Bionic Commando - Test, Action-Adventure, 360, PlayStation3, PC
Ein Mann, ein Arm, viel Seil: Nathan Spencer schwingt sich durch eine bedrohte Welt.Erst sieht man nur ein dunkles Wölkchen. Und es grummelt ein wenig unter den Füßen. Aber dann vibriert sie, dann bebt sie und schließlich erzittert die Erde, bevor sie mit einem satten Krachen aufreißt: Ein gigantischer Wurm aus Stahl bohrt sich in die Luft, um sich kurz zu rekeln und glühenden Auges einen Winzling namens Nathan Spencer ins Visier zu nehmen. Der Mann ist wirklich klein. Aber er hat einen verdammt langen, 500 Millionen Dollar teuren Arm plus Stahlseil und Greifhaken - kann er damit auch Großartiges leisten? Jedenfalls Spektakuläreres als Tarzan und Anspruchvolleres als Spider-Man. Ein mechanisches Biest aus zigtausend Tonnen Stahl, dem ich Autowracks ins Gesicht schleudern kann? Das ist schon mal was.
Wenn die Erde bebt
Capcom steht seit jeher für gehobene Bosskampfkultur. Und auch in Bionic Commando (ab 7,39€ bei
Die große Herausforderung
Trotzdem ist der Alltag des außergewöhnlichen Kämpfers, der nebenbei auch noch mit Projektilen, Schrot und Raketen schießen sowie Granaten werfen kann, kein leichter: An jeder Ecke lauert der Tod - mal ist es eine Übermacht, mal ist es Radioaktivität, mal ist es Wasser und sehr oft ist es ein Abgrund. Und nicht selten kommt der eigene Übermut hinzu, wenn irgendwo ein Bonusgegenstand über einer Schlucht baumelt. Nur erfahrene Zocker sollten sich an den zweiten der drei Schwierigkeitsgrade heran wagen. Oh ja, dieses Spiel ist knifflig, zumal die manchmal etwas weit zurück liegenden Speicherpunkte die Geduld strapazieren. Aber obwohl es zwischendurch immer mal wieder zum heiligen Fluchen und Gamepad-an-die-Wand-schmeißen animiert, bleibt es angenehm knifflig, weil es letztlich unheimlich befriedigt, wenn man in diesen Spielfluss aus Schwung, Sprung und Schuss kommt. Außerdem sieht diese futuristische Welt einfach klasse aus: Vor allem der Übergang von der diesigen, überaus engen Fels- in die offene Waldlandschaft ist ein atmosphärisches Highlight. Wenn man sich aus der dunklen Tiefe eines Canyons nach oben arbeitet und das erste Mal die Sonnenstrahlen sieht, die durch dieses üppige Grün jagen, kommt sofort Entdeckerlust auf. Und grafisch wird man immer wieder vom stimmungsvollen Lichteinfall überrascht. Zwar kommt die Kulisse hinsichtlich der Textur- und Partikeldetails bei Explosionen
nicht an Resident Evil 5, Killzone 2 & Co heran, aber dafür bietet sie einige herrliche Panoramablicke, sehr plastische Oberflächen an Felsen und Bäumen sowie eine klasse Beleuchtung. PlayStation 3 und Xbox 360 hinterlassen übrigens beide bis auf sporadische Pop-ups eine sehr gute Figur; Letztere profitiert lediglich von etwas satteren Farben und stellenweise etwas mehr Texturdetails - aber das sind unterm Strich alles grafische Peanuts. Der optische Gesamteindruck ist auf beiden Systemen ein sehr guter; kommende Spiele wie Prototype oder inFamous müssen sich anstrengen.Zumal Capcom das Ganze meisterhaft musikalisch inszeniert: Gerade die ruhigen Phasen des Spiels, in denen man nicht kämpfen muss, werden einzig und allein von Streichern begleitet, die im Gegensatz zu den treibenden Beats der Gefechte plötzlich mit ruhigen, fast schon wehmütigen Melodien für Entspannung sorgen; man schaut sich um und genießt - ich fühlte mich manchmal an das Thema von Arcanum erinnert. Schon das Hauptmenü fällt mit seinen Klavierklängen sofort angenehm auf, aber erst diese Momente verdeutlichen, wie wichtig ein dynamisch auf das Geschehen eingehender Soundtrack sein kann. Veteranen dürfen sich natürlich darüber freuen, dass das Thema des NES-Originals aus dem Jahr 1988 in leicht angepasster Komposition wieder ins Ohr fließt.
