Mass Effect 2 - Test, Rollenspiel, 360, PlayStation3, PC
Erdbeben in drei Phasen?
Wir werden diese Fragen in drei Testteilen beantworten, weil es ein "weltweites Embargo" von Electronic Arts gibt: Theoretisch dürften wir unsere Wertung erst am 26. Januar, also am kommenden Dienstag, veröffentlichen - das wäre zwei Tage vor dem offiziellen Verkaufsstart. Wie relativ diese unsinnigen Vorgaben sind, zeigen eine Hand voll Printmagazine, die ihre Tests als exklusive Partner des Publishers bereits drucken durften. Meist darf man das, wenn man eine Wertung von 90 plus X garantiert. Weil wir diese Embargos mit Wertungsgarantie nicht mögen und euch trotzdem schon früher informieren wollen, haben wir den Artikel aufgeteilt: Heute gibt es den ersten Abschnitt des Tests sowie eine Bilderserie zu den bisherigen Ereignissen (Was geschah im Vorgänger?), am Montag den zweiten und am Dienstag folgen dann Pro und Kontra, das Fazit sowie die finale Wertung. Wer auf die Prozente verzichten möchte, kann die Anzeige übrigens ab Montag auch abschalten, indem er sie in seinem 4Players-Profil deaktiviert.
Die durchgestylte Fiktion
Und hier begeistert zunächst die visuelle Qualität, die dem Vorgänger noch fehlte: Es wabert, es zischt und dampft. Natürlich bleibt es aufgrund des Artdesigns bei einem eher sterilen Flair im Star Trek-Stil, aber diesmal sorgen düstere Facetten und vor allem schärfere Texturen und bessere Spiegelungen für eine imposantere, körnigere Kulisse. Die Räume, Höhlen und Areale wirken dichter, werden spektakulär ausgeleuchtet, während teilweise imposante Lichtreklamen an den Wänden flackern. Die Figuren bewegen sich geschmeidiger, die Innenarchitektur ist markanter, die Rüstungen sowie Uniformen wirken angenehm plastisch und vor allem die Gesichter begeistern mit lebendiger Mimik und porentiefen Merkmalen. Wer sich später mit Charakteren wie Subject Zero oder dem Assassin unterhält, muss den Kanadiern umgehend gratulieren - das sieht alles unheimlich lebendig aus. Obwohl man die fotorealistische Kirche im Dorf lassen muss, denn da ist Luft nach oben: Shepards Augen stieren und rollen manchmal etwas zu künstlich in Dialogszenen.
Aber das sind mimische Peanuts. BioWare lief mit Dragon Age: Origins (DA) der aktuellen Technik hinterher, mit diesem Abenteuer sind sie endlich wieder auf par mit der visuellen Qualität, die man in der ersten Highendliga erwarten kann. Und sie demonstrieren, was die Unreal Engine 3 leisten kann - alle Kinderkrankheiten von Mass Effect (ME) wurden kuriert und selbst in größeren Gefechten ruckelt nichts. Und davon gibt es einige in riesigen organischen Raumschiffen inklusive mächtiger Bosse. Es gibt lediglich drei Schönheitsfehler: Zum einen beobachtet man ab und zu Kollisionsprobleme, wenn sich Figuren statt in die Haare durch das komplette Gesicht fahren. Zum anderen kann es passieren, dass Gefährten mal einen Meter über dem Boden schweben - so lange, bis die Mission beendet ist. Und schließlich erreicht man hinsichtlich der Landschaft mit ihren statischen Gräsern und teilweise groben Felsformationen nicht die natürliche Brillanz oder gar die artenreiche Vielfalt eines Uncharted 2 (U2). Trotzdem gehört dieses Abenteuer zum Besten, was man derzeit auf PC und Konsole sehen kann.
Staunen, Neugier, Hoffnung
Und es kann sich hören lassen: An den teilweise bekannten Melodien mit ihren sphärischen Klängen gibt es nichts auszusetzen, zumal der orchestrale Soundtrack von Jack Wall (Myst, Splinter Cell, Jade Empire) auch viele neue Stücke bietet, die wunderbar in das Szenario passen. Die grafische und musikalische Faszination wird zunächst auch spielerisch verstärkt. Erst in dem Moment, wo sich nach etwas mehr als einer Stunde die Sternenkarte mit all ihren möglichen Zielen öffnet, beginnt das eigentliche Spiel - da fühlt man sich gerade wieder Zuhause auf der Normandy, da freut man sich über die vertrauten Soundeffekte und vielleicht alte Bekannte. Erst in der Phase, wo man das vierstöckige, fast wie eine kleine Stadt anmutende Riesenraumschiff dann in gefährliche Außenbezirke manövriert und seine Crew mit skurrilen Außerirdischen erweitert, geht es richtig los - denn erst hier verschmelzen Kulisse, Klang, Dialoge und Aktion zu einem epischen Spielgefühl. Der Einstieg in dieses Abenteuer gleicht deshalb einem Erdbeben, weil es in diesen ersten fünf Stunden im Nacken kribbelt, weil man neugierig und hoffnungsvoll ist, weil alles so klasse aussieht. Und das, obwohl die erste Strophe zunächst das Lied vom Heldentod anstimmt...
