Shin Megami Tensei: Strange Journey (Redux) - Test, Rollenspiel, NDS, 3DS

Shin Megami Tensei: Strange Journey (Redux)
01.06.2010, Jens Bischoff

Test: Shin Megami Tensei: Strange Journey (Redux)

Nach Devil Survivor bekommt der DS mit Strange Journey schon sein zweites MegaTen-Abenteuer. Doch leider stehen auch diesmal die Chancen auf eine europäische Veröffentlichung eher schlecht. Daher haben wir uns die US-Fassung importiert und der mysteriösen Schwarzwelt, die vom Südpol aus die Erde zu verschlingen droht, einen frühen Besuch abgestattet.

In nicht allzu ferner Zukunft werden sieben Milliarden Menschen von einem schwarzen Nichts bedroht, das sich langsam von der Antarktis über den gesamten Erdball ausdehnt.



Reise ins Ungewisse

Video: Der Trailer gewährt ein paar dokumentierte Einblicke in den allgemeinen Spielverlauf.Um eine globale Panik zu vermeiden, wird das Phänomen in den Medien herunter gespielt, während die Vereinten Nationen fieberhaft Gegenmaßnahmen ergreifen. Doch die Untersuchungen laufen ins Leere, Aufklärungsdrohnen liefern bizarre Bilder und verschwinden spurlos. Der einzige Ausweg scheint eine bemannte Mission ins Innere der so genannten Schwarzwelt, um die mysteriöse Anomalie direkt zu studieren und zu bekämpfen. Auch ihr gehört diesem von vielen als Himmelfahrtskommando angesehenen Vorstoß ins Ungewisse an.

Anfangs scheint alles planmäßig zu verlaufen, doch schon bald bricht der Funkkontakt ab, die Schutzschilde versagen und unsichtbare Wesen beginnen ins Innere der Landungsfahrzeuge einzudringen. Mithilfe eines speziellen Hightech-Kampfanzugs, dem Demonica, gelingt es zwar die Angreifer zu visualisieren und zurückzudrängen, doch die Schäden am Fahrzeug sind massiv, die Begleitfahrzeuge verschollen, das Schicksal der einzelnen Crews ungewiss.

Es beginnt eine Expedition zu Fuß in unbekanntes Terrain, das von dämonischen Schattenwesen bevölkert wird, die Feind und Freund zugleich sind: Mittels Demonica-Anzug kann der Spieler seine Widersacher nämlich nicht nur sehen und bekämpfen, sondern auch mit ihnen kommunizieren und sie mit diplomatischem Geschick und Geschenken als Mitstreiter gewinnen.

Dämonische Unterstützung

Während der sonst stumme und austauschbare Protagonist in erster Linie auf Schlag- und Schusswaffen setzt, die sich später mit verschiedenen Beschichtungen und Munitionsarten flexibel einsetzen lassen, 

Stimmt man bei einem Gespräch mit den persönlichen Ansichten des Gegners überein, kann man ihn um Gefälligkeiten bitten oder ihn versuchen zu rekrutieren.
können die Dämonen von Anfang an übernatürliche Elementarkräfte wirken, um ihre Artgenossen in klassischen Rundenkämpfen in Bedrängnis zu bringen. Alte Shin Megami-Hasen fühlen sich in den Schlachten sofort heimisch, aber auch Neulinge werden behutsam an das im Mittelpunkt stehende Schwachstellensystem, der stufenweise analysierbaren Gegner heran geführt. Der Schwierigkeitsgrad ist anfangs sehr moderat, die Möglichkeiten überschaubar und auch die Orientierung in den bauklotzartigen Arealen im Rogue -Stil fällt dank vorgefertigter, nicht bei jedem Besuch zufällig generierter Levels sowie mitzeichnender Automap leicht.

Später werden die Auseinandersetzungen allerdings spürbar knackiger, der Grat zwischen Leben und Tod schmäler, die Areale trotz Kartenfunktion immer verworrener. Spätestens wenn Fallgruben über mehrere Stockwerke, nicht verzeichnete Korridorgeflechte in totaler Dunkelheit und bereichsweise Dimensionswechsel zur Tagesordnung zählen, braucht man schon einen sehr guten Orientierungssinn, um sich nicht hoffnungslos zu verlaufen.

Trotz einiger Frustmomente übt aber gerade die Erkundung der Spielwelt einen enormen Reiz aus. Beschreitet man die irdischen Schauplätzen wie Schlachtfeldern, Rotlichtbezirken oder Einkaufszentren nachempfunden Areale anfangs noch auf Sicht, verlässt man sich später immer mehr auf die anwachsenden Scan-Funktionen seines Demonica-Anzugs. Dieser visualisiert nämlich nicht nur unsichtbare Gegner und Materialien zur Herstellung neuer Gebrauchs- und Ausrüstungsgegenstände, sondern auch versteckte Türen, Schlösser oder Portale.     

