Edna bricht aus - Test, Adventure, NDS, PlayStation4, PC, iPad, Switch

Edna bricht aus
12.06.2008, Jan Wöbbeking

Test: Edna bricht aus

Jan Müller-Michaelis macht keine halben Sachen. Wirklich jeder Charakter in seinem Debüt-Adventure hat ernsthafte psychische Probleme. Kein Wunder: Ihr schlüpft in den weißen Kittel von Edna, die mit Gedächtnisverlust in einer kuscheligen Gummizelle aufwacht. Um dem Wahnsinn zu entkommen, greift ihr zu den guten alten Abenteurer-Tugenden "Ansehen", "Nehmen", "Reden" und "Benutzen". Vorhang auf für das wahrscheinlich durchgeknallteste Adventure aller Zeiten!

"Hallo Tür, wie geht es dir heute?" - "Bestens, ich empfinde eine perfide Freude daran, dir den Weg zu versperren." - "Ich hasse dich, Tür!". So oder so ähnlich klingt eine der ersten Unterhaltungen, die ihr in Edna bricht aus (ab 14,99€ bei kaufen) zu hören bekommt.

Mit Hilfe des Verben-Systems untersucht ihr die Umgebung. Klickt ihr die rechte Maustaste, wird automatisch die sinnvollste Aktion durchgeführt. 
Moment mal - ein Gespräch mit einer Tür? Ja, es hat schon gewisse Vorteile, sich nicht ganz zu Unrecht in einer Irrenanstalt aufzuhalten. Dazu gehört im Fall von Edna die Fähigkeit, mit ihrem Stoffhasen Harvey und sämtlichen Gegenständen ein Schwätzchen halten zu können. Fragt mich nicht, wann oder wie um alles in der Welt diese ganzen Dialogzeilen zu Papier gebracht und aufgenommen wurden, aber sie sind der Hauptgrund dafür, dass das Spiel über vier Gigabyte auf der Festplatte belegt. Sie sorgen aber auch dafür, dass weder Edna noch ihr in den ersten Spielstunden die Einsamkeit fürchten müsst.

Gesellige Gegenstände

Die in den Räumen verstreuten Objekte, die dank Hilfefunktion per Druck auf die Leertaste markiert werden, taugen nicht nur zu eurer Unterhaltung. Manche, wie das in der Abstellkammer stehende Gehirn in einem Glas, geben neben nicht nur ihre Lebensweisheiten an euch weiter, sondern verraten euch mitunter wertvolle Tipps, mit denen ihr eines der zahlreichen Rätsel löst. Ihr habt einen Hang zur Kleptomanie? Dies ist euer Spiel! Falls Edna ein Objekt nicht als unbrauchbar erachtet, könnt ihr euch die Kitteltaschen so voll stopfen, wie ihr wollt. Und ihr dürft alles wild miteinander kombinieren. Ihr wollt euer seelisches Leid mit einem Aktions-Kunstwerk ausdrücken? Kein Problem: Schnappt euch die Ketchup-Flasche und verpasst Sitzmöbeln und Gemälden einen (ex)pressionistischen tomatenroten Anstrich. Oder ihr schneidet das halbe Irrenhaus mit der Zackenschere entzwei. Unglaublich - nie hat es so viel Spaß gemacht, stundenlang mit dutzenden Objekten herumzuprobieren und..ähem..zu sprechen.

Bevor ihr derart schamlos durch das Haus randalieren könnt, müsst ihr aber erst einmal der Enge der schneeweißen Gummizelle entfliehen.  Bereits dort kommt ihr mit ausdauerndem Einsatz der provisorischen Werkzeuge ans Ziel. Der genervte Wärter Stiesel verrät euch,

Der Alumann hat nicht nur die Weisheit mit Löffeln gefressen.
dass der rettende Lüftungsschacht natürlich nicht direkt zu erreichen ist, sondern hinter den Polstern liegt. Hinter den ausgesprochen weichen Polstern. Nun ist es an euch, den natürlichen Feind der quadratischen Wandkissen in der Zelle zu entdecken. Die ersten Rätsel fallen angenehm einfach und logisch aus - mit ein wenig Nachdenken und Probierfreude erarbeitet ihr euch den Weg von einem Raum in den nächsten. Habt ihr nach einigen Stunden den Zugang zu den meisten Räumen erschlossen, wird es allerdings kniffliger.

