Viva Piñata: Chaos im Paradies - Test, Simulation, 360

Viva Piñata: Chaos im Paradies
05.09.2008, Mathias Oertel

Test: Viva Piñata: Chaos im Paradies

Normalerweise sind Piñatas im lateinamerikanischen Raum bekannte Pappmaché-Figuren, die auf Kindergeburtstagen mit ihrem Süßigkeiten- bzw. Frucht-Inhalt für Freude sorgen. Auf der Xbox 360 hingegen sind und waren Piñatas nicht nur die Bewohner einer entlegenen Insel, sondern vor allem der erste ernst zu nehmende Abstecher in Gefilde, die normalerweise von Nintendo-Spielen gehalten werden: Süß, familientauglich, unterhaltsam.

Vor fast zwei Jahren hat Rare auf der Xbox 360 mit einem unerwarteten Konzept überrascht: Die Mischung aus Aufbauspiel, komplexer Lebenssimulation und zuckersüßem Knuddelfaktor namens Viva Piñata (VP) hätte man eher auf einem Nintendo-System erwartet und war uns satte 85 Prozent samt Gold-Award wert. Es gab zwar das eine oder andere Manko, doch Piñata Island hat all die 4P-Redakteure, die einen Abstecher dorthin gewagt haben, bis heute festgehalten.

Zurück auf die Insel

Mit dem Nachfolger "Chaos im Paradies" (CiP) geht es wieder zurück auf die Insel. Denn der komplette Piñata-Katalog

Willkommen zurück im Pinata-Paradies: Es warten neue Herausforderungen, neue Features und vor allem neue Pappmaché-Figuren, die sich nach wie vor zuckersüß präsentieren.
wurde bei einem kleinen Unfall gelöscht und es liegt an euch, die niedlichen Pappmaché-Figuren wiederzufinden und neu zu katalogisieren.

Die grundsätzlichen Mechanik unterscheidet sich in keiner Form vom gelungenen Vorläufer: Ihr seid als Landschaftsgestalter und Tierpfleger in Personalunion dafür verantwortlich, die euch überantwortete Parzelle so zu gestalten, dass überaus niedliche Knuddelviecher auf euch und euren Garten aufmerksam werden.

Änderungen? Klein, aber fein.

Um sie in die Nähe eures Gebiets zu lotsen, sind bestimmte Voraussetzungen zu erfüllen; um sie sesshaft zu machen, müssen weitere Aufgaben hinsichtlich Ökosystem gelöst werden und wenn ihr sie zur Paarung bringen wollt (natürlich alles höchst jugendfrei), müssen wieder andere Gegebenheiten erfüllt sein.

Dazu stehen euch die aus Teil 1 bekannten Werkzeuge wie Schaufel, Gießkanne oder verschiedene "Bodenstreupackungen" (z.B. Gras) zur Verfügung sowie die charakterlich einfach, aber gut gezeichneten Figuren, die euch schon beim ersten Inselausflug hilfreich zur Seite standen.

Zusätzlich zu eurem Garten könnt ihr euch nun auch in einer Wüsten- sowie einer Eiswelt die Zeit vertreiben und Pinatas sammeln.
Veteranen wird schnell auffallen, dass die Steuerung leicht überarbeitet sowie vereinfacht wurde und das "Paarungsminispiel" jetzt kontrolltechnisch einen deutlichen Schritt nach vorn gemacht hat. Zusätzlich zeigt sich das Tutorial jetzt wesentlich strukturierter und zugänglicher als in Teil 1, so dass Gärtner-Neulinge noch schneller Spaß haben können. Doch unter dem Strich ist CiP bis zu diesem Punkt kaum mehr als ein Update zum Original.

Nach und nach gewinnt ihr Erfahrung, steigt auf der Karriereleiter eine Stufe nach oben, bekommt mehr Land, mehr Möglichkeiten und mehr Werkzeuge und habt so die Chance, noch mehr, noch seltenere Piñatas anzuziehen und zu züchten.

