Baja: Edge of Control - Test, Rennspiel, 360, PlayStation4, XboxOne, PC, PlayStation3

Baja: Edge of Control
02.10.2008, Mathias Oertel

Test: Baja: Edge of Control

Die Liste an gelungenen Überland-Rasereien ist lang: Angefangen bei Test Drive Offroad, über die Colin McRae Rally-Serie bis hin zum jüngst mit Gold prämierten Pure reicht das Spektrum, das von Arcade bis Simulation eigentlich alles abfackelt. Um aus der Masse herauszustechen, muss man sich schon einiges einfallen lassen. Und 2XL Games, das Team hinter Baja, greift tief in die Trickkiste –- mit wechselndem Erfolg.

Ich liebe dieses Spiel. Ich habe wie in keinem anderen Offroader das Gefühl, der Umgebung ausgeliefert zu sein. Jede Bodenwelle, jede Veränderung des Untergrunds, jeder Sprung führt ins Ungewisse und fordert nicht nur vorausschauendes Fahren, sondern auch die absolute Beherrschung des Materials. In welchem anderen Rennspiel kann selbst das Geradeausfahren zu einer enormen Herausforderung mutieren?

Polarisierend

Trotz einer beeindruckenden Weitsicht gehört Baja nicht zu der Kategorie "visuell beeindruckend". Aber es hat motivierende Qualitäten.

Ich hasse dieses Spiel. Vor allem auf der PS3. Denn wenn das Team von 2XL ebenso viel Sorgfalt und Planung hinsichtlich der Kulisse oder Lernkurve an den Tag gelegt hätte, wie bei der Ausarbeitung der Physik oder der gut reagierenden Steuerung, hätte sich Baja zu mehr als nur einem Geheimtipp entwickeln können. 

Ich bin hin- und hergerissen. Ähnlich wie die Fahrzeuge in neun Klassen auf den über 90 Strecken in sieben ansprechend großen und auch frei befahrbaren Gebieten durchgeschüttelt werden, kommen meine Emotionen unentwegt in Schwingung. Ich möchte den Entwicklern freundschaftlich auf die Schulter klopfen und danken, dass sie sich des Themas "Wüstenrennen" auf diese teils beeindruckende Art und Weise angenommen haben. Und einen kurzen Augenblick später würde ich sie am liebsten einschließen und erst dann wieder rauslassen, wenn sie den Feinschliff angebracht haben, der aus Baja einen richtigen Knaller machen würde.

Über Stock und über Stein

Das fängt an bei den staubtrockenen Menüs, zu denen entspannte Mariachi-Musik dudelt und die mir neben den eher zur Übung dienenden sechs Standardrennmodi einen Mehrspielermodus sowie die Karriere als Motivations-Sprungbrett anbieten. Denn bereits bei der Karriere macht das Team den ersten Fehler. Prinzipiell finde ich es immer gut, wenn man sich von unteren Fahrzeugklassen erst über entsprechende Leistungen für höhere qualifizieren muss.

Ich hätte nicht gedacht, dass mich nach all den Jahren als aktiver Zocker ein Spiel noch dermaßen aus der Reserve locken könnte und mich in nahezu jeder Hinsicht zu einer Tour de Force einladen würde.

Dass aber wie hier die auf den Uralt-Käfern basierende Baja Bug-Klasse ausgerechnet die Vehikel stellt, die am schwersten auf der Strecke zu halten sind, sorgt in den ersten Rennen nicht nur für Frust, sondern für den Impuls zum Hauptschalter zu greifen - oder zumindest zum Guide- oder PS-Button, um das Spiel verlassen zu können.

Es ist nicht leicht, die Fahrzeuge auf den vor Bodenwellen strotzenden Strecken auf der Piste zu halten...

Bei einem Spiel, das zu einem Großteil glaubhaft versucht, akkurat den Grip auf verschiedenen Untergründen sowie eine famos den Spagat zwischen Arcade und Simulation bewältigende Fahrphysik unter einen Hut zu bringen, sind die Käfer einfach nur tödlich und schlichtweg die falsche Wahl.

Denn bevor man sich an das empfindliche Zusammenspiel zwischen Gasgeben, dem vorsichtigen Einsatz von Handbremse und Kupplungsschub gewöhnt hat, während die Strecke mit ihren unnachgiebigen kleinen Hüpfern selbst das Geradeausfahren zu einem Problem macht und einem gleichzeitig die KI die Hölle heiß macht, ist schnelles Scheitern angesagt. Und an diesem Punkt ist das Pad auch einige Male quer durchs Zimmer gerauscht.

