Sonic Unleashed - Test, Plattformer, 360, Wii, PlayStation3, PlayStation2

Sonic Unleashed
10.12.2008, Benjamin Schmädig

Test: Sonic Unleashed

Endlich! Die schnellste Galionsfigur der Welt besinnt sich auf ihre Stärken und rast wieder mit einem Affenzahn über knifflige Hindernisse, springt fiesen Robotern wie nebenbei auf den Kopf und sammelt mehr Ringe pro Sekunde als ein polygamer Heiratsschwindler im Jahr. So gelingt dem flinken Igel nach seinem verstolperten Einstieg in die aktuelle Konsolengeneration wieder der Sprung in die Oberklasse der Jump&Run-Szene - mit dem 2006 erschienenen Sonic und die geheimen Ringe. Davon kann das dieser Tage erschienene Sonic Unleashed (ab 22,75€ bei kaufen) nur träumen...

Ich war optimistisch. Ich war sogar euphorisiert. Schaut euch diesen Trailer an und sagt mir, dass der sympathische Igel nicht wie in seinen besten Tagen über den Bildschirm braust. Vor allem aufgrund des guten Sonic und die geheimen Ringe und solcher Videos hatte ich es Sonic Team tatsächlich zugetraut, dem Maskottchen wieder zu alter Stärke zu verhelfen. Und die ist immerhin das Ergebnis der Formel "Speed+Geschicklichkeit".

Speed

Unleashed beginnt denn auch genau so: Aus der Schulterperspektive verfolge ich Sonic, als er mit einem Affenzahn über Gras, Sand und die Backsteinwege eines Mittelmeer-Dorfes zischt. Gas geben muss ich meistens 

Sonic in alter Bestform? Rasant zischt der Igel durch Empire City. Der Werigel am Ende des Trailers deutet allerdings Schlimmes an...
selbst, beim Abknicken des Analogsticks schwenkt der Blaumann nach links oder rechts und mit einem Druck auf einen Bumper wechselt er mit einem flotten Schritt zur Seite die Spur. Hat er genügend Ringe aufgelesen, zündet er per Tastendruck außerdem einen kurzen Boost. Obwohl Sonic unangenehm träge auf Richtungsänderungen reagiert, ist dieser erste Abschnitt eingängig, er fordert mich mit kniffligen Sprungpassagen heraus und setzt die im Wii-Vorgänger begonnene Tradition fort - es kann losgehen!

Doch es geht explosiv weiter: Denn kurz darauf wechselt mein Blick aus der Schulterperspektive in eine vertraute Seitenansicht - 2D is back! Jetzt muss ich den Stick nicht mehr nach vorne, sondern zur Seite drücken, damit der blaue Jump&Runner teuflisch schnell über Dächer, Bäume, Schienen, Sprungbretter und durch Loopings schießt. Das Geschwindigkeitsgefühl ist famos. Ich habe zwar nicht mehr zu tun, als gelegentlich die Knöpfe zum Springen, Ducken oder Boosten zu drücken und mit Reaktionsspielen an versteckte Extras zu gelangen, aber der Dauer-Reaktionstest erfüllt die zwei wichtigsten Voraussetzungen: "Speed+Geschicklichkeit".

Geschicklichkeit

Im gelungenen Wechsel aus Schulterperspektive und 2D-Ansicht gibt es jetzt viel Trial&Error, weil ich wegen der hohen Geschwindigkeit kaum erkenne, was Sonic auf den kommenden Metern erwartet und wie er geheime Wege erreicht, aber das ist die alte Schule. Das motiviert zu einem zweiten Anlauf; später darf ich jeden Abschnitt sogar beliebig oft wiederholen und spezielle Missionen erfüllen, in denen mir ein Zeitlimit Druck macht oder Sonic ohne Schaden ans Ziel gelangen muss. Die geheimen Ringe sind back, 2D is back, Sonic is back!

... tut sich unter dem tierischen Raser ein tierisch großes Loch auf. Erst ist es nur ein kleiner schwarzer Punkt, kaum wahrnehmbar - wenn sich der blaue Weltenretter schon im hervorragend inszenierten Intro in eine Mischung aus Igel und Werwolf verwandelt. Fortan ist Sonic des Nachts als Werigel unterwegs, während er sich am Tag in einen Igel zurückverwandelt. Das ist für sich genommen kein Beinbruch. Aber buschiges Fell, spitze Krallen und das Absenken der Stimmlage um drei Oktaven wollen einfach

Spielerische Langeweile: Wie ein Entwickler namens Sonic Team ein dermaßen liebloses Action-Adventure programmieren kann, bleibt ein Rätsel.
nicht so recht zu meinem Sonic passen. Macht ja nichts; so lange sich die Mutation nicht aufs Spiel auswirkt, wär's mir egal.