Dem Tode geweiht
Trotzdem ist dieser nahe Tod ein geschickter dramaturgischer Köder, der nicht nur für ein kurzes Gefühl trauriger Wehmut sorgt, sondern die erzählerische Grundlage für die futuristische Odyssee der kommenden 35 Stunden bildet: Dass Shepard überlebt, hat er einzig und allein der umstrittenen Organisation Cerberus zu verdanken - eine radikale menschliche Gruppierung, skrupellos und kalt, die sich über Jahre hinweg den Ruf alienfeindlicher Faschisten erarbeitet hat. Diese politischen Hardliner, denen man schon im ersten Teil begegnete, investieren nicht nur zwei Jahre und unzählige Milliarden in die hochtechnisierte Heilung des Commanders (Shepard wird mit Nano-Implantaten quasi wie ein Cyborg ins Leben zurück operiert), sondern auch in die Entwicklung einer Normandy 2.0. Für die Außenwelt ist er längst tot, für Cerberus soll er die ideale Waffe werden. Trotz der 24 vergangenen Monate knüpft dieses Abenteuer nahtlos an die Geschehnisse des Vorgängers an.
Dialoge mit Echtzeiteingriff
Je nachdem wie viele Punkte man über moralisch gute bzw. böse Aktionen gewonnen hat, wächst die Zahl der möglichen Unterbrechungen. Leider vermisst man eine gewisse Dynamik in einfachen Situationen: Warum lässt man z.B. nicht die Zeit
ablaufen, wenn Shepard in einer Krisensituation (Feinde rammen gerade eine Tür, Bombe wird gleich explodieren, Raumschiff bricht auseinander) eine Entscheidung treffen muss? Obwohl die aktuelle Lage rein erzählerisch Druck aufbaut, kann man sich zurücklehnen und einen Kaffee holen, bevor man sich entscheidet. Ich bin gespannt wie sich der Zeitdruck in Gesprächen beim kommenden Rollenspiel Alpha Protocol auswirkt - immerhin wollen die Entwickler BioWare nacheifern.Apropos Gespräche: Die deutschen Sprecher überzeugen zwar in so manchen Nebenrollen; Miranda wird z.B. gut gesprochen, Jacob, Grunt sowie Tali ebenfalls. Auch der Unbekannte steht seinem amerikanischen Original in nichts nach und vor allem die Außerirdischen kommen mit ihren Gutturallauten und Färbungen gut rüber - Kroganer mit ihrer bedrohlich tiefen Stimme, Salarianer mit ihrer hektischen hohen Tonlage. Aber die Lokalisierung hat einen entscheidenden Haken: Shepard. Wer sich für die männliche Variante entscheidet, muss mit einer Stimme leben, die nicht mal ansatzweise an den Schneid des amerikanischen Originalsprechers heran kommt - zu alt und austauschbar wirkt der Protagonist. Noch unpassender spricht Garrus, der harte Kommando-Offizier aus dem ersten Teil. Während er im Original fast an Clint Eastwood erinnert, wirkt er in der deutschen Fassung viel zu weich. Auch bei so manchen Übersetzungen war man nicht konsequent genug: "Mal sehen als wie nützlich sie sich erweisen" hört sich einfach holprig an. Und aus dem Lazarus-Projekt mit scharfem Z wird z.B. einen Satz später das weich genuschelte Leserus-Projekt im unpassenden englischen Akzent - und das, obwohl mit Miranda oder Jacob jeweils dieselbe Figur spricht. Nur auf dem PC kann man übrigens direkt auf die englische Tonspur umschalten; auf der Xbox 360 sollte das eigentlich über einen Download nachgeliefert werden; allerdings war davon bisher noch nichts zu sehen. Dazu EA: "Wir bemühen uns weiterhin darum, derzeit ist noch keine Entscheidung gefallen, ob und wann."
Schatten der Vergangenheit
Wer mit Mass Effect experimentiert hat und mehrere Endspielstände besitzt, kann übrigens bis zu elf davon laden, um sie auszuprobieren. Auf der Xbox 360 müssen diese Daten allerdings auf der Festplatte liegen - man kann keine von einer Speicherkarte nutzen. Der Wiederspielwert des Abenteuers ist aufgrund dieser episodischen Dynamik natürlich ein hoher. Und wenn man bedenkt, dass diese Konsequenzen auch im dritten Teil greifen, überlegt man bei so mancher Entscheidung noch etwas länger. Man kann das Spiel natürlich auch mit einem neuen Shepard starten und sich über den Gesichtseditor ein markantes Äußeres geben, sich für hellen oder dunklen Teint, Mann oder Frau sowie eine Herkunft entscheiden - lange Haare oder ausgeflippte Frisuren stehen zwar auch diesmal nicht zur Verfügung, aber das Ergebnis kann sich porentief sehen lassen. Viel wichtiger als das Aussehen sind natürlich die Charakterklasse und die mögliche Karriere. Und hier werden Kenner des Vorgängers schmerzliche Abstriche machen müssen.
Die kastrierte Karriere
Unterm Strich hat man die Karriere also kastriert: Hatte der Soldat damals noch fünf Grund- sowie vier freischaltbare Sonder-Fähigkeiten, sind es hier mit einem mächtigen Schuss, dem Adrenalinrausch sowie drei Munitionstypen gerade mal fünf. Außerdem kann man sich in diesen Bereichen nur noch in vier statt in einem knappen Dutzend Stufen verbessern. Natürlich ist das alles übersichtlicher, aber gleichzeitig weniger komplex und interessant. Das liegt nicht nur daran, dass man weniger Möglichkeiten zur Individualisierung hat, sondern auch daran, dass die Auswahl und damit die Klassenunterschiede nicht markant genug sind - für einen Rollenspieler ist dieses glattgebügelte System ein Verlust.