Doch in meinem Alter gibt man nicht mehr so schnell auf - und außerdem musste ich mich ja für den Test vorbereiten. Dementsprechend wurde ein weiterer Anlauf gestartet. Und dann noch einer. Und noch einer. Und schließlich war es so weit: Ich konnte nicht nur die Konkurrenz in Schach halten, ich konnte sie sogar dominieren und die ersten Rennserien als Gesamtsieger beenden. Doch die Lernkurve ist steil. Insofern ist es bedauerlich, dass man nicht von einem Tutorial an die Hand genommen wird, das einen in die Steuerungsfinessen einführt. Stattdessen sollte man den Texten auf den Ladebildschirmen mehr Aufmerksamkeit schenken, die einen tatsächlich mit hilfreichen Infos versorgen.

Aufgeben gilt nicht

Überhaupt ist die Startphase von Trial-und-Error gekennzeichnet. Damit meine ich nicht nur die Kontrolle der Fahrzeuge, wobei Streckenkenntnis und das Wissen, wo man auf den vergleichsweise offenen Strecken gut abkürzen kann, trotz der guten eingeblendeten Führungskarte das A und O ist. Vielmehr ist damit die Wahl des geeigneten fahrbaren Untersatzes gemeint, den ihr euch für jede Klasse für Ingame-Währung teuer anschaffen müsst.

Wer hinten liegt, hat nicht nur mit der Suche nach der Ideallinie, sondern auch mit der KI zu kämpfen, die auch vor Abkürzungen und Kampflinie nicht zurückschreckt, sich aber auch Fehler leistet.
Denn ihr habt nur eine spartanische Liste zur Verfügung, die keinerlei Informationsgehalt hat. Beim Fahren stellt man dann zwar mit etwas Erfahrung Unterschiede hinsichtlich Endgeschwindigkeit, Kontrolle, Gewicht oder Beschleunigung fest, doch beim Kaufbildschirm fehlen diese wichtigen Infos.

Das ist umso bedauerlicher, da man zahlreiche Möglichkeiten hat, sein Vehikel mit Leistungsupgrades zu versehen. Doch nicht nur das: In einem umfangreichen Werkstatt-Bildschirm könnt ihr persönliches Tuning betreiben und Übersetzung, Bremsverhältnis etc. haarklein an eure Bedürfnisse anpassen.

Und irgendwann, bei mir war es nach der zweiten erfolgreichen Rennserie, kam der Punkt, an dem mich Baja packte. Denn die Rennen auf dem unberechenbaren Terrain gegen die fordernden, gelegentlich unfair agierenden, aber meist herrlich unberechenbaren und auch Fehler machenden KI-Piloten haben einige Alleinstellungsmerkmale, die ich beim deutlich stuntlastigeren und äußerst ansehnlichen Pure oder dem ebenfalls besser aussehenden Colin McRae DIRT nicht finde. 

Die Betonung hier liegt auf "kann". Denn auch ohne virtuelles Werkzeug in die Hände zu nehmen, bleibt man mit den "Standard"-Upgrades konkurrenzfähig.

Der Erfolg ruft

Nehmen wir z.B. die Rally-Strecken, bei denen ich dank der großen Welt, die mir 2XL auf den Bildschirm bringt, auch mal Fahrzeiten weit jenseits von 30 Minuten erleben kann. Minuten, in denen ich allerdings jede Sekunde auf der Hut sein muss, nicht die Kontrolle über das Vehikel zu verlieren, wenn ich über eine unscheinbar scheinende Bodenwelle hinwegrase und gefährlich ins Schlingern gerate - klasse.

Es warten insgesamt acht Fahrzeugklassen, um auf den über 90 Strecken ans Limit geführt zu werden.
Oder die "Hillclimbs", bei denen es nicht nur darum geht, gegen einen ganzen Pulk an konkurrierenden Fahrern den besten Weg einen mit gefährlichen Steigungen gespickten Berg hoch, sondern auch auf der anderen Seite so sanft und schnell wie möglich wieder runter zu kommen.