Und dann...

Aber das Loch wird mit jeder Minute größer - und es wirkt sich aufs Spiel aus. Natürlich... Und wie! Denn anstatt als Igel die Formel 1 der Jump&Runs in einem Geschwindigkeits-Marathon zu entfesseln, quält er sich den bedeutend größeren Teil seiner Zeit als Werigel mit einer ermüdend eintönigen und erschreckend hohen Anzahl dummer Nichtskönner herum. Eine Kombo, noch eine Kombo, noch mal eine ähnliche Kombo und zur Abwechslung ein Finisher, der sich nicht von anderen Finishern unterscheidet - schon liegt mal wieder eine Meute Geister am Boden. Die Gespenster haben dabei nicht nur das Seminar "raffinierte Angriffstaktik" verpennt, sie sehen auch erstaunlich einfallslos aus. Das wundert vor allem deshalb, weil überall sonst glitschige Gletscher oder tropische Trampelpfade ebenso schön gezeichnet wurden wie die putzigen Protagonisten oder die Boss-Vehikel des bösen Widersachers. Und das gilt immerhin für die Wii- und PS2-Fassungen ebenso wie für die technisch überlegene 360-Version. Mit dem Unterschied, dass Letztere in den Werigel-Levels - also ausgerechnet in den langsam Abschnitten - ständig einen bevorstehenden Schluckauf unterdrückt. Sprich: Der Ablauf kommt nie ins Stottern, die Bildwiederholrate macht das Spiel allerdings noch zäher als es ohnehin schon ist.    

Richtig gelesen: zäh. Was nicht nur an dem öden Gespenster-Nachschub, sondern auch an der schwammigen Steuerung liegt. Sonic reagiert nämlich nur zögerlich auf Eingaben des Analogsticks. Muss er vertrackte Kletterpartien bestehen, wird's sogar noch schlimmer. Daran ist nicht nur Tatsache Schuld, dass sich Sonic nur dann an Vorsprüngen festhält, wenn man dafür eine spezielle Taste drückt. Es liegt vor allem daran, dass er nur dann nach einer Kante greift, wenn eine entsprechende Anzeige aufblinkt. Das passiert allerdings nicht immer, wenn er geradeaus auf den Vorsprung schaut. Ich suche die Herausforderung und ich liebe Klettereien, bei denen es in großer Höhe im Magen kribbelt. Aber ich hasse jeden Absturz, der mich hier nur wegen der bockigen Steuerung ein Leben kostet!

Trial&Error&Error&Error

Trial&Error ist eine prima Sache - wenn man die eigenen Fehler sofort erkennt. Wenn man sieht, dass es nach den Regeln der Fairness funktionieren kann. Wenn mich aber eine Programmschwäche eins meiner begrenzten Leben kostet, wird aus Motivation Abneigung. Und damit kennt sich Sonic Team offenbar aus. Sie runden den müden Brei jedenfalls mit Rücksetzpunkten ab, die teilweise einige Spielmeilen von der jeweils letzten Szene entfernt sind. Wer langwieriges Kistenschieben 

Technisch schwächer, haben die Wii- und PS2-Fassungen die spielerische Nase vorn.
gerne drei- oder viermal erledigt, weil er am Levelausgang drei Arenakämpfe, eine Kletterpartie und zwei versteckte Extras weiter scheitert, der ist hier goldrichtig! Alle anderen greifen zur Wii- bzw. PS2-Version, denn dort prügelt sich Sonic durch vollkommen andere Abschnitte.

