Sniper Ghost Warrior - Test, Shooter, 360, PlayStation3, PC, iPhone, iPad

Sniper Ghost Warrior
30.06.2010, Jan Wöbbeking

Test: Sniper Ghost Warrior

Wenn ein Shooter aus dem Hause City Interactive in der Redaktion aufschlägt, ist es normalerweise Zeit, schnellstens in Deckung gehen. Oder wie ein Scharfschütze von Schreibtisch zu Schreibtisch zu huschen, ohne in einen Hinterhalt der Berichtplanung zu geraten. Bislang trat das polnische Softwarehaus hauptsächlich mit Gurken wie The Hell in Vietnam und Code of Honor in Erscheinung. Der aktuelle Shooter "Sniper: Ghost Warrior" sah auf ersten Bildern und in ersten Filmchen nach erstaunlich hübscher Tropen-Action aus und erinnert sogar an Crysis. Wird jetzt alles besser?

So stelle ich mir einen Karibik-Urlaub vor: Über mir neigen sich Palmwedel sachte im Wind, vor mir glitzert das azurblaue Wasser und dahinter bietet sich ein wunderhübsches Panorama. Aus dem dicht überwucherten Dschungel ragen ein paar zerklüftete Felsen hervor, auf welchen ich selbst durch das Zielfernrohr noch brüchige Feinheiten erkennen kann. Auch das Hamburger Wetter spielt mit und sorgt für tropische Temperaturen in unserem Konsolenbüro. Auf visueller Ebene haben sich die Entwickler von City Interactive sich mächtig ins Zeug gelegt - zumindest auf den ersten Blick. 

Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste. (PC)
Eine derart dichte Vegetation gibt es nur in wenigen Spielen zu sehen. Doch kaum schleiche ich ein Stückchen durchs Unterholz, bekommt die heile Welt Risse: An einem großen Hang klabt eine matschige N64-Textur, mein grobpixeliger Schatten flimmert umher, Grasbüschel gleiten durch den Boden und direkt vor meinen Augen wächst urplötzlich ein Busch aus dem Nichts.

Idylle mit Schönheitsfehlern

Die auf den ersten Blick idyllische Tropenwelt ist nicht nur visuell aus den Fugen geraten: Der aus Kolumbien stammende General Manuel Vasquez hat sich im Inselstaat Isla Trueno an die Macht geputscht, um die dortigen Drogengeschäfte unter die Fittiche seines Kartells zu bekommen. Zeit also für einen einsamen Helden, welcher der Bananenrepublik mit Hilfe seines Zielfernrohrs die Freiheit zurückbringt. Gunnery Sergeant Tyler Wells hat schon bei der Operation Enduring Freedom reihenweise Taliban aus der Ferne ausgeknipst und soll nun in den Tropen für Recht und Ordnung sorgen.

Seine Spezialfähigkeit ist die Bullet Time: Ein Knopfdruck genügt und schon laufen die verdutzten Widersacher in stark verlangsamter Zeitlupe vorm Fadenkreuz herum. Wo der Gunnery Sergeant seine übersinnliche Fähigkeit gelernt hat, wird nicht erklärt. Gerade in einem Spiel, in welchem das realistische Ballistik-System beworben wird, wirkt das merkwürdig. Nützlich ist das Extra aber allemal:

Im Zielfernrohr werden Wind und Herzfrequenz angezeigt. Dank roter Einschlags-Markierung und Zeitlupe trifft man meist todsicher. (PC)
Lege ich an, muss ich die Entfernung sowie den Wind einkalkulieren - allerdings nur auf dem höchsten Schwierigkeitsgrad, in welchem meine Gegner zusätzlich aggressiver attackieren und mich deutlich schneller niederstrecken. Auf den übrigen Schwierigkeitsstufen zeigt ein kleiner roter Punkt an, wo genau mein Projektil einschlägt, wodurch die äußeren Faktoren praktisch keine Rolle mehr spielen.

Präziser als jeder Videobeweis

Glücklicherweise hält sich die ausgelutschte Standard-Story dezent im Hintergrund. Im Mittelpunkt steht das Auskundschaften, Heranschleichen und natürlich spritzende Blutfontainen nach dem Anlegen auf das Opfer. Meist gilt es, sich durch die feindlichen Reihen zu einer Zielperson zu schleichen, Geiseln vor ihrer Exekution zu retten oder Geschütze mit einer Sprengladung auszuschalten. Obwohl die Missionen recht linear aufgebaut sind und ich stets einige auf der Minimap angezeigte Ziele eliminieren soll, lässt mir das Spiel erfreulich viele Freiheiten, auf welche Weise ich mich an meine Opfer heranpirsche. Als ich z.B. ein paar Geschütze mittels C4 ausschalten soll, schaue ich zunächst einmal, welches Exemplar in meiner Nähe steht. Während der dramatische Synthie-Soundtrack im 80er-Jahre-Stil sich zum zehnten mal wiederholt, schlage ich mich neben der Straße in die Büsche. Geduckt schleiche ich durchs Dickicht. Die Böschung auf der anderen Seite des Weges wäre sinnvoller gewesen, denn prompt tappe ich in die Falle.           

