Bionic Commando: Rearmed - Test, Arcade-Action, 360, PlayStation3, PC

Bionic Commando: Rearmed
12.08.2008, Paul Kautz

Test: Bionic Commando: Rearmed

Wenn es gegenwärtig eine Firma gibt, die sich im Retro-Wahn befindet, dann ist es ohne Frage Capcom: Wolf of the Battlefield: Commando 3, 1942: Joint Strike, Super Street Fighter 2 Turbo HD Remix oder MegaMan 9 sind wunderbar spielbare Gemeinheiten alter Schule, von Fans für Fans gemacht - so was ist mittlerweile eine Seltenheit! Bionic Commando Rearmed (BCR) passt ganz hervorragend in diesen illustren Kreis, basiert es doch ebenfalls auf einem sehr klassischen Spiel - und es schafft den Schwung in die Neuzeit ganz famos!

Ziemlich genau 23 Jahre ist es her, dass Supersoldat »Super Joe« im Arcade-Game »Commando« die Menschheit vor bösartigen Terroristen gerettet hat. Problem: Er wurde dabei am Ende gefangen genommen, woraufhin drei Jahre später im Quasi-Nachfolger »Bionic Commando« Supersoldat 2.0 Nathan

Da schwingt er wieder: Wie beim Original ist die Steuerung sehr anspruchsvoll - aber wenn man sie einmal intus hat, sind wunderbare Manöver möglich!
»Radd« Spencer zur Hilfe schwingt - der Teufelskerl mit dem bionischen Arm. Seine Aufgabe ist es nun, den guten Mann aus den Klauen des Bösen, hier personalisiert durch Generalissimo Killt, befreien muss. Sprung ins Jahr 2008: Spencer hat die gleiche Aufgabe, denn wir haben es mit einem Remake zu tun!

Schwing dich frei!

Ist einer der Anwesenden außer mir alt genug, mit dem ursprünglichen Spielkonzept vertraut zu sein? Ja? Dann wisst ihr ja um Spencers Handicap: Springen kann er nicht. Aber einen modischen bionischen Arm hat er! Und der ist viel besser als Sprunggelenke, schließlich kann man damit nicht nur Kugeln abwehren und unerreichbar scheinende Extras heranziehen, sondern auch sich selbst auf hohe Plattformen hieven, artistisch von A nach B schwingen, sich selbst durch enge Passagen ziehen oder schwere Gegenstände mühelos anheben und durch die Gegend werfen! Praktisch, nicht wahr? Schon, aber das bringt natürlich Schwierigkeiten mit sich. Es hat schon seinen Grund, warum einem zu Spielbeginn das Tutorial nachdrücklich ans Herz gelegt wird, denn genau genommen sind es zwei: Das erste bringt euch lediglich die Grundsätze der Steuerung bei. Erst das zweite, weitaus längere, geht auf die Details der Schwing- und Baller-Praxis ein. Die Kontrolle von Spencer wirkt anfangs furchtbar fummelig, zickig und schwierig; es vergeht einige Zeit, bis man flüssig von Vorsprung zu Vorsprung hangelt, mitten im Flug ballert und sich gerade zu Plattformen hinzieht. Es dauert eine Weile, bis man intuitiv mögliche Greifobjekte erkennt, bis man flüssig zu hilfreichen Fässern greift und nicht ständig von Wänden abprallt, nur um drei Stockwerke tiefer in herumlungernde Spitzen des Todes zu plumpsen. BCR verlangt mehr als viele Spiele Displizin bei der Einarbeitung - und belohnt sie auch!

Das Leveldesign ist wunderbar abwechslungsreich - mal müsst ihr euch ein bemerkenswert großes Baugerüst hoch hangeln, mal schummrig beleuchtet durch eine gefährliche Höhle schwingen.
 Euer Einsatz führt euch durch 20 Levels, die ihr auf einer bunten 3D-Karte in (fast) beliebiger Reihenfolge anwählen dürft. »Fast«, weil zum einen die zweite Hälfte anfangs nicht erreichbar ist, und zum anderen, weil ihr zum Betreten mancher Abschnitte spezielle Bedingungen erfüllen müsst: Mal braucht's eine speziell gefärbte Chipkarte, mal rohe Gewalt in Form eines Raketenwerfers, der eine sonst unüberwindbare Passage einfach zerbröselt. Die Standard-Levels präsentieren sich ganz klassisch in Seitenansicht; ihr rennt von links nach rechts und schwingt euch von oben nach unten. Allerlei Gegner machen euch das Swingerleben noch schwerer; vom Soldaten über den Granatenschmeißer und den fliegenden Laserbot bis hin zum schubsfreudigen Mini-Panzer ist jede Menge Feindesmaterial vertreten. Die Widersacher bieten dabei einen erstaunlichen Grad an Intelligenz: Sie reagieren schnell darauf, wenn man sich von hinten an sie anschwingen möchte, die suchen sich stabile Deckung, sie weichen Beschuss aus - und sie fallen physikalisch unterhaltsam aus dem Bild, wenn man sie dann doch erledigt hat.        

