Gravity Crash - Test, Arcade-Action, PSP, PlayStation3, PS_Vita

Gravity Crash
08.12.2009, Benjamin Schmädig

Test: Gravity Crash

Wenn 8Bit-Kahlköpfe in die Vergangenheit blicken, dann schwärmen sie von monochromen Fantasy-Epen und zweistimmigen Symphonien. Dabei sieht die Wirklichkeit ganz anders aus: Wenn sie 20 Jahre später einen Blick auf Vectrex-, Atari 2600- oder C64-Klassiker werfen, sind nämlich selbst Hardcore-Nostalgiker erstaunt, wie grob ihre ASCII-Traumwelten inzwischen aussehen und wie ohrenbetäubend sie lärmen. Doch es gibt Ausnahmen, die zwar so auszusehen als wären sie tausend Jahre alt, die aber modernsten Ansprüchen genügen!

Wie ich auf die Idee kam, Gravity Crash runterzuladen? Es waren Auszüge des Soundtracks, welche schon vor der Veröffentlichung zum Reinhören freigegeben waren: Peppige Elektro-Beats mischen sich da unter kratzige Trance-Wellen - Tim Wright ist mit den Videospielen einer vergangenen Ära aufgewachsen und lässt diesen musikalischen Wurzeln freien Lauf. Seine Geschichte als Lemming, Sensible Soccer oder Shadow of the Beast steckt in jeder Note!

Sirenen der Vergangenheit

Es war aber nicht nur der gute Ton, der mich das virtuelle Portemonnaie zücken ließ. Es war auch das fantastische Neonleuchten, das der wenigfarbenen Vergangenheit einen modernen Anstrich gibt. Denn obwohl die geraden Linien in Gravity Crash weder Treppchen noch Kästchen kennen, zeigen sie nur das Nötigste. Linien machen Berge, die Bösen leuchten rot, Extras gelb und Verbündete grün - mehr

muss man nicht wissen. Und das reicht! Wo Super Stardust HD seine Vorgänger mit einem Effekte-Overkill wiederbelebt und Geometry Wars: Retro Evolved 2 die Wiederauferstehung der Alten Schule mit einem überbordenden Feuerwerk zelebriert, besinnt sich Gravity Crash auf die schlichte Eleganz guten Designs. Und auf die spielerische Brillanz seiner geistigen Ahnen...

Willkommen in der modernen Antike: So sieht Retro heute aus!

Denn ähnlich wie Geometry Wars das Prinzip des einst vergessenen Zwei-Stick-Shooters in die Jetztzeit hievte, modernisiert der PS3-Shooter so genannte Cave-Flyer wie Oids , Gravitar oder Thrust . Das Prinzip des beinahe vergessenen Mini-Genres ist so einfach wie fordernd: Weil das Vehikel (meist rein Raumschiff) aufgrund der Erdanziehung nämlich ständig nach unten "gezogen" wird, steht das gefühlvolle Manövrieren durch enge Höhlensysteme im Vordergrund. Dort wird es zwar auch von Geschütztürmen und fliegenden Widersachern attackiert, doch die eigentliche Herausforderung ist das Meistern der präzisen Flugrichtung. Die Trägheit ist der springende Punkt, denn im Gegensatz zu anderen Kampffliegern beschleunigt der Flitzer hier nur langsam auf Höchstgeschwindigkeit und kann nicht urplötzlich seine Richtung ändern. Vielmehr führt nur der stetige Schub zu einem Kurswechsel.

Auf Tuchfühlung mit dem Bildschirmtod

Mit winzigen Eingaben schiebe ich mein Raumschiff im Schneckentempo nur eine Haaresbreite von einer Felswand entfernt daran vorbei - eine Berührung und das Schiff würde sich in seine Bestandteile auflösen! Noch einmal die Nase in eine andere Richtung gedreht, noch einmal kurz Schub gegeben - dann verlasse ich endlich den knappen "Zubringer" und darf meine schwer verdienten Extra-Diamanten einsammeln. Und dann spüre ich ihn plötzlich wieder: den Adrenalin-Kick nach einer gemeisterten Herausforderung, in der jeder Fehltritt den Bildschirmtod bedeuten könnte. Es einfach nur geschafft zu haben, kann sich so verdammt gut anfühlen! Tatsächlich habe ich mich seit langer Zeit endlich wieder dabei erwischt, wie mir einige

Natürlich gibt es in Gravity Crash auch gewaltige Explosionen...

