LittleBigPlanet - Test, Logik & Kreativität, PlayStation3
Wenn man mit einem Grinsen im Gesicht vor dem Bildschirm sitzt, dann mag das im ersten Augenblick noch charmant wirken. Das kann aber spätestens nach einer halbe Stunde richtig bescheuert aussehen. Vor allem, wenn Familienangehörige hinter der lächelnden Fassade nur die typischen Auswirkungen von Hopfen, Malz oder Fußball vermuten. Spätestens nach einer Stunde ohne Plöpp oder Jubel werden dann
Mit einem Lächeln auf der Couch |
Bezaubernd: Das Intro nimmt euch auf dem Weg zum LittleBigPlanet (ab 43,32€ bei
Dann geschieht das Unfassbare: Kaum sitzt die argwöhnische Lebensgefährtin bequem, kaum richtet sie den Blick auf den Bildschirm, beginnt auch sie zu grinsen. Vielleicht nicht ganz so dämlich wie der Typ neben ihr, aber aufrichtig und mit dieser aufgeregten Neugier in den Augen, der man sonst nur in Schuhgeschäften begegnet. Wenn sie dann mit einem langgezogenen Ach-was-sind-die-nieeeeeedlich wie von selbst zum zweiten Controller greift, um ebenfalls eine kleine Stoffpuppe mit Brillen, Bärten und Badeanzug zu bekleiden, ist der kooperative Grinsespaß perfekt. Vor allem, weil man der zu aufdringlichen Partnerpuppe auch eine krachende Ohrfeige verpassen kann.
Spaß für die ganze Familie
Und diese Freude hat man tatsächlich schon im pappigen Hauptmenü, in dem übrigens auch in der deutschen Version eine süffisante Stimme erste Hinweise gibt - der Sprecher ist sehr gut gewählt, kommt zwar nicht ganz an die britischen Spitzen heran, sorgt aber dennoch für das eine oder andere Schmunzeln. Überhaupt ist die Lokalisierung gelungen; auch die Texte sind nahezu fehlerfrei übersetzt worden. Ein akustisches Highlight kommt noch hinzu: Das Spiel wird von angenehm unbeschwerter, lustiger und beschwingter Musik begleitet, die mit ihren kleinen Soundeffektüberraschungen wunderbar zum Flickenteppichdesign passt.
Putzig animierte Sackgesichter
Sie beherrschen das Lächeln ebenso wie das Böse gucken und Schmollen, sie können mit beiden Armen in alle Richtungen zeigen, langsam voran gehen, rennen, schlagen, sich und Objekte ziehen, bewegliche Geräte anschubsen und auf Knopfdruck entweder nur hopsen oder zu einem großen Sprung ansetzen. Sie können sich sogar Jetpacks greifen und mit ihnen durch die Levels düsen - allerdings an der Leine. Auch der bewegungssensitive Controller kommt zum Pseudo-Einsatz, wenn man etwa das Jetpack wegschütteln muss.
Hat es denn keine Spieltiefe? Oh doch. Es ist innerhalb des Hüpfgenres kein Meilenstein, was Fähigkeiten und Artistik innerhalb des Spiels angeht - also weder ein Jak&Daxter noch ein Mario Galaxy. Aber LittleBigPlanet ist kein Blender mit zuckersüßer Kulisse und Baukasten, sondern ein waschechtes Jump'n Run. Das heißt, dass Einsteiger spätestens ab der zweiten Welt ganz schön ins Schwitzen geraten, denn wer die Levels wirklich zu hundert Prozent meistern und alle Objekte sowie Punkteblasen abstauben will, muss nicht nur die Augen offen halten, sondern auch über eine gehörige Portion Geschicklichkeit verfügen - tödliche Abgründe müssen übersprungen, wankende Plattformen überwunden, rettende Lianen mehrfach hintereinander ersprungen und böse Fallen schnell unterlaufen werden.
Ein waschechtes Jump'n Run
Man entdeckt zudem immer wieder neue Facetten des Leveldesigns, das in grünen Gärten beginnt und euch um die ganze Welt führt - es gibt afrikanische Regionen mit viel Feuer und lustigen Erdmännchen, die z.B. in einer Kettenreaktion dutzendfach im Boden verschwinden, wenn man sich ihnen nähert. Später geht es in Südamerika etwas gruseliger zur Sache, wenn das Artdesign Richtung Halloween tendiert, während es in Japan inklusiver bizarrer Masken sowie Geishas und später Nordamerika eher städtischer anmutet, bevor es in Russland vor dem Finale noch mal mit Schnee und Eis zu gefährlichen Rutschpartien kommt.
