Dracula: Origin - Test, Adventure, Spielkultur, PC

Dracula: Origin
19.06.2008, Bodo Naser

Test: Dracula: Origin

Eine nächtliche Szenerie, eine Reihe von seltsam zugerichteten Toten und ein uralter Mythos - das sind die wesentlichen Bestandteile von Dracula: Origin (ab 1,51€ bei kaufen). Hinzu kommen jede Menge knackiger Rätsel sowie ein kleiner Schuss Gothic-Atmosphäre. Mundet der viktorianische Adventure-Cocktail aus dem Hause Frogwares (Sherlock Holmes) oder entpuppt er sich eher als blutleer?

Wer ist eigentlich die Hauptfigur in Bram Stokers Gruselroman Dracula? Die Frage ist gar nicht so einfach zu beantworten, wie es scheint. Der blutsaugende Namensgeber ist es jedenfalls nicht, da er nur ab und an mal auftaucht, weil das

Der transsilvanische Graf ist auch im Spiel eher ein seltener Gast, der blässlich bleibt und zudem einen fiesen Akzent hat. 
 geheimnisvoller wirkt. Ist es Jonathan Harker, der zum Grafen auf dessen schaurige Burg fährt? Wohl eher nicht, denn auch er fehlt die Hälfte der Zeit. Oder ist es etwa Professor Van Helsing, der dem Vampir in England auf die Schliche kommt? Aber auch der Forscher ist nicht immer präsent. Nun, das nach wie vor spannend zu lesende Buch hat wohl keinen echten Hauptdarsteller, was sicher auch daran liegt, dass er nur aus Tagebucheinträgen, Briefen und Textfragmenten unterschiedlicher Leute besteht.

Blasse Hauptdarsteller

In Dracula: Origin gibt hingegen ganz eindeutig Van Helsing den Ton an, den ihr auf in 3rd-Person-Sicht auf seiner Jagd nach dem untoten Adeligen durch London, Kairo, Wien und Transsilvanien steuert. Leider wirkt der niederländische Wissenschaftler ebenso wenig charismatisch wie Dracula selbst, der im Spiel sogar noch weniger Auftritte bekommt als im klassischen Roman. Eines machte Stoker aber eindeutig besser, denn bei ihm taucht der unheilige Graf gleich zu Beginn auf. Das Spiel hingegen könnt ihr viertel durchspielen, bevor ihr den auf Latinlover getrimmten Dracula überhaupt mal seht, der stimmlich aber nicht überzeugt, weil ihn ein lächerlicher Ostakzent plagt. Van Helsing ist kaum lebendiger, obwohl ihr ihn dauernd begleitet. Er bleibt blass wie alle anderen Figuren, auch wenn er besser klingt als viele, die sich einfach nur billig anhören.

Die Geschichte ist schnell zusammen gefasst, auch wenn sie im Vergleich zu Stokers Roman leicht gekürzt und verändert wurde; so fehlen einige Personen wie etwa die arme Lucy. In den Straßen Londons ereignen sich seltsame Todesfälle, die

Trotz finsterer Grundstimmung schafft das Adventure kein Gefühl der Bedrohung. Selbst auf dem Gottesacker packt euch nicht das Grausen.
auf den ersten Blick ohne Zusammenhang zu sein scheinen. Allerdings fällt bei den bedauernswerten Opfern ein großer Blutverlust auf sowie eine riesige Fledermaus, die vom Tatort floh. Van Helsing glaubt nicht an einen menschlichen Mörder, sondern sieht Verbindungen zum uralten Mythos des untoten Blutsaugers, der nun in der viktorianischen Metropole sein Unwesen treibt. Darauf weist auch ein Brief hin, den Van Helsing zu Beginn von einem gewissen Jonathan Harker bekommt, der unter ungeklärten Umständen ums Leben kam.

Kaum Nervenkitzel

Scheinbar hat es der Vampirfürst auf Harkers adrette Verlobte Mina abgesehen, in die er seine Fangzähne beißen möchte. In ihr erkennt er eine verflossene Geliebte wieder, von der er einst Abschied nehmen musste. Als Mina ins Visier gerät, muss Van Helsing aktiv werden... Obwohl die antiquierte Geschichte eigentlich viel Raum für gepflegten Grusel böte, sorgt sie in der Tat kaum für Nervenflattern. Es wird nicht mal gruslig, als ihr euch in die Höhle des Löwen in London begebt, die neben einem Friedhof liegt. Blutige Szenen fehlen, da es ab 12 freigegeben ist. Die Umgebung ist düster gezeichnet, wie man es von einer Gothic-Erzählung erwartet, aber die Story wird eher lustlos erzählt. Insbesondere wenn man sie mit dem Roman vergleicht, der trotz seiner 111 Jahre auf dem Buckel kontinuierlich ein Gefühl der Bedrohung aufbaut, das hier fehlt.

