The Path - Test, Adventure, PC

The Path
20.04.2010, Benjamin Schmädig

Test: The Path

Als Fairytale Fights das Märchen Rotkäppchen und der Wolf in ein blödsinniges »Renn&Klopp« zwangsinterpretierte, war das bezeichnend für die Spielebranche: Erwachsene und nicht so erwachsene Kinder prügeln sich durch die Müllberge erzählerischer und spielerischer Belanglosigkeit. Selbst die liebevollen Kleinode vieler unabhängiger Entwickler blicken selten über den »Lauf&Drück«-Tellerrand hinaus. Dabei sind viele Spieler dem Playmobilismus doch längst entwachsen. Dabei erwarten sie doch zu Recht eine Prise mehr Sinnhaftigkeit von ihrem Medium. Dabei gibt es doch Spiele wie The Path - auch eine Neuauslegung der Gebrüder Grimm!

Und dabei hätten wir The Path beinahe unter den Tisch fallen lassen. Wie konnte das passieren? Das Spiel der Indie-Formation Tale of Tales hatte mich schon zu seinem Erscheinen vor genau einem Jahr in seinen Bann gezogen und nicht mehr losgelassen. Aber ich war mir nicht sicher: Ist Rotkäppchens Horrortrip noch ein Spiel? Darf man überhaupt eine schnöde Note auf ein so einzigartiges Werk pappen?

Wohin führt dieser Weg?

Wir haben lange gegrübelt - und irgendwann ganz einfach den Anschluss verloren. Aber ich habe den Pfad nie verlassen können. Mir sind Bilder im Gedächtnis geblieben, Melodien;

Video: Welches Schicksal erwartet mich abseits des Weges? The Path ist ein trauriges Horrormärchen für Erwachsene.meine Nackenhaare richten sich heute noch auf, wenn ich an das Haus der Großmutter denke. The Path ist kein Wegwerf-Shooter. Es ist auch kein The Sixth Sense-Adventure, über dessen bewusstseinserweiternde Wendung man seinen Enkeln erzählt. Also was ist es, das aus dem unheimlichen Trip eine unvergessliche Erfahrung macht?

        Sechs Mädchen - Scarlet, Carmen, Robin, Ginger, Rose und Ruby - stehen oder hocken um einen dunklen Holztisch. Dunkelrote Tapete umringt sie, jede von ihnen trägt nur Schwarz oder Rot. Ich wähle eine von ihnen, jemand steckt eine große Flasche in meinen Korb, das Mächen steht auf - und als die Straße zusammen mit dem Lärm der Großstadt am Horizont verschwindet, finde ich mich auf einem sandigen Weg wieder. »Gehe zum Haus der Großmutter«, weist mich eine verschnörkelte Schrift an, »und komme nicht vom Weg ab.« Aber ich kann der Versuchung nicht widerstehen; ich will das Geheimnis ergründen, das sich in den finsteren Schatten verbirgt! Wohin führt mich das gleißende Licht am Horizont? Was bedeuten die Symbole am Bildrand: eine Welle, eine Wippe, das Haus - der Abdruck einer Wolfstatze? Und wer ist das fremde Mädchen, das ich immer wieder in weiter Ferne sehe?

Es bringt nichts, durch den Wald zu sprinten. Man muss The Path auf sich zukommen lassen, in seinem eigenen Tempo. Dabei verstehen es die Entwickler außerordentlich gut, das geruhsame Tempo mit sanften Mitteln zu forcieren - indem sie die Kamera beim Sprinten vom Schulterblick in eine unübersichtliche Vogelperspektive schwenken und indem sie mit der Lust am Sammeln einen der wenigen gewöhnlichen Motivations-Schalter umlegen. Denn nur wer langsam

Was denken die Entwickler des schaurigen Märchens über offene Welten und die Zukunft der Spieleindustrie? Wir haben uns mit Auriea Harvey und Michaël Samyn von Tale of Tales unterhalten.

Stop!

Auch die Steuerung ist ein Grund dafür, dass The Path so gar nicht »God of Wolf« oder »Gears of Rotkäppchen« sein will. Stattdessen hat Tale of Tales viel Aufwand investiert, damit sich auch Interessierte ohne WASD-Vorwissen zurechtfinden. So kommt die Unterstützung des 360-Controllers zwar dem geruhsamen Entdecken entgegen, aber eine Aktionstaste existiert z.B. nicht. Gegner oder herkömmliche Rätsel gibt es ohnehin keine. Stattdessen interagieren die Mädchen selbstständig mit einem Objekt, wenn sie davor stehenbleiben: Sie pflücken Blumen, setzen sich auf eine Schaukel oder eine Bank.

- Special: Vorstellung Tale of Tales

- Interview mit den Entwicklerngeht, entdeckt das Blinken einer der 144 Blüten, die überall im Wald versteckt sind. Wer schnell läuft, rennt daran vorbei!