Es kommt immer wieder auf das richtige Timing und Schnelligkeit an, wenn man unbeschadet das Levelende und dabei noch eine hohe Position in der internationalen, online einsehbaren Rangliste erreichen will. Wer es nicht schafft, braucht nicht verzagen, denn das Speichersystem bietet überall komfortable Rücksetzpunkte, so dass man nicht den ganzen Level noch mal von vorne spielen muss. Natürlich gibt es auch einige leichte Abschnitte und vor allem die ersten Wettrennen wirken zu einfach. Aber nur echte Spieler werden auch all die Herausforderungen mit Bravour meistern, die zusätzlich auf der Weltkarte auftauchen, wenn man die betreffenden Schlüssel hat.
Physikalische Spielereien |
Sehen sie nicht süß aus? Oder knuffig? Oder putzig? Egal wie: Die handgenähten Stoffpuppen wecken umgehend Emotionen und lassen sich schier unendlich ausstaffiern und verändern.Als Jump'n Run bietet LittleBigPlanet auf den ersten Blick nichts aufregend Neues: Man springt mit dem richtigen Timing über Abgründe. Man schwingt an Seilen und Ketten. Man sammelt Punkteblasen und Extras. Man findet Geheimnisse. Man kämpft gegen Bossmonster. Alles, was einen guten Hüpfer ausmacht, hat man integriert. Aber auf den zweiten Blick entdeckt man einige interessante Zusätze, die es zwar schon mal hier oder da gab, aber das Spieldesign klar aufwerten. Da wäre zum einen die Physik. Das, was Spiele wie Gish, Bridge Builder oder das kommende World of Goo so geschickt zelebrieren, kommt auch hier zum Einsatz - und zwar vom einfachen Hindernis bis zum knackigen Rätsel.
Die geschickte Verlagerung von Gewichten spielt dabei eine große Rolle, wenn ihr z.B. Wippen beschweren oder drehen müsst, um von ihnen zur nächsten Plattform zu hüpfen. Ihr könnt Kisten verschieben und Hindernisse zerstören, ihr könnt große Objekte wie eine Hennenfigur umkippen und schauen, ob sich darin nicht Punkteblasen verstecken - wenn ihre Köpfe beim Aufprall aufgehen. Ihr könnt mit dem Jetpack schwere Gegenstände durch die Luft transportieren, sie auf einem Kran abladen und durch die Gewichtsverlagerung vielleicht einen Weg frei machen. Ihr könnt und müsst Druckplatten sowie Schaltern ausprobieren, um den Level erfolgreich zu durchqueren; all das sorgt für eine Experimentierkomponente, die Spiele wie Jak & Daxter oder Mario Galaxy nicht bieten.
Kooperation & Dreigleisigkeit
Das einzige Manko der Spielmechanik ist die Tatsache, dass man Gegenstände nicht nach hinten ziehen kann. Innerhalb des dreigleisigen Leveldesigns, das auf einer räumliche Tiefe mit drei Schauplatzschienen beruht, kann ich keine Kiste von ganz vorne einfach so nach ganz hinten bewegen - und das hemmt den Spielfluss hier und da, weil ich künstlich und unlogisch beschränkt werde. Ich kann zwar mit den Sackboys in die Tiefe springen, also von vorne in die Mitte und nach ganz hinten sowie zurück, aber eben nicht in die Tiefe verschieben. Man gewöhnt sich daran, aber das sollten die Entwickler in der nächsten Version genau so ausbauen wie eine spürbare Wirkung von Mimik und Gestik - das würde die emotionale Komponente noch steigern.
Aber selbst wenn Mimik und Gestik der Sackboys keinen spielerischen Einfluss haben: Sie werden so markant inszeniert, dass man mitfiebern muss. Sie legen den Kopf in den Nacken und schließen vor Anstrengung die Augen, wenn sie z.B. Kisten oder schwere Gegenstände ziehen. Sie schütteln den Kopf bis sie platzen, wenn sie sich zum letzten Speicherpunkt bringen wollen und sie ziehen nicht nur niedliche Grimassen, wenn sie jubeln oder sterben, sondern bewegen sich dabei wie zum Leben erweckte Puppen aus dem kunterbunten Bastelkorb eines kreativen Schneiders. Diese schöpferische Magie, die vielen Spielen mit ihren künstlichen Figuren abgeht, strömt LittleBigPlanet aus allen Poren.