Zu Beginn listet Van Helsing die Ausrüstung auf, die wohl jeder Vampirjäger, der etwas auf sich hält, braucht: Knoblauch, Kruzifix und Holzpflock. Auch den Blick in den leeren Spiegel mögen die Untoten mit den Spitzzähnen gar nicht, wohingegen

Wie schafft ihr es, ungesehen an Draculas Diener vorbei zu kommen? Eines der wenigen Rätsel, bei dem Spielwitz aufflammt.  
sie (noch) nichts gegen Sonnenlicht haben. Daher könnte man beinahe denken, dass es nun gilt, diese heiligen Waffen auch einzusetzen. Doch Möchtegern-Vampirkiller seien gewarnt, denn die Rätsel haben meist nichts damit zu tun. Euer Held wertet lieber öde Textberichte aus, knackt Schlösser und fummelt an Mechanismen herum, wie ihr das aus Adventures aus dem Hause Frogwares kennt, anstatt Dracula auf die Pelle zu rücken. Auch dessen Insekten vertilgenden Diener "Igor" bekämpft ihr mittels einer List und nicht mit der Keule. Immerhin sehen die rätselhaften Apparate schön aus.

Knackige Aufgaben

Davon abgesehen sind die Rätsel bei Dracula: Origin recht knifflig, was Adventurefans freuen dürfte aber Neulinge wiederum nicht. Das gilt weniger für die Inventaraufgaben, die meist recht einfach sind, sondern für die Logikrätsel, die während der rund 12 Stunden Spielzeit im gleichen Maße vorkommen. Hier läuft es oft auf ausprobieren hinaus, was Anfänger zu sehr frustrieren dürfte. Frogwares ist leider dafür bekannt, dass die Rätsel bisweilen kaum lösbar sind, weil ihr nicht wisst, was zu tun ist. Meist muss man am Schluss noch zusätzlich etwas drücken, was einen schon zur Weißglut treiben kann. Man hat alles getan und dann schnappt das blöde Ding trotzdem nicht auf, wie man es von Point&Click gewohnt ist. Langwierige Fummelei ist leider die Folge, da auch die Komplettlösung hier nicht weiter hilft.

                      

Manches ging auch daneben, da es schlicht nur per Zufall lösbar ist. Einmal müsst ihr etwa die Augen alle Wölfe auf einem Relief markieren, die dabei rot werden. Dumm nur, dass ihr einige Isegrims partout nicht anklicken dürft, denn sonst geht's

Was geht nun wieder ab? Da es keine integrierte Hilfe gibt, seid ihr beim Rätseln oft aufs Raten angewiesen oder auf Van Helsings Sprachkenntnisse.
nicht weiter. Das ist entweder ein Bug, reichlich unlogisch oder wissen die Macher etwa nicht, wie ein Wolf ausschaut? Ihr müsst jedenfalls ausprobieren, was sie dafür halten und was nicht. Haben Wölfe etwa Hufe? Ebenfalls negativ fällt auf, dass es Gegenstände gibt, die ihr zwar seht aber zunächst nicht nehmen dürft. Erst im weiteren Verlauf der Geschichte könnt ihr sie dann anklicken, wenn sie wichtig werden. So müsst ihr alles mehrmals abgrasen, was aber auch bei anderen Adventures vorkommt.

Unrühmlich aufgefallen

Die Bedienung funktioniert zwar ganz gut, aber den Komfort eines modernes Adventures vermisst man bei Dracula: Origin trotzdem weitgehend. Es gibt keine integrierte Lösungshilfe und keinen wählbaren Schwierigkeitsgrad. Die Hotspots, wo es was zu tun gibt, werden zwar angezeigt, aber das steht nur in der Anleitung, die sicher nur wenige lesen. So kommt ihr irgendwann auf die Idee, auch mal nach unten zu klettern. Immerhin findet ihr alle wichtigen Hinweise in eurer Fallakte fein sortiert wieder, wie ihr das vielleicht aus Sherlock Holmes kennt. Van Helsing will zwar nicht sprinten, aber per Doppelklick verlässt er zumindest sogleich den Raum. Bei den automatisch ablaufenden Dialogen ist auch was inkonsequent: Bisweilen müsst ihr den Gegenstand zeigen, um den es gehen soll, und dann wieder nicht.

Bei Dracula: Origin knüpft Frogwares nahtlos an die überzeugende Darstellung von Sherlock Holmes: Der Silberne Ohrring an, das ganz ähnlich aussieht. Dieses Mal schlappt ihr daher nicht wieder in Egosicht durch eine reichlich kahle 3D-

Das Adventure ist zweifellos schön gezeichnet, auch wenn die 3D-Akteure nach wie vor etwas hüftsteif wirken. 
Landschaft wie bei den letzten zwei Sherlock-Adventures sondern könnt mit Übersicht in schön gezeichneten 2D-Hintergründen schwelgen. Das Spiel entführt euch in das finster gehaltene England, das sonnenüberflutete Ägypten, was weniger passt, ein prächtiges Wien, das wieder versöhnt, und schließlich die archaische Gegend um Draculas Schloss. Gothic-Anleihen sind unverkennbar wie verblühende Blumen, verschlungene Kreuze oder allgegenwärtige Todessymbole. Diese Schwermütigkeit könnte aber ruhig noch etwas deutlicher herauskommen, da sie für Atmosphäre sorgt. Auch den wenigen gerenderten Videosequenzen gelingt es nicht so richtig, das zu verstärken.