Einige Wachen durchkämmen auf meiner Seite den Wald und eine von ihnen hat mich offenbar entdeckt, denn sie eröffnet das Feuer und ruft ihre Kollegen herbei. Eigentlich kein Grund zur Panik: Ich flitze hinter einem Findling in Deckung, wechsle zur Pistole und versuche, dem vorlauten Schurken Saures zu geben. Das Problem an der Sache: Ich stehe gar nicht hinter dem Findling, sondern immer noch wie angewurzelt im Freien.

Treffer, versenkt! In manchen Abschnitten spricht man sich über Funk mit einem Mitstreiter ab. (PC)
Verzweifelt kloppe ich auf die Tastatur, doch es nützt nichts: Mein Alter Ego hängt an ein paar winzigen Zweigen fest. Seelenruhig jagen meine Verfolger mir ein Projektil nach dem anderen in den Rumpf, bis sich die Energieanziege komplett geleert hat - na schönen Dank auch.

Hängen geblieben

Das ständige Hängenbleiben ist der größte Schwachpunkt des Spiels: Kleine Äste, dünne Latten, winzige Hubbel auf dem Waldboden - sie alle sorgen dafür, dass ich alle paar Sekunden kleine Schlenker laufen muss. Im ersten Level war ich sogar eine Minute lang in einer Art Verschlag aus hauchdünnen, zusammengenagelten Latten gefangen, bis ich mich endlich hinaus quetschen konnte. Gelange ich an eine Treppe, muss ich zum Schluss sogar stets den Sprungknopf drücken, weil die letzte Stufe sonst ein unüberwindbares Hindernis darstellt. Oder aber meine Spielfigur reißt das Gewehr in die Luft und kann nicht mehr schießen, weil sie zu nah an einem anderen Gegenstand steht. Auf dem PC kann man sich in solchen Situationen mit dem Quicksave behelfen - andererseits wird es dadurch nicht so spannend wie auf der Xbox 360. Auf grafischer Ebene besitzt die PC-Version Vorteile: Wenn man Auflösung und Details hochschraubt, gibt es deutlich mehr scharfe Texturen sowie feine Holz- und Metalloberflächen zu sehen. Konsolenbesitzer müssen außerdem mit ständigem Ruckeln leben - gerade noch erträglich, aber trotzdem nervig.

Auch diverse unsichtbaren Wände gingen mir gehörig auf den Keks. Obwohl meine Minimap mich in die entsprechende Richtung lotsen wollte und das dichte Buschwerk eine ausgezeichnete Deckung abgegeben hätte, musste ich einen weiten Bogen um die unsichtbare Grenze machen. Wenn diese Barrieren fehlen, ist es aber recht motivierend, den idealen Weg auszuarbeiten. Als ich manche Abschnitte auf der Xbox 360 zum zweiten mal gespielt habe, bin ich dank meiner Map-Kenntnis um Längen cleverer vorgegangen. Statt meine Gegner noch einmal aufzuscheuchen, bin ich lieber am Großteil von ihnen vorbeigeschlichen oder habe sie lautlos mit dem Wurfmesser erledigt. Das Ergebnis: Ich musste nur noch selten zur Waffe greifen und einen Bruchteil meiner Widersacher ausschalten. An anderer Stelle bin ich im zw

Mittendrin stat nur dabei: Dichte Vegatation und stimungsvolle Beleuchtung sorgen für echtes Dschungelfieber. (PC)
eiten Anlauf sogar einer kompletten Schlacht in einem alarmierten Dorf aus dem Weg gegangen. Stattdessen habe ich mich auf die Ladefläche eines feindlichen LKWs geschlichen und mich als blinder Passagier an der Action vorbeigemogelt.

Beim ersten mal tat's noch weh

Schade, dass es in Sniper: Ghost Warrior keine Stealth-Finessen wie das Verstecken von Leichen gibt. Stattdessen steht ab und zu sogar schnelle Run-and-Gun-Action auf dem Programm. In manchen Abschnitten schlage ich mich im Stil von Call of Duty mit dem Sturmgewehr durch feindliche Linien. Die Abschnitte als lautloser Scharfschütze fallen aber deutlich unterhaltsamer aus, da die Soldaten im Nahkampf nicht so clever agieren wie in anderen bekannten Shootern. Wechsle ich z.B. nach einem Speicherpunkt von einem Stützpunkt in den angrenzenden Dschungel, kümmern sich die Gegner hinter mir kaum noch um mich - ganz so, als sei es nicht mehr ihr Zuständigkeitsgebiet.