Der Sechs-Millionen-Dollar-Hacker

Das Hacken ist ein interessantes Minispiel, das euch nicht nur Lebensenergie, sondern auch Informationen über die Schwachstellen der Bossgegner bringt.
 Am Ende jedes Abschnittes wartet außerdem noch ein dicker Bossgegner, der es in sich hat: Ob schwebender Ballerbot, der nur kurz an bestimmten Stellen verwundbar ist, »Commander Totmacher« (fragt nicht...), dessen Medaillen-Massen einen Angriff von vorn unmöglich machen, eine gigantische Belagerungsmaschine, die erst auseinander geschraubt werden muss oder ein Bildschirm füllender Schweißapparat, dessen Fahrer man erst hervor locken muss - jeder Boss bietet eine einzigartige Herausforderung. Immerhin haben die Entwickler eine Art Tipps-System eingebaut: In jedem Level gibt es eine Kommando-Zentrale, in der ihr nicht nur einen kurzen Plausch mit eurem Hauptquartier führen, sondern auch das feindliche Netzwerk »hacken« könnt. Das präsentiert sich als 3D-Puzzle, in dem ihr einen Ball durch abstrakte Räume zum Ziel leiten müsst - klingt einfach, ist es anfangs auch, wird aber logischerweise mit jedem Level schwerer. Ist aber nützlich, denn für gelungenes Hacken gibt es nicht nur eine Extraportion Lebensenergie, sondern auch einen Hinweis, wie man den jeweiligen Bossgegner fertig machen kann. Verhaut man das Hacken allerdings, geht der Alarm los, woraufhin ihr es mit mehr Gegnern zu tun bekommt. Das Spiel bietet drei Schwierigkeitsgrade, standardmäßig habt ihr vier Leben: Verliert ihr eines, geht's im gleichen Raum von vorne bzw. vom letzten Checkpunkt aus los. Sind alle Pixelmännchen futsch, muss der Level neu begonnen werden - ein klassisches »Game Over« gibt es der Retro-Kultur zum Trotz nicht. Apropos Retro: Man kann den Soundtrack aus dem Synthesizer von Simon Viklund nicht genug loben - eine glorreiche Mischung aus aus modernen Beats und Oldschool-Gefiepse, die wunderbar zur Action passt!

Die Endgegner sind meist sehr groß, sehr durchschlagskräftig und nicht einfach so aus den Latschen zu hauen!
 Auf der Levelkarte tummeln sich neben den Abschnitten und dem Spieler-Helikopter noch kleine LKWs, die, wenn man mit ihnen kollidiert, Extralevels öffnen: In denen seht ihr euch aus der Vogelperspektive, in der nicht mehr geschwungen wird - stattdessen dient der Arm dazu, einen Dr. Octopus-kompatiblen Rundumschlag auszulösen, außerdem könnt ihr bei dezentem Autoaiming in alle Richtungen feuern - diese Levels sind kurz, aber intensiv, da deutlich actionreicher als die eher gemütlichen Schwing-n-Run-Abschnitte. Hier wie da habt ihr diverse Waffen zur Wahl, zwischen denen ihr jederzeit wechseln könnt: Mit dem Standard-Revolver könnt ihr nur drei Schuss nacheinander abgeben, dafür haut der bei menschlichen Gegnern gut rein - im Gegensatz zum Laser, der dafür Maschinen in Nullkommanix aus den Schrauben haut. Die Bazooka ist gegen alles mächtig, hat aber auch einen dicken Explosionsradius, so dass man beim Abfeuern besser nicht zu nahe am Feind stehen sollte. Und Granaten könnt ihr nicht nur normale werfen, sondern auch eine Plattform nach unten kullern lassen - wunderbar für fiese Fallen geeignet.

Lieber allein?

