keine Auswirkung, in welcher Reihenfolge oder gar wie man etwas fragt. Ein modernes Adventure sollte auch versuchen, in den Dialogen etwas mehr Eingriffsmöglichkeiten zu bieten. Auch das Thema Emotionen bleibt hier unangetastet. Ansonsten gibt es nur einige kleine Dinge, die man noch verbessern könnte: Etwa ein Inventar mit dreidimensionalen Gegenständen, die man drehen und zoomen kann - auch, um vielleicht versteckte Fächer oder Hinweise zu finden. Das würde dem Spiel noch mehr Stöbercharakter verleihen und es technisch aufwerten.
Wünschenswerte Kleinigkeiten
Fazit
Es kommt selten vor, dass ich ein Spiel gerne ein zweites Mal auf einer anderen Plattform erlebe. Aber wenn man erst einmal mit Frau, Remote und Nunchuk auf der Couch sitzt und vielleicht mit zwei Remotes kooperativ in den Geheimnissen von Tunguska stöbert, kommt man nicht mehr so schnell davon los. Dieses sympathische Adventure alter Schule macht auch auf Wii eine gute Figur, lässt sich mindestens so komfortabel steuern wie mit der Maus und unterhält auch heute noch dank seiner frischen Rätsel und des optionalen Hilfekomforts. Wer nicht weiter kommt, kann auf Wunsch in den Spielhilfen stöbern, die einen subtilen Hinweis auf die Lösung geben - vielleicht in letzter Konsequenz noch nicht ganz optimal, aber gut gelöst. Unterm Strich bekommt ihr hier eine 1:1-Umsetzung, die deutlich macht, dass Point&Click-Adventures auch auf Wii eine Zukunft haben. Echte Emotionen, die Dramatik der Entscheidung oder Dialog-Auswirkungen bekommt man zwar nicht, aber die Story macht immer wieder neugierig und hat dank einiger gelungener Zwischensequenzen reizvolle Spannungsmomente. Für Geheimakte 2 wünsche ich mir allerdings mehr Gebrauch von den Steuerungsmöglichkeiten der Nintendokonsole, eine Zoomfunktion für schwer erkennbare Details sowie ein moderneres Inventar mit dreh- und zoombaren Gegenständen. Gegen Capcoms Knobelhit Zack & Wiki, in dem die Bewegung sinnvoll in Rätsel eingebunden wird, wirkt Geheimakte: Tunguska etwas angestaubt. Aber noch profitiert das Spiel davon, dass es auf Wii keine Point&Click-Konkurrenz mit klassischem Adventureflair gibt. Nina und Max haben mich auch auf Wii bis zum Finale gut unterhalten!
Update zur DS-Fassung:
Auch im Miniformat macht dieses Adventure Spaß. Die Atmosphäre kann aufgrund der fehlenden Sprachausgabe und des nicht mehr ganz so markanten Geräuschambientes zwar nicht mit der Wii-Variante mithalten, aber dafür sieht das Abenteuer auch auf DS gut aus, bietet euch ansehnliche Zwischensequenzen und dieselben kleinen Animationen am Rande, wie z.B. die Jeans, die sich leicht im Wind bewegt. Und das, was am Fernseher schwer zu erkennen war, wie etwa die Anzahl der Löcher eines Gullis, wird hier näher herangezoomt. Schade nur, dass die Stylus-Steuerung nicht in neue oder alte Rätsel eingebunden wurde - da hätte man sich wirklich etwas Kreativeres einfallen lassen können! Ansonsten teilen sich beide Fassungen alle wesentlichen Vor- und Nachteile.
Pro
- spannende Story
- logische Problemlösungen
- kreative Rätselkultur
- optionale Spielhilfen
- keine blöde Pixelsuche
- viele gute Renderfilme
- Itemtausch mit zwei Spielfiguren
- klasse Sprecher (Wii)
Kontra
- technisch konservativ
- Dialoge ohne Auswirkung
- keine kreative neue Nutzung der Wii
- & DS-Steuerungsmöglichkeiten
- Inventar ohne Dreh
- & Zoomfunktion