Scorpion - Test, Shooter, PC

Scorpion
06.04.2009, Michael Krosta

Test: Scorpion

Es herrscht gewiss kein Mangel an Shootern da draußen - sei es auf dem PC oder den Konsolen. Und in kaum einem anderen Genre ist der Konkurrenzdruck so groß wie hier - gerade angesichts solcher Perlen wie Bioshock, F.E.A.R., Call of Duty oder Killzone. Wer also aus der Masse herausstechen will, sollte schon etwas Besonderes bieten oder zumindest ein gewisses Niveau oder eine herausragende Technik mitbringen. Scorpion: Disfigured mangelt es leider an allem...

Huch, wo bin ich denn hier gelandet? Ich seile mich mitten im Nirgendwo von einem Hubschrauber ab und eine junge Dame namens Judith legt mir in einer Videobotschaft nahe, dass ich mich doch bitte zum Eingang eines geheimen Labors begeben soll. Wer sie ist? Keine Ahnung! Was ich dort soll? Ich weiß es nicht! Ich habe selten ein Spiel erlebt, das einen mit so vielen Fragezeichen über dem Kopf in den Einsatz schickt. Ein Intro ist hier genau so Fehlanzeige wie irgendwelche Erklärungen in Form von Texten auf dem Bildschirm. Erst mit einem Blick ins Handbuch wird die Rahmenhandlung deutlich, die sich um Menschversuche und die Entwicklung eines Virus dreht, mit dem sich Menschen in willenlose Selbstmordattentäter verwandeln sollen. Aha. Und welche Rolle spiele ich dabei? Ich bin ein Special Agent eines Geheimdienstes, den kaum jemand kennt. Unter dem Decknamen "Scorpion" muss ich mich in das Labor einschleichen und werde dafür sogar mit einem High-Tech-Kampfanzug ausgestattet, der nicht nur mit dem typischen Schnickschnack wie Nachtsichtgerät, Energie-Schild oder Taschenlampe

Was geht im Geheimlabor vor sich?
aufwarten kann, sondern dem Träger sogar Spezialfähigkeiten verleiht. Dazu zählt z.B. der so genannte "Zeit-Entschleuniger", der nichts anderes ist als der bekannte Zeitlupen-Modus aus F.E.A.R. - mit dem Unterschied, dass man hier im Gegensatz zum Vorbild ebenfalls langsamer wird und dadurch der taktische Vorteil dahin ist.

Das große Fragezeichen

Daneben stehen auch noch diverse Psi-Kräfte zur Auswahl, über die man allerdings ebenfalls vornehmlich im Handbuch erfährt, denn das Spiel hält sich mit Erklärungen oder Tutorials zur überladenen Steuerung viel zu sehr zurück. Neben der Regeneration, die ähnlich funktioniert wie in Legendary, hat man auch die Möglichkeit, mit einem Psy Shock den Gegnern Schaden zuzufügen oder sie per Gedankenkontrolle kurzzeitig die Seiten wechseln zu lassen. Mittels Telekinese zieht man dagegen Gegenstände aus weiter Entfernung zu sich heran, während man mit der Fähigkeit Amoklauf die Feinde genau zu diesem bewegt, denn hier greifen sie alles und jeden an, der sich ich ihrer Nähe befindet. Allerdings verbrauchen die Psi-Kräfte Energie, die immer wieder manuell aufgeladen werden muss. Für das Nachtsichtgerät und die Taschenlampe sind dagegen Batterien nötig, für die man ebenfalls ständig separate Energie-Pakete aufsammeln und diese per Knopfdruck nachfüllen muss, was hier genau so nervig ist wie bei den Psi-Kräften. Eine automatische Regeneration wäre hier sicher die bessere Wahl gewesen... Das gilt auch für die Lebensenergie, die auch noch manuell mit Heilpaketen wieder aufgefüllt werden muss. Old-School ist ja schön und gut, doch trägt auch gerade das Hantieren mit den drei Energiearten und den Fähigkeiten dazu bei, dass die Steuerung mit Maus und Tastatur völlig überladen wirkt. Allerdings werden die meisten Spieler vermutlich eh weitestgehend auf den Einsatz der Kräfte verzichten, weil das Auswählen viel zu lange dauert: Zunächst muss man mit einem Druck auf das Mausrad bzw. den mittleren Knopf von der Schusswaffe auf die leeren Hände umschalten, sich anschließend für eine Psi-Kraft entscheiden und sie dann auch noch aktivieren. Im Eifer des Gefechts dauert

Die Mutationen sind weder kreativ, noch zeichnen sie sich durch Abwechslung aus. Außerdem wäre besser gewesen, sämtlichen Gegnern die Stimmbänder zu entfernen, um sich die miese Synchronisation zu ersparen.
dieser Vorgang einfach viel zu lange und so bleibt man besser bei dem, was man kennt und Erfolg verspricht: Das gute, alte Standard-Waffenarsenal, bestehend aus Pistolen, Maschinengewehren, Shotguns und Granaten.

