Alice im Wunderland - Test, Action-Adventure, NDS, Wii, PC
Die Geschichte von Alice im Wunderland wird von der Popkultur immer wieder gerne aufgenommen. Das ist auch nicht verwunderlich, denn die Art und Weise wie die Gesetze der Wahrnehmung und Logik im Wunderland verdreht oder ad absurdum geführt werden, ist eine gute Quelle für kreative Erlebnisse - seien sie nun interaktiv wie in einem Videospiel oder passiv wie in einem Film. Bereits 1903 haben Alice, der verrückte Hutmacher, die Cheshire-Katze und all die anderen Wesen aus der Pseudonym-Feder von Lewis Carroll den Stoff für einen Stummfilm geliefert. Die große Popularität kam dann in den 50er Jahren Walt Disney. Zehn Jahre später als die Hauptstory ist die jüngst veröffentlichte Kinovision von Kultregisseur Tim Burton mit Johnny Depp als "Mad Hatter" angesiedelt - und diese Variante ist auch die erzählerische Grundlage für das
spielerische Abenteuer rund um Alice im Wunderland.Altes Thema, neue Sichtweise
Spielefans ist die Thematik jedoch nicht unbekannt: Vor einigen Jahren hat EA die visionär auf einer Stufe mit Tim Burton stehende Spielefantasie von American McGee's Alice in die Regale gestellt, die uns seinerzeit satte 90% wert war. Damals wurde man in eine düstere Shooterwelt entführt, diesmal geht es als Team in ein skuriles Action-Adventure, bei dem Alice zumeist nur eine Nebenrolle spielt.
Umfangreiche Abschnitte erforschen, Gegenstände finden, Erinnerungen in Form von Diamanten aufsammeln, dazu Kampf und Rätsel: Schaut man auf die Mechaniken, kommt schnell der Eindruck der "typischen Lizenz" auf. Doch wo viele andere Film-Versoftungen nur an der Oberfläche kratzen, fügen sich die Inhalte im Wunderland zu einem harmonischen Ganzen zusammen.
Alte Alice, neues Team
Wobei dies hauptsächlich dem Kniff zuzuschreiben ist, die Last auf fünf Schultern zu verteilen: Es gibt eine ganze Hand voll spielbarer Figuren, die die meist nur nebenher laufende Alice bei ihrem Ausflug durch ein ebenso düsteres wie melancholisches Wunderland im Kampf gegen die böse Herzkönigin und den Jabberwocky unterstützen.
Jede dieser Figuren, die man jederzeit wechseln kann, verfügt über eine Spezialfähigkeit - mit Ausnahme der im Kampf enorm wendigen und effektiven Haselmaus. Das weiße Kaninchen kann die Zeit anhalten bzw. zurückdrehen und dadurch z.B. Gegner kurzzeitig stoppen oder zerbrochene Dinge reparieren. Der Märzhase verfügt über telekinetische Kräfte, die Grinsekatze kann sich unsichtbar machen oder unsichtbare Gegenstände sichtbar machen. Und der verrückte Hutmacher schließlich kann die Gesetze der Logik außer Kraft setzen und optische Illusionen zu einem Bestandteil der Umgebung formen. Gerade diese Fähigkeit ist es, die immer wieder für verhaltenes Staunen sorgt. So etwa, wenn man ein von seinem Schöpfer nicht beendetes Gemälde auf einer Staffelei mit einer dahinter liegenden Hausruine in eine optische Verbindungslinie bringt, beide verschmelzen und das aus dem Gemälde geschnittene Haus plötzlich als festes Objekt in der Landschaft steht und betreten werden kann.