Die Klassen unterscheiden sich zudem nicht so stark wie es die Namen suggerieren, denn einige ihrer Fähigkeiten sind nicht exklusiv: Die Anwendung der meisten Munitionstypen überschneidet sich und auch das KI-Hacken sowie einige der ansehnlichen Spezialkräfte wie z.B. Schockwelle, Warp, Überladen, Verbrennen, Einfrieren oder Ziehen stehen jeweils zwei
Klassen zur Verfügung. Das sorgt natürlich dafür, dass man bei den Missionen wesentlich komfortabler auswählen kann und dass der Verlust bzw. das Nichtvorhandensein eines Mitglieds nicht so schwer ins Gewicht fällt. Für die Spielbalance ist das auch gut, weil man ja einige Kräfte kombinieren kann: Wer seine Feinde erst in die Luft befördert und dann gegen die Wand wuchtet oder explodieren lässt, sorgt für kombinierten Schaden - sehr schön, sehr spektakulär! Allerdings kann man die Zahl der effizienten Kombos nicht mal an einer Hand abzählen, was ballistische-biotische Experimente eher ausschließt.Das größere Problem ist, dass es aufgrund der Überschneidungen für die Mehrheit der Missionen nahezu egal ist, welche zwei Gefährten Shepard letztlich begleiten - man kann fast alle Situationen ohne Spezialisierung meistern. Natürlich läuft es besser, wenn man sich mit einem vielseitigen Trio, also einem starken Krieger, einem mächtigen Biotiker und einem cleveren Techniker in den Kampf stürzt, so dass man auf alles reagieren kann. Aber das Missionsdesign erlaubt auch den einfachen Durchmarsch mit weniger durchdachten Teams. BioWare hätte viel öfter auf die kluge Auswahl setzen und diese auch inszenieren müssen: Wer infiltriert? Wer führt? Wer hackt? Erst ganz zum Schluss muss man endlich mal entscheiden, welches Teammitglied wirklich für welche Situation am besten geeignet ist und danach die Konsequenzen in Kauf nehmen. Wenn es vorher mal darauf ankommt, dass ein Spezialist dabei ist, wird diese Figur vom Spiel automatisch vorgegeben - schade, dass man Shepard als Anführer hier nicht viel früher und öfter gefordert hat. Man hätte die kastrierte Karriere über eine anspruchsvollere und spezialisierte Crewauswahl auffangen können.
Spezialisten ohne Spezialaufträge
Zweiter Testteil folgt Montag...
Der-zig-Milliarden-Dollar-Held
Shepard bleibt also keine Wahl. Obwohl er dem Unbekannten, der wie ein Big Boss qualmend über das Schicksal der Menschheit sinniert, misstrauisch gegenüber treten und seine Entscheidungen in Frage stellen kann, ist das Ziel so klar wie linear: Er muss eine schlagfertige Mannschaft aus Spezialisten zusammen stellen und sein neues Raumschiff mit ihrem
Wissen und weiterer Technik ausstatten, damit man den scheinbar übermächtigen Feinden entgegen treten kann. Das macht zunächst sehr neugierig: Schließlich kann man die Normandy diesmal über zahlreiche Upgrades in den Bereichen Schild, Antrieb oder Waffensysteme aufrüsten - und je nachdem wen man in sein Team holt, ergeben sich evtl. neue Techniken. Wird es irgendwann opulente Gefechte gegen die organischen Riesenraumschiffe der Reaper geben? Wird sich der Zustand der Normandy aktiv beweisen müssen? Kann man sie vielleicht selbst steuern? Wenn diese Fragen mit Ja beantwortet würden, dann würde das Spiel angenehm weiter beben...Man kann in jedem Sonnensystem zu unbekannten Planeten düsen. Das hört sich gut an, zumal BioWare ja mehr Reize und Mysterien hinsichtlich der Entdeckung versprochen hat. Aber in 80% der Fälle sieht das so aus: Man bekommt eine ausführliche, aber für Story oder Rätsel völlig uninteressante Planetenbeschreibung sowie das 3D-Modell des Himmelskörpers präsentiert - und das darf man dann mit einer Art Fadenkreuz nach den vier Rohstoffen Element Zero, Iridium, Platin und Palladium absuchen. Keine Landung? Nein. Man scannt lediglich die Oberfläche des Planeten, achtet dabei auf die Ausschläge der Anzeige und schießt bei hohen Werten eine Sonde ab, die dann auch gleich Iridium & Co erntet. Das ist zu Beginn ein sehr langatmiger und langweiliger Prozess, den man später immerhin beschleunigen kann.
Scannen bis zum Einschlafen
Immerhin kann man die Erkundung auf der Karte diesmal selbst steuern: Man darf ein kleines Modell der Normandy über die Sternenkarte navigieren, um Planeten zu erkunden oder an Raumbasen anzudocken. Das ist zwar aktiver als im Vorgänger und man muss sogar nachtanken, aber auch hier schleicht sich Ernüchterung ein, denn es gibt weder die Spannung einer Routenplanung noch Spritknappheit: Man hat so viel Geld und es gibt so viele Nachfüllstationen, dass man sich diese Pseudofreiheit auch hätte sparen können. Warum hat man die Reichweite der Normandy oder Hypersprungportale nicht genutzt, um strategische Entscheidungen vom Commander zu verlangen? Hier hätte man auch die leider völlig irrelevante Technologie des Raumschiffes einbringen können!