Schmucke Landschaften

Die Dracula-Engine liefert sicher bislang Frogwares ansehnlichste Kulisse, aber dennoch wirkt vieles noch recht britisch unbelebt. Obwohl es dieses Mal auch vereinzelt lebendigere Szenen gibt, etwa wenn der Diener auf der Suche nach Insekten auf dem Boden umherkriecht, bilden solche Aktionen noch die Ausnahme. Die Regel ist, dass ihr mit Van Helsing durch die Gegend streift, der etwas hüftsteif rüberkommt, was an der Animation liegt. Aber auch manche Szene ist unbelebt. Immerhin bleibt er nirgends hängen, was bei Sherlock schon mal vorkam. Leider sorgt auch Dracula selbst nicht für mehr Leben in der Bude, da er selten vorkommt, kaum agiler aussieht und zudem lächerlich wirkt.

In einige Szenen wirkt es fast so, als könnten sich die Macher nicht entscheiden, ob sie nun gerade ein weiteres Sherlock Holmes-Abenteuer oder Dracula: Origin programmieren. Die Ermittlungen, die Van Helsing etwa zu Beginn anstellt, laufen

Irgendjemand bei Frogwares scheint auf Ägypten gepolt zu sein. Wie beim letzten Sherlock-Adventure müsst ihr auch dieses Mal wieder Museen durchkämmen.
fast wie beim letzten Adventure mit Britanniens Meisterdetektiv ab. Ihr lauft durch die Gegend, befragt Zeugen und sammelt Hinweise ein - einzig der gute Dr. Watson fehlt dieses Mal. Kommt er nicht gleich um die Ecke, um euch zu helfen? Sogar die Fallakte ist exakt dieselbe geblieben, obwohl Van Helsing ja kein Ermittler sondern Arzt, Abenteurer und Wissenschaftler ist. Wäre ein düsteres Tagebuch wie im Roman nicht besser gewesen?

Sherlock mit Vampiren?

Seltsam, dass euch Van Helsings erster Auslandsaufenthalt, der etwas aufgesetzt wirkt, euch ausgerechnet ins Ägyptische Museum nach Kairo führt. Wer sich noch daran erinnert, wie ihr im letzten Sherlock-Abenteuer durchs Britische Museum streiftet, bekommt sogleich ein dickes Déjà-vu. Wieder müsst ihr dem Angestellten etwas suchen helfen, wofür ihr das Museum durchkämmt. Abermals sind es die ägyptischen Relikte, die es den Machern angetan haben. Und Van Helsing scheint eine genauso große Koryphäe auf dem Gebiet der Archäologie zu sein wie weiland der Londoner Detektiv. Hätte es nicht auch eine Reise in ein anderes Ländchen sein können? Gibt es nur in Museen was zu finden?

           

Fazit

Unter einem Vampir-Adventure hätte ich mir ein wenig mehr vorgestellt. Etwas, in dem Blutsauger nicht nur eine Statistenrolle einnehmen und etwas, das mehr Pepp und einen deutlich höheren Gruselfaktor bietet. Die Rätsel sind zwar durchaus knackig, aber sie bieten nicht mehr als das Übliche: Gegenstände kombinieren, Schlösser knacken und Apparaturen in Gang setzen. Alles wie gehabt und bisweilen sogar zu schwer, um noch frustfrei lösbar zu sein. Wo sind die Aufgaben geblieben, in denen es um die Vampire geht? Dass die Story gegenüber Bram Stokers Roman verkürzt wurde, stört mich noch nicht einmal, wenn sie spannend erzählt werden würde. Stattdessen gibt es nur all Schaltjahr mal ein mageres Infohäppchen und Charaktere, die wie Abziehbilder wirken - wie etwa Protagonist Van Helsing. Im Roman war er ein Besessener, im Spiel ist er nur ein Langweiler. Immerhin punktet das viktorianische Abenteuer mit seiner schaurig-schönen Kulisse, aber leider schafft es diese düstere Grundatmosphäre nicht, echten Grusel zu befördern, da die Geschichte das nicht hergibt. Auch die wenigen Zwischensequenzen, in denen Dracula mal auftaucht, sorgen nicht für mehr Nervenkitzel. Insgesamt bleibt seine Figur schemenhaft und wirkt -was noch schlimmer ist- sogar stellenweise lächerlich, weil er im Deutschen mit fiesem Akzent spricht. Unterm Strich leider nur ein durchschnittliches Adventure, das allzu oft an die steifen Sherlock Holmes-Abenteuer von Frogwares erinnert.

Pro

  • klassische Vampirstory
  • düstere Atmosphäre
  • knifflige Rätsel

Kontra

  • Akteure bleiben blass
  • Rätsel oft zu schwer
  • für Anfänger zu frustrierend
  • keine Vampiraufgaben

Wertung

PC

Ein durchschnittliches Adventure mit knackigen Rätseln und düsterer Optik, dem allerdings der Biss fehlt.