Oder auch die Nerven zerfetzenden "Open Class"-Auseinandersetzungen. Je nach Fahrzeugklasse, in der ich antrete, wird meine Startposition und der zeitliche Abstand zu den Vorder- bzw. Hintermännern berechnet. Und ab jetzt gilt: Wer zuerst im Ziel ist gewinnt. So ist man entweder als Gejagter oder als Jäger unterwegs - aber in jedem Fall mit einem gehörigen Adrenalinschub.

Und spätestens hier nahm die Kulisse für mich nur eine zweitrangige Position an. Zugegeben: Die Texturen sind verwaschen, die Schatten der Fahrzeuge fransen aus, es gibt bei den diversen Kameraperspektiven keine Cockpitansicht und die Kantenbildung ist auch nicht gerade einladend. Doch im Gegenzug bekomme ich eine teilweise phänomenale Weitsicht. Und nicht nur das: Im "Freeride" kann ich mich davon überzeugen, dass ich nahezu alles, was ich in den umfangreichen Gebieten sehe, auch befahren kann - so weit das Auge reicht. Naja, fast, denn irgendwann stoße ich doch an unsichtbare Mauern. Das hätte man auch eleganter lösen können.

Biedere Kulisse

Doch viel wichtiger: Es läuft flüssig. Leider nicht mit 60 Bildern pro Sekunde, aber es läuft flüssig. Und die wichtigsten beweglichen Teile der Vehikel, sind überzeugend animiert. Ganz zu schweigen von den teilweise spektakulären Crashs und Kollisionen mit Gegnern, die das Fahrzeug leider nur kosmetisch beschädigen.

Das bedeutet nicht, dass es in Baja überhaupt keine Schäden zu beklagen gibt. Ganz im Gegenteil. Denn jedes Mal, wenn ihr eine üble Bodenwelle mitnehmt, können die Stoßdämpfer beschädigt werden. Bei jedem größeren Sprung kann die Landung dermaßen daneben gehen, dass entweder Reifen oder Ölwanne in Mitleidenschaft gezogen werden. Und wer Bremse oder Kupplung im Übermaß nutzt, riskiert hier einen Schaden, der in den unspektakulären Boxenstopps oder per Helikopter eingeflogener Werkstatt-Crew behoben werden muss, bevor es weiter geht.

Und auch hier hat man keinen Nachteil gegenüber den CPU-Fahrern. Denn diese sind im direkten Duell zwar schwer zur Seite zu schubbsen, machen aber im Gegenzug auch Fehler, versuchen, Abkürzungen zu nutzen und treiben ihr Material bis an die Grenze und der daraus resultierenden Reparatur.

Auch online liefert Baja eine solide Leistung ab und unterstützt weitestgehend lagfreie Rennen für bis zu zehn Fahrer.
Aber zurück zur Kulisse: Die oben angesprochenen Mankos und positiven Punkte gelten im Wesentlichen für beide Versionen - mit zwei enorm wichtigen und in einem Fall sogar stark Wertung beeinflussenden Ausnahmen.

Das geht schon damit los, dass es bei bestimmten Strecken nicht einmal in einer SD-Auflösung zu einer gleichbleibend flüssigen Bildrate kommt. Und in HD-Auflösungen kommt es sowieso nicht zu diesem Phänomen. Ganz im Gegenteil: Bei einigen Gebieten, dazu gehört z.B. auch die erste Karriere-Piste, haben wir gezweifelt, ob Baja hier zweistellige Bildratenwerte erreicht. Zugegeben: Diese Aussage wurde aus Zynismus geboren, doch die deutlich schwächere Grundtechnik, die auf der PS3 zusätzlich noch mit einem enormen Zuwachs an Kantenbildung auskommen muss, kann man nur mit zynischen Kommentaren ertragen - oder einem starken Irish Coffee...

Denn was 2XL hier mit der PS3-Variante abliefert, geht gar nicht. Denn was nützen mir akkurate Fahrphysik, eine gute Steuerung und Weitsicht, wenn die Bildrate umgekehrt proportional zur gewählten Auflösung nach unten geht.

Aber im Ernst: In Zeiten, in denen die aktuellen Versionen von FIFA, Burnout Paradise, Devil May Cry und wie sie alle heißen mögen, auf PS3 mindestens gleichwertig erscheinen, muss so etwas wie Baja wirklich nicht mehr sein. Dass die Wüstenraserei dabei wenigstens nie komplett unspielbar wird und es auch unter diesen widrigen Bedingungen möglich ist zu siegen, rettet Baja auf der PS3 vor dem Totalabsturz. Dennoch ist die Version auf der PS3 eine ganze Klasse schlechter als auf der 360 - leider.