Immerhin schläft man beim Planetenscannen nicht ganz ein. Ab und zu kommt es zu einer Anomalie - und wenn man diese
entdeckt, kann man auf dem Planeten landen, um eine der versteckten oder über eine gekaufte Sternenkarte enthüllten N7-Nebenmission zu erleben. Hier kann es so wie in der gewöhnlichen Action darum gehen, im Team eine Anlage der Geth oder einen Mechtrupp schnell zu zerstören, damit man noch Rohstoffe ergattern kann. Aber es kann auch sein, dass Shepard alleine unterwegs ist, um z.B. ein havariertes Raumschiff zu erforschen, das kurz vor dem Auseinanderbrechen gefährlich knarzt oder in einem kleinen Schalterrätsel einen Schutzschild zu aktivieren, damit ein Planet nicht zerstört wird. Besonders gut hat mir die Mission gefallen, in der man einen Mech mit Batterien befüllen muss, damit dieser eine naheliegende Mine freischießen kann. BioWare begeht hier außerdem nicht den Fehler, einfach Missionen zu spiegeln oder stupide Fahnen und Artefakte zu verteilen, sondern serviert "einzigartige" Erkundungen.Anomalien & Fahrzeugsehnsucht
Das ist an sich eine gute Idee, aber sie wird viel zu selten genutzt und bietet enorm schwankende Qualität! Ich habe in den 35 Stunden nur etwas mehr als ein halbes Dutzend dieser unerwarteten Aufgaben bei gefühlten hundert gescannten Planeten entdeckt; im Vorgänger gab es meines Wissens knapp 40 Planeten, auf denen man etwas machen konnte. Das sind zu wenige Erkundungsreize abseits der offiziellen Missionen, zumal man diesmal auch nicht das Gefühl hat, die Planeten wirklich hautnah kennen zu lernen. Warum hat man das Fahrzeug komplett aus dem Spielerlebnis gestrichen und erst später als Download im Angebot? Natürlich konnte man über die sensible Steuerung des Jeeps aus dem ersten Teil streiten - der zickige Mako hatte nicht unbedingt eine Servolenkung. Aber er gab einem wenigstens das Gefühl, einen Planeten direkter zu erfahren. Hier lande ich nach einer Zwischensequenz immer sofort auf einer Basis, einem Raumschiff oder in einem Hangar. BioWare hätte entweder die Fahrphysik optimieren oder einen Ersatz anbieten müssen, anstatt diesen Teil einfach zu streichen.
Die Story macht eine Pause
Ich sage bewusst nicht aufheult, weil dieser einzige Zwischenfall, der dem Spieler die Kollektoren im wahrsten Sinne des Wortes näher bringt, auch ein Paradebeispiel für das ist, was BioWare scheinbar nur streifen, aber nicht meistern will - echte Stimmungswechsel, auch im Spieldeisgn. Denn hier sorgt man zwar endlich mal im Ansatz für einen Hauch von Horror, der
die Neugier weckt, aber anstatt ihn intensiv auszubauen, verpufft er als kurze Episode. Hier wurde ganz kurz das beängstigende Potenzial eines Dead Space sichtbar, aber dann verschwindet es. Und zwar spurlos. Auch um die Hauptstory wird es fast ganz still, bevor sie nach dreißig Stunden Tiefschlaf erst im Finale wieder erwacht.BioWare hat sich dafür reichlich Mühe gegeben, das Leben an Bord interessanter zu gestalten: Shepard hat eine eigene Kabine, wo er Hamster und Fische halten, Uniformen oder Musiken wechseln kann. Außerdem kann man ein paar Crewmitglieder wie den Koch, seine Assistentin oder Ingenieure ansprechen; und die KI an Bord ermahnt Shepard süffisant, wenn er sich auf die Frauentoilette verirrt - sehr witzig. Man wundert sich nur, dass alle restlichen Leute nicht mal reagieren oder salutieren, wenn der Commander kommt. Außerdem nerven die häufigen Ladezeiten außerhalb und innerhalb der Normandy: Bei jedem Etagenwechsel per Fahrstuhl muss man sich gedulden; davon gibt es vier Bereiche. Manchmal musste man bis zu 45 Sekunden warten. Natürlich kann man von unserer Debug-Testfassung nicht auf die Verkaufsversion schließen; zumal sich diese noch installieren lässt.
Das stupide Hacken aus dem Vorgänger wurde gegen zwei neue Systeme ausgetauscht: Zum einen gilt es in einer Art
Memory auf einem Chip jeweils zwei gleiche Symbole zu verbinden - zu Beginn sind alle verdeckt. Was bei den ersten Türen und Kisten noch Spaß macht, weil es gut von der Hand geht, nutzt sich spätestens nach ein paar Stunden ab. Und nach zwanzig Stunden schüttelt man den Kopf angesichts der langweiligen Routine, die man mittlerweile im Schlaf lösen kann - vor allem auf dem Rechner mit der schnellen Maus. Warum hat BioWare diesen eintönigen Prozess nicht um ein oder zwei Varianten bereichert? Und warum wird das Ganze mit der Zeit nicht wenigstens etwas anspruchsvoller?Zwei eintönige Minispiele
Immerhin gibt es noch ein zweites Minispiel. Zum anderen muss man nämlich drei Textfragmente in einem durchlaufenden Bereich voller Bruchstücke finden, wobei das gesuchte Stück jeweils oben angezeigt wird - das ist schon etwas kniffliger als das oben erwähnte Memory und hält auch länger bei Laune, da man hier auch mal scheitern kann, wenn man zu schnell navigiert und dabei auf ein verbotenes Fragment stößt. Aber auch hier versäumt BioWare die nötige Entwicklung: Warum wird dieses Prinzip nicht mal variiert, indem man z.B. fünf oder sieben Stücke finden muss und dann besonders belohnt wird? Man kann doch nicht über 35 Stunden zwei immer gleiche Minispiele anbieten, wenn diese bei nahezu jeder Tür-, Computer- oder Kisten-Öffnung zum Einsatz kommen.