Psi-Kräfte

Ich habe eigentlich immer gedacht, dass das Fadenkreuz in der Mitte des Bildschirms dazu dient, seine Feinde genau anzuvisieren, um sie dann zielgenau auszuschalten. Seit meinen Ausflügen mit Scorpion durch die düsteren, farblich monotonen und allenfalls durchschnittlichen Kulissen mit ihren übertriebenen Unschärfe-Effekten habe ich jedoch ernste Zweifel daran, ob das Prinzip wirklich so funktioniert. Denn selbst wenn sich das Ziel - sei es ein Gegner oder eines der zerstörbaren Objekte wie Kisten oder Flaschen - genau im Visier befindet, geht der Schuss oft daneben. Seit wann ist das Schießen in einem Shooter ein reines Glücksspiel? Okay, man kann die Waffen (und auch Fähigkeiten) durch ein rudimentäres Upgrade-System aufrüsten und dadurch auch die Zielgenauigkeit verbessern, aber es ist einfach ein Unding, dass Schüsse selbst auf kurze Distanz so oft daneben gehen, obwohl man genau gezielt hat. Oft treffen die Kugeln aber auch die Körper der langweilig designten Gegner, ohne dass man etwas davon merkt, denn auf eine "Treffer"-Animation oder überhaupt eine Reaktion nach dem Beschuss wird verzichtet. So kann man sich erst dann sicher sein, dass man es geschafft hat, wenn die Feinde zu Boden sacken und sich nicht mehr rühren. Danach kann man sie auch untersuchen und auf Munition, Granaten oder Heilpakete hoffen. Allerdings stecken die Widersacher einiges ein, was nicht selten zu einem Munitionsmangel führt. Vielleicht will man damit für einen leichten Anflug von Panik beim Spieler sorgen? Immerhin orientiert man sich offensichtlich auch vom Design her mit düsteren Schauplätzen, Zeitlupen und dem Versuch kleiner Psychospielchen wie plötzlichen Schreien aus den Boxen an F.E.A.R...      

Treffer oder nicht?

Doch im Gegensatz zur beklemmenden Jagd auf Alma ist Scorpion atmosphärisch so dicht wie ein durchsiebtes Ölfass ohne Boden. Das hat gleich mehrere Gründe: Allen voran ist die lächerliche und miserable deutsche Synchronisation zu nennen, die mittlerweile schon fast als ein Markenzeichen von Atari angesehen werden darf. Schon die Ankunft im Labor wird zur Geduldsprobe für die Nerven, wenn alle paar Sekunden ein "Willkommen bei Zinyth Enterprises" aus den Lautsprechern schallt. Die gelangweilten Aussagen des Protagonisten und seiner Auftraggeberin kann man vielleicht gerade noch so verschmerzen, doch

In den Gefechten will einfach keine packende Atmosphäre aufkommen.
sobald die Gegner ihren Mund aufmachen, ist alles vorbei. Ich habe selten so viel durchweg schlecht gesprochenen Schwachsinn in einem Videospiel zu hören bekommen wie hier. Das soll bedrohlich sein? Das soll Atmosphäre schaffen? Mission gescheitert! Dabei ist es mutig, die Namen der furchtbaren Sprecher auch noch im Handbuch aufzuführen, doch man kann ja immer noch auf einen positiven Nebeneffekt hoffen: Liebe Hersteller, ihr wollt eine schwarze Liste an deutschen Sprechern aufsetzen, die überhaupt nicht für die Synchronisation eines Videospiels in Frage kommen sollten? Hier werdet ihr fündig! Doch es sind nicht nur die Stimmen, die die Atmosphäre (zer)stören! Die gesamte Klangkulisse ist eine einzige Katastrophe, angefangen bei beim düdeligen Soundtrack mit seinen unzumutbaren Loops bis hin zu den unterirdischen Soundeffekten - wenn sie denn überhaupt vorhanden sind, denn bei den Hintergrundgeräuschen kocht man auf Sparflamme. Das geht sogar so weit, dass man in einer unterirdischen Bahn unterwegs ist, die völlig geräuschlos über die Schienen zu gleiten scheint. Der Traum eines jeden Ingenieurs! Doch auch mäßig animierte Gegner, die offensichtlich festhängen und immerzu auf der Stelle laufen oder durch die mangelhafte Kollisionsabfrage teilweise in Türen oder Wänden verschwinden, zeugen nicht gerade von der Mühe der Entwickler. Zumindest aber verhält sich die KI meist relativ clever, sucht Deckung und wechselt die Positionen. Andererseits bin ich auch mehrmals über Exemplare der Marke "Dummkopf" gestolpert, die regungslos darauf gewartet haben, abgeschossen zu werden.