Doch Rare scheint in sich gegangen zu sein, um diesem Update-Gespenst entgegen zu wirken und hat einige kleine Neuerungen spendiert, die unter dem Strich den Eindruck hinterlassen, dass CiP in dieser Form das ist, was der Vorgänger hätte werden sollen.

So hat man z.B. zwei neue Vegetationszonen (Wüste, Polar) hinzugefügt, in denen sich die über 30 neuen Piñata-Typen herumtreiben, die es zu finden und zu fangen gilt. Zu fangen? Richtig. Ihr könnt zwar mit späteren Erfahrungsstufen auch Schnee und Sand als Gartenzone "anpflanzen", doch die beiden neuen Gebiete dürft ihr nur betreten, ohne dort sesshaft werden zu können. Als Ausgleich könnt ihr eine Falle platzieren, müsst dort allerdings einen geeigneten Köder (probieren geht über studieren) auslegen, damit ihr das Objekt eurer Begierde eurem Streichelzoo hinzufügen könnt.

     

Und spätestens hier setzt wieder der gleiche Entdecker-, Forscher- und Sammlertrieb ein, der sich auch schon im Vorgänger rasend schnell ausgebreitet hat. Sobald ich ein unbekanntes dieser zuckersüßen Viecher gefunden hatte, konnte ich nicht aufhören, bis ich zumindest die Voraussetzungen geschaffen hatte, dass es in den Garten kommen könnte. Selbstredend findet man immer wieder etwas, das man z.B. ausprobieren kann, um eine seltene Farbkombination einer Piñata zu kreieren.

Jäger und Sammler

Die lebendige Pinata-Welt hat auch fast zwei Jahre nach ihrem ersten Auftritt nichts von ihrer Faszination verloren.
Oder man versucht, ein perfektes Ökosystem für möglichst viele der unheimlich gut und intelligent aufeinander reagierenden Lebewesen zu schaffen. Denn da auch auf Piñata Island nicht nur eitel Sonnenschein herrscht und neben den "sauren" Piñatas, die nur euren Garten zerstören wollen, auch noch soziale Geflechte mit Feindschaften zu beachten sind, hat man immer etwas zu tun.

Mit dem neuen Sandkasten-Modus, in dem weder Geld für den Gartenausbau noch Angriffe der sauren Piñatas eine Rolle spielen, hat Rare zudem noch eine Super-Knuddel-Alles-Ausprobier-Funktion integriert, die auch die bislang nicht spielende Oma von ihrem Strickzeug weglocken kann.

Doch das alles passiert wie gehabt zumeist ohne großen Zeitdruck, so dass CiP nicht nur wieder einiges zum Beobachten bietet, sondern auch für jüngere Spieler gut geeignet ist.

Denn natürlich gibt es auch immer noch die Möglichkeit, zu zweit vor dem heimischen Bildschirm die Piñatas zu verwöhnen und zu herzen. Falls Omi also Schwierigkeiten hat, sich den Berührungsängsten mit der ach so bösen Spielewelt zu stellen, gebt ihr einfach ein Pad in die Hand, schnappt euch das andere und spaziert mit ihr durch euren Piñata-Garten.

Auftritt CiP: Hier könnt ihr euch drei Hilfsgärtner (natürlich vornehmlich Freunde, denn wer will schon Fremde in seinem

Um allen Bedürfnissen gerecht zu werden, hat man ein umfangreiches und einfach bedienbares Werkzeug-Set zur Verfügung.
Garten rumspazieren sehen?) über Xbox Live ins Boot holen, um euch die Arbeit schiedlich-friedlich-brüderlich zu teilen. Dabei könnt ihr als Gartenbesitzer und Host Kompetenzen und maximale Einflussbereiche festlegen.

Online funktioniert

Der Online-Modus im Vorgänger war eher zweckmäßig als spielerisch sinnvoll. Abgesehen von Geschenken und Piñatas, die man hier wie da an andere Spieler verschicken konnte, wurde nichts geboten.