Mein Ziel ist dabei stets klar definiert und wunderbar simpel: Sammle eine bestimmte Anzahl Kristalle, zerstöre soundso viele Treibstofftanks oder Ähnliches. Warum? Das wollte mir die Zentrale nicht mitteilen. Verständlich! Ich bin ja nur der arme Müllroboter, der als einziger noch verfügbarer "Pilot" das "Aufräumkommando" durchführen muss... Alles, was ich zusätzlich zerstöre (Raketenbasen, Geschütztürme, Kraftwerke) schraubt lediglich meinen Punktestand in die Höhe. Immerhin verbindet auch Gravity Crash die Moderne mit der Videospielantike, indem es den Kampf um Highscore-Ehren im Internet austrägt. Dabei gibt es nicht nur fürs schnöde Abknallen feindlicher Stellungen Punkte, denn mitunter fülle ich mit den Splittern zerstörter Treibstoffkristalle auch meinen "Sprit" nach. Neben dem Aufspüren versteckter Artefakte und Knotenpunkte ist das Abholen gestrandeter Piloten spannend, die auf den feindlichen Planeten notlanden mussten. Dafür muss ich den Flitzer nämlich landen, was eine geballte Ladung Feingefühl erfordert. Schließlich muss der Gleiter nicht nur auf halbwegs ebenem Boden, sondern auch parallel zur Oberfläche und mit geringer Geschwindigkeit aufsetzen. Hier sind Millimeterarbeit und viel Geduld gefragt!            

Sekunden lang der Atem stockte, wenn ich haarscharfe Manöver flog. Gerade so als wäre die Zeit stehen geblieben.

Die Entdeckung der Langsamkeit

Mich begeistern aber nicht nur die ungewöhnliche Anforderung an das motorische Feingefühl sowie die Erfolgserlebnisse nach gemeisterten Abschnitten - ich mag auch den Rhythmus, mit dem ich mich in den weitläufigen Höhlensystemen fortbewege, denn in Sachen Tempo ist Gravity Crash eine Kampfansage an die kurzlebige Snackgesellschaft. Schnelles Flitzen und rasante Balleraction? Sucht der Geometry Warrior hier vergeblich! Stattdessen bewegt er sich schon aufgrund der simulierten Trägheit vergleichsweise behäbig durchs All. Und es ist sogar ausgesprochen hilfreich, das Raumschiff hin und wieder von selbst gen Boden sinken zu lassen, um nur mit gelegentlichen Schüben seine Flugbahn zu korrigieren. Warum das hilft? Weil der Treibstoff sonst gefährlich knapp werden kann!

Als Überlebenshilfe dient dem Piloten übrigens ein Schutzschirm, der entweder manuell ausgelöst wird oder sich vor Zusammenstößen und unter Beschuss automatisch aktiviert. Manuell geschaltete Schirme laden sich dabei von selbst wieder auf; automatische benötigen Treibstoff und entladen sich bedeutend schneller. Auch die Wahl der Extrawaffe (ein mächtiges Plasmageschoss,



"Bist du wirklich retro?"

Dabei war Thrust mitnichten der Gründungsvater der sogenannten Cave-Flyer: Schon 1969 erschien ein Spiel namens Lunar Lander , in dem der Spieler ein Raumschiff durch gefühlvollen Gegenschub sicher landen musste. 1982 veröffentlichte Atari hingegen das actionreiche Gravitar , dem Thrust sehr ähneln würde.

Das Original?

Obwohl Gravity Crash viele Klassiker zitiert, erinnert es am stärksten an das 1986 erschienene Thrust .