Erkundungs- und Sammelreize

Zudem lässt sich der Anzug individuell mit sekundären Applikationen bestücken, die von regenerativen Kräften über Beuteboni und Kampfvorteile bis hin zur Beeinflussung von Dämonenverschmelzungen reichen. Wie von anderen Shin Megami-Episoden gewohnt, lassen sich Dämonen nämlich nicht nur rekrutieren und trainieren, sondern auch fusionieren. Die Zuchtmöglichkeiten sind sehr umfang- und facettenreich: Strange Journey bietet über 300 verschiedene Kreaturen mit abweichenden Fähigkeiten, die sich nicht nur bei der Erschaffung, sondern auch der weiteren Entwicklung beeinflussen lassen. Auf die allgemeine Entwicklung kann man hingegen keinen Einfluss nehmen. Stärke, Schnelligkeit und andere Attribute steigen sowohl bei den Dämonen als auch dem Protagonisten automatisch an. Da sind Persona-Fans mehr Freiheiten gewöhnt. Auch das in Persona 3 zumindest stilistisch auf dem Höhepunkt angelangte Verwandeln in übernatürliche Alter-Egos vermisst man in Strange Journey irgendwie.

Die Party besteht quasi immer aus euch als Mensch, der bis zu drei dämonische Mitstreiter im Schlepptau hat, die er aus einem schrittweise anwachsenden Pool an Begleitern beschwören kann. 

Die rundenbasierten Kämpfen drehen sich nach wie vor um das Ausnutzen feindlicher Schwächen. Erfolgreiche Teamangriffe hängen jedoch nur noch von der moralischen Gesinnung ab.
Löblich ist dabei die Möglichkeit einmal beschworene Dämonen dauerhaft in einem Kompendium sowohl in ihrer ursprünglichen als auch aktuellen Form zu verewigen und jederzeit gegen einen entsprechenden Obolus wieder reaktivieren zu können. Man kann seine Kreationen sogar in einen Passcode verwandeln, um verschiedene Versionen derselben Gattung auf Abruf bereit zu halten oder sie anderen Spielern zur Verfügung stellen, wenn sie über das nötige Kleingeld zur Beschwörung verfügen, das bei besonders mächtigen Exemplaren natürlich entsprechend hoch ausfällt. Bezüglich Zucht- und Archivierungsmöglichkeiten lässt Strange Journey jedenfalls eindrucksvoll seine Muskeln spielen.

Anders sieht es hingegen bei den neuen Team- bzw. Bonusattacken aus, die nicht länger die Verkettung von Angriffen auf individuelle Schwachstellen, sondern eher die moralische Integrität der Kampfteilnehmer belohnen. Natürlich muss man auch in Strange Journey gezielt Schwachstellen ausfindig machen und aufs Korn nehmen, um zusätzliche Treffer landen zu können. Aber statt diese gekonnt miteinander zu verknüpfen, reicht es jetzt einmal zu treffen und alle Partymitglieder gleicher Gesinnung hauen automatisch mit drauf. Das klingt anfangs vielleicht gar nicht so schlecht, aber da es nur drei Gesinnungen mit jeweils genügend Vertretern gibt, formt man einfach eine einheitliche Multifunktionsparty um die moralische Ausrichtung des Protagonisten und teilt immer ordentlich aus. Bonusattacken der Gegner wurden sogar komplett fallen gelassen, so dass man sich auch um die eigenen Schwächen nicht mehr so viele Gedanken machen muss.

Taktische Weichspülung

Spielfluss und Zugänglichkeit profitieren davon natürlich, aber Taktik und Anspruch nehmen im Gegenzug spürbar ab. Was einem lieber ist, muss jeder selbst entscheiden - ich persönlich hätte auf diesen Weichspülgang aber gern verzichtet. Nicht, dass das Spiel dadurch zu einfach wird, fordernde Bossfights gibt es nach wie vor. Aber diese erfordern weit weniger taktische Spezialisierungen als stupides Aufleveln. Das grundlegende Schwachstellensystem ist zwar nach wie vor da und weiß zu gefallen, aber es fehlen einfach die Feinheiten - selbst die Gegneranalyse verläuft ungewohnt statisch.