Schöpferische Magie
Spielerisch zum Leveldesign
Feedback & Koop-Design
Man kann nicht nur spielerisch designen, also Spaß am Experimentieren mit den eigenen Ideen und seinem Balancing haben, sonder auch kooperativ designen. Sprich: Man baut einen Level zusammen mit seiner Frau, seinen Kindern, seinen Freunden oder wem auch immer. Und gerade dieser Prozess des gemeinsamen Entwickelns sorgt für viel Laune. Außerdem ergeben hier auch Gestik und Mimik Sinn und sorgen für eine kleine schauspielerische Komponente, denn wenn der Partner die Kiste partout nicht nach oben links befördert, kann man als Sackboy schmollen oder dorthin zeigen.
Fazit
Manchmal ist es wie im Märchen: Da basteln einige talentierte Entwickler an einem kleinen Spiel namens Rag Doll Kung-Fu, in dem sich Marionetten physikalisch die Handkante geben. Was in der Independent-Szene als technisches Schmuckstück gefeiert wird, wird von der Masse der Spieler allerdings nicht wahrgenommen. Und kaum sagen die Jungs Lionhead & Co auf Wiedersehen, um ihr eigenes Studio zu gründen, zaubern sie das bisher kreativste, interaktivste und fantasievollste PlayStation 3-Spiel des Jahres aus dem Hut. Wenn man mit einem Grinsen auf dem Gesicht zum Controller greift, damit die ganze Familie ansteckt und zum Mitmachen animiert, dann macht ein Spiel alles richtig. LittleBigPlanet ist aufgrund dieses Wii-Effekts nicht nur das Beste, was Sony passieren konnte. Es ist auch ein Beispiel dafür, dass man Kreativität nicht für eine Zielgruppe kastrieren und dass man Komplexität nicht für 08/15-Anspruch opfern muss, um zu begeistern. Das ist ein forderndes Jump'n Run, das hinsichtlich physikalischer Rätsel und Artdesign die gesamte Hüpfkonkurrenz von Mario bis Sonic hinter sich lässt. Die Faszination liegt auch darin begründet, dass es einen künstlerischen Spagat wagt und meistert: Es verbindet hervorragende Grafik mit putzigem Artdesign. Es verbindet die Faszination des erwachsenen Fotorealismus mit der Faszination kindlicher Fantasie. Gestochen scharfe Holz-, Lack- und Steintexturen mit plastisch wirkenden Oberflächen treffen hier auf einen abgedrehten Collagenstil mit handgenähten Kreaturen. Und nicht zu vergessen der Editor, der wegweisend für die ganze Branche sein kann: Wer diese Büchse der Leveldesign-Möglichkeiten öffnet, wird sich kaum mehr davon losreißen können - hier wird Kreativität gefordert und gefördert, man baut und tüftelt sogar im Team. Hoffentlich beweist LittleBigPlanet, dass man mit diesem frischen Esprit in die versimsten Media Control-Charts aufsteigen kann. Ich wünsche dem britischem Team von Media Molecule diesen Riesenerfolg, denn er könnte nicht nur vielen Nachwuchsdesignern Mut machen, sondern hoffentlich auch Geldgeber und Publisher davon überzeugen, dass sich so manche Million besser in einer schöpferischen Idee junger Entwickler als in einer teuren Lizenz oder dem x-ten 08/15-Shooter anlegen lässt.
Pro
- witzige Figuren
- klasse Jump'n Run
- ausgezeichnete Kulisse
- kreatives Art & Design
- fotorealistische Texturen
- süffisant-charmanter Sprecher
- grandiose Musikuntermalung
- mächtiger Levelbaukasten
- Spieler wird zum Gestalter
- Sticker als interaktives Rätselelement
- viele physikalische Spielereien
- abwechslungsreiches Leveldesign
- Wettrennen, Such- & Logikrätsel
- sehr gute deutsche Lokalisierung
- ausführliche gesprochene Tutorials
- hervorragende Community-Einbindung
- kooperativ spielen & Level bauen
- einige Rätsel verlangen Teamwork
Kontra
- Gegenstände nicht in die Tiefe ziehen
- Mimik & Gestik der Puppen ohne spielerische Wirkung