Ein Höllentrip mit Schwindelgarantie
In den riesigen Häuserschluchten mit all den Schrägen und Plattformen kommt sehr schnell ein akrobatisches Freiheitsgefühl à la Spider-Man auf - irgendwann pfeift einem der Wind um die Ohren und beim Sturzflug kribbelt es im Bauch. Diese Bungee-Akrobatik fühlt sich richtig cool an; vor allem, wenn es in luftiger Höhe noch gegen fliegende "Polycrafts" zur Sache geht, die nur an ihrer Unterseite oder über Raketenwerfer verwundbar sind. Das Faszinierende ist, dass die Schwungphysik die freie Bewegung in alle Richtungen erlaubt. Aber sie verlangt auch wesentlich mehr Timing und Skills als jene des Spinnenmanns, den man mit einem Dauerknopfdruck fast blind durch die Hochhäuser leiten konnte.
Anspruchsvolle Schwungphysik
Der Greifhaken kann zwar fast überall auf 20 Meter Entfernung fest machen, egal ob Autos, Kräne, Gegner, Dächer, Laternen, Planken, Roboter, Balkone oder Ballone, aber man muss sein Ziel erstens rechtzeitig anvisieren und zweitens den perfekten Zeitpunkt für den Absprung finden; dargestellt durch das Aufleuchten einer blauen Grafik. Denn nur dann fliegt man entsprechend weit zum nächsten Greifhakenpunkt und kann evtl. wie Tarzan an den Lianen ganze Kombinationen an Schwüngen und Sprüngen einleiten - wenn man einmal in diesen Fluss kommt, macht das richtig Laune.
Und der mögliche Sprung auf Oberflächen per Doppelknopfdruck ist ein Garant dafür, dass man trotz einer anfänglichen Unsicherheit und Hektik immer die Kontrolle behält. Landet man im Tutorial noch des Öfteren auf dem Boden, entwickelt man mit der Zeit eine sichere Sprung- und Flugtechnik. Spätestens, wenn man die Steuerung richtig ausnutzt und bei einem freien Fall z.B. sofort die Greiftaste gedrückt hält oder sich mit dem Analogstick umschaut. So kann man frustrierende Abstürze vermeiden, weil Nathan theoretisch automatisch das nächste Ziel anvisiert - praktisch stirbt man dennoch viele verfluchte Tode.
Der echte Nervenkitzel
Und vor allem, wenn man alle Bonus-Symbole ergattern will, braucht man wirklich starke Nerven und eine sichere Schwungtechnik. Ob die Entwickler Spaß daran hatten, die Blasen genau so zu platzieren, dass man wenige Zentimeter über ihnen baumelt? Manche sind z.B. so fies über dem offenen Meer platziert, dass man erst hinüber springen und dann in der Luft über eine 180-Drehung das rettende Ziel anvisieren muss, das sich eigentlich im Rücken befindet - wenn man das schafft, dann atmet man richtig durch. Aber es gibt neben den akrobatischen Herausforderungen auch viel Action, darunter auch Abschnitte mit teilweise unterhaltsamer, aber auch konventioneller Fließbandaction.
Das schwache Krawumm
Trotzdem spielen die Wummen und damit die klassische Projektilaction innerhalb der Kämpfe eher eine untergeordnete Rolle, weil sie gegenüber den physikalischen Möglichkeiten des Arms doch zu schwach sind; das ist eine gute Designentscheidung, denn sie zwingt zum kreativen Einsatz der vernichtenden Biotechnik. Und spätestens, wenn die fliegenden Biomechs zu zweit oder gar zu dritt heran rauschen, muss man auch mit einem durchschlagenden Raketenwerfer taktisch klug haushalten.
Allerdings ist es letztlich keine konsequente Designentscheidung, denn die Schusswaffen hätten für meinen Geschmack noch viel öfter ineffizient sein oder auf bessere Panzerung treffen müssen - dafür hätte es letztlich noch mehr Gegnertypen, noch mehr Bosskampfvielfalt gebraucht. Man kann z.B. auch überaus erfolgreich mit dem Scharfschützengewehr aus dem Hinterhalt feuern oder mit einer Ladung Schrot gleich mehrere Feinde flach legen, ohne dass die KI entsprechende Gegenmaßnahmen trifft. Aber immerhin ist Munition für bessere Waffen relativ rar gesät und erst der geschickte Einsatz des Greifhakens löst unterm Strich so manche knifflige Kampfsituation.
Akrobatik ist Trumpf
Im Laufe des Spiels lernt Nathan noch einige weitere martialische Manöver, wenn er erfolgreich kleine Miniquests à la "Vernichte fünf Biomechs" oder "Töte einen Gegner am Greifhaken aus Luft" abschließt. Da wäre zum einen die Sprungattacke samt Bereichsschaden: Wenn man sich aus größerer Höhe fallen lässt und noch in der Luft einen Knopf betätigt, wird daraus ein mächtiges Stampfen, das alle Gegner in Sichtweite zu Boden wirft und sogar tötet. Hinzu kommt die wirkungsvolle Rundumattacke: Wenn Nathan seine Wutleiste durch erfolgreiche Angriffe aufgeladen hat, kann er mit seinem Stahlseil einmal um seine eigene Achse wirbeln und alle Gegner im Umkreis treffen - das ist ideal in den Gefechten, denn man wird auch des Öfteren von einer Übermacht umzingelt.