Also muss ich nur noch schnell aus der Schusslinie laufen und schon kann die Kopfschussjagd weiter gehen. »100% uncut« steht auf der DVD-Hülle, direkt neben dem 18-er-Logo der USK. Zerfetzte Körperteile oder ähnliche Gemeinheiten gibt es zwar nicht zu sehen, doch das Spiel lässt es sich nicht nehmen, den perfekt ausgeführten Kopfschuss bis zum Exzess zu zelebrieren. Bei jedem Volltreffer gibt es den Kugelflug, den Einschlag und jede Menge Ketchup zu sehen. Obwohl sich die Szenen ähneln,

Auf der Xbox 360 macht der Inselstaat ebenfalls einen hübschen Eindruck, bietet aber weniger Details und leidet unter ständigem Ruckeln.
wird das Schauspiel nicht langweilig, was vor allem an den lustigen Ragdoll-Animationen liegt.

Ketchup im Überfluss?

Für herzhaftes Gähnen sorgte dagegen der Online-Modus: Wer Lust hat, mit bis zu elf anderen Campern Verstecken zu spielen, darf sich an drei Modi versuchen. Neben einem Deathmatch und der Team-Variante wartet noch ein "VIP" genannter Modus. Nur ein Spieler besitzt den Namen gebenden Sonder-Status, welcher mehr Punkte einbringt - allerdings nur so lange, bis er von jemand anderem erwischt wird. Die mittelgroßen, idyllischen Tropen-Karten sehen ähnlich hübsch aus wie die Areale der Kampagne, trotzdem taugt der Multiplayer bestenfalls für ein paar Runden zwischendurch. Der Umfang fällt mit gerade mal sechs Maps mickrig aus. Es gibt in beiden Versionen lediglich vier Standard-Klassen, kaum Optionen und die Bestenliste lässt sich nicht einmal nach Freunden sortieren.         

Fazit

Das hätte ich City Interactive gar nicht zugetraut: Sniper - Ghost Warrior hat eine richtig ansehnliche Tropenwelt zu bieten. Aus der Nähe betrachtet besitzt die Idylle zwar dicke Schönheitsfehler wie jede Menge sich überschneidende Polygonkanten, trotzdem hinterlässt der Shooter einen schönen Eindruck. Spielerisch begnügt sich der Titel dagegen mit Standard-Kost: Der Mix aus linearen Missionen und recht freien Laufwegen macht das Auskundschaften, Heranschleichen und Snipern in den meisten Fällen zu einer unterhaltsamen Angelegenheit. Leider mangelt es dem Spiel an Feinschliff: Dass man an jedem noch so kleinen Hubbel hängen bleibt, ging mir gewaltig auf die Nerven. Außerdem könnten die Gegner mir ruhig etwas hartnäckiger auf die Pelle rücken. All zu realistisch wird es übrigens nicht: Mein Held kann die Zeit verlangsamen und obwohl ich die meiste Zeit über als Scharfschütze unterwegs bin, muss ich mich relativ häufig durch actionlastige Scharmützel kämpfen. Des Weiteren müssen beim Snipern Wind und Entfernung nur auf dem höchsten Schwierigkeitsgrad einkalkuliert werden. Trotz vieler nerviger Makel hat mich der Scharfschützenausflug durch den Dschungel aber solide unterhalten. Nach den recht engen Levels von Call of Duty: Modern Warfare 2 und Battlefield: Bad Company 2 war es richtig erfrischend, wieder in etwas weitläufigeren Arealen unterwegs zu sein, ohne so lange Wege zurücklegen zu müssen wie in Open-World-Spielen à la Just Cause 2.

Pro

  • <P>+&nbsp;paradiesisch schöne Panoramen+&nbsp;sehr dichte Vegetation+&nbsp;unterhaltsame gestaltete Tropen-Areale
  • stimmungsvolle Beleuchtung+&nbsp;gute Mischung aus linearen Missionen und freien Laufwegen+&nbsp;vorsichtiges, lautloses Vorgehen wird stark belohnt+&nbsp;teils alternative Missionsverläufe</P>

Kontra

  • <P>
  • Spielfigur bleibt ständig an Hindernissen hängen
  • einige unsichtbare Wände bremsen Entdeckerdrang
  • jede Menge Clippingfehler
  • Büsche wachsen direkt vor den Augen aus dem Boden
  • durchgehendes Ruckeln (360)
  • häufiges Tearing (360)
  • Spannung leidet durch Quicksave-Möglichkeit (PC)
  • hässlich pixelige Schattenkanten
  • mickriger Online-Modus
  • Musik wiederholt sich häufig
  • ausgelutschte Reißbrett-Story
  • Wind und Distanz muss nur auf höchstem Schwierigkeitsgrad einkalkuliert werden</P>

Wertung

360

Besitzer der Konsolenfassung müssen mit ständigem Ruckeln und etwas gröberer Grafik leben, andererseits sorgt das Fehlen der Schnellspeicher-Option für etwas mehr Spannung.

PC

Der actionlastige Scharfschützen-Shooter zeigt eine hübsche Tropenkulisse, bietet aber nur Standard-Kost und nervt durch viele kleine Fehler.