Intergalaktischer Posteingang
Es ist natürlich ärgerlich für Veteranen, dass Shepard in seiner Klasse nicht weiter entwickelt werden kann, sondern bei null anfangen muss. Aber wie wichtig ist die Beschneidung der Karriere, also das Wegfallen von ein paar Fähigkeiten und Stufen, im Vergleich zum echten Rollenspiel? Also zu dem, was an glaubwürdigen Personen, interessanten Biografien und vor allem spannenden Situationen inszeniert wird? Eher unwichtig. Statistiken sind nur ein mathematisches Korsett, das etwas inhaltlich Spannendes umrahmen muss. Der große Star des Spiels ist nicht das Regelwerk, sondern das Schauspiel all der Figuren, die das Abenteuer mit ihren Marotten, Geschichten und Wünschen erst lebendig machen. Sie sehen nicht nur alle klasse aus, sie verhalten sich auch einzigartig.
So austauschbar Kampfoptionen wie Warp oder AI-Hacking auch sind, so unverwechselbar sind die nervigen Ermahnungen der Cerberus-Sekretärin Miranda, die logischen Argumentationstelegramme des genialen Wissenschaftlers Mordus, die traurigen Bilderinnerungen des froschähnlichen Assassinen, die knallharten Kommando-Analysen von Garrus oder die an ein
Wildschwein in Raserei erinnernden Ausbrüche von Grunt, der seinen mächtigen Schädel schon mal an eine Wand rammt, wenn er niemanden erschießen kann. Jeder besitzt eine hervorragend ausgearbeitete Biografie, in der familiäre, psychische und soziale Konflikte eine Rolle spielen - es geht um Rache an einem Verräter, um einen skrupellosen Schüler, um das Trauma einer Kindheit und überraschend oft um die Suche bzw. den Schutz eines Sohnes oder einer Tochter.Virtuelle Schauspielkunst
Schade ist, dass es in fast allen Einsätzen für die Crewmitglieder letztlich nur um Action geht. Fast immer hat Shepard am Ende die Qual der Wahl wie das Ganze ausgehen soll: blutig oder friedlich, knallhart oder harmonisch? Denn die eine Ausnahme, in der Shepard für den Auftrag der ebenso gnadenlosen wie rechtschaffenen Richterin Samaras nicht den Abzug, sondern sein schauspielerisches Talent und sein Gespür einsetzen muss, demonstriert nicht nur alle Tugenden eines guten Rollenspiels ohne einen Schuss: Es streift auch das, was auch Heavy Rain als Thriller mit intensiven Situationsentscheidungen anbieten will.
Der ganz große Star unter diesen humanoiden und außerirdischen Diven ist die vollkörpertätowierte Subject Zero, die wie eine SciFi-Pink auf Aggro agiert: Ich habe selten so einen (auf den ersten Blick coolen) weiblichen Charakter erlebt, der Shepard nicht nur im Kampf mit Warpattacken hilft, sondern ihn und jeden anderen, der ihr krumm kommt, mit frechen Sprüchen kontert. Hinzu kommt eine ebenso intensive wie überraschende Hintergrundgeschichte, die zum Besten gehört, was man in diesem Abenteuer erleben kann. Hier blitzt die Klasse der Kanadier auf, was Biografien und Dialoge angeht. Und man kann sich damit nicht nur vertraut machen, sondern auch Beziehungen eingehen.
Annäherungsversuche & Sex
Auch diesmal ergeben sich je nach der Strategie in den Gesprächen wilde Sexabenteuer, subtile Romanzen oder gar Beziehungen. Wer den männlichen Shepard spielt, hat reichlich Auswahl. Und die Kanadier verlangen ein ebenso behutsames wie hartnäckiges Vorgehen, so dass man eine Beziehung über geschickte Wortwahl, ständige Besuche und natürlich Gefälligkeiten wie eine Auftragserfüllung entwickeln muss. Wer zu plump vorgeht, wird auch schon mal abgewiesen oder rausgeschmissen.
Noch ein Wort zum Sex im Spiel: Ja, er wird sogar inklusive diverser Stellungswechsel, aber natürlich exklusive expliziter Geschlechtsorganismen gezeigt. Aber selbst BioWare kann da nicht für ein Knistern sorgen. Man redet so schnell von Fotorealismus und butterweichen Animationen, aber sobald sich zwei Polygonfiguren in die Horizontale begeben oder die Texturlippen aneinander kleben, erkennt man auch im Jahr 2010 die schreckliche Diskrepanz zwischen mechanischer Polygonverschiebung und menschlicher Geilheit.
Loyale Gefährten und Zicken
Außerdem vermisst man im Gegensatz zu Star Wars: Knights of the Old Republic die Häufigkeit der Kommentare und Konflikte innerhalb des aktiven Trios. Natürlich gibt es sie und je nachdem, wen man mitnimmt, darf man sich über ein paar automatisch abgegebene Sätze zu diesem oder jenem Thema freuen. Aber erstens kommt das nicht häufig genug vor und zweitens kann man seine Teamkollegen während eines Einsatzes nicht immer direkt ansprechen, um vielleicht gezielt über Begebenheiten vor Ort zu sprechen. Das ist schade, denn so ist man sehr lange einfach schweigsam unterwegs und hat eher das Gefühl der Anführer einer Befehle empfangenden Squad als einer treuen Gemeinschaft zu sein, die auf einem Verhältnis der Loyalität und nicht des Dienstgrades beruht.