Eine Welt am Abgrund
Nathan wird mit der Aussicht erpresst, nach erfolgreichem Einsatz seine verschollene Frau Emely wieder sehen zu dürfen. Wer kann da schon Nein sagen? Leider wird dieses interessante Motiv letztlich viel zu selten eingeflochten, so dass man die Beziehung schwer einordnen kann. Der muskelbepackte Rastamann lässt sich jedenfalls grummelnd auf den Deal mit der Regierung ein und wird in deren Auftrag in die nahezu komplett zerstörte Hauptstadt Ascension City geflogen.
Held alter Schule
Trotz seines modernen Rastalooks ist er ein schroffer Typ alter Schule, ein muskelbepackter Held der 80er. Er freut sich wie ein Kind, wenn er seine Feinde mit Granaten überrumpelt und schreit seine Freude mit einem wilden Yeeeeeaaaah hinaus, wenn er dreißig Meter in einen Abgrund stürzt, nur um sich wenige Meter vor dem Tod über einen geschickten Greifhakenwurf abzufangen. Und er ist trotzig, wütend, entschlossen. Deshalb flucht er bei nahezu jedem Befehl mit der markanten englischen Stimme Mike Pattons (Faith No More); eine deutsche Lokalisierung hat sich Capcom gespart, es gibt lediglich teutonische Texte. Und die Story? Ja, die ist neben der KI ein Schwachpunkt des Spiels. Auch das Leveldesign, so unheimlich abwechslungsreich es grafisch ist, wiederholt sich irgendwann in seinen Aufgaben. Das bedeutet: Levelvorhang auf, Sendestation über die Minikarte ausfindig machen, Minenfelder deaktivieren, durch die jetzt zugänglichen Lüfte segeln und den Ausgang suchen, wo ein Bosskampf wartet.
Hacken auf Knopfdruck
Stattdessen bekommt man nach dem Hacken meist noch eine Textinformation, die in der Sendestation gespeichert ist. So erfährt man zwar mehr über seine sowie die Hintergründe so manch anderer Figur oder Organisation in der Spielwelt, aber all das verliert sich in zusammenhanglose Details, die man irgendwann nur noch überfliegt. Besser wäre es gewesen, mehr von der Story und den politischen Machenschaften über Zwischensequenzen, Flashbacks oder Szenenwechsel zu transportieren.
Immerhin gibt es seltene Beispiele dafür: Etwa als Nathans ehemalige Kameradin Mag auftaucht und sich kräftig mit ihm streitet - das wird gut und lebendig in der Enginegrafik dargestellt. Außerdem gibt es einmal einen gezoomten Blick auf eine verschwörerische Diskussion der Feinde; auch das sorgt für mehr Zusammenhang in der Spielewelt. Aber unterm Strich waren das zu wenige Zwischensequenzen, gerade für Capcom'sche Verhältnisse. Ein Indiz dafür ist auch der viel zu selten verlangte Druck auf
den Regie-Knopf: Nur an zwei, drei Stellen kann man mit ihm die Kamera auf bestimmte Ereignisse ausrichten. Da war sicher mehr drin, um der Dramaturgie mit Perspektivwechseln auf die Sprünge zu helfen.Nach dem Abspann, den man nach etwa zehn Stunden sieht, geht es online weiter: Bis zu acht Spieler können eine bestimmte Zeit lang auf einer Hand voll Karten um wertvolle Punkte kämpfen. Im Gegensatz zum normalen Deathmatch geht es hier darum, die Kontrahenten auf möglichst stilechte Art in die ewigen Jagdgründe zu schicken. Sprich: Man bekommt für spektakuläre Kills auch mehr Punkte. Wer einfach nur aus der Distanz ballert, darf sich gerade mal einen Punkt gutschreiben; wer jedoch den Gegner per Greifhaken an sich heran zieht und tritt oder gar in die Luft wirbelt und dort per Feuerwaffe ausschaltet, bekommt ein Vielfaches mehr.
Schwingen mit Freunden
So entstehen rasante und hitzige Gefechte in angenehm verwinkelten Arealen. Trotzdem ist der Multiplayer-Modus eher ein kurzes Spektakel für zwischendurch. Capcom hat weder Team-Modi noch erweiterbare Fähigkeiten oder Freischaltbares wie Kostüme, Waffen etc. im Angebot, die langfristig ans Internet binden könnten.