Szenario, Handlung und Filmsequenzen bleiben dabei natürlich dieselben, so dass der Blaumann auch hier die von Eggman in sechs Teile gespaltene Erde reparieren muss. Allerdings fehlen auf Wii und PS2 viele Levels. Auf den ersten Blick gönnt Sega den technisch schwächeren Konsolen daher nur eine ungeliebte Umsetzung: Wer die Xbox-Fassung kennt, wundert sich zumindest, wie schnell die Handlung mitunter voranschreitet, weil viele Spielszenen einfach fehlen. Dafür dauern viele Abschnitte länger, werden aber von Ladepausen unterbrochen (Werigel-Levels) und bestehen zum Teil aus Wiederholungen bzw. alternativen Routen (Igel-Levels).  Auf Wii darf ich mich zudem zwischen Classic Controller, GameCube-Pad oder Remote und Nunchuk entscheiden, wobei das Schwingen der zwei bewegungssensitiven Controller die zwei Angriffstasten ersetzt. Weil der Nintendo-Konsole eine Schultertaste "fehlt", funktioniert der flotte Seitwärtsschritt des Igels außerdem nur durch gedrückte B-Taste plus Analogstick - eine unkomfortable Lösung im Vergleich zu den restlichen Controllern.

Schwache Brust, starkes Herz?

Das Wichtigste ist jedoch: Die Wii- und PS2-Levels sind nicht nur abwechslungsreicher, die Steuerung ist auch direkter und das Klettern längst nicht so frustrierend. Spielerische Höhepunkte erwarten euch auch hier nicht - aber das immer noch einfältige Mittelmaß tötet weniger Nerven. Ebenfalls bemerkenswert: Die schnellen Jump&Run-Szenen werden auf Wii zu ideenreichen Hindernis-Parcours', während mich ihre 360-Pendants irgendwann kalt gelassen haben. Auf Microsofts Zugpferd gibt es nämlich zu viele Momente, in denen Trial&Error zu oft zum Error führt, während die schwammige Steuerung auch hier an meiner Toleranzgrenze knabbert - die Faszination der Trailer und des ersten Levels war leider viel zu schnell erloschen. Die Versionen für die "kleinen" Systeme bieten mir hingegen knifflige Herausforderungen, bei denen die spielerische Rasanz und nicht meine persönliche Toleranz im Vordergrund steht.

Nicht zuletzt verzichten die Umsetzungen auch auf das mühselige Abgrasen der Städte, von denen aus Sonic in den nächsten Level startet. Wo der 360-Igel nur deshalb durch spielerisch belanglose Ortschaften trabt, um ebenso belanglose Gespräche zu führen, reicht auf Wii und PS2 nämlich ein Klick auf die im Menü gelisteten Gespräche. Hat man alle Personen abgehakt, öffnet sich das Tor zur nächsten Mission. Weil das genau so unaufregend ist wie es klingt, ist mir die technische Notlösung für die schwächeren Systeme

Wegen der schwammigen Steuerung verkommen einige Kletterpassagen leider zur Glückssache.
einfach lieber. Da verzichte ich auch gerne darauf, die aufgelesenen Goldringe bei einem Händler gegen Videos, Bilder oder Musikstücke einzutauschen. Immerhin finde ich ähnliche Extras auch in den Wii- und PS2-Levels. Nur das manuelle Verbessern von Sonics Fähigkeiten fehlt dort, denn das Erlernen neuer Angriffstechniken findet automatisch statt. Auf 360 darf ich hingegen Geschwindigkeit, Schlagstärke, Gesundheit usw. nach Belieben aufwerten. Ich kann auch die Dauer des titelgebenden Unleashed-Bonus' steigern, denn sobald Sonic eine bestimmte Anzahl Geister in das Reich der Toten (zurück)geschickt hat, kann er für kurze Zeit schneller laufen und mächtiger zuschlagen. Unglück im Glück: Oft habe ich den Unleashed-Bonus nur ausgelöst, um das dröge Verhauen endlich zu beenden.

Braucht kein Mensch!

An jedem Ort darf ich übrigens auch wählen, ob ich mit Igel oder Werigel unterwegs sein will - per Knopfdruck wird die Nacht zum Tag und umgekehrt. Entsprechend unterschiedliche Aufgaben erwarten mich dann, wenn ich unter Zeitdruck einen bereits erledigten Abschnitt noch einmal bewältigen oder eine bestimmte Anzahl Ringe sammeln muss. Aber wer will schon dorthin zurück, wo man kaum sieht, wohin Sonic eigentlich springen oder schlagen wird. Will man auf 360 die Perspektive per Hand justieren (Wii- und PS2-Besitzer profitieren von festgelegten Blickwinkeln), zeigt der Bildschirm dann sogar gerne nur eine Wand. Nein, so lange Sonic dermaßen lieblos über den Planeten gescheucht wird, kann die Erde froh sein, wenn sie überhaupt gerettet wird. Alles Weitere braucht kein Mensch - auf 360 noch weniger als auf PS2 und Wii.       