Zwar vernachlässigt man im Vergleich zum letzten Fantasy-Abenteuer den Aufbau von interessanten Persönlichkeiten abseits der Gefährten, also mächtige Antagonisten oder dubiose Auftraggeber - da wirkte DA etwas lebendiger, denn die Machtverhältnisse in Ferelden waren zu Beginn vielfältiger und dynamischer. Das liegt auch daran, dass der Rat der Citadel
in diesem zweiten Teil nahezu keine Rolle spielt. Es gibt nur eine Begegnung mit zwei Verantwortlichen, aber man muss sich weder über den Verbleib der letzten zwei Jahre noch seine Allianz mit Cerberus rechtfertigen. Hier vermisst man als Spieler die politische Tragweite des Abenteuers. Trotzdem inszeniert BioWare erneut ein Schauspiel auf Theaterniveau. Es gibt derzeit kein Spiel, das virtuelle Charaktere im wahrsten Sinne des Wortes so greifbar macht.Abseits der sehr guten Dialoge werden einige der Rollenspielsituationen allerdings enttäuschend inszeniert - sobald man aus den sehr guten Gesprächen in die Echtzeitsituation kommt, fällt die Qualität und mit ihr der schöne Schleier der stimmigen Atmosphäre: Schon zu Beginn kann man in der Raumbasis Omega für die dortige Anführerin Aria tätig werden, indem man zwei gefährliche Söldnergruppen ausspioniert, die angeblich gegen sie rebellieren wollen. Aber wenn man dann ins Hauptquartier einer der Gruppen kommt, kann man als Fremder einfach so das Datapad mit den sensiblen Informationen vom Tisch nehmen und Aria überbringen - und das, obwohl der Bandenchef samt Leibwächtern direkt daneben sitzt.
Atmosphäre-Killer
Wieso gibt es überhaupt die Fähigkeit der Tarnung für Infiltratoren, wenn man sie genau so wenig wie andere Fähigkeiten abseits des Kampfes clever einsetzen muss? Es ist schade, dass BioWare beim Missionsdesign so stark auf Run&Gun statt Think&Solve gesetzt hat - dabei war da so viel drin! Es gibt lediglich ein paar Ausnahmen, wenn man z.B. einen Schuldigen aus einem Kreis von fünf Verdächtigen über ein Ausschlussverfahren finden oder sich gegen Zeitdruck von Terminal zu Terminal hacken muss. Aber der Anteil dieser Missionen, in denen man mal etwas kombinieren oder recherchieren muss, ist erschreckend gering - meist geht es um Action, Action und nochmals Action. Und hier hat BioWare für meinen Geschmack ein Ungleichgewicht im Spieldesign geschaffen, das das Abenteuer als Rollenspiel entwertet.
Geth sind nicht mehr böse?
Einen Vertreter dieser gefährlichen Roboterspezies kann Shepard allerdings im Laufe des Abenteuers in seine Gruppe aufnehmen, wenn er es denn entgegen der Warnungen des Unbekannten und seiner Crew riskiert - auch die Einbindung dieser Figur gehört zu den Highlights des Spiels, weil man richtig neugierig auf diese Spezies ist. In dieser Situation des möglichen Anheuerns kann BioWare auch noch ein Gefühl der Gefährlichkeit vermitteln. Aber sobald der Geth namens "Legion" dabei ist, kann man mit ihm einfach so in die Citadel spazieren, ohne dass der Sicherheitsoffizier (!) überhaupt einen Kommentar abgibt. Und das, obwohl zu Beginn des Spiels noch darauf gepocht wird, wie hoch die Sicherheitsvorkehrungen nach dem Krieg sind - selbst Shepard wird ja gescannt. Das ist ungefähr so als würde Osama Bin Laden durch das Weiße Haus marschieren und keinen interessiert's. Aber die Kanadier erklären das immerhin, wenn man anschließend zum Admiral geht: Angeblich seien die Geth nicht mehr die Bösewichte, deshalb habe es bei der Sicherheitskontrolle keinen Aufruhr gegeben. Komisch ist nur, dass der Geth beim Erscheinen in Talis Heimat sofort einen Alarm auslöst und fast mit Shepard über den Haufen geschossen wird! Das wirkt erstens erzählerisch logischer und zweitens realistischer. Warum sollte es in der Hauptstadt mit ehemaligen Erzfeinden so lasch zugehen?
Sag mir, wo die Städte sind?
Apropos: Wer sich im Universum von BioWare nicht auskennt oder den Roman von Drew Karpyshyn nicht gelesen hat, muss nicht verzweifeln. Alle wichtigen Begriffe, Parteien, Völker und Zusammenhänge werden im Codex erklärt - und zwar mit Sprachausgabe. Wer waren nochmal die Reaper? Was hat es mit Cerberus auf sich? Hier kann man sich wie in einem Hörbuch auf den neuesten Stand bringen. Schade, dass man all die Facetten der Spielwelt nicht auf den Straßen spürt.
Da gibt es leider zum größten Teil nur eine Fassade, denn auch BioWare kann oder will scheinbar keine pulsierende SciFi-Metropole aus den Polygonen stampfen. Das müsste ja nicht im großen Stil eines GTA sein, aber selbst ein Shenmue konnte doch mit weniger Mitteln für Straßenflair mit sozialen Abstufungen und vor allem mehr als nur Shops sorgen - es gab einfache Bürger, Kinder, Alte, Imbissbuden, Automaten, Spielhallen. Kaum jemand flaniert, niemand scheint sich zielgerichtet zu bewegen. Stattdessen darf man einmal auf Tuchanka in einer Art Hahnenkampf auf ein Monster setzen oder kleine Viecher wegbomben, die in drei Wellen kommen. So genial man in den Dialogen ist, so steril ist man in der Darstellung des Alltags. Fallout 3 wirkte in seinen wenigen Siedlungen wesentlich authentischer.
Hier enttäuschen auf den zweiten Blick alle Siedlungen mit ihrer geringen Größe und Leblosigkeit: Die Heimstatt der Kroganer ist nicht mehr als ein Schrottplatz mit ein paar Abzweigungen, Ilios gleicht erstens der Citadel hinsichtlich des Artdesigns und ist schrecklich klein - lediglich die Raumbasis Omega kann mit seinen angedeuteten Slums und den Appartements etwas vielschichtiger wirken, zumal man hier auch über gute Quests in die Machtstrukturen eingeführt wird. Hier blitzt das Potenzial des Spiels auf, seine sterile Oberfläche zu durchbrechen, wenn sich kranke oder arme Bewohner zeigen.