Technisch ist BCR gleich in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert: Die Grafik fängt stilistisch wunderbar das Oldschool-Spielgefühl, ist dabei aber abwechslungsreich und detailliert genug, um auch moderne Technikfreaks zu beeindrucken - okay, es ist kein 2D-Crysis, aber alleine der Fallschirmsprung zu Beginn einer Mission, der Nathan hart auf dem Boden ankommen lässt, bevor er sich geschickt abrollt, die Waffe zückt und noch schnell in Richtung Kamera zwinkert, ist super! Coole Effekte, dicke Explosionen, Animationen weicher als Daunen aus Seide, wuchtige Explosionen - umso beeindruckender, wenn man bedenkt, dass das »nur« ein Arcade-Spiel ist! Auch alles andere als normal ist 

Neben den aus der Seitenperspektive gezeigten Schwing-Levels gibt es auch Von-Oben-Abschnitte, die deutlich actionreicher sind.
der Koop-Modus, der zwei Freunden die Möglichkeit gibt, gemeinsam dem Übel das Grinsen aus dem Gesicht zu kicken. Leider nur lokal, und leider nur nach dem Entweder-Oder-Prinzip: Das bedeutet, dass ihr zu Spielbeginn festlegen müsst, ob ihr allein oder zu zweit loslegt. Sprich: Habt ihr ein Koop-Spiel gestartet, könnt ihr das nicht allein weitermachen, wenn der Partner mal fehlt. Argh!

Habt ihr drei weitere Pads und ebenso viele Freunde im Haus, könnt ihr euch auch ganz klassisch gegeneinander die Hölle heiß machen: Neben Deathmatch und Capture The Flag tut sich vor allem die Variante »Boden nicht berühren« hervor. Hier geht es nur darum, die anderen, durch gezielte Schüsse von den Plattformen zu bugsieren, auf dass sie Bekanntschaft mit den am Boden befindlichen Stacheln machen - nicht einfach, denn normale Schüsse richten keinen Schaden an, sondern stoßen einen nur ein Stückchen zurück. Eine herrlich chaotischer Modus! Falls ihr keine Freunde habt, dann ist neben der Kampagne auch der Punkt »Herausforderungen« für euch interessant: Hier warten 56 kurze Geschicklichkeitstests, die sehr schnell sehr wahnsinnig schwer werden - ein Fall für absolute Profis am Bionikarm!      

Fazit

Bionic Commando Rearmed macht es einem nicht leicht: Äußerlich ist es eines der stilistisch coolsten Spiele, die ich kenne; das Grafikdesign, die geschmeidigen Animationen und vor allem der durch und durch fantastische Soundtrack schreien von der ersten Sekunde an »Kauf mich! Kauf mich!« - prinzipiell ja eine sehr gute Sache. Allerdings gibt es einen Knackpunkt: die Steuerung. Sie erfordert mehr als in vielen anderen Spielen gründliche Einarbeitung, ohne die Tutorials und viele Schwingübungen geht es schon nach kurzer Zeit nicht mehr weiter, Frust kann sich schnell breit machen. Aber diese unerwartete Komplexität hat auch Vorteile, trennt sie doch oberflächliche Knöpfchendrücker, die nicht mal das Ende des ersten Levels sehen werden, von den harten Hunden, die sich ohne aufzugeben durch die Tutorials hangeln - bis sie auf einmal eleganter durch die Levels schwingen als der Sohn von Tarzan und King Kong! Und dann lernt man nämlich auch die Genialität des Leveldesigns zu schätzen, das eben auf der anfangs fiesen und willkürlich wirkenden Einschränkung der Mobilität basiert - wer ein Hindernis nicht einfach überspringen kann, muss halt gescheite Schwungwege finden! Der Schwierigkeitsgrad ist für ein Oldschool-Remake angemessen hoch, das nicht-lineare Leveldesign wunderbar abwechslungsreich und der Mehrspielermodus (und da besonders die »Nicht den Boden berühren«-Variante) große Klasse - ganz zu schweigen von der trotz der Einschränkungen fabelhaften Koop-Möglichkeit für zwei Spieler! Ein großer Spaß, nicht nur für Freunde von Retro-Spieldesign in moderner Hülle.

Pro

  • umwerfender Soundtrack
  • sehr gute Grafik
  • tolle Spielbarkeit
  • cooler Koop-Modus
  • aufregende Bossfights
  • abwechslungsreiche Levels
  • unterhaltsame Mehrspielermodi

Kontra

  • gewöhnungsbedürftige Steuerung
  • ziemlich schwer
  • kein Online-Modus

Wertung

360

PlayStation3

PC

Ein toll inszeniertes Oldschool-Vergnügen, dessen komplexe Steuerung allerdings Frustpotenzial birgt.