Wer Gravity Crash mit dem Urahn vergleichen will, findet im Internet übrigens gleichnamige Remakes sowie Neuinterpretationen wie diese hier zum Download. Vom PS3-Spiel gibt es hingegen eine Demo, und nicht zuletzt soll der Arcade-Titel Ende dieses Jahres auch für PSP erscheinen.eine Art EMP, zielsuchende Raketen oder ein sich unter Feinden ausbreitender Elektroblitz) bleibt dem Spieler überlassen. Schade nur, dass man während der gesamten langen Kampagne auf die anfangs gewählte Waffe festgelegt ist und nicht einmal zwischendurch wechseln kann.

Hinsichtlich der Steuerung stellt das Spiel mir und selbst dem aufrichtigsten Verfechter der hoch gelobten Alten Schule übrigens die schwierigste aller Fragen: Bist du ehrlich retro? Kannst du im schlimmsten Fall tausend Tode sterben, bevor du die Spielmechanik verinnerlicht hast? Oder steckst du so tief in deiner Geometry Wars-Haut, dass du dein Raumschiff wie einen Zwei-Stick-Shooter bewegen willst? Eine schwere Wahl, wirklich! Denn natürlich ist das moderne Lenken über den linken Stick und das Schießen über den rechten ein wunderbar eingängiges Prinzip ist. Die Herausforderung und die Erfolgserlebnisse beim Spiel mit der Trägheit kommen jedoch nur dann so richtig zur Geltung, wenn man sein Raumschiff wie einen Cave-Flyer mit der klassischen Steuerung bewegt. Denn nur in einem solchen kann man das Vehikel mit den Richtungstasten lediglich drehen, während man erst per Tastendruck in Blickrichtung Schub gibt. Das ist vor allem deshalb so knifflig, weil man ohne den rechten Stick nur in Blickrichtung schießen kann. Spätestens dort, wo man sich gegen am Boden postierte Geschütztürme wehren und in entgegen gesetzte Richtung beschleunigen muss, wird der ganze Weltraum-Akrobat gefordert - von engen und verwinkelten Passagen ganz zu schweigen!

Alles in allem vereint Gravity Crash auf komfortable Art und Weise die neue Welt mit der alten. Es gibt sogar drei Mehrspieler-Varianten mit jeweils vier speziellen Planeten, in denen bis zu vier Piloten entweder um die Wette düsen, möglichst schnell viele Kristalle sammeln oder sich gegenseitig an die Gurgel fliegen. Was mir allerdings fehlt, ist ein Online-Modus: So spritzig die Splitscreen-Action nämlich sein mag, so sehr möchte ich diesen Kick auch übers Internet erleben. Noch mehr fehlt mir das Abklappern aller fünf Planeten in einer kooperativen Kampagne - schon allein deshalb, weil die technische und spielerische Umsetzung vergleichsweise banal scheint. Grandios ist zwar der umfangreiche Level-Editor, mit dem ich im Handumdrehen eigene Planeten kreiere, der Welt zur Verfügung stelle und von ihr bewerten lasse. Das gemeinsame Spiel wäre mir unterm Strich aber wichtiger

... im Vordergrund steht allerdings das gefühlvolle Durchfliegen der engen Höhlensysteme.
gewesen, zumal ich nur Einzelspieler-Planeten im Editor erschaffen darf.

Die makellose Wiederauferstehung?

Noch zwei Schnitzer erlauben sich die britischen Entwickler: So motivierend die globale Punktejagd nämlich sein kann, so sehr schmerzt es, dass die Highscore-Liste nicht die Spreu vom Weizen trennt. Niemand weiß, ob der Weltranglistenerste seine Bestmarke mit der klassischen oder der modernen Steuerung gesetzt und ob er den automatischen oder den manuellen Schild verwendet hat. Der Unterschied an das spielerische Können ist allerdings dermaßen prägnant, dass eine Unterscheidung dringend notwendig ist, weil es besonders Zwei-Stick-Künstler bedeutend einfacher haben als Retroisten. Schnitzer Nummer zwei: Die großen Zwischengegner stellen mich vor keine nennenswerte Herausforderung - jedenfalls keine, die sich sehr deutlich von dem Durchfliegen einer engen Höhle unterscheiden würde.