Fazit
Okay, die Schwächen liegen auf dem Tisch. Sie grinsen mich wie scharf geschliffene Wertungsmesser an: Zwischendurch gewöhnliche Balleraction, unterm Strich zu wenig Bosskämpfe, Story nicht prägnant genug inszeniert. Aber dann zuckt es in meinen Fingern, als sich die Stärken mit aller Kraft melden: Grandiose Kulisse, freie Schwungphysik, anspruchsvolle Herausforderungen, taktische Kampffreiheit, unheimlich befriedigendes Spielgefühl, ruhige Entdeckung trifft auf explosive Action, hervorragende Musik, spektakuläre Bosskämpfe. Und plötzlich juckt es in meinem Arm, als ich mir die Frage stelle, ob ich mehr Spiele dieser Art will und ein klares JA höre. Also schnellt meine Begeisterung wie ein Stahlseil vor, greift sich den Tisch mit den Kontrapunkten, lässt ihn in der Luft schweben und ich denke an die packenden Momente, die nach dem Abspann haften blieben. Manchmal zögerte man regelrecht, sich in einen Abgrund zu stürzen, den das Radar als Ziel vorgab: Wie, das soll ich runterspringen? Ist das euer Ernst? Aber wenn man schließlich beherzt absprang, dann kribbelte es im Bauch. Seit Altair ist niemand mehr so elegant in die Tiefe abgetaucht wie dieser bionische Greifdegen: Er breitet seine Arme wie die Schwingen eines Adlers aus und lässt sich todesmutig fallen, bevor er sich in einen Flow aus Sprung, Schwung und Schuss steigert. Und kurz bevor der Tisch der Kritik den Boden küsst, sorgt ein weiterer Pluspunkt für Gewissheit. Ich steh auch deshalb auf dieses Spiel, weil hier ein NES-Klassiker aus dem Jahr 1988 verdammt gut in die Moderne übertragen wurde. Obwohl hier alles schön neu und hübsch dreidimensional ist, kann man die Arcadewurzeln riechen: Es ist angenehm knifflig, angenehm explosiv und auf eine sympathisch veraltete Art heroisch. Also schmetter ich den Tisch mit Schmackes auf den Boden. Übrig bleibt trotz kritischer Splitter ein Kern aus Gold!
NEU: Zum Video-Fazit!
Fazit zur PC-Version vom 13. Juli 2009:
Es gab eine Zeit, da wollte man am liebsten in Deckung gehen, wenn sich eine PC-Umsetzung aus Japan ankündigte. Vor allem Capcom ließ seine besten Spieleflieger gerne abstürzen, manchmal sogar in den in Wertungskeller: Onimusha 3 und Resident Evil 4 lassen grüßen. Aber Capcom hat aus diesen Fehlern gelernt und erst kürzlich mit Street Fighter IV bewiesen, dass man auch mit DirectX umgehen kann. Und auch Bionic Commando kann sich auf dem Rechner sehen lassen: Zwar kann man nicht in erweiterten Grafikoptionen an Shadern & Co drehen, aber es läuft flüssig in bis zu 1600 x 1200, wahlweise auch auf 16:9 optimiert. Große Unterschiede zu Xbox 360 oder PS3 sind optisch nicht auszumachen. Obwohl sich das Ganze auch mit Maus und Tastatur steuern lässt, und der Nager theoretisch bei der Umsicht für das nächste Wurfhakenziel schneller ist als ein Analogstick, sollte man tunlichst mit dem 360-Gamepad spielen. Erstens wird es sofort erkannt, zweitens ist das Spiel dafür optimiert - selbst die Steuerungshinweise in den ersten Abschnitten beziehen sich nur auf Controller-Symbolik. Zusätzliche Features für den Rechner gibt es bis auf den optionalen LAN-Modus nicht. Da ansonsten alles 1:1 übernommen wurde, bleibt es auch bei der Wertung. Übrigens: Eine Online-Registrierung ist nicht notwendig.
Pro
- anspruchsvolle Wiedergeburt eines Klassikers
- sehr gute Schwungphysik
- grandioser Soundtrack
- klasse Bosskämpfe
- gute KI im Nahkampf
- optimale Spielbalance
- akrobatischer Nervenkitzel
- spektakuläre Physikauswirkungen
- fantastische Panoramablicke
- abwechslungsreiche Kulissen
- freie Landschaften, Stadtruinen & Innenräume
- ruhige Erkundung & explosive Action
- angenehme taktische Kampffreiheit
- Online-Deathmatch für bis zu acht Mann
- Originalstimme Mike Pattons (Faith No More)
- gutes Art- und Menüdesign
Kontra
- etwas zu wenig Bosskämpfe
- Missionsdesign wiederholt sich
- schwache KI in Schussgefechten
- viele Fließtexte statt markanter Zwischensequenzen