Vor allem die Verbindung all dieser Fähigkeiten ist es, die die Rätselkultur in Alice ausmacht: Erst muss man als Kaninchen
ein sich irrwitzig schnell drehendes Hinweisschild stoppen, dann als telepathischer Märzhase ein Podest aus dem Boden hieven, mit dem Hutmacher eine Perspektivenverschiebung starten und schließlich mit der Katze die unsichtbare Tür dahinter öffnen. Klingt kompliziert? Geht aber dank guter Steuerung und einiger Hinweise in der Spielwelt locker von der Hand. Viele dieser Fähigkeiten werden über die zumeist sehr gut reagierende Gestenerkennung gestartet.Alte Helden, neue Fähigkeiten
Natürlich kann diese Talente auch im Kampf gegen die Spielkarten, also die Schergen der Herzkönigin, einsetzen - teilweise wird man sogar dazu gezwungen. So ist es z.B. ratsam, erst den Gegner einzufrieren, um ihm dann per Telekinese den Schild zu entreißen, damit die stärkeren Figuren wie die Haselmaus oder der Hutmacher ihre ganze Schlagwirkung entfalten können.
Vorsicht ist dennoch geboten: Denn es lauern nicht nur große Gegnergruppen. Leider ist auch die Kameraführung immer wieder etwas wankelmütig und lässt sich auch durch die manuelle Justierung nicht immer umgehend auf Kurs bringen. Und ausgerechnet in diesen Stress-Situationen reagiert die Gestenerkennung übersensibel oder im schlimmsten Fall gar nicht.
Da ein Ableben aber keine verheerenden Konsequenzen, sondern nur wie bei den älteren Lego-Titeln ein Absinken der "Währung" nach sich zieht, unternimmt man gerne einen neuen Versuch. Denn ansonsten sind die Kämpfe zwar vor allem für jüngere Spieler fordernd, bleiben aber abseits der technischen Probleme fair.
Gespeichert werden kann an strategisch positionierten Briefkästen, die eigentlich zahlreich vertreten sind, deren Abstände zueinander aber manchmal einen Tick zu weit sind, so dass die Geduld bei dem einen oder anderen Remote-Kaninchen auf die Probe gestellt wird.
Dennoch unterhält Alice mit einem gelungenen Erzähltempo: Die Erforschungspassagen haben bis auf wenige Ausnahmen die optimale Länge, die Rätsel sind an den richtigen Stellen eingestreut, die Kämpfe sind nur selten unnötig in die Länge gezogen und werden durch clevere Boss-Auseinandersetzungen abgerundet - die Mischung stimmt.
Alte Probleme, neue Technik
Eigentlich beste Voraussetzungen, um den Ausflug ins Wunderland auf ganzer Linie genießen zu können - wenn nicht die technische Umsetzung für Probleme sorgen würde. Dabei sind weniger die Kameraprobleme störend und auch die sporadischen Einbrüche der Bildrate kann man verschmerzen. Aber die visuelle Qualität ist derart schwankend und über das gesamte Wunderland so uneinheitlich, dass Momente der Begeisterung ständig nahtlos in komplette Ernüchterung wechseln
Nehmen wir z.B. die Protagonisten: So lange sie fellbekleidet sind (wobei die Grinsekatze in grenzwertige Bereiche abdriftet), sind sie ansehnlich und bieten gehobenen Durchschnitt. Und im Falle der gegnerischen Spielkarten gibt es abgesehen von ihrem Klonstatus nichts auszusetzen.
Ähnliches gilt für die Kulisse: Schicke und detailverliebte Innenarchitektur oder schöne Effekte im Kampf bzw. beim Einsatz von Fähigkeiten wechseln sich ab mit schwachen Bodentexturen, aus denen wiederum hübsche Bäume etc. herausragen, die die visuelle Diskrepanz nur umso deutlicher vermitteln.
Leider kommt es auch zu selten zu visuellen Trugbildern wie dem scheinbar endlosen Flur, der sich nach einem kurzen Kameraschwenk doch als erschreckend kleine Sackgasse entpuppt. Oder dem Zeitstrudel, den das weiße Kaninchen kurzzeitig stoppt und der einen bei Durchschreiten kurzerhand an die Decke befördert, von wo aus man mit einer neuen Perspektive gleich doppelt nachdenken muss, wenn man die anstehenden Rätsel lösen will.