Raus aus der Zelle!

Dort trefft ihr auf allerlei grenzgenialen Charaktere. Jeder von ihnen ist ein echtes Original und hat seine ganz eigene, liebenswerten Neurose. Hoti und Moti halten sich trotz unterschiedlicher Hautfarbe für siamesische Zwillinge und tragen daher den gleichen Pullover. Der mit norddeutschem Dialekt und einer gehörigen Portion Ordnungsliebe ausgestattete Kontrolleur sorgt dafür, dass nur Personen mit einem vorschriftsmäßigen Kleiderbügel-Ticket den Wäschelift als Transportmittel missbrauchen dürfen. Habt ihr ihn überlistet, trefft ihr auf Herrn Mantel, der sich für einen Gehrock hält und in einem Regenschirm durch den Wäschelift reist.                  

Am unterhaltsamsten ist, trotz seines geringen Wortschatzes, ein anderer Insasse: der getreue Wächter des Aufenthaltsraum-Königs. Er artikuliert sich schlicht und einfach durch das unterschiedlich betonte Wiederholen seines eigenen Namens: Droggelbecher! Ich könnt noch seitenweise über die genial-verrückten Figuren und ihre Geschichten schreiben, doch am besten lernt ihr sie selbst persönlich kennen. 

Was führt Dr. Marcel im Schilde? 
Sogar der überarbeitete Schöpfer des Spiels taucht höchstpersönlich auf, und zwar in der trauten Runde einer Therapiegruppe für Spielentwickler, die ihre Sitzung rein zufällig in Ednas Anstalt abhält. "30.000 Zeilen allein im ersten Akt - was habe ich mir nur dabei gedacht?" erzählt eine vor Verzweiflung zitternde Stimme, während die Stirn des dazugehörigen Alter Egos von Jan Müller-Michaelis auf den Holztisch knallt.

Droggelbecher!

Die Hand der genervten, Verständnis heuchelnden Therapeutin bewegt sich bei ihren Kommentaren skurril im Kreis. Jede der trashig gezeichneten Figuren hat sie - diese drei Animationsphasen, in denen sich ihr Mund, das komplette Gesicht oder eben irgendetwas anderes bewegt. Und obwohl es nur drei Variationen eines einzigen Bildes sind, wirkt jede davon angemessen albern. Als alter Hase fühlt man sich sofort an Klassiker wie Monkey Island und Maniac Mansion erinnert, die ganz unverhohlen als Vorbild dienten. Auf der Verpackung prangt sogar ein durchgestrichenes "Von den Machern" und darunter der Schriftzug "von den Leuten, die Monkey Island gut finden!".

In einen regelrechten inneren Zwiespalt gerate ich allerdings regelmäßig, wenn die Vertonung der Dia- bzw. Monologe erklingt. Wenn ich Ednas übernächtigter Psychopathenblick und ihre nicht selten zynischen, ausgeschriebenen Kommentare erblicke, höre ich in meiner Phantasie eine ganz andere Stimme als die von Alianne Diehl. Die macht ihren Job zwar nicht wirklich schlecht, klingt für meinen Geschmack aber viel zu brav - beim Hasen Harvey ist es ähnlich. Andere Charaktere wie der Kontrolleur wirken dank ihres Dialekts mit Sprachausgabe besser - zum Glück lässt sie sich jederzeit an- und abschalten. 

In den Rückblenden schlüpft ihr in die die Rolle von Ednas Stoffhasen Harvey. Er kann keine Gegenstände bunkern, aber z.B. durch kleine Kellerfenster schlüpfen. 
Einen Vorwurf machen kann man den Entwicklern nicht. Bei dem rekorverdächtigen Berg an Dialogen hätte es wahrscheinlich ein Vermögen gekostet, alles professionell zu vertonen. Ab und zu treten übrigens ein paar technische Unzulänglichkeiten auf. Nach dem Laden und Speichern konnte ich den Mauszeiger eine ganze Weile lang nicht mehr bewegen. Außerdem läuft Edna danach an die Stelle, die ihr im Menü kurz zuvor angeklickt habt. Relativ selten verabschiedet sich das Spiel auch komplett mit einem Absturz. Doch zum Glück können all diese Nicklichkeiten den Spielspaß nicht wirklich trüben.

Ich höre Stimmen...