Als weiteres neues Feature ist es möglich, über die Vision Cam zusätzlich erhältliche Karten einzulesen, um so neue Piñatas in das Spiel zu importieren (Sonys Eye of Judgment lässt schön grüßen). Unserer Vorab-Version lagen allerdings keine Karten bei, so dass wir diese Erweiterungs-Mechanik nicht unter die Lupe nehmen konnten.

Zwar fehlt eine Wettbewerbs-Komponente nach wie vor (z.B. wer schafft es in x Minuten die meisten Piñatas in seinem Garten zu versammeln oder ähnliches), doch es ist ein meilenweiter Fortschritt zum Vorgänger.

Sammel-Karten?

Ja: Die Engine scheint nur an einigen Punkten geschliffen worden zu sein, anstatt mit aufwändigen Veränderungen zu protzen. Doch dabei sollte nicht vergessen werden, dass Viva Piñata bereits Ende 2006 visuell überzeugen konnte und zudem bis heute kaum etwas von seiner Faszination eingebüßt hat. Die Animationen der Piñatas sind herzallerliebst, die Welt birst vor Details und mit dynamischem Wetter, Tag-/Nachtwechsel sowie vielen kleinen Hinguckern macht es immer noch Spaß, sich einfach nur entspannt zurückzulehnen, dem regen Treiben im Garten zuzuschauen und dabei die Machtverhältnisse sowie Beziehungen der sorgsam gestalteten KI zu beobachten.   

Alte Technik

 

Fazit

Rare hält sowohl inhaltlich als auch technisch penibel am Vorgänger fest. Das ist per se nicht schlecht, da Viva Piñata vor gut zwei Jahren auf einer Microsoft-Konsole für ein bis dato nicht gekanntes Spielgefühl gesorgt hat – und uns in der Redaktion bis heute immer wieder beschäftigt. Doch das wäre 20 Monate nach dem Original nicht mehr genug, um uns interessiert hinter unseren Monitoren aufhorchen zu lassen. Und schon lange kein Kaufgrund für "Chaos im Paradies". Doch mit all den sinnvollen Ergänzungen und Verfeinerungen, angefangen von den über 30 neuen Knuddelviechern, der überarbeiteten Steuerung bis hin zum kooperativen Online-Modus für vier Spieler hinterlässt der neue Abstecher nach Piñata Island einen runden Eindruck und ist auch für Pappmaché-Veteranen interessant. Fast möchte man sagen, dass CiP genau das Spiel ist, das der Vorgänger hätte werden sollen. Und damit kann ich auch verschmerzen, dass Rare sich in erster Linie um spielerische Feinheiten gekümmert hat und die Technik eher vernachlässigt – zumal die Engine gut gealtert ist und immer noch idyllische Landschaften bewohnt von unglaublich niedlichen Figuren auf den Bildschirm zaubert. Faszinierende Unterhaltung für die ganze Familie, angereichert mit enormem Tiefgang und einer lebendigen Welt – und das alles immer noch auf einer Nicht-Nintendo-Konsole: Das ist mir wieder den Gold-Award wert.

Pro

  • charmante Knuddel-Kulisse
  • entspannende Akustik
  • eingängige Steuerung
  • intuitive Benutzerführung
  • fast 100 Piñatas
  • offene Spielstruktur
  • umfangreiche Personalisierungsmöglichkeiten
  • hohe Langzeitmotivation
  • Experimente werden gefördert
  • umfangreiches In-Game-Lexikon
  • kooperatives Online-Spiel für bis zu vier Piñata-Gärtner
  • weitere Piñatas über Sammelkarten/Vision Cam importierbar

Kontra

  • keine Wettbewerbs-Modi
  • in seltenen Fällen zu hektisches Mikromanagement
  • Technik ohne spürbare Fortschritte

Wertung

360

Süß wie eh und je und in vielen Bereichen verbessert, zeigen sich die Pinatas bei ihrem zweiten Auftritt von ihrer besten Seite.