Abseits der primitiven Verwendung in den Kämpfen ist das Moralsystem aber durchaus interessant. Es wirkt sich nicht nur auf die leider etwas zu willkürlich ablaufenden Rekrutierungsdialoge, sondern auch auf das zu erwartende Spielende aus. Aus heutiger Sicht wird aber auch hier etwas zu schwarzweiß gemalt. Entweder steht man auf der Seite des Gesetzes, auf der des Chaos oder in der neutralen Mitte - Nuancen dazwischen gibt es nicht. Zudem ist es oft so, dass man seine Gesinnungs ändernden Entscheidungen eher aufgrund der bevorzugt verwendeten Dämonen fällt, als dass man sich Gedanken darüber macht, wie man persönlich zu einem bestimmten Thema steht.

Eine Frage der Moral

Das kann aber auch daran liegen, dass die Story weit weniger bizarr und geheimnisvoll wirkt, wie sonst. Man hat fast das Gefühl, als wären die Entwickler plötzlich zu Moralaposteln mit erhobenem Zeigefinger und abgedroschenen Populismen mutiert, die eine Parallelwelt mit visualisierten Menschheitssünden wie Dekadenz, Umweltverschmutzung oder Krieg auffahren, die wie eine futuristische Sintflut die Erde reinwaschen will, während man selbst religiöse Zugehörigkeiten abwägt. Zum Glück ist zwar nicht alles so plump wie es scheint, aber dieses bisher so gekonnt implementierte bizarre Antlitz des Unerklärlichen blitzt in Strange Journey einfach zu selten auf. Vieles wirkt einfach zu gewöhnlich, zu simpel, zu vordergründig.

Auch die anderen Crewmitglieder sind nicht mehr als eindimensionale Abziehbilder, denen man keine Träne nachweint, wenn sie das Zeitliche segnen. Selbst um das eigene Überleben ist man nicht wirklich besorgt - schließlich spielt man einen stummen, namenlosen Niemand ohne jeden Erkennungswert oder emotionales Gefüge.

Der Protagonist ist lediglich ein stummer und austauschbarer Nobody, der automatisch vor sich hin levelt.
Speicherpunkte machen sich streckenweise zwar etwas rar, sind aber insgesamt ausreichend vorhanden und dienen gleichzeitig als handliche Heil- und Umrüststationen sowie als praktische Teleporter ins mobile Hauptquartier, das sich Abschnitt für Abschnitt ins Zentrum der Schwarzwelt vorarbeitet und auch die Rückkehr in bereits besuchte Areale ermöglicht, um mit neuen Demonica-Erweiterungen zuvor unzugängliche Teilbereiche zu ergründen.

Hier und da ergeben sich auch optionale Nebenmissionen, die man von Crewmitgliedern oder Dämonen gestellt bekommt. Manchmal kann man sogar kleine Herausforderungen oder Minispiele bestreiten. Für besonders ehrgeizige Spieler hält Strange Journey auch ein spielinternes Erfolgs- und Medaillensystem parat. Bei besonders einfachen Gegnern kann man auch eine primitive Autofight-Funktion nutzen, die aber selbst bei voll analysierten Gegnern nur konventionelle Standardangriffe im Zeitraffer abspult. Besonders unliebsame Widersacher lassen sich hingegen leicht in die Flucht schlagen, sobald man einen Artgenossen im Schlepptau hat, während sich die Anzahl der wie in Lucifer's Call vorhersehbaren Zufallskämpfe durch entsprechende Demonica-Applikationen reduzieren lässt.

Viel zu tun

Nichtsdestotrotz wirken die Begegnungen gegen unsichtbare Zufallsgegner anno 2010 natürlich reichlich antiquiert. Die Frequenz der Kämpfe verläuft allerdings in einem erträglichen Rahmen und die farblich symbolisierte, kontinuierlich steigende Kampfwahrscheinlichkeit in Verbindung mit dynamisch wechselnden Mondphasen, die u. a. Einfluss auf Dämonenkonversationen und -fusionen haben, sind nach wie vor nicht uninteressant. Auch der Spielumfang kann sich sehen lassen: Für eure erste Schwarzwelt-Expedition könnt ihr locker 40 bis 60 Stunden einkalkulieren - bei ausgiebigen Fusionsexperimenten und Sammelambitionen noch mehr. Zudem kann man seine Daten auch in ein New Game+ transferieren, um sich optionalen Bonusarealen und -gegnern zu stellen oder in weiteren Durchläufen die je nach finaler Gesinnung unterschiedlichen Enden zu Gesicht zu bekommen.

Die Spielstunden vergehen allerdings nicht wie im Flug. Der Spielverlauf gestaltet sich mitunter sehr zäh und eintönig, da man immer wieder dieselben Passagen durchläuft und Gegner bekämpft bis man alle örtlichen Storymissionen erledigt hat und stark genug ist, dem obligatorischen Bossgegner des aktuellen Abschnitts gegenüberzutreten, um zum nächsten Bereich vorzurücken. Nebenbei sollte man natürlich auch noch Materialien für neue Ausrüstung sammeln, Geld und passende Versuchskaninchen für Dämonenfusionen besorgen, die ein oder andere lukrative Nebenaufgabe erledigen sowie an der Durchschlagskraft und Flexibilität seiner Einsatztruppe feilen. 