Selbst die weitestgehend lagfreien Mehrspieler-Varianten, die online auf beiden Systemen bis zu zehn Piloten in allen Rennvarianten sowie Splitscreen-Duelle für bis zu vier Fahrer zulassen, können die Sony-Version nicht mehr retten. Denn auch hier schlägt der Engine-Malus gnadenlos zu.

Fazit

Machen wir uns nix vor: Baja ist nicht das prächtigste Offroad-Spiel aller Zeiten. Genau betrachtet ist es mit seinen detailschwachen Texturen, den Kanten und der abgesehen von der enormen Sichtweite in den umfangreichen Gebieten eher biederen Kulisse eigentlich kaum einen zweiten Blick wert. In der aus ungeklärten Gründen viel zu häufig unnötig am Stock gehenden und noch kantigeren PS3-Version noch weniger. Und es wäre so viel leichter, wenn der spielerische Kern nicht so verdammt viel Spaß machen würde. Ein Überland-Spektakel mit derart teilweise ausufernden Strecken und einer derart unberechenbaren und sich stark auf das Fahrverhalten auswirkenden Umgebung, bei der selbst das Geradeausfahren zu einer gefährlichen Situation führen kann, ist mir bis Baja nicht begegnet. Außerdem genieße ich die Momente, in denen ich zwischen fordernder KI und fordernder Strecke hin und her gerissen werde, während ich gleichzeitig versuchen muss, den taktisch besten Zeitpunkt für die dringend nötige Reparatur zu finden. Doch auch diese Momente können nicht verschleiern, dass 2XL Games nicht in allen Punkten so konsequent war wie bei Streckenumfang und Fahrphysik. Es gibt z.B. haufenweise Tuning- und Upgradeoptionen, beim Kauf eines neuen Vehikels allerdings habe ich keinerlei Anhaltspunkte über die Leistungsmerkmale. Und dass Anfänger ohne Tutorial in der Karriere umgehend mit der am schwersten zu steuernden Fahrzeugklasse konfrontiert und so teilweise einen Schritt über den Rand des Frustrationsabgrunds geführt werden, ist ein grober Designschnitzer. Wer wie ich gewillt ist, Zeit in Baja zu investieren und gleichzeitig über die grafischen Schwächen hinwegsehen kann, wird mit der Karriere und den weitestgehend lagfreien Online-Rennen lange und gut unterhalten. Doch der große Wurf ist der Offroader nicht. Dazu fehlen letztlich zu viele kleine und auch große Elemente. Baja ist auf der 360 dennoch eine erfrischende Rennspiel-Abwechslung, die hoffentlich in eine zweite, verbesserte Runde geht. Eine Runde, bei der die Entwickler allerdings ihre PS3-Hausaufgaben machen müssen.

Pro

  • gute Fahrphysik
  • gelungene KI, die auch Fehler macht
  • optionale Tuning-Möglichkeiten
  • einfaches Upgraden der Fahrzeuge
  • haufenweise Wettbewerbe und Rennen in der Karriere
  • enorme Sichtweite
  • sehr große Rennareale
  • weitestgehend lagfreie Online-Rennen für bis zu zehn Spieler
  • starke Auswirkungen der Umgebung auf das Fahrverhalten
  • gute Mischung aus Arcade und Simulation

Kontra

  • Bildrate sinkt umgekehrt proportional zu hohen Auflösungen (PS3)
  • Fahrzeugkauf ohne Leistungs-Charakteristika
  • Karosserieschaden nur optisch
  • unspektakuläre Reparaturen
  • sehr steile Lernkurve
  • Umgebungen im Gros sehr ähnlich
  • Kantenbildung deluxe (vor allem auf PS3)
  • insgesamt eher durchschnittlich-biedere Kulisse

Wertung

360

Unter der spröden, aber sauberen Kulisse schlummert ein kleiner Offroad-Geheimtipp mit guter Physik und viel spielerischem Potenzial.

PlayStation3

Hinsichtlich Inhalt und Umfang ebenso ein Geheimtipp wie die 360-Version, technisch allerdings leider eine ganze Klasse schlechter!