Willkommen im SciFi-Kaff
Die Citadel gleicht eher einer mehrstöckigen Shopping Mall als einer Metropole: Man kommt sich vor, als würde man auf den Duty-free-Bereich eines Flughafens beschränkt. Die Lichtreklame ist ansehnlich, in einer Hand voll Läden kann man Upgrades kaufen und es gibt eine Bar. Das war's? Das war's. Konnte man im Vorgänger noch dadurch die Illusion einer Hauptstadt erzeugen, dass man auch mal in den Außenbereichen, im Turm sowie dem Präsidium unterwegs war, ist selbst das nicht mehr möglich - keine Frischluft, kein Großstadtflair. Es sei denn, man bekommt eine Quest, die einen per Shuttle in einen Shooterlevel beamt. BioWare erklärt das zwar erzählerisch mit dem Wiederaufbau nach dem Geth-Angriff, aber das ist nicht mehr als eine schlechte Ausrede: Warum zeigt man nicht wenigstens andere Bereiche? Wo leben denn all die Einwohner? Es geht nicht um quadratkilometergroße Open World-Fakten, sondern um bessere Illusionen!
So intensiv wie ein Shooter?
"Manchmal nehmen wir die Spieler zu sehr an die Hand. Ein Spiel wie Demon's Souls ist fantastisch, denn wenn du stirbst, wenn du scheiterst, dann nicht, weil das Spiel einen billigen Trick aufgefahren hat, sondern weil du etwas nicht richtig gemacht hast."
Um es kurz zu machen: An diesen Ansprüchen scheitern die Kanadier. Die Action macht Spaß, sie läuft sauber, bringt einen manchmal in Bedrängnis und sie ist ebenso taktisch angehaucht wie explosiv - man muss auf seine begrenzte Munition achten und gerade der Einsatz von Flächen deckendem Warp macht Laune: Der Boden wird wie ein unsichtbarer Teppich aufgerollt und die Feinde werden in die Luft geschleudert! Richtig effizient ist die dreifache Salve: Man kann alle Teammitglieder anweisen, auf ein und denselben Feind unterschiedliche Attacken abzufeuern - so kann man ihn gleichzeitig in die Luft schleudern, verbrennen und explodieren lassen. Außerdem kommt reichlich Star Wars-Flair auf, wenn Kampfroboter aufmarschieren und Laser zucken; zumal man die Feinde gezielt ins Wanken bringen kann, wenn man ihnen die Beine wegschießt.
Explosive Gefechte
Natürlich gibt es Bosskampf-ähnliche Situationen, die einem alles abverlangen, aber man hat selbst viel zu mächtige exklusive Argumente wie den dreifachen Angriff, als dass einem gewöhnliche Gefechte etwas anhaben könnten - nach zehn, zwölf Stunden rauscht man wie in Serious Sam selbst durch schwere Geth-Kommandos. Und wenn es mal in der Offensive stottert, dann liegt es daran, dass sich die beiden automatisch gesteuerten Crewmitglieder einfach dumm verhalten und aus der Deckung springen. Neu ist ja, dass man jedem einzelnen eine Position geben kann, um z.B. einen Ausgang links und rechts zu sichern; das ist auch eine sinnvolle Erweiterung der taktischen Möglichkeiten.
Das Eigenleben des Teams ist allerdings nervig, wenn man ihnen vorher klare Ansagen bezüglich der Deckung gemacht hat und sie trotzdem nach vorne preschen. Man kann zwar in den Optionen einstellen, dass sie sich auf defensive Spezialkräfte beschränken sollen, aber selbst dann gibt es ärgerliche Aussetzer. Außerdem vermisst man die Zuweisung von
situationsbedingten Verhaltensweisen wie in DA: Hier kann man nicht sagen, dass sich jemand nur dann aus der Deckung heraus wagt, wenn er noch 50% seiner Lebenskraft hat; hier kann man nicht zuweisen, dass sich jemand bei weniger als 20% Lebenskraft zurückzieht. Hier verschenkt BioWare taktisches Potenzial, denn man ist auf rudimentäre Befehle wie "Alle greifen diesen Feind an" (Steuerkreuz darauf) oder "Geh in Deckung" (Steuerkeuz links, rechts) beschränkt.Das Ballern macht trotzdem Laune. Wie in reinen Actionspielen kann man auf Knopfdruck in Deckung gehen, hinter einer Kiste strafen, sich zum Schuss darüber oder an der Seite hinaus lehnen, schnell über die Deckung springen oder nach einem Spurt auf den letzten Metern elegant in die geduckte Haltung gleiten - das ist cool. Man muss auf seinen Munitionsvorrat achten und sollte erst dann ballern, wenn der Gegner seine Salven abgefeuert hat. Das fühlt sich hinsichtlich der Steuerung zwar tatsächlich so an wie ein Shooter, aber BioWare kommt nicht an das Adrenalin heran.