Und als ich zu Beginn meiner Piloten-Karriere noch nicht auf Highscore-Jagd gegangen bin, musste ich auch eine weitere bittere Pille schlucken. Denn es entwertet das als Abschreckung dienende "Game Over" und bietet stattdessen ein kostenloses "Continue" an. Ja, mein Punktestand ist futsch, wenn ich davon Gebrauch mache. Doch ich spiele nicht immer um Punkte; bevor ich den Highscore attackiere, freue ich mich auf das Entdecken neuer Levels, neuer Bosse, neuer Geheimnisse. Hier fehlt mir hingegen die Spannung in schwierigen Momenten - sollte ich versagen, wirds ein Continue schon richten. Schade, Gravity Crash hätte das Zugeständnis an die Zugänglichkeit auch anders lösen können. Glück im Unglück: Wer auf seine Highscore achtet, für den ist der Punkte-Verlust beim Game Over so bitter, dass das fehlerlose Meistern aller kniffligen Planeten unabdingbar bleibt!        

Fazit

Gravity Crash gelingt etwas, das nur ganz wenige Arcade-Auferstehungen von sich behaupten können: Es verbindet die Videospiel-"Antike" nahezu perfekt mit dem Heute. So zitieren peppige Beats die kratzigen Samples alter Schule, während minimalische Neon-Striche zweidimensionale Realitäten wiederbeleben. Über all dem steht jedoch ein Spielgefühl, auf das man nicht nur jahrelang verzichten musste, sondern das auch erfreulich unverbraucht wirkt. Denn das Manövrieren des trägen Raumschiffs ist eine knifflige Angelegenheit, die selbst geübte Piloten fordert - hier ist das Beherrschen des Fliegers noch der Star des Spiels, kurzlebige Actionmomente sind lediglich die Waffel im Eisbecher. Innerhalb der Levels, die man im erstklassigen Editor zudem eigenhändig erstellt, ist die Alte Schule noch in Ordnung: Siegt mein Forscherdrang über die Angst vor dem Bildschirmtod oder lasse ich das wertvolle Artefakt links liegen? Schade, dass man sich nur auf dem geteilten Bildschirm mit einem Raum-erfahrenen Kumpel treffen darf. Schade, dass den Highscorelisten egal ist, ob sie ein Könner oder ein "Weichei" mit bequemer Zwei-Stick-Steuerung anführt. Und schade auch, dass das reine Durchspielen durch unendliche Continues zu einfach ist. Im Kern steckt allerdings ebenso anspruchsvolle wie todschicke Arcade-Action - eine packende Highscore-Jagd, bei der jede gemeisterte Herausforderung mehr Respekt verdient als das ganze gesammelte Altmetall, das sich Trophäensammlung schimpft!

Pro

  • motivierendes Punktesammeln und -vergleichen
  • sehr fordernde Geschicklichkeits-Action
  • einige Kopfnüsse und versteckte Extras für Bonuspunkte
  • verschiedene Steuerungsarten
  • unterkühlter Neon-Stil
  • moderner Old School-Soundtrack
  • unterschiedlich starke bzw. umgekehrte Gravitationsverhältnisse
  • kompletter Level-Editor einschl. Online-Bewertungssystem
  • drei Mehrspieler-Varianten am geteilten Bildschirm

Kontra

  • kein Multiplayer-Spiel übers Internet
  • Highscores unterscheiden nicht zwischen alter und neuer Steuerung
  • relativ einfache Bosskämpfe
  • kein echtes "Game Over" beim reinen Durchspielen

Wertung

PlayStation3

Herrlich altmodische und vor allem anspruchsvolle Highscore-Jagd im Rhythmus der besten Retro-Jahre.