Durch den Einbau neu entwickelter Module wird der Demonica-Kampfanzug zu einem wahren Multifunktionswunder.
Doch so motivierend Partypflege und Spielwelterkundung auch sind, so zeitwierig sind die damit verbundenen Aktivitäten. Wer jeden Geheimgang ausfindig machen, nicht aber auf fremde Hilfe in Form von Levelkarten zurückgreifen will, muss wirklich jede einzelne Wand beäugen. Zwar bekommt man recht früh ein Scan-Modul, das verborgene Türen ausfindig macht, aber nur, wenn man direkt davor steht, was angesichts der Größe und Komplexität mancher Areale ganz schön nervig sein kann.

Ohne Fleiß kein Preis

Auch die Automap, so praktisch und komfortabel sie ist, zeichnet immer nur exakt die jeweilige Position mit, so dass man wirklich jeden Quadratmeter einzeln ablatschen muss, um keine Besonderheit oder Figur zu übersehen, die erst dann sichtbar wird, wenn man sich auf genau dem gleichen Feld befindet. Zwar rechne ich es den Entwicklern hoch an, dass man durch überlegt handgefertigte statt zufällig ausgewürfelte 3D-Labyrinthe ziehen darf und diese auch grafisch unterschiedliche Themenbereiche abdecken, aber in punkto Sichtweite wäre auch auf dem DS mehr drin gewesen und wenn man manche entfernte Dinge zur Not hätte symbolisch darstellen müssen. Die grafische Ausarbeitung der Kampfgegner in 2D kann sich hingegen sehen lassen und überrascht mit vielen Details. Die Soundkulisse präsentiert sich eher zweckmäßig, Sprachausgabe gibt es keine und musikalisch hat man sich auch an der stimmungsvollsten Komposition nach stundenlanger Wiederholung irgendwann satt gehört. Dabei ist der von schummrigen Chorälen geprägte Soundtrack klanglich sehr hochwertig und angenehm düster, aber einfach zu knapp bemessen.

Fazit

Strange Journey war für mich ein recht durchwachsenes Vergnügen. Das Szenario wirkt frisch und unverbraucht, Story und Charaktere hingegen ungewohnt gewöhnlich, fast plump. Der austauschbare Protagonist bleibt einmal mehr das ganze Spiel über stumm, seine Abziehbildkameraden völlig uninteressant. Auch das nach wie vor gelungene Kampfsystem macht mehr Rück- als Fortschritte - die gesinnungsabhängigen Koop-Attacken wirken primitiv, die vorhersehbaren Zufallskämpfe à la Lucifer's Call geradezu antiquiert. Trotzdem üben die Erkundung der immer komplexer werdenden Schauplätze, das Rekrutieren und Fusionieren grotesker Schattenwesen und das Aufrüsten des eigenen Multifunktionsanzugs mit hilfreichen Zusatzmodulen eine motivierende Faszination aus. Man will jeden Winkel der bizarren, bauklotzartigen Spielwelt im Rogue -Stil ergründen, jeden noch so widerspenstigen Dämon als Versuchskaninchen gewinnen und jede noch so haarige Nebenaufgabe meistern. Der Einstieg fällt vergleichsweise leicht, der Schwierigkeitsgrad wirkt anfangs harmlos, die Orientierung macht dank persistenter Levels und Automap keine Probleme. Später werden die Auseinandersetzungen jedoch deutlich fordernder, die Wege verworrener, der Tod zum ständigen Begleiter. Moralische Entscheidungen wirken sich nicht nur auf Zusammensetzung und Effektivität der Gruppe aus, sondern bestimmen letztendlich auch den Ausgang der gesamten Mission. Der Umfang kann sich sehen lassen, wird aber von einer gewissen Zähigkeit und Monotonie flankiert, die nicht jedem schmecken dürfte. Beharrlichen Dungeon-Wühlern alter Schule wird's egal sein, MegaTen-Veteranen sowieso, aber an die Klasse eines Persona 4 kommt Strange Journey nicht heran.

Pro

  • üppiger Umfang
  • originelles Szenario
  • aufrüstbarer Kampfanzug
  • variable Spielergesinnung
  • interessante Scan-Funktionen
  • motivierende Dämonenfusionen

Kontra

  • schwache Story
  • uninteressante Charaktere
  • zäher & monotoner Spielverlauf
  • stummer, austauschbarer Protagonist

Wertung

NDS

MegaTen-Abenteuer alter Schule - immer noch gut, aber nicht mehr ganz zeitgemäß.