Aber wer das ebenso gute wie neue System der Deckung auf Knopfdruck einmal verinnerlicht hat und sich brav positioniert, kann höchstens durch eine Feindeswelle oder stürmende Übermacht zombieartiger Wesen dazu gebracht werden, wirklich dynamisch zu reagieren. Alle Kämpfe laufen ansonsten nach Schema F ab: Man pausiert, sucht in aller Ruhe den stärksten
Feind mit Schild bzw. Barriere, bricht diese Defensive und ballert den Rest über den Haufen. Das ist über dreißig Stunden die einzige Taktik. Da auch manche brechende Projektilwaffe als Fähigkeit fungiert, muss man nicht mal mehr aktiv zielen, sondern darf den Feind einfach in der Pause fixieren - er wird automatisch getroffen.Es gibt 19 Waffen von konventionellen Gewehren, Maschinenpistolen, Schrotflinten, Scharfschützengewehren, schweren Pistolen bis hin zu den neuen Großkalibern der Marke Raketenwerfer, Partikelbeam und Laseratomstrahler - die sind hinsichtlich der Munition stark begrenzt und können nicht wie die einfachen Waffen in den Bereichen Magazin, Schaden & Co aufgerüstet werden. Man kann jederzeit zwischen den vier Schwierigkeitsgraden wechseln. Wer sich etwas mit Shootern auskennt, sollte tunlichst nicht auf dem ersten "normalen", sondern eine Stufe höher loslegen. Auf dem PC wird übrigens kein Gamepad unterstützt: Man kämpft mit Maus und Tastatur - und gerade der präzise Nager sorgt dafür, dass die Kopfschussquote auf dem Rechner etwas höher ausfällt als auf der Konsole. Die Spezialkräfte und die Pause werden über Shift aufgerufen; außerdem gibt es kein Kreismenü wie auf der Xbox 360, sondern eine ein- und ausblendbare Leiste.
Fazit
Das Problem von Mass Effect 2 ist nicht, dass es sich noch mehr wie ein Shooter anfühlt. Hey, es macht Spaß, einen Kampfroboter in die Luft zu schleudern, um ihn dann gleichzeitig zu brutzeln und zu atomisieren! Das Problem ist, dass sich diese Action erstens nicht so intensiv anfühlt wie in reinrassigen Waffenpornos - irgendwann regiert pausierbare Routine: Schild brechen, Gegner plätten, nächster bitte. Ich hatte da auf mehr Taktik gehofft. Aber noch wichtiger ist zweitens, dass das kein qualitativer Ersatz für den Wegfall einiger Rollenspielanteile sowie den fehlenden Fortschritt ist. BioWare hat sich mit diesem ansehnlichen Abenteuer zwar technisch, aber nicht inhaltlich entwickelt - die Städte bleiben klein und steril, die Bewohner lassen glaubwürdige Reaktionen vermissen, es fehlen echte Erkundungsreize, die Karriere wurde kastriert. Und der Anteil jener Missionen, in denen man kombinieren oder recherchieren muss, ist erschreckend gering. Hier hat man ein Ungleichgewicht im Spieldesign geschaffen, das die futuristische Odyssee als Rollenspiel entwertet. In den ersten fünf Stunden ist man noch neugierig, weil da noch ein Mysterium über dem Spiel schwebt - aber dann entpuppt sich vieles als Fassade: Die meisten Planeten bleiben schnöde Rohstofflieferanten, es gibt kein Fahrzeug mehr und die langwierige Aufwertung der Normandy ist quasi für die Katz. Natürlich geht es hier um Kritik auf hohem Niveau: Was man hinsichtlich der schauspielerischen Leistung erlebt, erreicht wie schon in Dragon Age virtuelles Theaterniveau - vor allem Subject Zero hat einen Oscar verdient. Dieses Spiel atmet immer noch die geniale Dialogluft, die hervorragende Charakterzeichnung und die Spannung der Entscheidung! Außerdem entführt es in ein riesiges Universum, das man knapp 35 Stunden frei bereisen kann. All das sorgt für richtig gute Unterhaltung, zumal einige der kleinen Geschichten um die Crewmitglieder grandios sind. Aber was bringt es dem Genre, wenn ein Entwickler, der wie kein anderer für Rollenspielqualität steht, jetzt auch demonstriert, dass er alles ganz hübsch in die Luft jagen und die Unreal Engine 3 ohne zu stottern beherrschen kann? Das ist ja schön. Aber das ist auch wie Perlen vor die Säue werfen. Ich will mehr intelligente Quests, nicht mehr schwere Superwaffen! Ich will lieber eine lebendige Stadt als 100 öde Planetenscans! Und erzählerisch scheinen die Kanadier mit diesem zweiten Teil noch mal kräftig Luft für das Finale holen zu wollen: Anders lässt sich die Vernachlässigung der Story nicht erklären. Nach dem Abspann von Mass Effect anno 2007 habe ich gedacht: Hey, das war cool! Nach dem Abspann anno 2010 denke ich: Hey, das war alles?
Zum Video-Fazit
Pro
- stimmungsvoller Einstieg
- tolle Nebenstorys
- großes, frei erkundbares Universum
- ansehnliche Kulisse & Kleidung
- lebendige Mimik & Gestik
- sehr gute Multiple-Choice-Dialoge
- klasse Licht-, Leucht- & Nebeleffekte
- Entscheidungen mit Konsequenzen
- markante Nebencharaktere
- Dialog-Eingriffe in Echtzeit
- pausierbare, actionreiche Gefechte
- gutes Deckungssystem im Kampf
- Teamkameraden einzeln positionierbar
- Loyalität schaltet Fähigkeiten frei
- Entwicklungen aus Mass Effect übertragbar
- üppige Spielzeit: knapp 35 Stunden
- intime Romanzen & Zickereien
Kontra
- Hauptstory & Finale schwach
- Städte bleiben klein und steril
- Gefechte laufen nach Schema F
- einige unglaubwürdige Reaktionen
- kaum klassische Rollenspiel-Quests
- sinnlose Aufrüstung der Normandy
- Klassen & Fähigkeiten nicht markant genug
- zickige bis dumme Team-KI
- langweiliges Planeten-Scannen
- kein Fahrzeug zur Planetenerkundung
- zwei eintönige Hacking-Minispiele
- deutscher Shepard fehlbesetzt
- kastrierte Karriere