Fazit

Clever, wirklich clever! Anstatt das gute Sonic und die geheimen Ringe weiterzudenken, kam den Entwicklern eine grandiose Idee: "Lasst uns das Action-Adventure ausbauen, das schon im ersten 360-Abenteuer so richtig in die Hose ging. Das MUSS einfach funktionieren." Nein, liebe Entwickler, tut es immer noch nicht. Im Gegenteil: Es ist ein spielerischer Tiefpunkt, der nur von seinem geistigen Vater untertroffen wird. Eine schwammige, ungenaue Steuerung, fehlende Übersicht und völlig einfallsloses Geister-Kloppen (Dynasty Warriors bietet mehr Abwechslung!) bedeuten jedenfalls eine klare Warnung: Finger weg! Besonders auf 360, wo Sonic auch noch durch spielerisch uninteressante Städte stolpern muss, regiert gähnende Langeweile - auf Wii und PS2 sind Leveldesign und Steuerung immerhin "angenehm" belanglos. Einzige Höhepunkte sind die rasanten Abschnitte, in denen Sonic abwechselnd wie im Wii-Vorgänger oder in seinen Megadrive-Abenteuern sprinten und Geschicklichkeitsprüfungen meistern darf. Die Ablenkung hält allerdings nur kurz an: Man verbringt bedeutend mehr Zeit als lahmer Werigel als man als flotter Igel Gas gibt. Auf 360 fällt zudem die schwammige Steuerung stärker ins Gewicht. Nur auf Wii und PS2 rollt und rennt man in diesen kurzen Momenten flott durch das, worauf Sonic-Fans ansonsten weiter warten müssen: ein gutes Jump&Run.

Update vom 19. Dezember 2008:

Inzwischen haben wir auch die PS3-Fassung des rollenden Blaublitzes unter die Lupe genommen - und wie erwartet, kann Sega auch auf der Sony-Konsole nicht an alte Zeiten anknüpfen. Im Gegenteil: Die Version gleicht ihrem 360-Pendant, ist der etwas runderen Umsetzung für Wii und PS2 also ebenfalls unterlegen. Tatsächlich kommt Sonic auf der PlayStation-Rennstrecke sogar nur mit leichtem Dauerstottern voran. Wäre die Steuerung nicht ohnehin so träge und das Werigel-Spiel nicht sowieso dermaßen einfallslos - man könnte sich fast daran stören. Nein, auch PlayStation-Besitzer müssen weiterhin auf ein gutes Jump&Run des Sonic Teams warten.

Pro

  • rasante Taglevel
  • liebenswerter Comicstil
  • Herausforderungen in bereits bekannten Abschnitten
  • manuelles Aufwerten der Fähigkeiten (360)
  • Classic-, GameCube- und Wii-Controller unterstützt (Wii)

Kontra

  • genaues Zielen schwierig, kein Zielhilfe
  • schwammige Steuerung, besonders auf 360
  • ödes Abklappern uninteressanter Dialoge in Städten
  • einfältiges Gegner-Verkloppen
  • belanglose Musik
  • unhandliche Kamera, verschwindet mitunter in Wänden (360)
  • lahme, stellenweise grenzwertige Bildwiederholrate (360)
  • Nerven kostende Klettereien, unfaires Trial&Error (360)
  • einige zu weite Rücksetzpunkte (360)- weniger, wenn auch interessantere Levels als auf 360 (Wii/PS2)
  • zähes, nervendes Tutorial (Wii/PS2)
  • viele Dialoge & Filme im Vergleich zur Spielzeit (Wii/PS2)

Wertung

360

Was einen neuen Höhenflug für den Igel-Raser sein sollte, endet leider in spielerischer Einöde.

Wii

Die Wii-Version hat dank besserer Action und weniger spielerischer Langeweile die Nase ein Stück weit vorn.

PlayStation3

Auch wenn die PS3-Version später erschien - den schwachen Auftritt kann die Verzögerung leider nicht verhindern.

PlayStation2

Inhaltsgleich mit der Wii-Fassung teilt sich die PS2-Variante den traurigen Thron des besten Werigel-Spiels.