        Mühsam schleppt sich eine schräge Violine über die wenigen Noten des traurigen Themas. War das gerade das ferne Röcheln eines Hundes? Gar eines Wolfes? Kettenrasseln! Immer wieder entdecke ich Dinge, die im Wald nichts verloren haben. Einen Einkaufswagen z.B., in den sich »mein« Mädchen setzt. Ein Text schreibt sich in den Bildschirm: 

9,99 Dollar kostet das Spiel auf der offiziellen Webseite , entsprechende 7,90 Euro verlangt Steam für die entsprechende Version .

Zum Jahrestag veröffentlichte Tale of Tales außerdem eine Anniversary Limited Edition .

Erinnerungen? Wer ist der fremde Mann, der auf einer Bank am Rand meines Spielplatzes zu warten scheint? Wer ist die Person, die zwischen den Bänken vor einer leeren Theaterbühne wartet? 

Sechs Mädchen machen sich auf den Weg zur Großmutter...
Niemand sonst ist hier - aber als ich mich dem Wartenden nähere, brüllt plötzlich ein Wolf neben mir!

»Ich bin ein Kind, ich bin ein Kind, ich bin ein kleines Kind.

Und ich spiele, und ich spiele, und ich spiele wie es mir beliebt.

Kauf mich jetzt zum Rabatpreis.«

Immer wieder, mit allen sechs Mädchen, entdecke ich nicht nur Blüten, leere Häuser oder einsame Brunnen - immer wieder folge ich den Wegweisern am Bildrand. Die Wolfstatze macht mir Angst. Sechsmal muss ich sie finden, wenn ich die sechs Kapitel beenden will. Aber spätestens, als mein kleines Boot im dichten Nebel verschwindet und die Musik unheilvoll anschwillt, wünschte ich, ich wäre nie hierher gekommen...

The Path ist kein Adventure. Es lebt nicht von Erzählung, von Zwischensequenzen oder vom Drama. The Path lebt in meinem Kopf - als Tagebuch schrecklicher Geschehnisse, über die man nicht spricht, weil sie zu grausig sind. Vielleicht lege aber nur ich die Zeichen so aus. Vielleicht liegt es daran, in welcher Reihenfolge ich sie mir angeschaut habe. Schatten, Farben, Geräusche und Symbole zeichnen ein Gemälde, das jeder für sich erschließen muss. Natürlich gibt es inszenierte Höhepunkte: schaurige Momente, wenn »Rotkäppchen« endlich doch im Haus der Großmutter ankommt, etwa oder warme Augenblicke, wenn das fremde Mädchen den Spieler an die Hand nimmt und auf den Weg zurück führt? Und vielleicht zeigt das vollständige Puzzle am Ende stets das gleiche Bild. Zusammenbauen muss es aber jeder für sich.

Was bleibt...

        Ich erinnere mich an einen Wald, an geheimnisvolle Schatten, an einen Weg. Ich erinnere mich, wie ich sechs Mädchen begleitet habe, wie ich mit ihnen vom Weg abgekommen bin Daran, wie ich sie beschützen wollte. Aber ich wollte auch sehen, was sie gesehen haben. Und die Erinnerung verfolgt mich noch heute!

Ich möchte sie nicht mehr missen.              

Fazit

»Der Weg - oder der Pfad - ist das Ziel«, sagen Tale of Tales über ihr Spiel und treffen den Nagel auf den Kopf. Denn wenn ich anderswo durch die mal sehr weiten, mal sehr schmalen Gänge eines Ereignis-Supermarktes gescheucht werde, damit ich an der Kasse erfahre, was rauskommt, verirre ich mich mit The Path in einem weitläufigen Museum. Ich verliere mich in der Deutung ebenso einfacher wie eindrucksvoller Gemälde und Skulpturen und denke gar nicht daran, den Ausgang zu suchen. Dabei stehen die ungewöhnlichen künstlerischen Mittel gar nicht im Vordergrund - dies hier ist weder technisches noch spielmechanisches Meisterwerk. Vielleicht ist es sogar zu wenig interaktiv, um mich endgültig in die Haut der kleinen Mädchen schlüpfen zu lassen. The Path packt dafür Themen an, von der die pubertierende Spielewelt sonst nichts wissen will. Es ist ein Spiel, das diese Themen ebenso Furcht einflößend wie liebevoll und unheimlich fesselnd einfängt. Es ist ein Spiel, das an der Seele rüttelt.

Pro

  • spielt ohne Plattitüde mit schwierigen Themen
  • stimmungsvolle Umgebungen
  • traurige & unheilvolle Musik
  • ruhiges, freies Entdecken statt straffer Erzählung
  • erzählt über Symbole, Texte, Bilder, Geräusche usw.

Kontra

  • wenig Interaktion
  • automatisierte Bewegungen führen mitunter durch Bäume u.ä.

Wertung

PC

Ein trauriges Horrormärchen, das ein schwieriges Thema anpackt, vor dem selbst Hochglanzspiele zurückschrecken.