Wer will, kann auch mit einem Freund einen Ausflug ins Wunderland unternehmen (jederzeit Ein- und Aussteigen inklusive), wobei man eine der freigeschalteten Figuren übernimmt und natürlich auch den Charakter wechseln kann. Dadurch werden
vor allem die Kämpfe erleichtert, da sich einer z.B. auf das Einfrieren bzw. die Telekinese konzentrieren kann, während der andere die angreifenden Herzchen malträtiert. Allerdings gibt es keine Splitscreen-Technik. Beide Figuren müssen sich den Bildschirm teilen und sobald Spieler 2 zu weit von der Hauptfigur entfernt steht, findet ein Teleport statt, der immer wieder irritieren kann, der aber nicht ernsthaft auf den Spaßfaktor drückt.Geteilte Freud, geteiltes Leid
Und man kann sich gegenseitig über die Akustik hinwegtrösten, wobei die an den Film angelehnte dynamische Musikuntermalung davon ausgenommen ist, die ähnlich wie die visuelle Gestaltung zwischen gelungen und verrissen schwankt. Wie beim Charakterdesign liegen die Sprecher der "Tiere" wieder vorn und Alice hat das Nachsehen: Langweilig, uninspiriert, beinahe lustlos wirkend, ist man froh, dass sie tatsächlich nur eine Nebenrolle spielt.
Wobei die qualitativen Unterschiede in der deutschen Version bei den Figuren im Vergleich zur englischen Variante geringer ausfallen, dafür allerdings die lokale Variante insgesamt schwächer als das englische Gegenstück ist - obwohl nicht einmal dort die original Schauspieler ins Studio gezerrt wurden.
Fazit
Dass die Umsetzung zu Tim Burtons letzter Filmfantasie nicht zu Höherem berufen ist, ist nicht der Spielmechanik zuzuschreiben. Das Team von Etranges Libellules bietet unter dem schützenden Lizenz-Mantel einen ausgewogenen Mix bekannter Action-Adventure-Elemente, der vor allem von dem ständig geforderten Wechsel der Charaktere angetrieben wird. Sowohl in den gut inszenierten Kämpfen als auch bei vielen der clever eingestreuten Rätsel ist die kreative Kombination der Fähigkeiten der Schlüssel zum Erfolg. Hinzu kommen ein kooperativer Spielmodus, dem nur die Splitscreenmechanik fehlt, sowie eine größtenteils gelungene Gestenerkennung. Technisch lässt das Wunderland jedoch zu wünschen übrig. Leider ist die Engine nur halb so potent wie das Artdesign stimmungsvoll. Mit einer ernüchternden visuellen Diskrepanz zwischen den tierischen und menschlichen Hauptdarstellern, gelegentlichen Bildrateneinbrüchen sowie stark schwankender Texturqualität, beraubt sich der magische Ausflug selbst eines Teils seiner Faszination. Und dass Wii mehr auf dem Kasten hat, wurde zuletzt von Titeln wie Silent Hill oder Sky Crawlers unter Beweis gestellt. Dennoch: Alice im Wunderland ist trotz der technischen Probleme ein spielenswertes Action-Adventure alter Schule, das die gesamte Familie vor dem Fernseher vereinen und gut unterhalten kann.
Pro
- abgefahrenes Design
- fünf spielbare Figuren
- gut inszenierte Kämpfe
- kreative Team-Rätsel
- kooperatives Spiel möglich...
- gute Gestenerkennung
- gute Mischung bekannter Action-Adventure-Elemente
Kontra
- menschliche Charaktere mitunter hässlich
- teils lustlos wirkende Sprecher
- visuell schwankende Qualität
- Akustik mitunter sehr schwach
- ... das allerdings ohne Splitscreen auskommen muss
- gelegentliche Kameraprobleme