Null Atmosphäre

Zwar fällt der Umfang der Kampagne umfangreich aus, doch werden vermutlich nur willenlose Allesspieler ohne Qualitätsanspruch die Motivation so lange aufrecht halten können, bis (endlich) der Abspann über die Mattscheibe flimmert. Danach ist Schicht im Schacht - es sei denn, man will sich das Baller-Martyrium noch mal in einem anderen der drei Schwierigkeitsgrade antun. Etwas ungewöhnlich für die heutige Zeit: Einen Mehrspieler-Modus gibt es nicht, was angesichts der bereits bescheidenen Kampagnen-Qualität aber vielleicht auch besser so ist. 

Kein Mehrspieler-Modus

    

Fazit

Es gibt so unendlich viele gute Shooter da draußen! Wer zur Hölle braucht da noch so ein durchweg billiges Machwerk wie Scorpion: Disfigured? Niemand! Zwar versuchen die Entwickler, etablierte Elemente des Genres zusammenzuschustern, scheitern dabei aber an allen Ecken und Enden, auch wenn manche Ideen zumindest ansatzweise Potenzial erkennen lassen. Technisch läuft die Action zwar auch auf schwächeren Systemen flüssig über den Bildschirm, aber ein Hingucker sind die meist düsteren Kulissen mit ihrem übertriebenen Unschärfe-Filter im Hintergrund nicht, sondern erinnern mehr an PC-Spiele der späten Neunziger. Doch auch inhaltlich wirkt der Titel hoffnungslos veraltet: Das manuelle Hantieren mit den verschiedenen Energiesorten zehrt schnell an den Nerven, die Psi-Kräfte erscheinen im Eifer des Gefechts meist unpraktisch und auch das Level- sowie Gegnerdesign locken niemanden mehr hinter dem Ofen hervor. Den Vogel schießt aber die Klangkulisse hab: Das Zusammenspiel von miesen Synchronstimmen, furchtbaren Soundtracks und entweder nicht vorhandenen oder durchweg schlechten Soundeffekten resultiert in Schwingungen, bei denen das Trommelfell am liebsten zum Streik übergehen würde, um dem gequälten Zuhörer die Schmerzen zu ersparen. Zumindest aber ist man konsequent in dem, was man macht - auch wenn es in diesem Fall konsequent schlecht ist. Scorpion Disfigured kann weder inhaltlich noch technisch überzeugen und ist demnach so überflüssig wie ein Regenschirm bei Sonnenschein, ein Uwe Boll-Film oder die Zeitverschwendung, die beim Spielen dieses Machwerks zwangsläufig entsteht.

Pro

  • im Ansatz einige gute Ideen...

Kontra

  • -...die aber schnell verpuffen
  • furchtbare Soundeffekte (wenn vorhanden)
  • langweilige Musik
  • schreckliche & nervige Synchronisation
  • unpräzise Steuerung
  • Story erst durch Handbuch nachvollziehbar
  • keine Trefferanimationen
  • ständiges manuelles Nachfüllen von Energie nervt
  • KI-Aussetzer
  • Probleme mit der Kollisionsabfrage
  • überladene Steuerung
  • ödes Design (Missionen, Gegner etc.)
  • technisch höchstens durchschnittlich
  • keine Mehrspieler-Modi
  • null Atmosphäre

Wertung

PC

Billig-Shooter der Marke "Überflüssig". Wer sich trotzdem heran wagt, sollte Ohropax griffbereit halten und sich technisch sowie spielerisch ein paar Jahre zurück versetzen können.