Im Verlauf des Abenteuers trefft ihr auf einige mysteriöse Figuren: Kann euch der düstere Schlüsselmeister, der wie Hannibal Lecter hinter Sicherheitsglas lauert, wirklich zur Freiheit verhelfen und in welchem Zusammenhang steht Ednas Aufenthalt in der Klappse mit dem bösen Anstaltsleiter Dr. Marcel und ihrem Vater? Um Licht ins Dunkel ihrer Amnesie zu bringen, unternimmt Edna an bestimmten Stellen des Abenteuers eine Gedankenreise in ihre Kindheit, im Fachjargon des Spiels "Tempomorphen" genannt. In diesen Szenen schlüpft ihr abwechselnd in die Rollen der jungen Edna und ihrem Hasen Harvey. Das flauschige Nagetier kann Objekte aus seiner Umgebung allein nicht an sich nehmen oder benutzen, sondern lediglich in eine Themenleiste am unteren Rand ziehen. Danach spricht er Edna auf eines dieser Objekte an. In einem der Flashbacks sperrt der Lehrer Edna in den Schrank, weil sich die Petze neben ihr wiederholt mit streberhaftem Schnippsen über ihre störenden Selbstgespräche beschwert hat. Harvey kommt selbst nicht an ein Dokument im Schrank heran, kann seiner eingesperrten Freundin aber vorschlagen, dieses zu lesen. Da es in dem Kabuff viel zu dunkel ist, schlüpft ihr in ihre Rolle und reicht Harvey das Schriftstück durch ein kleines Loch nach draußen. Habt ihr eine Hand voll Rätsel in einer Flashback-Episode gelöst, kehrt ihr mit einer neu erlernten Fähigkeit zurück - z.B. die, Schrauben mit einem nicht besonders appetitlichen Trick zu lösen.             

Fazit

Eins steht fest: Jan Müller-Michaelis hat einen gewaltigen Vogel - und genau deswegen muss man diesen Mann einfach lieben! Und natürlich alle Charaktere aus seinem Adventure! Edna bricht aus ist das Paradebeispiel dafür, wie perfekt alle Elemente eines Spiels ineinander greifen, wenn ein kreativer Entwickler seine eigene Idee durchsetzen kann, statt sich mit Kompromissen herumschlagen zu müssen. Die trashige Grafik, die genial albernen und trotzdem nicht flachen Dialoge, die durchgeknallten Rätsel und das Verben-System alter Schule: all das passt prima zusammen und lässt Adventure-Flair alter Zeiten aufkommen - mit dem Unterschied, dass Ednas Ausbruch sogar ein ganzes Stück lustiger ist als die Vorbilder von anno dunnemals. Wenn ihr erst einmal einen Großteil der Anstalt erschlossen habt und durch die immer gleichen Räume lauft, kann das Spiel zwar ein wenig monoton werden, doch im Gegenzug bringen die ab und zu auftretenden Flashbacks Abwechslung ins Abenteuer. Außerdem macht es wahnsinnig viel Spaß, unendlich viel Unsinn mit dem Inventarinhalt anzustellen und sich die dazugehörigen Kommentare anzuhören. Auch die schwankende Qualität der Vertonung kann den Spielspaß nicht wirklich trüben. Also: Adventurefreunde mit Sinn für skurrilen Humor müssen zuschlagen!

Pro

  • <P>  geisteskranker Humor im Endstadium
  •  sehr viele geniale Dialoge
  •  bekloppte Charaktere 
  • trashiger Comicstil passt wie Hoti zu Moti
  •  unterhaltsam erzählte Story
  •  gut funktionierendes Verben-System
  •  sämtliche Objekte lassen sich miteinander kombinieren
  •  bewusstseinserweiternde Diskussionen mit Gegenständen
  •  jede Menge selbstironische Kommentare
  •  gut dosiertes Ansteigen des Schwierigkeitsgrades
  •  experimenteller Glockenspiel-Jazz, garniert mit stilvollen Angstschreien
  •  Droggelbecher!</P>

Kontra

  • <P>
  • nach ein paar Stunden Sammel-Routine
  • schwankende Qualität bei der abschaltbaren Sprachausgabe</P>

Wertung

PC

Wahnsinn! Durchgeknallter als Ednas Gummizellenausbruch kann ein Adventure kaum werden!